Schwindel

Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2

Red Flags

Abwendbar gefährliche Verläufe

Sehr starke Kopfschmerzen, starke Nackenschmerzen

Subarachnoidalblutung, Meningitis, Enzephalitis

 

Synkope

bedrohliche Rhythmusstörung, höhergradiger AV-Block, Aortenklappenstenose, HOCM, Lungenembolie, Hypoglykämie, Anaphylaxie

Sehstörung, Sprachstörung, Hirnnervenausfall, akutes motorisches Defizit, Gehunfähigkeit, akuter Verwirrtheitszustand

Schlaganfall/TIA, Enzephalitis, Hirnabszess, intrakranielle Blutung

Nicht harmonischer Nystagmus (uni- oder multidirektional mit Richtungswechsel vertikal/horizontal/rotatorisch und nicht supprimierbar bei visueller Fixation)

akute Hirnstamm- oder Kleinhirnläsion, Subarachnoidalblutung

Sturz, Trauma

intrakranielle Blutung, Schädelfraktur, Hirnverletzung

Kürzliches Schädel-Hirn-Trauma

Subduralhämatom

HWS-Trauma, HWS-Manipulation

HWS-Verletzung

Nausea/Erbrechen

M. Menière, Labyrinthitis, Basilaris-Insult, Hirntumor

Gesichtsschmerzen, einseitiger Hautausschlag

Zoster oticus

 

Allgemeine Informationen

Definition

  • Schwindel bezeichnet empfundene Unsicherheit im Raum und ist Leitsymptom einer Vielzahl an Erkrankungen unterschiedlicher Ursache und Lokalisation.3-4
  • Verwendung des Begriffs Schwindel eher undifferenziert3-4
    • Vergleich: engl. Dizziness, Vertigo, Unsteadiness3-4
  • Einteilung nach Ätiologie3-5
    • periphere vestibuläre Syndrome
    • zentrale vestibuläre Syndrome
    • funktionelle Schwindelsyndrome
    • nichtvestibuläre und nichtfunktionelle Schwindelsyndrome

Häufigkeit

  • Schwindel gehört zu den häufigsten Symptomen in der Hausarztpraxis.3-4
    • in deutschen Hausarztpraxen 1-Jahres-Prävalenz von 2–5 %
    • unter den 10 häufigsten Behandlungsanlässen
  • Prävalenz
    • Lebenszeitprävalenz mittelstarker bis heftiger Schwindel: 29,5 %4
    • Frauen sind häufiger betroffen als Männer (36,2 % vs. 22,4 %).4
  • Die Häufigkeit steigt mit zunehmendem Lebensalter.3,6
    • 1-Jahres-Prävalenz von 8,3 % bei Personen über 65 Jahre3
    • 30 % der über 70-Jährigen sind im Alltag durch Schwindel eingeschränkt.7

Diagnostische Überlegungen

Ätiologie und Pathogenese

  • Das Leitsymptom Schwindel umfasst viele Syndrome unterschiedlicher Ätiologie und Pathogenese.3-4
  • Entstehung durch Störungen in folgenden Systemen:3,8
    • vestibuläres System (Innenohr, N. vestibularis)
    • ZNS (Hirnstamm, Kleinhirn, Thalamus)
    • peripheres Nervensystem
    • Herz-Kreislauf-System
    • Ohren bzw. Hören
    • Augen
    • Psyche.
  • Die Folge sind in der Regel widersprüchliche Informationen zur Position im Raum (z. B. zwischen Gleichgewichtsorgan, Sehen, Hören und Propriozeption).3

Einteilung nach Ätiologie3-5

Häufigkeitsverteilung der Ursachen

Schwindel in der Hausarztpraxis

  • Umgang mit Schwindel in der Hausarztpraxis
    • bei den meisten Patient*innen (50–70 %) keine eindeutige oder hoch plausibel nachgewiesene Diagnose3
      • in diesen Fällen (v. a. bei jüngeren Patient*innen) oft spontane Besserung
    • häufige, diagnostisch nicht beweisbare Schwindelursachen:
      • „funktioneller Schwindel“
      • „Schwindel im Alter“
      • „zervikogener Schwindel“.
    • bei organischen, diagnostisch beweisbaren Ursachen am häufigsten vestibuläre Störungen3
    • Bei diagnostisch uneindeutigen Schwindelzuständen ist ein Ausschluss abwendbar gefährlicher Verläufe von großer Bedeutung.3
      • danach ggf. Strategie des abwartenden Offenhaltens gerechtfertigt
  • Schwindel im Alter deutlich häufiger3,6
    • degenerative, kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Ursachen häufiger
    • multimodaler Altersschwindel
      • Kombination vieler leichter, subklinischer Störungen führen zur Inkonsistenz sensorischer Informationen und somit Schwindel.
      • z. B. Sehstörungen, Hörstörungen, muskuläre Schwäche, zerebrovaskuläre Insuffizienz, Polyneuropathie
    • Schwindel ist ein wesentlicher Faktor für reduzierte Teilhabe an altersentsprechenden Aktivitäten und Beeinträchtigung der Lebensqualität.6
  • Starker Schwindel muss nicht zwangsläufig eine bedrohliche Ursache haben.3

