Steinerkrankungen in den Harnwegen

Zusammenfassung

  • Definition:Konkremente in den Harnwegen bilden sich, wenn gelöste Stoffe im Urin ihre maximale Löslichkeit überschreiten.
  • Häufigkeit:Die Prävalenz liegt bei 4,7 %.
  • Symptome:Typische Koliken äußern sich in Form von plötzlich einsetzenden, einseitigen starken und kolikartigen Schmerzen in der Flankengegend. Die Schmerzen können in die Leiste bzw. das Skrotum ausstrahlen.
  • Befunde:Makrohämaturie, Klopfschmerz über den Nierenlagern, Verstärkung des Harndrangs, ggf. Harnverhalt.
  • Diagnostik:Hämaturie, Bildgebung (Sonografie, Röntgen, CT).
  • Therapie:Schmerzlinderung, verstärkte Flüssigkeitsaufnahme, Steinsanierung mit Stoßwelle, endoskopischen oder chirurgischen Verfahren, Einleitung einer Metaphylaxe.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Steinhaltige Ablagerungen (Konkremente) in den Harnwegen
  • Steine können sich im gesamten ableitenden Harnsystem bilden oder ablagern.

Häufigkeit

  • Die jährliche weltweite Inzidenz von Harnsteinen liegt bei 8 Fällen pro 1.000 Erwachsenen.1
  • Die Prävalenz der Urolithiasis liegt in Deutschland bei 4,7 %.2 
  • Das Rezidivrisiko liegt bei 50–80 %.
  • Männer sind häufiger betroffen als Frauen.
  • Harnsteine kommen insbesondere in mittleren Jahren vor.
  • Genetische Faktoren spielen eine Rolle.
  • Etwa 1 % aller Steinereignisse betreffen Kinder unter 18 Jahren.3 
    • Es gibt eine endemische Form der Nierensteine bei Kindern, die insbesondere im Mittleren Osten und Nordafrika vorkommt.

