Glomerulonephritis

Zusammenfassung

  • Definition:Immunologisch verursachte Entzündung, die zu strukturellen und funktionellen Veränderungen der Nierenglomeruli führt.
  • Häufigkeit:Jährliche Inzidenz der Glomerulonephritiden (GN) 12/100.000 in Industrieländern. Die am häufigsten diagnostizierten GN-Typen in Deutschland sind IgA-Nephropathie, membranöse GN, fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS) und Minimal-Change-GN.
  • Symptome:Makrohämaturie, Ödeme, Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Kopfschmerz, Inappetenz.
  • Befunde:Variable Befundkonstellationen. Beim nephritischen Syndrom vor allem Hämaturie (Erythrozytenzylinder im Sediment) und Proteinurie, desweiteren zunehmende Niereninsuffizienz mit Überwässerung und Hypertonie. Beim nephrotischen Syndrom vor allem Ödeme, ausgeprägte Proteinurie, Hypalbuminämie, Hyperlipidämie. Bei sekundären Glomerulonephritiden Anzeichen für eine zugrunde liegende Erkrankung.
  • Diagnostik:Labordiagnostik von Blut (Blutbild, Nierenretentionswerte, Elektrolyte, Albumin, Lipide, Entzündungsparameter) und Urin (Teststreifen, Urinsediment, Quantifizierung Proteinurie). Sicherung der Diagnose und pathologische Klassifizierung durch Nierenbiopsie.
  • Therapie:Basismaßnahmen sind Behandlung von Proteinurie und Hypertonie mit ACE-Hemmern/AT-Antagonisten, limitierte Eiweißzufuhr, Salzrestriktion, Behandlung von Überwässerung oder Hyperkaliämie mit Diuretika, Nikotinkarenz. Spezifische immunsuppressive Therapie in Abhängigkeit von Typ und Schweregrad der Glomerulonephritis. Dialyse bei terminaler Niereninsuffizienz.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Immunologisch vermittelte entzündliche Nierenerkrankungen, die strukturelle und funktionelle Veränderungen der Glomeruli verursachen.1
    • bei der primären Glomerulonephritis (GN) Entzündung nahezu ausschließlich auf die Niere begrenzt2
    • bei der sekundären GN Assoziation mit systemischer Entzündung (z. B. bei SLE, systemischen Vaskulitiden)2

Häufigkeit

  • Seltene Erkrankungen, jährliche Inzidenz in Industrieländern ca. 12/100.0001
  • Inzidenz (weltweite Analyse) primärer GN abhängig vom pathomorphologischen Typ zwischen 0.2/100.000 und 2.5/100.0003
    • Genaue Zahlen zu Inzidenz und Prävalenz sind schwierig zu erheben.
      • Die Diagnose erfordert eine Biopsie.
      • Die Indikationsstellung für eine Biopsie variiert.4-5
      • Subklinische Verläufe werden nicht diagnostiziert.3
  • Die am häufigsten diagnostizierten GN-Typen in Deutschland sind IgA-Nephropathie, membranöse GN, fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS) und Minimal-Change-GN.6
    • Bei Erwachsenen ist die IgA-GN die häufigste Glomerulonephritis.7
    • Bei Kindern kommt die Minimal-Change-GN am häufigsten vor.4
  • In Deutschland ist die GN die dritthäufigste Ursache (13 %) für eine terminale Niereninsuffizienz nach Diabetes (30–40 %) und Hypertonie (20 %).8
  • Eine GN tritt häufiger bei Männern als bei Frauen auf, mit Ausnahme der Lupusnephritis.1

Bedeutung für die hausärztliche Praxis

Einteilung der Glomerulonephritiden

  • Glomerulonephritiden können unterschiedlich eingeteilt werden
  • Klinisches Bild und Verlauf (für die primär diagnostizierenden Ärzt*innen wichtigste und einfachste Einteilung, daher hier zuerst genannt)
    • asymptomatisch
    • nephritisch
    • rapid-progressives Nierenversagen
    • nephrotisch
    • chronische GN
  • Ätiologie
    • primäre GN (unbekannte Ätiologie)
    • sekundäre GN (assoziiert mit infektiösen, autoimmunen, malignen oder metabolischen Grunderkrankungen)1
  • Pathomorphologie
    • Minimal-Change-GN
    • fokal-segmentale Glomerulosklerose
    • mesangioproliferative GN
    • diffuse, exsudativ-proliferative GN
    • membranöse GN
    • membranoproliferative GN
    • rapid-progressive GN mit Halbmondbildung

