Zusammenfassung
- Definition: Das Kahnbein (Os naviculare pedis) ist einer der Fußwurzelknochen. Frakturen sind infolge eines Traumas möglich oder als Stressfraktur (Ermüdungsbruch).
- Häufigkeit: Ermüdungsbrüche des Kahnbeins machen etwa 1/3 aller Ermüdungsbrüche aus.
- Symptome: Mittelfußschmerzen, die sich häufig über mehrere Monate entwickeln und sich durch Aktivität verstärken.
- Befunde: Nach einem Trauma ist in der Regel ein größeres Areal des Mittelfußes von Schmerzen und Schwellungen betroffen. Bei einer Stressfraktur sind die klinischen Befunde häufig unspezifisch.
- Diagnostik: Röntgen, CT, MRT oder Szintigrafie.
- Therapie: Stressfrakturen und traumatische Frakturen ohne Dislokation sollten konservativ therapiert werden, alle übrigen operativ.
Allgemeine Informationen
Definition
- Das Kahnbein (Os naviculare) ist einer der Fußwurzelknochen (Ossa tarsi).
- Eine Fraktur ist durch Trauma oder Überbelastung (Stress) möglich.1
- Stressfraktur2-3
- Der Befund bleibt oft monatelang unerkannt.
- Zwischen dem ersten Auftreten der Symptome und der Diagnosestellung vergehen durchschnittlich 4–7 Monate.4
- Es gibt 3 Arten von Frakturen:
- dorsale kortikale Avulsionsfraktur (Abrissfraktur am Ansatz des Lig. talonaviculare dorsale)
- Avulsionsfraktur der Tuberositas (Ansatz der Sehne des M. tibialis posterior)
- Korpusfraktur, oft in Verbindung mit anderen Frakturen des Mittelfußes.
Vorkommen
- Ermüdungsbrüche des Kahnbeins machen etwa 1/3 aller Ermüdungsbrüche bei Sportlern aus.1
- Stressfrakturen treten am häufigsten bei jungen Profi- und Freizeitsportlern auf.5
Ätiologie und Pathogenese
- Häufig kommt es zu Stressfrakturen bei jüngeren Profi- oder Freizeitsportlern, die ihre Füße einer erheblichen mechanischen Belastung aussetzen.6
- Wiederholte Muskelkontraktionen und Gewichtsbelastungen ohne ausreichende Ruhezeiten bedeuten eine außerordentlich hohe Belastung, die zu einer Stressfraktur in dem avaskulären mittleren Drittel des Knochens führen kann.7
- Starke Drehungen oder heftige mechanische Impulse gegen den Mittelfuß können zu einem Bruch des Os naviculare führen.
- Für gewöhnlich führt ein und dasselbe Trauma auch noch zu anderen Frakturen oder Bänderschäden.
- Dorsale Abrissfraktur und Abriss der Tuberositas vor allem infolge sportlicher Aktivitäten mit starker Distorsion und Muskelbeanspruchung
Prädisponierende Faktoren
- Überlastung
- Anatomische Prädisposition
- mittleres Drittel des Os naviculare avaskulär7
- Osteopenie begünstigende Faktoren:1
- weibliches Geschlecht
- Rauchen
- Hypothyreoidismus
- Steroidmissbrauch
- schneller, starker Gewichtsverlust.
ICPC-2
- L76 Fraktur, andere
ICD-10
- S92 Fraktur des Fußes [ausgenommen oberes Sprunggelenk]
- S92.2 Fraktur eines oder mehrerer sonstiger Fußwurzelknochen
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Anamnese gibt erste Hinweise auf die Verletzung.
- Die bildgebende Diagnostik bestätigt den Befund.
- MRT ist die Bildgebung der Wahl bei Verdacht auf einen Ermüdungsbruch.1
- Röntgen hat eine relativ geringe Sensitivität.