Ätiologie und Pathogenese

  • Wenn Salze im Urin nicht vollständig aufgelöst werden können, kristallisieren sie aus und bilden zunächst kleine Klümpchen, die mit der Zeit zu größeren Konkrementen heranwachsen können.
  • Nierensteine werden nach ihrer chemischen Zusammensetzung unterschieden:3
    • Kalziumoxalate (> 80 %)
    • Kalziumphosphate bis zu 5 %
    • Struvit 5–10 %
    • Harnsäuresteine 10 %
    • Xanthin- oder Zystinsteine bis zu 1 %.
  • Die Genese ist zumeist multifaktoriell.
    • Der pH-Wert des Harns wirkt sich auf die Löslichkeit aus.
    • verminderte Flüssigkeitsaufnahme oder starkes Schwitzen
    • Stoffwechselerkrankungen wie primärer und sekundärer  Hyperparathyreoidismus, eine primäre Hyperoxalurie sowie eine renal-tubuläre Azidose können zu Nierensteinen führen.
    • Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder nach
      darmchirurgischen Eingriffen kann es zu einem Fettmalabsorptionssyndrom kommen, das das Auftreten von Nierensteinen begünstigt.
    • Die Ernährung beeinflusst die Nierensteinbildung.
    • Bewegungsmangel (durch Immobilisation wird Kalzium aus den Knochen freigesetzt)
    • anatomische Veränderungen der Harnwege4
      • Obstruktion im Nierenbecken
      • hydronephrotisches Nierenbecken oder Calices
      • Kelchdivertikel
      • Hufeisenniere
      • Ureterozele
      • vesikoureteraler Reflux
      • urethrale Striktur
      • tubuläre Ektasie (medulläre Zystenniere)
    • genetische Disposition
    • idiopathische Steinbildung bei 20–40 %
  • Rund 80 % der Steine sind Kalziumsteine.
    • Hyperkalziurie, mögliche Ursachen
      • Erhöhte Aufnahme von Kalzium im Darm; die Steine bestehen aus Kalziumoxalat oder Kalziumphosphat; führt zu einer erhöhten Kalziumkonzentration im Urin.
      • Hyperparathyreoidismus: erhöhte Aufnahme von Kalzium im Darm und Entkalkung der Knochen
      • Immobilisierung: erhöhte Knochenresorption
      • Erhöhte Einnahme von Natrium mit der Nahrung: Führt zu einer vermehrten renalen Kalziumausscheidung. Es kann eine erhöhte Menge an Natrium im Urin nachgewiesen werden.
      • Erhöhte Menge an Protein oder Säure in der Nahrung: Führt zu proteininduziertem Knochenverlust und vermehrter renaler Kalziumausscheidung; im Urin sind erhöhte Mengen an Eisenammonium, Sulfat, ein niedriger pH-Wert und niedrige Citratwerte nachweisbar.
    • Hypocitraturie, mögliche Ursachen
      • Renale tubuläre Azidose (distaler Typ): Führt zu Säure-Basen-Störungen in den Nieren, die Steine bestehen aus Kalziumphosphat, im Urin ist ein zu niedriger Citratwert und ein hoher pH-Wert nachweisbar.
      • Hypokaliämie
      • proteinreiche, wenig basische Ernährung
    • Hyperoxalurie, mögliche Ursachen
      • Übermäßig oxalatreiche Kost: Die Steine bestehen aus Kalziumoxalat, und im Urin sind erhöhte Oxalatmengen nachweisbar.
      • Darmpathologie mit Malabsorption von Fetten: Führt zu einer reduzierten Bildung von luminalen Oxalat- und Kalziumoxalat-Komplexen.
      • erhöhte Produktion endogener Oxalate, verursacht durch primäre Hyperoxalurie
  • Harnsäuresteine
    • Bilden sich bei niedrigem pH-Wert oder Hyperurikosurie, es werden Uratsalze ausgeschieden und Uratsteine gebildet.
    • Hyperurikosurie, mögliche Ursachen
      • Hohe Purinzufuhr: Führt zu einer erhöhten Produktion und Urinausscheidung von Natrium und Urat.
      • Andere mögliche Erklärungen sind eine myeloproliferative Erkrankung, Enzymdefekte, urikosurische Medikamente, genetische Ursachen für eine vermehrte renale Ausscheidung.
  • Zystinsteine
    • Bilden sich bei einer durch angeborene Enzymdefekte verursachten Zystinurie, was zu einem Austritt von Aminosäuren aus der Niere führt. Im Urin können erhöhte Zystinmengen gemessen werden.
    • Machen ca. 1 % aller Nierensteine bei Erwachsenen aus.5
  • Infektsteine (Struvit)
    • Verursacht durch Harnstoff spaltende Organismen, was zur Produktion von Ammonium und Bicarbonat führt.
    • Die Steine bestehen aus Magnesium-Ammonium-Phosphat oder Carbonat-Apatit. Es sind ein hoher Urin-pH, Pyurie und in Kulturen harnstoffspaltende Organismen wie z. B. Proteus mirabilis und Klebsiella nachweisbar.
  • Die Symptome eines Nierensteinleidens werden durch die Lokalisation und die Größe der Steine bestimmt, nicht durch die chemische Zusammensetzung.
  • Sind die Steine klein, machen sie meist keine Symptome und können mit dem Urin ausgeschwemmt werden.
  • Setzen sich die Steine fest, kann es zu kolikartigen Schmerzen (Nierenkolik), Blut im Urin, vermehrtem Harndrang bis hin zum Harnverhalt kommen.
  • In der Folge können Nierenbeckenentzündungen oder sogar ein Nierenversagen auftreten.5

Prädisponierende Faktoren 

  • Geringe Flüssigkeitsaufnahme und starkes Schwitzen führt zu einer geringeren Diurese.
  • Bewegungsmangel
  • Übergewicht6
  • Störungen im Harnsäurestoffwechsel sind die Ursache für ca. 25 % aller Nierensteine.
    • Harnsäuregicht verdoppelt das Nierensteinrisiko bei Männern.7
  • Patient*innen mit Ileostoma, Morbus Crohn oder ulzeröser Kolitis haben eine erhöhte Neigung zur Bildung von Oxalatsteinen.
  • Von den hyperkalzämischen Erkrankungen ist der primäre Hyperparathyreoidismus die wichtigste (5 % aller Patient*innen mit komplizierter, rezidivierender Steinerkrankung).
  • Immobilisierung und Bettlägrigkeit von über 1–2 Wochen
  • Harnwegsinfekte
  • Anatomische Dispositionen