Klassifikation nach klinischem Bild und Verlauf

  • Asymptomatisch, pathologischer Urinbefund
  • Nephritisches Syndrom
    • Hämaturie (dysmorphe Erythrozyten, Erythrozytenzylinder), Proteinurie, evtl. eingeschränkte Nierenfunktion, Ödeme, Hypertonie
  • Rapid-progressive Glomerulonephritis
    • Hämaturie und Proteinurie, klinisch im Vordergrund steht rasche Abnahme der GFR und Anstieg des Kreatinins in Tagen oder Wochen bis zur terminalen Niereninsuffizienz
      • typischerweise mit Nachweis glomerulärer Halbmondbildungen in der Nierenbiopsie
  • Nephrotisches Syndrom
    • Ödeme, nephrotische Proteinurie (> 3,5 g/d), Hypoalbuminämie, Hyperlipidämie
      • in vielen Fällen Komplikationen durch Neigung zu venösen Thrombosen und bakteriellen Infektionen (IgG-Verlust)
      • verursacht v. a. durch 3 pathomorphologische Formen der GN:
        1. Minimal-Change-GN
        2. membranöse GN
        3. fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS).
  • Chronische Glomerulonephritis
    • persistierende Proteinurie mit oder ohne Hämaturie und langsam progrediente Einschränkung der Nierenfunktion

Klassifikation nach Ätiologie

Primäre Glomerulonephritiden

  • Glomerulonephritiden unbekannter Ätiologie
  • Wahrscheinlich Manifestationen autoimmunologischer Prozesse1
  • Für Diagnose einer primären GN Ausschluss von Erkrankungen notwendig, die sekundäre GN verursachen können.

Sekundäre Glomerulonephritiden

  • Sekundäre Glomerulonephritiden am häufigsten bei immunologischen Systemerkrankungen, Infektionen und Neoplasien 
  • Immunologische Systemerkrankungen
  • Infektionen (bakteriell und viral)
    • diffuse, exsudativ-proliferative Glomerulonephritis klassisch nach Infektion mit beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A
    • erhöhtes Risiko einer Immunkomplexnephritis bei chronischen Virusinfektionen, insbesondere Hepatitis B und C, HIV1
      • am häufigsten membranoproliferative und membranöse GN
    • immer Suche nach Infektfokus, insbesondere bei einer rapid-progressiven Glomerulonephritis
  • Maligne Erkrankungen
  • Medikamente
    • Typische Auslöser sind NSAR, Captopril, Penicillamin, Interferon alpha, Gold, Lithium, Quecksilber.
  • Hereditäre Erkrankungen

Klassifikation nach Pathomorphologie

  Minimal-Change-Glomerulonephritis

  • Lichtmikroskopisch annähernd Normalbefund
  • Elektronenmikroskopisch Einschmelzung der Fußfortsätze der Podozyten
  • Überwiegend unauffälliges Urinsediment, selten Hämaturie
  • Präsentiert sich als nephrotisches Syndrom.
    • Häufig plötzlicher Beginn des nephrotischen Syndroms, was bereits den V. a. auf eine Minimal-Change-GN begründet.9
  • Bei Kindern häufigste Ursache eines nephrotischen Syndroms9
  • Bei Kindern oft typisches Bild, sodass die Kortikosteroid-Behandlung normalerweise ohne vorherige Biopsie begonnen wird.
  • Bei Erwachsenen ursächlich für 10–25 % der Fälle mit nephrotischem Syndrom9
  • Unter Steroidtherapie komplette Remission bei 80 % der Erwachsenen, bei Steroidresistenz schlechtere Prognose9