- Ein unauffälliges Röntgen schließt eine Fraktur nicht aus.3
Differenzialdiagnosen
- Andere Frakturen der Mittelfuß- oder Fußwurzelknochen
- Plantarfasziitis oder andere Tendopathien des Mittelfußes
- Aseptische Knochennekrose des Os naviculare (Morbus Köhler)
Anamnese
- Evtl. Trauma oder hohes Aktivitätsniveau mit starker Belastung des Fußes
Stressfraktur
- Die Verletzung äußert sich anfangs nur vage, aber die Beschwerden nehmen mit der Zeit zu.
- Letztlich ist normales Gehen nicht mehr möglich.
- Die Schmerzen sind oft schwer zu lokalisieren.
- teilweise im dorsalen Mittelfuß, Ausstrahlung ins mediale Fußgewölbe möglich
- Die Schmerzen werden besonders durch Laufen, Springen und Sprinttrainings provoziert.
- Schmerzlinderung in Ruhephasen
- Häufig keine Anzeichen einer Einblutung, Schwellung oder eines Traumas
Klinische Untersuchung
- Traumatische Fraktur
- häufig Begleitverletzungen (weitere Frakturen, Bandverletzungen)
- größeres schmerzhaftes und geschwollenes Areal im Mittelfußbereich
- häufig Begleitverletzungen (weitere Frakturen, Bandverletzungen)
- Stressfraktur
Diagnostik beim Spezialisten
- Röntgen
- etwa 33 % Sensitivität6
- Abweichungen vom Normalbefund stellen sich erst im späteren Verlauf ein.
- Sie sind Anfangsstadium in der Regel nicht zu erkennen.
- Aus dem gleichen Grund ist das Röntgen auch bei der Beurteilung der Heilungsfortschritte kaum sinnvoll einsetzbar.
- CT, MRT oder Szintigrafie
- Ist u. U. zur Diagnosestellung erforderlich.10
- Szintigrafie
- höchste Sensitivität, aber nicht hinreichend spezifisch4
- MRT
- Bilddiagnostik der Wahl bei Verdacht auf Stressfraktur, auch im Anfangsstadium sensitiv1
- Nachteil: teuer
- CT
- gute Beurteilung der Lokalisation und Ausmaß der Fraktur1
Indikationen zur Überweisung
- Sobald der Verdacht auf eine Fraktur besteht.
Therapie
Therapieziele
- Normales Ausheilen der Fraktur
- Wiedergewinnung der vollen Funktionalität des Fußes
Allgemeines zur Therapie
- Bei einer Stressfraktur ohne Dislokation wird eine konservative Therapie empfohlen.
- Abrissfrakturen ohne wesentliche Dislokation der Tuberositas ossis navicularis, nicht dislozierte Korpusfrakturen und Impressionsfrakturen sind ebenfalls konservativ zu behandeln.
- Dislozierte Frakturen sowie Frakturen, die konservativ nicht ausheilen, sollten operiert werden.
- Vor einer Rückkehr zu sportlichen Aktivitäten sollte die knöcherne Verheilung per CT oder MRT bestätigt werden.11
Konservative Therapie
- Stressfrakturen
- Therapie der Wahl: komplette Entlastung des betroffenen Fußes im Gips für 6 Wochen4
- Nach 3 Wochen sollten der Gips sowie die Compliance der Patienten bezüglich der Gewichtsentlastung überprüft werden.12
- nach 6 Wochen Entfernung des Gips und Überprüfung der Druckschmerzhaftigkeit des „N-Punktes“
- Ausnahme bei nur milden Beschwerden, die nur nach starker Belastung auftreten.1
- Eine Sportkarenz für 6–8 Wochen ist meistens ausreichend für die Heilung der Fraktur.
- Falls nach Wiederaufnahme der sportlichen Aktivitäten Schmerzen auftreten, ist die o. g. Therapie mit Entlastung im Gips zu empfehlen.
- operativer Eingriff
- Bei Profisportlern ermöglicht eine Operation häufig eine schnellere Rückkehr auf Wettkampfniveau.2,11
- Damit verbunden ist ein deutlich erhöhtes Risiko für sekundäre Arthrose verglichen mit konservativer Therapie.13
- Dies könnte daran liegen, dass vor allem Profisportler operiert werden und diese bereits ein erhöhtes Arthroserisiko haben.