ICPC-2

  • U95 Harnstein

ICD-10

  • N20 Nieren- und Ureterstein
    • N20.0 Nierenstein
    • N20.1 Ureterstein
    • N20.2 Nierenstein und Ureterstein gleichzeitig
    • N20.9 Harnstein, nicht näher bezeichnet
  • N21 Stein in den unteren Harnwegen
    • N21.0 Stein in der Harnblase
    • N21.1 Urethrastein
    • N21.8 Stein in sonstigen unteren Harnwegen
    • N21.9 Stein in den unteren Harnwegen, nicht näher bezeichnet
  • N22 Harnstein bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
    • N22.0 Harnstein bei Schistosomiasis [Bilharziose] (B65.-)
    • N22.8 Harnstein bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Typische Anamnese mit kolikgeprägten Flankenschmerzen, die in die Leiste ausstrahlen können, ausgeprägtem Bewegungsdrang, begleitet von Übelkeit und Erbrechen, in Kombination mit Klopfempfindlichkeit über dem Nierenlager und  Hämaturie.
  • Die Diagnose soll mittels Bilddiagnostik (Ultraschall oder CT) abgesichert werden.8
  • Klinisch stumme Steine können vorkommen und werden durch Zufall im Röntgen oder Ultraschall entdeckt.

Leitlinie: Urolithiasis3

Bestätigung durch Bilddiagnostik

  • Bei Patient*innen mit Verdacht auf Harnsteine soll eine bildgebende Diagnostik neben dem Labor, nach Anamnese und körperlicher Untersuchung erfolgen.
  • Ultraschall
    • Der Ultraschall soll die bildgebende Diagnostik der 1. Wahl sowohl in der Akutsituation als auch in der allgemeinen Diagnostik und Nachsorge sein.
    • Bei Uretersteinen ist meist nur der Harnstau zu erkennen.
  • Konventionelles Röntgen
    • Die Röntgenaufnahme der Niere, Harnleiter, Blase und Prostata (Harntraktleeraufnahme) ohne Kontrastmittel kann zur Steindiagnostik, zur Feststellung der Röntgendichte und zur Nachkontrolle bei röntgendichten Konkrementen hilfreich sein.
  • CT
    • Eine CT ohne Kontrastmittel sollte aufgrund der hohen Sensitivität und Spezifität die weiterführende Standarddiagnostik bei Verdacht auf Harnleitersteine sein.
    • Das CT mit Kontrastmittel gibt Hinweise auf die Anatomie und Funktion des Harntraktes sowie Sekundärpathologien.
      • Niedrigdosisprotokolle führen zu keiner verringerten Sensitivität bezüglich der Harnsteindetektion im Vergleich zur Standard-Strahlendosis.9
  • Ureteropyelografie
    • Soll erfolgen, wenn die Indikation zur Harnableitung gestellt wurde.
    • Bei Infektnachweis soll ein erhöhter Druck im Nierenhohlsystem durch Kontrastmittelapplikation vermieden werden (Risiko der Einschwemmung mit konsekutiver Urosepsis).
  • Kernspintomografie und Nierenszintigrafie spielen in der Routinediagnostik von Harnsteinen keine Rolle.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Typische Anamnese

  • Plötzlich einsetzende einseitige Kolikschmerzen in der Nierengegend oder Flanke
  • Die Schmerzen sind oft sehr stark (Vernichtungsschmerz) und können bis ins Genitale ausstrahlen.
  • Nicht alle Patient*innen haben starke Schmerzen. Manchen fühlen nur ein unangenehmes Kribbeln in der Nierengegend ohne Ausstrahlung (renale Schmerzen).
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Bewegungsdrang
  • Manchmal Makrohämaturie
  • Klinisch stumme Steine können vorkommen und werden durch Zufall im Röntgen oder Ultraschall entdeckt.