Fokal-segmentale Glomerulosklerose

  • Die fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS) ist eine verwandte Erkrankung zur Minimal-Change-GN, manifestiert sich in der Regel mit einem nephrotischen Syndrom.10
    • Ursache bei ca. 12 % der Patient*innen mit nephrotischem Syndrom9
  • Abhängig von der Genese wird die FSGS in primäre, sekundäre und genetische Formen klassifiziert.9
  • Das Narbenstadium der FSGS ist die häufigste gemeinsame Endstrecke primär glomerulärer Erkrankungen.10
  • FSGS ist einer der häufigsten Gründe für eine terminale Niereninsuffizienz bei den primären Glomerulonephritiden.11

Mesangioproliferative Glomerulonephritis

  • Histologisches Korrelat der IgA-Nephropathie
    • in der Immunfluoreszenz mesangiale Ablagerungen von IgA enthaltenden Immunkomplexen
  • Häufigste primäre Glomerulonephritis in Deutschland6-7
  • Variable Manifestation von asymptomatischen Verläufen bis hin zu rapid-progressivem Verlauf12
    • Mikrohämaturie, Proteinurie unterschiedlichen Ausmaßes sowie unterschiedlich stark ausgeprägte Nierenfunktionseinschränkung12
  • Führt in ca. 20–30 % zu terminalem Nierenversagen.13

Diffuse, exsudativ-proliferative Glomerulonephritis

  • Klassische „postinfektiöse Glomerulonephritis“, ausgelöst durch eine Streptokokken-Tonsillitis
    • heutzutage andere bakterielle oder virale Auslöser häufiger, oft bei immunkompromittierten Patient*innen14
  • Die Immunfluoreszenz zeigt höckerige Ablagerungen („Humps“) entlang der Kapillaren als Ausdruck der Immunkomplexe an der Basalmembran.
  • Klinisch nephritisches Syndrom mit Hämaturie und Proteinurie, Salz- und Wasserretention mit variablem Auftreten von Ödemen und Hypertonie, evtl. Verschlechterung der Nierenfunktion14
  • Im Allgemeinen gute Prognose

Membranöse Glomerulonephritis

  • Häufigste Ursache eines nephrotischen Syndroms in Europa15
    • zunehmende Häufigkeit mit dem Alter16
  • In den vergangenen Jahren Beweis der autoimmunologischen Pathogenese bei 70–80 % der Fälle durch Identifikation von 2 podozytären Zielantigenen15,17
    • Phospholipase-A2-Rezeptor 1 (PLA2R1)
    • THSD7A („Thrombospondin Type-1 Domain-containing Protein 7A")
  • THSD7A-assoziierte membranöse GN häufiger mit malignem Tumor verbunden als PLA2R1-assoziierte membranöse GN17
  • Bestimmung der PLA2R1- und THSD7A-Antikörper im Serum möglich15
  • Typisches morphologische Bild: IgG-positive granuläre Immundepots entlang der glomerulären Kapillarschleife und elektronendichte Ablagerungen in der glomerulären Basalmembran15
  • PLA2R1-Antikörper-Spiegel sind prädiktiv für Spontanverlauf, Therapieansprechen und Langzeitprognose15
  • Große Variabilität des klinischen Verlaufs, individuell angepasstes Vorgehen und differenzierte Therapieentscheidungen erforderlich15

Membranoproliferative Glomerulonephritis und C3-Glomerulopathie

  • Heutzutage immunhistochemische Einteilung in immunkomplexvermittelte (überwiegend IgG-Ablagerungen) und komplementvermittelte (dominante Ablagerung von Komplement C3) Form18
    • Spektrum von Erkrankungen mit fließendem Übergang18
  • Häufige Ursachen sind chronische Infektionen (vor allem Hepatitis C), aber auch immunologische Krankheitsbilder, Neoplasien u. a.
  • Lichtmikroskopisch Proliferation von Mesangiumzellen,Verdickung der Basalmembran, immunhistologische Positivität von IgG und C3 im Mesangium und entlang der verdickten Basalmembran18
  • Weitere Diagnostik umfasst Analytik des Komplementsystems, Bestimmung von Autoantikörpern und humangenetische Untersuchungen18
  • Unterschiedliche klinische Ausprägungen, häufig Proteinurie bis zum nephrotischen Syndrom, Hypertonie, glomeruläre Hämaturie und Nierenfunktionseinschränkung19
  • Ungünstige Prognose, häufig Progression zur terminalen Niereninsuffizienz