- bei persistierenden Schmerzen und Pseudarthrose nach konservativer Therapie
- Therapie der Wahl: komplette Entlastung des betroffenen Fußes im Gips für 6 Wochen4
- Tuberositasfraktur
- bei unverschobener Fraktur Fußgips für 6–8 Wochen Wochen
- Kontrolle bei Entfernung des Gipses und bei Beschwerden
- Die Gipsentfernung kann nach einer gewissen Zeit indiziert sein, wenn die Tuberositas zu scheuern beginnt.
- Korpusfraktur
- Fußgips für 6–8 Wochen
- Kontrolle bei Entfernung des Gipses und bei Beschwerden
- Impressionsfraktur des Korpus
- Behandelt wird je nach Beurteilung des Einzelfalls.
- meistens Operation (Dislokation > 1mm)
- konservativ mit Fußgips für 2–3 Wochen (unverschobene Fraktur)
- Kontrolle bei Gipsentfernung und im Weiteren je nach individuellem Bedarf
- Behandelt wird je nach Beurteilung des Einzelfalls.
Operative Therapie
- Impressionsfraktur des Corpus ossis navicularis
- Alle Korpusfrakturen mit Dislokation > 1 mm sollten operativ behandelt werden.1
- operative Reposition und Osteosynthese
- Eine Arthrodese kann auch zu einem späteren Zeitpunkt indiziert sein.
- bei posttraumatischer Arthrose
- Alle Korpusfrakturen mit Dislokation > 1 mm sollten operativ behandelt werden.1
- Tuberositasfraktur/Abrissfraktur M. tibialis posterior
- operative Reposition und Fixierung bei Dislokation > 1 cm1
Rehabilitation
- Schrittweise Belastungssteigerung in der Rehabilitationsphase
- z. B. erst 2 Wochen Schwimmen, dann 2 Wochen Joggen und schließlich Rückkehr zur spezifischen Sportart1
Prävention
- Vernünftiger Trainingsplan, der einseitige und übermäßige Belastungen der Füße zu vermeiden hilft.
- abwechslungsreiches Training
- ausreichend Ruhezeiten
- Weiche Einlegesohlen können das Auftreten von Stressfrakturen vermindern.14
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Stressfrakturen entwickeln sich normalerweise nur sehr allmählich.
- Oft suchen die Patienten erst nach relativ langer Zeit ärztlichen Rat.
Komplikationen
- Pseudarthrose
- Abrutschen der Frakturfragmente
- Avaskuläre Nekrose
- Sekundäre Arthrose
Prognose
- Stressfrakturen
- konservative Therapie
- 86 % der Patienten können zu ihrer vorherigen sportlichen Aktivität zurückkehren.1
- Die restlichen 14 % benötigen in der Regel einen operativen Eingriff.
- Völlige knöcherne Ausheilung und Schmerzfreiheit braucht durchschnittlich 4 Monate.15
- Zu frühe Belastung des Fußes erhöht das Risiko eines Nichtverheilens sowie einer avaskulären Nekrose.
- 86 % der Patienten können zu ihrer vorherigen sportlichen Aktivität zurückkehren.1
- operative Therapie
- Die Prognose korreliert mit der Schwere der Fraktur.16
- Die durchschnittliche Zeit, bis die Patienten wieder aktiv Sport treiben konnten, lag in einer Studie bei 16,4 Wochen verglichen mit 21,7 Wochen bei konservativer Therapie.17
- bis zu 20 % der operierten Patienten mit postoperativ radiologischer Pseudarthrose18
- nicht alle von ihnen symptomatisch
- konservative Therapie
- Traumatische Frakturen
- Die Prognose ist abhängig von der Größe der Dislokation und der Korrektheit der anatomischen Reposition.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Literatur
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Autoren
- Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
- Klaus Hindsø, overlæge, ph.d., Ortopædkirurgisk klinik, Rigshospitalet
- Bengt Lund, dr.med.speciallæge i ortopædkirurg. Fhv. overlæge, Silkeborg Regionssygehus