Ermittlung der zugrunde liegenden Ursache und der prädisponierenden Faktoren

  • Frühere Nierensteinerkrankungen mit Anzahl der Steine und Steinepisoden
  • Operationen?
  • Alter bei erstmaliger Steinerkrankung
  • Erbliche Disposition?
  • Beruf
  • Körperliche Aktivität
  • Begleiterkrankungen
  • Medikamenteneinnahme
  • Nahrungsanamnese
  • Flüssigkeitsaufnahme

Klinische Untersuchung

  • Die Symptome eines Nierensteinleidens werden durch die Lokalisation und die Größe der Steine bestimmt, nicht durch die chemische Zusammensetzung der Steine.
  • Palpation des Nierenlagers und des Abdomens
  • Die Trias aus kolikartigen Flankenschmerzen, sonografisch diagnostizierter Ektasie des Hohlsystems und Mikrohämaturie ist nahezu pathognomonisch für die Ureterolithiasis.3
  • Fieber als Hinweis auf eine komplizierende Infektion
  • Sepsis
    • mögliche Sepsiszeichen: Fieber, Tachykardie, Hypotonie

Ergänzende Untersuchungen, ggf. in der urologischen Praxis

24-Stunden-Sammelurin 

  • Zur erweiterten metabolischen Diagnostik soll neben einer Blutuntersuchung die Durchführung einer zweimaligen 24-Stunden-Sammelurinuntersuchung erfolgen.
    • Gemessen wird die Ausscheidung von lithogenen und inhibitorischen Substanzen im Urin.

Steinanalyse

  • Eine Steinanalyse sollte bei jedem Nieren- oder Harnleiterstein durchgeführt werden.3
  • Ziel ist die Analyse der chemischen Zusammensetzung des Steins, was für die Wahl der chirurgischen wie auch medikamentösen Behandlung hilfreich sein kann.
  • Die Infrarotspektroskopie, die Röntgendiffraktionsanalyse sowie die Polarisationsmikroskopie sind geeignet zur Harnsteinanalyse.

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Wenn Klinik und Befund einen Verdacht auf Pyonephrose/Urosepsis (Obstruktion der Harnwege in Kombination mit einem Infekt) ergeben, sollen die Patient*innen zur sofortigen Behandlung in ein Krankenhaus eingewiesen werden.
  • Wenn eine adäquate Schmerzlinderung ambulant nur schwer durchführbar ist.

Checkliste zur Überweisung

Steinerkrankung in den Harnwegen

  • Zweck der Überweisung
    • Bestätigende Diagnostik? Therapie? Chirurgie?
  • Anamnese
    • Beginn und Dauer? Mehrere/frühere Anfälle? Bekannte prädisponierende Faktoren? Einzelniere?
    • Anhaltende Beschwerden – welche? Intensität? Evtl. Dauer der Obstruktion?
    • Andere relevante Krankheiten? Regelmäßige Medikamente?
    • Behandlung – Wirkung?
    • Konsequenzen?
  • Klinische Untersuchungen
  • Ergänzende Untersuchungen

Therapie

Therapieziele

  • Symptome lindern.
  • Nierenschädigung verhindern.
  • Rezidive verhindern.

Allgemeines zur Therapie

  • Patient*innen mit steinbedingten starken Schmerzen (Koliken) benötigen als Erstes eine ausreichende Schmerztherapie nach Stufenschema.
  • Bei neu diagnostizierten Harnleitersteinen bis 7 mm kann der Spontanabgang unter regelmäßiger Kontrolle abgewartet werden.3
  • Wenn eine konservative Therapie mit spontanem Steinabgang nicht erfolgreich ist, gibt es zahlreiche Interventionsverfahren, den Stein zu entfernen.
  • Kommt es wegen der Obstruktion durch den Nierenstein zur Harnaufstauung und Erhöhung der Nierenretentionswerte, sollte eine Harnableitung erfolgen.
    • Mittel der Wahl ist eine retrograde Einlage einer Harnleiterschiene (DJ) oder die perkutane Nephrostomie.10
  • Eine Steinanalyse sollte bei jedem Nieren- oder Harnleiterstein durchgeführt werden.3
  • Vorbeugende Behandlung mit Ernährungsempfehlungen oder Medikamenten bei rezidivierender Steinerkrankung

