Patellofemorale Arthrose

Zusammenfassung

  • Definition:Primäre Arthrose: ohne zugrunde liegende pathologische Kinematik. Sekundäre Arthrose: aufgrund von Abweichungen der physiologischen Biomechanik.
  • Häufigkeit:Sehr häufig, fast 1/4 aller Frauen > 55 Jahre.
  • Symptome:Belastungsabhängige Schmerzen im vorderen Knie, vor allem bei Kniebeugung, also z. B. Hocken, Treppensteigen oder Bergauflaufen.
  • Befunde:Evtl. Krepitationen. Oft pathologische Patellaführung, in der Regel Lateralisierung.
  • Diagnostik:Röntgen, zur OP-Planung ggf. MRT und/oder CT.
  • Therapie:Immer erst konservativer Therapieversuch. Bei persistierenden Schmerzen diverse operative Optionen zur Optimierung der Gelenkmechanik, ggf. mit patellofemoralem Gelenkersatz.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Arthrose im Patellofemoralgelenk1
    • primäre Form: ohne zugrunde liegende pathologische Kinematik 
    • Sekundäre Form: Basiert auf Abweichungen der physiologischen patellofemoralen Biomechanik.

Häufigkeit

  • Sehr häufiges Krankheitsbild
  • 24 % der Frauen und 11 % der Männer > 55 Jahre sind betroffen.2
  • Über die Hälfte der Patient*innen mit symptomatischer Gonarthrose haben neben einer tibiofemoralen auch eine patellofemorale Arthrose.3
  • In den meisten Fällen sekundäre Arthrose durch pathologische Biochmechanik, nur in 8 % der Fälle primäre Arthrose1

Ätiologie und Pathogenese

  • In der Vielzahl der Fälle entsteht die patellofemorale Arthrose durch eine gestörte Biomechanik (sekundäre Arthrose) mit Inkongruenz der Gelenkflächen zwischen Patella und Trochlea femoris (Gleitlager des ventralen, distalen Femurs).
    • Grund für diese Inkongruenz ist sehr häufig eine angeborene Trochleadysplasie.4
    • Weitere Ursachen sind posttraumatische Situationen oder Störungen der Kniekinematik aufgrund von Achs- oder Rotationsdeformitäten des Femurs und/oder der Tibia.4
    • Meistens kommt es zu einer erhöhten Druckbelastung auf der lateralen Seite des Gelenks.

Prädisponierende Faktoren

  • Z. n. Patellaluxation
    • Fast die Hälfte der Betroffenen hat nach 25 Jahren eine patellofemorale Arthrose entwickelt.5
  • Patellainstabilität5
  • Trochleadysplasie5
  • Osteochondrale Verletzungen der Patella oder Trochlea femoris5
  • Weibliches Geschlecht6
  • Q-Winkel > 20 Grad7
  • Chronische entzündliche Gelenkerkrankungen, z. B. rheumatoide Arthritis 8
  • Generelle Risikofaktoren für Arthrose: zunehmendes Alter, Übergewicht, Überbelastung (langjähriger Leistungssport)

ICPC-2

  • L91 Arthrose, andere

ICD-10

  • M22.2 Krankheiten im Patellofemoralbereich
  • M22.8 Sonstige Krankheiten der Patella

Diagnostik

Diagnostische Überlegungen

  • Mögliche biomechanische Pathologien sollen identifiziert werden, um eine individualisierte Therapie anbieten zu können.1

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Manifestationen der Erkrankung reichen von asymptomatisch über leichte Schmerzen im vorderen Knie bis hin zu signifikanten Schwierigkeiten beim Gehen, insbesondere auf Treppen.8
  • Belastungsabhängige Knieschmerzen, die besonders bei starker Kniebeugung auftreten:
    • Aufstehen aus sitzender Position
    • Bergauflaufen/Bergabgehen
    • Treppensteigen.
  • Trauma oder Operationen in der Vorgeschichte?