Rapid-progressive Glomerulonephritis mit Halbmondbildung

  • Rapid-progressive Glomerulonephritis (RPGN) ist ein klinischer Begriff, der histologisch bestätigt werden muss.20
  • Histologisches Korrelat ist eine extrakapillär proliferative GN mit Nekrosen und Halbmondbildung.20
  • Immunhistologisch gibt es 3 Muster von Ablagerungen:20-22
    1. lineare Ablagerungen von IgG entlang der Basalmembran (ca. 10 % der RPGN)
      • Goodpasture-Syndrom (pulmorenales Syndrom)
      • isolierte Anti-GBM-Nephritis
    2. granuläre Ablagerung von Immundepots und Komplement (ca. 20 % der RPGN)
    3. kein oder spärlicher Immunglobulinnachweis („Pauci-Immun“): ANCA-assoziierte Vaskulitis (ca. 70 % der RPGN)
  • Die Serologie ist oft wegweisend, eine Nierenbiopsie immer notwendig.20
  • Nephrologischer Notfall mit Notwendigkeit zur raschen Therapieeinleitung (evtl. sogar vor Diagnosesicherung durch Biopsie)20

ICPC-2

  • U88 Glomerulonephritis

ICD-10

  • N00 Akutes nephritisches Syndrom
    • N00.0 Minimale glomeruläre Läsion
    • N00.1 Fokale und segmentale glomeruläre Läsionen
    • N00.2 Diffuse membranöse Glomerulonephritis
    • N00.3 Diffuse mesangioproliferative Glomerulonephritis
    • N00.4 Diffuse endokapillär-proliferative Glomerulonephritis
    • N00.5 Diffuse mesangiokapilläre Glomerulonephritis
    • N00.6 Dense-deposit-Krankheit
    • N00.7 Glomerulonephritis mit diffuser Halbmondbildung
    • N00.8 Sonstige morphologische Veränderungen
    • N00.9 Art der morphologischen Veränderung nicht näher bezeichnet
  • N01 Rapid-progressives nephritisches Syndrom
    • N01.0 Minimale glomeruläre Läsion
    • N01.1 Fokale und segmentale glomeruläre Läsionen
    • N01.2 Diffuse membranöse Glomerulonephritis
    • N01.3 Diffuse mesangioproliferative Glomerulonephritis
    • N01.4 Diffuse endokapillär-proliferative Glomerulonephritis
    • N01.5 Diffuse mesangiokapilläre Glomerulonephritis
    • N01.6 Dense-deposit-Krankheit
    • N01.7 Glomerulonephritis mit diffuser Halbmondbildung
    • N01.8 Sonstige morphologische Veränderungen
    • N01.9 Art der morphologischen Veränderung nicht näher bezeichnet
  • N03 Chronisches nephritisches Syndrom
    • N03.0 Minimale glomeruläre Läsion
    • N03.1 Fokale und segmentale glomeruläre Läsionen
    • N03.2 Diffuse membranöse Glomerulonephritis
    • N03.3 Diffuse mesangioproliferative Glomerulonephritis
    • N03.4 Diffuse endokapillär-proliferative Glomerulonephritis
    • N03.5 Diffuse mesangiokapilläre Glomerulonephritis
    • N03.6 Dense-deposit-Krankheit
    • N03.7 Glomerulonephritis mit diffuser Halbmondbildung
    • N03.8 Sonstige morphologische Veränderungen
    • N03.9 Art der morphologischen Veränderung nicht näher bezeichnet
  • N04 Nephrotisches Syndrom
    • N04.0 Minimale glomeruläre Läsion
    • N04.1 Fokale und segmentale glomeruläre Läsionen
    • N04.2 Diffuse membranöse Glomerulonephritis
    • N04.3 Diffuse mesangioproliferative Glomerulonephritis
    • N04.4 Diffuse endokapillär-proliferative Glomerulonephritis
    • N04.5 Diffuse mesangiokapilläre Glomerulonephritis
    • N04.6 Dense-deposit-Krankheit
    • N04.7 Glomerulonephritis mit diffuser Halbmondbildung
    • N04.8 Sonstige morphologische Veränderungen
    • N04.9 Art der morphologischen Veränderung nicht näher bezeichnet
  • N05 Nicht näher bezeichnetes nephritisches Syndrom
    • N05.0 Minimale glomeruläre Läsion
    • N05.1 Fokale und segmentale glomeruläre Läsionen
    • N05.2 Diffuse membranöse Glomerulonephritis
    • N05.3 Diffuse mesangioproliferative Glomerulonephritis
    • N05.4 Diffuse endokapillär-proliferative Glomerulonephritis
    • N05.5 Diffuse mesangiokapilläre Glomerulonephritis
    • N05.6 Dense-deposit-Krankheit
    • N05.7 Glomerulonephritis mit diffuser Halbmondbildung
    • N05.8 Sonstige morphologische Veränderungen
    • N05.9 Art der morphologischen Veränderung nicht näher bezeichnet
  • N18 Chronische Nierenkrankheit