Konservative Therapie

  • Reichliches Trinken zwischen den Schmerzanfällen
    • Mindestens 2,5 Liter pro Tag, sodass eine hohe Diurese mit einem durchspülenden Effekt und einem zugleich verdünnenden Effekt erzielt wird, was die Ausfällung von Salzen verhindern kann. Die Patient*innen sollten so viel trinken, dass der Urin nie dunkel wird.
  • Lokale Wärmeanwendungen in der Akutphase haben sich zur Reduzierung von Schmerzen, Angst und Übelkeit bewährt (Ib).11
  • Die Patient*innen sollen sich viel bewegen.
  • Alphablocker begünstigen den Spontanabgang und reduzieren erneute Kolikepisoden (off label, Aufklärungspflicht).12
  • Harnsäuresteine können durch medikamentös-orale Chemolitholyse aufgelöst werden.
    • Alkalizitrate oder alternativ Natriumbikarbonat zum Anheben des ph-Wertes des Urins
    • Allopurinol bei Hyperurikämie und Hyperurikosurie

Leitlinie: Urolithiasis3

Medikamentöse Therapie

  • Metamizol
    • Metamizol wirkt analgetisch spasmolytisch und antinozizeptiv auf den Harnleiter und ist daher Mittel der 1. Wahl bei starken Schmerzen.
    • Metamizol (1 g) und Diclofenac (75 mg) sind in der Wirkung äquivalent. 2 g Metamizol zeigen Überlegenheit in Wirkung und Dauer.
      • Die Häufigkeit einer allergischen Reaktion durch Metamizol liegt bei 0,2 %, die einer Agranulozytose zwischen 0,1 % und 0,0001 %.
  • Paracetamol
    • Paracetamol hat bei dieser Indikation eine gleichwertige Wirkung wie Morphin und kann als Alternative zu Metamizol und bei Schwangeren verabreicht werden.
  • NSAR
    • Alternative zur Metamizol-Therapie
    • Im Vergleich zu Opioiden wird mit NSAR eine bessere Schmerzlinderung erzielt (Ia), bei der die Wirkung länger anhält und weniger Nebenwirkungen auftreten (Ia).13
    • NSAR sollen in der Schwangerschaft nicht gegeben werden.
    • Bei vorbelasteten Patient*innen (chronische Nierenerkrankungen, Dehydrierung, kurz zurückliegende Anwendung nephrotoxischer Substanzen) können NSAR zum akuten Nierenversagen führen. Das relative Risiko eines akuten Nierenversagens (OR gegenüber keiner NSAID-Einnahme) liegt für nichtselektive COX-Hemmer zwischen 1,11 (Diclofenac) und 2,25 (Ibuprofen).
    • Diclofenac oral oder rektal geben, die i. m. Gabe ist obsolet.
  • Opiate 
    • Opioide sollten nur ergänzend bei unzureichender Wirkung der Nicht-Opioide in 2. Linie gegeben werden.
    • Pethidin sollte vermieden werden (Nebenwirkungen: Übelkeit, Myoklonien).
    • Tramadol zeigt bei 10 % aller Patient*innen europäischer Herkunft eine genetisch bedingte verminderte analgetische Wirkung („Poor Metabolizer“). Daneben ist es stark emetisch wirksam, weshalb zusätzlich ein Antiemetikum gegeben werden sollte. Tramadol sollte daher bei Nierenkoliken nur eingesetzt werden, wenn sichergestellt ist, dass es bei den Patient*innen eine adäquate Wirkung zeigt (50–100 mg langsam i. v.).
    • alternativ
      • Piritramid: Einzeldosis 15–20 mg i. m. oder s. c. oder langsame i. v. Anwendung 7,5–22,5 mg
      • Morphin: 5–10 mg langsam i. v.
  • Alphablocker
    • MET (medikamentös expulsive Therapie) mit Alphablockern (Tamsulosin) kann die Steinausscheidungsrate erhöhen und die Geschwindigkeit des Spontanabgangs beschleunigen (off label, Aufklärungspflicht).
  • Antibiotika
    • Vor aktiver Steintherapie soll eine akute Harnwegsinfektion ausgeschlossen oder eine resistenzgerechte Antibiotikatherapie eingeleitet sein.

