Emphysematöse Pyelonephritis (EPN)

Zusammenfassung

  • Definition: Eine lebensbedrohliche, nekrotisierende Infektion des Nierenparenchyms und des perirenalen Gewebes, verursacht durch gasbildende Bakterien.
  • Häufigkeit: Eine seltene Erkrankung, betrifft in der Mehrzahl Diabetiker und Patienten mit Harnwegsobstruktionen. Frauen sind häufiger betroffen.
  • Symptome: Fieber, Schüttelfrost, Flankenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Dysurie.
  • Befunde: Häufig sind Niereninsuffizienz, Hyperglykämie, Bewusstseinsstörungen, septischer Schock.
  • Diagnostik: Pathognomonisch ist die Darstellung von Gasblasen in der Niere oder im Perirenalraum (Abdomenübersicht, Sono, CT).
  • Therapie: Eine intensivmedizinische Behandlung ist zwingend notwendig. Neben der antibiotischen Behandlung, der Behandlung der Hyperglykämie und der Kreislaufstabilisierung sind weitere Therapieoptionen die perkutane Drainage und/oder die Nephrektomie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die emphysematöse Pyelonephritis (EPN) gehört zu den komplizierten Harnwegsinfektionen.1
  • Sie ist eine lebensbedrohliche, nekrotisierende Infektion des Nierenparenchyms und des perirenalen Gewebes, verursacht durch pathogene gasbildende Bakterien.2-3
  • Typischerweise finden sich radiologisch Gasansammlung im Bereich des Nierenparenchyms, des Nierenbeckenkelchsystems oder des perirenalen Gewebes.

Häufigkeit

  • Emphysematöse Pyelonephritis ist selten, 95 % der Patienten haben einen Diabetes mellitus, der meist nicht gut eingestellt ist.2
  • Frauen sind häufiger betroffen als Männer.4
  • Meist einseitig, kommt aber auch bilateral vor.
  • Die Letalität der emphysematösen Pyelonephritis ist hoch (ca. 50 %).5

Ätiologie und Pathogenese

  • In den meisten Fällen sind gramnegative, fakultativ anaerobe Enterobakterien (Escherichia coli [50–70 %], Klebsiella, Proteus und Enterokokken) an der Entstehung einer emphysematöse Pyelonephritis beteiligt.2
  • Es kommt  zu einer Gasbildung innerhalb des Nierenparenchyms.
  • Auch Harnabflussstörungen (Obstruktionen) können zu einer emphysematösen Pyelonephritis führen.
  • Die Patienten haben in unterschiedlichem Ausmaß Fieber, Hyperglykämie, Zeichen des Nierenversagens, Lethargie und Störungen im Säure-Basen-Haushalt. 5

Klassifizierung

  • Die Erkrankung wird in verschiedene Stadien aufgeteilt, je nach Autor gibt es 2–4 Stadien, die sich jeweils auf die Ausbreitung der Gaseinschlüsse beziehen.2,5-6
  • Im letzten Stadium können sich die Gaseinschlüsse bis zum Skrotum oder zu den Samenleitern ausbreiten.3

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • U70 Pyelonephritis/Pyelitis
  • U99 Erkrankung Harnorgane, andere

ICD-10

  • N10 Akute tubulointerstitielle Nephritis

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Leitlinie: Diagnostische Überlegungen bei Dysurie8

  • Eine obere Harnwegsinfektion (Pyelonephritis) sollte dann angenommen werden, wenn sich bei den akuten Symptomen z. B. auch Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und/oder Fieber (> 38 °C) finden.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Erkrankung zeigt sich als akute schwere Nierenbeckenentzündung.

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen

  • Urindiagnostik: Bei Verdacht auf Pyelonephritis sollte eine Urindiagnostik mit Teststreifen und Anlage einer Urinkultur zur Erregerbestimmung und Resistenztestung erfolgen.9

Leitlinie: Urinteststreifen, Urinmikroskopie und Urinkultur8

  • Testreifen
    • Der Ausschluss einer Harnwegsinfektion mittels Teststreifen ist aufgrund der unzureichenden Sensitivität und Spezifität nicht zu empfehlen.
    • Der Nachweis von Leukozyten und/oder Nitrit bei gleichzeitig bestehenden klinischen Beschwerden erhöht die Wahrscheinlichkeit deutlich.
    • Wenn beide positiv sind, beträgt die Wahrscheinlichkeit für eine Harnwegsinfektion 91 %, wenn beide negativ sind, liegt bei 40 % dennoch eine positive Urinkultur vor.
  • Urinmikroskopie
    • Mit der Urinmikroskopie kann bei entsprechender Erfahrung eine Harnwegsinfektion weitgehend ausgeschlossen werden (Ia).
  • Urinkultur
    • Bei Verdacht auf eine Pyelonephritis wird die Durchführung einer Urinkultur empfohlen, um eine resistenzgerechte antibiotische Behandlung zu gewährleisten.
    • Urinproben für die kulturelle mikrobiologische Diagnostik sind unverzüglich zu verarbeiten.
    • Bei einer Probengewinnung am Nachmittag oder in den Nachtstunden und bei fehlender Transport- bzw. sofortiger Verarbeitungsmöglichkeit der Probe, ist der Urin gekühlt bei 2–8 °C zu lagern.
  • Sonografie
    • Zur Abklärung komplizierender Faktoren gilt die Sonografie der Nieren und Harnwege als primäre bildgebende Diagnostik.9
    • Eine Harnabflussstörung kann sonografisch gut dargestellt werden.
    • Evtl. kann Gasbildung nachgewiesen werden.
  • Labor 
  • CT
    • Die am besten geeignete Methode, Gasbildung, das Ausmaß bereits bestehender Nekrosen sowie Ursachen für eine Obstruktion darzustellen.5
  • Die Nierenszintigrafie kann die Funktionsfähigkeit der Niere darstellen.