Diagnostik

Anamnese

  • Symptome
    • Blut im Urin
    • periorbitale, periphere Ödeme
    • Schmerzen in der Lendenregion
    • nachlassende Urinmenge
    • Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Kopfschmerz, Appetitlosigkeit, Übelkeit
  • Vorerkrankungen
    • entzündliche Systemerkrankung
    • Malignom
    • Infektion
  • Medikamente

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Labor Blut

Labor Urin

  • Urin-Teststreifen
  • Urin-Sediment
    • dysmorphe Erythrozyten als Hinweis für glomeruläre Erkrankung
    • Erythrozytenzylinder pathognomonisch für Glomerulonephritis
  • Erweiterte Proteinuriediagnostik
    • Spontanurin (vorzugsweise 2. Morgenurin)
      • Bestimmung der Albumin-/Kreatinin-Ratio (ACR) bzw. Protein-/Kreatinin-Ratio (PCR) initial und zur Verlaufsbeurteilung
    • 24-h-Urin (einmalig bei nephrotischem Syndrom)
      • Quantifizierung der Proteinurie

Sonografie der Nieren

  • Vergrößerte (Schwellung) oder normal große Nieren bei akuter Glomerulonephritis
  • Bei chronischem Verlauf evtl. Schrumpfnieren

Diagnostik bei Spezialist*innen

Labor

  • Zunehmende Bedeutung vor allem bei nephrotischem Syndrom: Nachweis von PLA2R-AK oder THSD7A-AK (membranöse GN)6
  • Ggf. weitere Diagnostik auf Autoantikörper und Komplementfaktoren18
  • Humangenetische Diagnostik (z. B. bei membranoproliferativer GN und C3-Glomerulopathie)18

Nierenbiopsie

  • Nierenbiopsie bei V. a. GN im Allgemeinen indiziert6
    • entscheidende Untersuchung für definitiven Nachweis und Klassifikation einer Glomerulonephritis
    • prognostische und therapeutische Bedeutung
  • Nierenbiopsie entbehrlich bei:6
    • normaler GFR und geringen Urinbefunden (z. B. Proteinurie unter 0,5–1 g/d)
    • gering eingeschränkter Nierenfunktion ohne Urinabnormitäten
    • hochgradiger Nierenfunktionseinschränkung (GFR < 30 ml/min) und sonografisch deutlich verkleinerten, verdichteten Nieren
    • spezifischen serologischen Befunde (z. B. Anti-GBM-Antikörper, PLA2R-AK) und hohem Biopsierisiko oder stark reduzierter eGFR
  • Sonderfälle6
    • Verdacht auf Rapid-progressive GN: Therapiebeginn (Kortikosteroide) evtl. auch schon vor Biopsie
    • akutes nephrotisches Syndrom im Kindesalter: Ex-juvantibus-Therapie (Kortikosteroide) bei V. a. Minimal-Change-GN