Aktive, interventionelle Therapie

  • Die Auswahl des Verfahrens hängt von Lage und Größe des Steines sowie den Komorbiditäten ab.
    • extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL)
      • Als Nebenwirkung ist ein Hämatom möglich, das stationär überwacht werden sollte, meist aber konservativ behandelt werden kann.
      • Bei Obstruktion und Sepsiszeichen nach ESWL soll eine Harnableitung erfolgen.
    • Ureterorenoskopie (URS)
    • perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL)
      • unter perioperativer Antibiotikaprophylaxe 
      • nicht bei laufender Einnahme von Antikoagulanzien bzw. Thrombozytenaggregationshemmern oder Vorliegen einer Gerinnungsstörung
    • laparoskopische Operation
    • offene Operation
    • Die Nephrektomie ist extremen Fällen vorbehalten.

Kinder

  • Gerade bei Kindern sollte aufgrund des Rezidivrisikos eine zugrunde liegende metabolische Störung diagnostiziert und behandelt werden.
  • Auch urogenitale Fehlbildungen als Ursache der Steinbildung sind bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen.10
  • Bildgebung bei Kindern3
    • Die Ultraschalldiagnostik ist das Verfahren der 1. Wahl.
    • Bei unklaren Fällen kann ein Low‐Dose-Noncontrast-CT durchgeführt werden.
    • Zur Therapieplanung sollte bei Kindern, soweit möglich, eine MR-Urografie dem Ausscheidungsurogramm vorgezogen werden.

Schwangerschaft

  • Bei Schwangeren sollte die Diagnostik mittels Ultraschall erfolgen.
  • Die endgültige Steinsanierung sollte nach der Schwangerschaft erfolgen.
  • Als Schmerzmedikation kommt Paracetamol in Betracht.
    • Laut embryotox.de kann bei mittelstarken bis starken Schmerzen Paracetamol mit Codein und bei entsprechender Indikation Tramadol oder Buprenorphin und bei stärksten Schmerzen unter strenger Indikationsstellung auch Morphin verabreicht werden.
  • Eine URS kann auch während der Schwangerschaft durchgeführt werden.
  • Die extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) und die perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL) sind in der Schwangerschaft kontraindiziert.14

Prävention und Metaphylaxe

  • Patient*innen, die an Steinen leiden, lassen sich in eine große Gruppe mit geringem Rezidivrisiko und eine kleinere Gruppe mit hohem Rezidivrisiko einteilen.
    • Grundlage des Risikoscreenings sind Steinanalyse und Basisdiagnostik.
  • Patient*innen aus der Gruppe mit niedrigem Rezidivrisiko sollten Maßnahmen zur allgemeinen Steinprophylaxe einhalten.

Ernährung

  • Durch Änderung des Trink- und Ernährungsverhaltens kann eine erneute Steinbildung signifikant verhindert werden.
    • reichlich Flüssigkeitszufuhr
      • Eine Diurese von mindestens 2 l gilt als kristallationshemmend und wird als wichtigste nichtmedikamentöse Maßnahme angesehen, aber die Evidenz ist schwach.15-16
    • Die Ernährung sollte ausgewogen und ballaststoffreich sowie nach Ursache auch oxalat-, salz-, fleisch- oder eiweißarm sein.17
      • Steigerung der Zufuhr pflanzlicher Lebensmittel bei adäquater Proteinzufuhr
      • Nahrungsmittel mit viel Oxalsäure (Rhabarber, Spargel, Spinat, Nüsse und Schokolade) sowie purinreiche Nahrungsmittel (Innereien, Sardinen, Anchovis und Bohnen) vermeiden.
    • Gewichtsreduzierung kann das Risiko der Bildung von Nierensteinen verringern, während der Gewichtsabnahme kann allerdings das Risiko vorübergehend erhöht sein.18