Inspektion

  • Beinachsen-Abweichungen (Genu varum/valgum)
  • Fußfehlstellungen (Hohlfuß, Plattfuß, Spreizfuß, ...)
  • Beinlängendifferenz
  • Q-Winkel8
    • Winkel zwischen Linien durch:
      • Spina iliaca anterior superior und Patella
      • Patella und Tibiaschaft.
    • Ein Winkel > 20 Grad ist mit einer pathologischen patellofemoralen Biomechanik und Arthrose als Folgeerkrankung assoziiert.7
    • bei Frauen wegen breiteren Beckens oft vergrößert

Klinische Untersuchung

  • Evtl. Krepitationen beim Bewegen der Patella
  • Zohlen-Zeichen als Hinweis für retropatellaren Knorpelschaden
    • Durchführung 
      • Patient*in in Rückenlage, Beine ausgestreckt
      • Untersucher*in drückt oberen Patellapol mit Daumen und Zeigefinger nach distal (kaudal) und leicht Richtung Boden
      • Patient*in wird zur Anspannung des M. quadriceps aufgefordert, wodurch die Patella auf die Femurkondylen gepresst wird.
    • positiv: Schmerzen
  • Untersuchung der Patellaführung4
    • in aktiver Flexion und Extension des Kniegelenks
    • Mediale oder laterale Verlagerung?

Bildgebung bei Spezialist*innen

  • Zur Diagnosesicherung und operativen Planung sowie zum Ausschluss zusätzlicher asymptomatischer tibiofemoraler Degenerationen kommen folgende radiologischen Techniken zum Einsatz:4
    • Ganzbeinstandaufnahme a.-p. zur Beurteilung von Achsdeformitäten
    • Rosenberg-Aufnahme (p.-a. Röntgenaufnahme in 45 Grad Flexion) zur Beurteilung des tibiofemoralen Gelenks posterior
    • laterale Aufnahme („True Lateral View") zur Beurteilung der Patellahöhe und des Patellofemoralgelenks
    • Patellatangentialaufnahme (ggf. in 30-, 60-, 90-Grad-Beugung) zur Beurteilung der Patellaform und ihrer Lagebeziehung zur Trochlea (Tilt/Kippung, Lateralisation)
    • ggf. CT und/oder Magnetresonanztomografie (MRT) zur Beurteilung der Kniebinnenstrukturen (Knorpel, Menisken und Bänder/Stabilität), der Patellaführung und weiterer biomechanischer Parameter, z.  B. Abstand zwischen der Tuberositas tibiae und der Trochlearinne (TT-TG).

Indikationen zur Überweisung

  • Bei persistierenden Beschwerden mit Einschränkung der Aktivitäten des täglichen Lebens trotz konservativer Therapie

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Es soll immer erst ein konservativer Therapieversuch unternommen werden.4
  • Bei Versagen der konservativen Therapie bestehen verschiedene chirurgische Optionen zur Korrektur von biomechanischen Pathologien, ggf. mit Implantation von einem patellofemoralen Gelenkersatz.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Gewichtsreduktion bei Übergewicht
  • Verzicht auf schmerzauslösende Aktivitäten, wie Hocken oder langes Sitzen
  • Aktivitäten zum Muskelaufbau

Konservative Therapie

  • NSAR bei akuten Schmerzexazerbationen8
  • Dabei ist auf die Grundsätze der Schmerzbehandlung zu achten, u. a.:
    • möglichst kurzer und niedrig dosierter Einsatz
    • besonders kritischer Einsatz bei:
      • erhöhtem kardiovaskulären Risiko
      • Gerinnungsstörungen
      • eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion
      • gastrointestinalen Ulzera.
  • Physiotherapie mit u. a. isometrischen Kräftigungsübungen des M. quadriceps femoris, Kräftigung der Außenrotatoren und Abduktoren des Hüftgelenks, Dehnung des Tractus iliotibialis und Koordinationstraining9
    • Diese Maßnahmen dienen vor allem einer besseren Zentrierung der Patella bzw. verminderten Lateralisierung im Patellofemoralgelenk.
  • Eine Stützbandage für das Kniegelenk kann die Schmerzen lindern.10
  • Für die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure bei einer Gonarthrose besteht laut einer aktuellen Metaanalyse von über 50 Studien eine signifikante Verbesserung der Schmerzsymptomatik und Funktionalität.11
    • Studiendaten für die isolierte patellofemorale Arthrose sind jedoch sehr limitiert.9
      • Als additive Therapie kann die intraartikuläre  Applikation von Hyaluronsäure bei einer patellofemoralen Arthrose diskutiert werden (IGeL).