Differenzialdiagnosen

Indikationen zur Überweisung

  • Überweisung zur nephrologischen Praxis empfohlen bei:23
    • jeder eGFR < 30 ml/min
    • rascher Progression
    • Erstdiagnose einer chronischen Nierenkrankheit (eGFR 30–60 ml/min) und persistierender, nicht urologisch erklärbarer Hämaturie oder Albuminurie-Stadium ≥ A2 oder refraktärer Hypertonie mit 3 oder mehr Blutdruckmedikamenten
    • jüngeren Menschen < 50 Jahre ; hier sollte die Indikation zur Überweisung großzügiger gestellt werden.
  • Korrekte und zeitnahe Einordnung für die Patient*innen von entscheidender Bedeutung, da viele GN einen rapid-progressiven Verlauf nehmen.24
  • Eine rapid-progressive Glomerulonephritis ist ein nephrologischer Notfall, der eine sofortige histologische Diagnose und Therapie erfordert, um eine Niereninsuffizienz zu verhindern.22

Therapie

Therapieziele

Allgemeine supportive Therapie

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.6
  • Blutdruck
    • Ziel < 130 mmHg systolisch
  • Proteinurie > 1 g/d
    • ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptor-Antagonisten einsetzen (langsam steigern bis Maximaldosis).
      • Können Proteinurie um 40–50 % reduzieren.25
      • Verzögern die Progression der Nierenerkrankung.26-27
  • Hyperkaliämie
    • Schleifendiuretika: kein Absetzen, sofern die GFR um 20–30 % sinkt, aber dann stabil bleibt.
  • Möglichst kein Einsatz von Kalziumkanalblockern vom Dihydropyridin-Typ (Amlodipin, Nifedipin, Nitrendipin u. a.)
    • wenn Kalziumantagonisten, dann vom Nichtdihydropyridintyp
  • Möglichst keine Gabe von NSAR
    • falls erforderlich, Analgesie mit Paracetamol, ASS, Opiaten
  • Eiweißzufuhr
    • ca. 0,8 g/kg KG pro Tag
  • Reduktion der Kochsalzaufnahme
    • Die meisten Patient*innen mit GN weisen eine Natriumretention auf, die auch zur Hypertonie beiträgt.
  • Kontrolle aller Komponenten eines metabolischen Syndroms
  • Nikotinkarenz
    • Raucher mit IgA- Nephropathie weisen ein ca. 10-fach erhöhtes Risiko für ein terminales Nierenversagen auf.
  • Thromboseprophylaxe

Immunsuppressive Therapie

  • Glomerulonephritiden können teilweise immunsuppressiv behandelt werden, die Einleitung sollte durch Nephrolog*in erfolgen.
  • Zur komplexen Differenzialtherapie sind 2012 und erneut 2020 umfangreiche KDIGO-Leitlinien veröffentlicht worden.25,28-29
  • Die Therapieempfehlungen sind u. a. abhängig vom pathologischen Typ der Glomerulonephritis, Ausmaß der Proteinurie/Vorliegen eines nephrotischen Syndroms, Ausmaß der Niereninsuffizienz, Progressionsgeschwindigkeit der Erkrankung
  • Als Voraussetzungen für den Beginn einer immunsuppressiven Therapie gelten:6
    • im Allgemeinen eine Diagnosesicherung durch Nierenbiopsie
    • Klinik, Labor und Histologie sprechen für schlechte Prognose.
    • ausreichend Hinweise auf aktive Entzündung (d. h. nicht nur narbige Veränderungen)
  • Bei einer GFR < 30ml/min ist eine immunsuppressive Therapie im Allgemeinen nicht mehr sinnvoll.6
  • Verwendete Substanzen sind vor allem Kortikosteroide, Calcineurininhibitoren (Ciclosporin, Tacrolimus), Mycophenolat, Alkylanzien (Cyclophosphamid, Chlorambucil), Rituximab.
  • Vorwiegend verwendete Medikamente bei verschiedenen Glomerulonephritiden
    • Minimal-Change-Glomerulonephritis
      • Kortikosteroide, alternativ Calcineurininhibitoren10,29
    • fokal-segmentale Glomerulosklerose10,29
      • Kortikosteroide, alternativ Calcineurininhibitoren, Mycophenolat
    • membranöse Glomerulonephritis6,17,29
      • Rituximab, Calcineurininhibitoren, Cyclophosphamid, Kortikosteroide
    • IgA-Glomerulonephritis12,29
      • Kortikosteroide bei persistierender Proteinurie
    • membranoproliferative Glomerulonephritis18,29
      • Mycophenolat, Cyclophosphamid, Rituximab, Eculizumab, Plasmaaustausch
    • Poststreptokokkenglomerulonephritis
      • Penicillin25
    • rapid-progressive Glomerulonephritis20,29
      • Cyclophosphamid, Rituximab, Kortikosteroide