Zusätzliche Maßnahmen

  • Ausreichend körperliche Bewegung
  • Stressreduktion

Gezielte pharmakologische Metaphylaxe

  • Patient*innen aus der Hochrisikogruppe sollten eine erweiterte, steinartspezifische metabolische Abklärung erhalten, um anschließend zusätzlich eine gezielte pharmakologische Metaphylaxe durchführen zu können.
    • Thiazide (25–50 mg/d) können bei Kalziumoxalat- und Phosphatsteinen indiziert sein.19
    • Magnesiumzufuhr evtl. bei Kaliumoxalatsteinen
    • Allopurinol (100 mg/d) bei Harnsäuresteinen und gleichzeitiger Harnsäuregicht
    • L-Methionin (1,5–3 g/d) zur Harnansäuerung bei Infektsteinen
    • Pyridoxin kann eine endogene Hyperoxalurie senken.
    • Tiopronin (initial 2 x 250 mg/d, Steigerung bis zu 2 g/d) kommt bei Cystinsteinen zum Einsatz.3
    • Eine Metaanalyse hat ergeben, dass bei Patient*innen mit rezidivierenden Nierensteinen eine vorbeugende Behandlung mit reichlich Trinken, Thiaziden, Citraten oder Allopurinol das Risiko der Entwicklung neuer Steine reduziert (Ia).15

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Etwa 75 % der Harnstein-Patient*innen können als unkompliziert eingestuft werden.3 
  • Patient*innen mit asymptomatischen Nierensteinen sollen mit einer jährlichen klinischen Untersuchung und Bildgebung überwacht werden.10,20
  • Bei asymptomatischen Patient*innen sollte innerhalb von 3 Monaten nach Steintherapie eine Ultraschallkontrolle erfolgen.

Komplikationen

Prognose

  • Bis zu 80 % der Nierenstein-Patient*innen haben innerhalb von 10 Jahren einen Rückfall.
  • Mit einer adäquaten Prophylaxe können bis zu 70–90 % der Patient*innen steinfrei bleiben.
  • Bei vielen Betroffenen nimmt die Neigung zur Steinbildung mit zunehmendem Alter ab, insbesondere bei über 60-Jährigen, und eine rezidivierende Urolithiasis ist heutzutage eine seltene Ursache für ein Nierenversagen.
  • Die steinprophylaktische Wirkung von Thiaziden kann nach mehrjähriger Behandlung nachlassen.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Über Möglichkeiten der Selbstbehandlung
  • Ernährungsempfehlungen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

NNephrolithiasis mit Konkrement im Nierenkelch (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e.V., Hamburg).
Nephrolithiasis mit Konkrement im Nierenkelch (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e.V., Hamburg)
Harnleiterkonkremente mit sekundärem Aufstau des Nierenbeckens (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e.V., Hamburg).
Harnleiterkonkremente mit sekundärem Aufstau des Nierenbeckens (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e.V., Hamburg)
Harnblase mit Sedimentation und Stein (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e.V., Hamburg).lbertinen-Diakoniewerk e.V., Hamburg)
Harnblase mit Sedimentation und Stein (mit freundlicher Genehmigung von sonographiebilder.de ©Albertinen-Diakoniewerk e.V., Hamburg)

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Urologie. Urolithiasis: Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe. AWMF-Leitlinie Nr. 043-025. S2k, Stand 2019. www.awmf.org

Literatur

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  2. Fisang C, Anding R, Müller SC, Latz S, Laube N: Urolithiasis—an interdisciplinary diagnostic, therapeutic and secondary preventive challenge. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 83–91. www.aerzteblatt.de
  3. Deutsche Gesellschaft für Urologie. Urolithiasis: Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe. AWMF-Leitlinie Nr. 043-025, Stand 2019. www.awmf.org
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Autor*innen

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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