Chirurgische Therapie

  • Bei Versagen der konservativen Therapie stehen diverse chirurgische Optionen zur Verfügung, u. a.:1
    • laterale Erweiterungsplastik/laterales Release
      • Verlängerung des lateralen Retinakulums mit dem Ziel, die laterale patellofemorale Kontaktfläche durch Druckreduktion zu entlasten.
    • laterale partielle Facettektomie
      • Abtragung von Osteophyten an der Patella
    • Tuberositasversatz
      • Osteotomie mit Medialisierung der Tuberositas
    • patellofemoraler Gelenkersatz bei isolierter Patellofemoralarthrose4
      • Im Vergleich zur Totalendoprothese am Knie zeigt sich bei Patient*innen mit patellofemoralem Gelenkersatz der neuen Generation ein vergleichbar gutes funktionelles Outcome bei geringerer Invasivität; gleichzeitig muss eine höhere Revisionsrate beachtet werden.
      • Bei zusätzlich fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen in den tibiofemoralen Kompartimenten des Kniegelenks ist eine Totalendoprothese vorzuziehen.
  • Aufgrund der Komplexität des Patellofemoralgelenks ist häufig ein
    kombiniertes chirurgisches Vorgehen erforderlich, um ein optimales Alignment (Ausrichtung des Knie- bzw. Patellofemoralgelenks in physiologischer Achse) zu erreichen.1

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Keshmiri A, Imhoff AB, Dirisamer F. Patellofemorale Arthrose. Arthroskopie 2020; 33: 441-7. link.springer.com
  2. Johnson DS, Turner PG. Replacement for patellofemoral arthritis. Knee 2019; 26(6): 1166-70. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Hart HF, Stefanik JJ, Wyndow N, et al. The prevalence of radiographic and MRI-defined patellofemoral osteoarthritis and structural pathology: a systematic review and meta-analysis. Br J Sports Med 2017; 51(16): 1195-208. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Beckmann J, Meier M, Halder A. Patellofemoraler Gelenkersatz. Arthroskopie 2020; 33: 275-81. link.springer.com
  5. Sanders TL, Pareek A, Johnson NR, et al. Patellofemoral Arthritis After Lateral Patellar Dislocation: A Matched Population-Based Analysis.. Am J Sports Med 2017; 45(5): 1012-17. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Lonner JH. Patellofemoral arthroplasty. Orthopedics 2010; 33(9): 653. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Pagenstert GI, Bachmann M. Klinische Untersuchung bei patellofemoralen Problemen. Der Orthopäde 2008; 37: 890-903. link.springer.com
  8. Patel D. Patellofemoral arthritis. Medscape, last updated Dec 11, 2019. emedicine.medscape.com
  9. Becher C, Pagensteert G, Wagner D. Vorderer Knieschmerz. Arthroskopie 2020; 33: 433-40. link.springer.com
  10. Callaghan MJ, Parkes MJ, Hutchinson CE, et al. A randomised trial of a brace for patellofemoral osteoarthritis targeting knee pain and bone marrow lesions. Ann Rheum Dis 2015. doi:10.1136/annrheumdis-2014-206376 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Hosseini SA, Mohammadi R, Noruzi S, et al. Evolution of hydrogels for cartilage tissue engineering of the knee: A systematic review and meta-analysis of clinical studies. Joint Bone Spine 2021. www.sciencedirect.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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