Weitere Therapien

  • Plasmapherese
    • bei Goodpasture-Syndrom
    • auch bei schweren Fällen der ANCA-assoziierten Glomerulonephritis
    • kein Nutzen bei Lupusnephritis
  • Dialyse bei terminaler Niereninsuffizienz
  • Nierentransplantation
    • Bei einigen Formen der Glomerulonephritis kann auch die neue Spenderniere erkranken.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

Verlauf und Prognose

  • Abhängig vom Typ der Glomerulonephritis und der Grunderkrankung
  • Weites Spektrum von asymptomatischem Verlauf bis zur raschen Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz
  • Prognostisch ungünstige Faktoren im Hinblick auf einen progredienten Funktionsverlust der Niere sind:6

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßige Kontrollen mit insbesondere konsequenter Blutdruckeinstellung können die Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz und kardiovaskulärer Komplikationen verzögern.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Sonografie: Akute Glomerulonephritis mit etwas echoreicherer, vergrößerter Niere (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg).
Sonografie: Akute Glomerulonephritis mit etwas echoreicherer, vergrößerter Niere (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e. V., Hamburg).

Quellen

Leitlinien

  • Kidney Disease Improving Global Outcome (KDIGO). Clinical Practice Guideline on Glomerular Diseases. Stand 2020. www.kdigo.org

Literatur

  1. Chadban SJ, Atkins RC. Glomerulonephritis. Lancet 2005; 365: 1797-806. PubMed
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  3. McGrogan A, Franssen C, de Vries C. The incidence of primary glomerulonephritis worldwide: a systematic review of the literature. Nephrol Dial Transplant 2011; 26: 414-430. doi:10.1093/ndt/gfq665 DOI
  4. Briganti EM, Dowling J, Finlay M et al. The incidence of biopsy-proven glomerulonephritis in Australia. Nephrol Dial Transplant 2001; 16: 1364-7. PubMed
  5. Simon P, Ramee MP, Boulahrouz R et al. Epidemiologic data of primary glomerular diseases in western France. Kidney Int 2004; 66: 905-8. PubMed
  6. Floege J, Boor P, Moeller M. Was ist gesichert in der Therapie der Glomerulonephritis? Internist 2018; 59: 1268–1278. link.springer.com
  7. Thaiss F, Stahl R. IgA-Nephropathie: Klinik, Pathogenese und Therapie der häufigsten Glomerulonephritis. Dtsch Arztebl 2000; 97: A2708-A2711. www.aerzteblatt.de
  8. Deutsche Gesellschaft für Nephrologie. Das Nierenportal - Daten und Fakten zur Niere und zu Nierenersatzverfahren 2014. www.dgfn.eu
  9. Müller-Deile J, Schenk H, Schiffer M. Minimal-change-Glomerulonephritis und fokal-segmentale Glomerulosklerose. Internist 2019; 60: 450–457. doi:10.1007/s00108-019-0590-y DOI
  10. Moeller M, Brinkkötter P. Minimal-Change-Nephropathie (MCD) und fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS). Nephrologe 2020; 15: 347–355. doi:10.1007/s11560-020-00458-y DOI
  11. Helmuth A, Huynh-Do U. Die fokal-segmentale Glomerulosklerose (FSGS): Im Jahr 2015 immer noch eine Herausforderung für die Nephrologen. Therapeutische Umschau 2015; 72: 189-193. econtent.hogrefe.com
  12. Seikrit C, Rauen T, Floege J. IgA-Nephropathie. Nephrologe 2020; 15: 336–342. publications.rwth-aachen.de
  13. Jäger C, Kononowa N, Kim M. Immunglobulin-A-Nephropathie. Swiss Med Forum 2017; 17: 252–257. doi:10.4414/smf.2017.02817 DOI
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Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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