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Patienten mit einer emphysematösen Pyelonephritis sind schwer krank und benötigen intensivmedizinische Überwachung.2
  • Ob eine alleinige konservative Therapie ausreicht, kann erst nach ausführlicher Diagnostik (Stadium der EPN) und durch den Verlauf bestimmt werden.

Konservative Therapie

  • Adäquate Flüssigkeitszufuhr
  • Stabilisierung des Blutdrucks
  • Korrektur von Elektrolyt- und Säure-Basen-Störungen
  • Therapie der Hyperglykämie
  • Zügige intravenöse Antibiotikagabe nach Antibiogramm
    • Sollte noch keine Urinkultur vorliegen, kann die empirische Therapie mit einem Cephalosporin der 3. Generation (Cefpedim 2 x 1–2 g/d i. v. oder Ceftriaxon 1 x 1–2 g/d i. v.) oder Carbapenem (z. B. 500 mg Imipenem + 500 mg Cilastatin alle 6–8 Stunden i. v. oder  Meropenem 3 x 1 g/d i. v.) durchgeführt werden.9 
    • Fluoroquinolone und Gentamicin sollten wegen häufig bestehender Resistenzen nicht eingesetzt werden.10

Operative Therapie

  • Gasableitung durch perkutane Drainage
  • Beseitigung von Harnleiterobstruktionen
  • Nephrektomie

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

Prognose

  • Je höher das Krankheitsstadium – die Ausbreitung der Gasansammlungen – desto schlechter die Prognose6
  • Mit einer schlechteren Prognose ist zu rechnen bei einer Hypoalbuminämie, Thrombozytopenie, einem Kreatininanstieg, einem syst. RR < 90 mm Hg und bei Erkrankung beider Nieren.4,11
  • Auch Bewusstseinstrübungen, Leukozytenanstieg und Multiorganversagen verschlechtern die Prognose.12

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU): Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 043-044. S3, Stand 2017. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Brennen beim Wasserlassen – S3-Leitlinie und Anwenderversion der S3-Leitlinie Harnwegsinfektion. AWMF-Leitlinie Nr. 053-001, Stand 2018. www.awmf.org

Literatur

  1. Höfling C, Fahlenkamp D. Harnwegsinfektionen, Pyelonephritis und Prostatitis. Harrisons Innere Medizin. 19. Aufl. 2016 Thieme-Verlag, S. 1053 ff.
  2. Shetty S. Emphysematous pyelonephritis (EPN) eMedicine Medscape. 2017 emedicine.medscape.com
  3. Schaeffer AJ. Emphysematous pyelonephritis. In: Walsh PC, Retik AB, Vaughan ED Jr, et al: Campbell’s Urology. 8th ed, Philadelphia, Pa: W.B. Saunders; 2002: 556-8.
  4. Ubee SS, McGlynn L, Fordham M. Emphysematous pyelonephritis. BJU Int 2011; 107(9): 1474-8. pmid: 20840327 PubMed
  5. Grayson DE, Abbott RM, Levy AD, Sherman PM. Emphysematous infections of the abdomen and pelvis: a pictorial review. Adiographics 2002; 22: 543-61. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Huang JJ, Tseng CC: Emphysematous pyelonephritis: clinicoradiological classification, management, prognosis, and pathogenesis. Arch Intern Med 2000; 160: 797-805. PubMed
  7. Ronald A, Ludwig E. Urinary tract infections in adults with diabetes. Int J Antimicrob Agents 2001; 17: 287-92. PubMed
  8. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Brennen beim Wasserlassen – S3-Leitlinie und Anwenderversion der S3-Leitlinie Harnwegsinfektion. AWMF-Leitlinie Nr. 053-001, Stand 2018. www.awmf.org
  9. Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU): Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 043-044, Stand 2017. www.awmf.org
  10. Lu Y.-C., Hong J.-H., Chiang B.-J., Pong Y.-H., Hsueh P.-R., Huang C.-Y., Pu Y.-S. Recommended Initial Antimicrobial Therapy for Emphysematous Pyelonephritis: 51 Cases and 14-Year-Experience of a Tertiary Referral Center. Medicine (Baltimore) 2016;95:e3573 www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Lu YC, Chiang BJ, Pong YH, Chen CH, Pu YS, Hsueh PR, Huang CY. Emphysematous pyelonephritis: clinical characteristics and prognostic factors. Int J Urol 2014; 21(3): 277-82. pmid:24033515 PubMed
  12. Olvera-Posada D, García-Mora A, Culebro-García C, et al. Prognostic Factors in Emphysematous Pyelonephritis. Actas Urol Esp. Dec 19 2012. www.ncbi.nlm.nih.gov

Autoren

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Klaus Gebhardt, Arzt für Allgemeinmedizin, Bremen (Review)
  • Nils Grefberg, med dr och överläkare internmedicin och nefrologi, tidigare vid Medicinkliniken, Centrallasarettet Växjö (Medibas)
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim

 

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