Konsultationsgrund

  • Schwindel in Deutschland ist ein primärer Behandlungsanlass bei 2–5 % der Vorstellungen in der Hausarztpraxis.3,10
    • Schwindel unter den 10 häufigsten Behandlungsanlässen3,9-10
    • als Begleitsymptom nochmals weit häufiger
  • Mitunter undifferenzierte Verwendung des Begriffs durch Patient*innen3-4,9-10
    • Eine Unterscheidung zwischen Schwindel und Unwohlsein aus anderen Gründen wie Schwäche oder Abgeschlagenheit ist für die Patient*innen oft schwer.3-4

Abwendbar gefährliche Verläufe

DEGAM-Leitlinie: Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis3

Abwendbar gefährliche Verläufe

Red Flags (Hinweise auf abwendbar gefährliche Verläufe)

  • Abwendbar gefährliche Verläufe fast immer mit weiteren Symptomen und Befunden
    • Werden bei sorgfältiger Anamnese und Untersuchung selten übersehen.
    • Ausnahme: Kleinhirninfarkt (in 10,4 % nur das Symptom Schwindel)
  • Schwindel auftretend mit:
  • In Abhängigkeit der Ausprägung auch unmittelbare Klinikeinweisung erwägen.

ICPC-2

  • N17 Schwindel o.n.A.
  • H82 Schwindelsyndrom

ICD-10

  • H81 Störungen der Vestibularfunktion
    • H81.0 Ménière-Krankheit
    • H81.1 Benigner paroxysmaler Schwindel
    • H81.2 Neuropathia vestibularis
    • H81.3 Sonstiger peripherer Schwindel
    • H81.4 Schwindel zentralen Ursprungs
    • H81.8 Sonstige Störungen der Vestibularfunktion
    • H81.9 Störung der Vestibularfunktion, nicht näher bezeichnet
  • H82 Schwindelsyndrome bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
  • R42 Schwindel und Taumel

Differenzialdiagnosen

Peripherer vestibulärer Schwindel

Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)

  • Siehe Artikel Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel.
  • Definition und Ursache
    • Schwindelsyndrom mit durch Kopfbewegung ausgelösten Schwindelattacken3-5
    • Ursache sind Ablagerungen von Otolithen in den Bogengängen des Innenohrs.4-5,11
      • In ca. 80–90 % der Fälle ist der posteriore Bogengang betroffen.
    • Synonym: Benign Paroxysmal Positional Vertigo (BPPV)
  • Häufigkeit
    • häufigste organische Schwindelform und periphere vestibuläre Störung3,11-12
    • Lebenszeitprävalenz von ca. 2,4 %
    • häufiger in höherem Lebensalter
  • Symptome
    • rezidivierende, kurze Schwindelattacken (Sekunden bis zu 1 Minute)3-5
    • typische Schwindelart „Drehschwindel“, begleitend Übelkeit und Erbrechen3
    • Auslöser: Veränderung der Kopfposition relativ zur Schwerkraft (z. B. Hinlegen oder Aufrichten)3-5,13
    • BPLS: Sémont-Manöver
      BPLS: Sémont-Manöver
      häufiger in den frühen Morgenstunden
  • Diagnostik
    • Provokation des Schwindels durch Lagerungsmanöver (z. B. nach Sémont) mit Auftreten eines Nystagmus3-5,11
  • Therapie
    • Lagerungsübungen/Befreiungsmanöver abhängig vom betroffenen Bogengang3-5

Neuritis vestibularis (akute unilaterale Vestibulopathie)

  • Siehe Artikel Neuritis vestibularis.
  • Definition und Ursache
    • akuter einseitiger inkompletter oder kompletter Labyrinthausfall3-4
    • Ursache vermutlich Reaktivierung einer HSV-1-Infektion5
    • Synonyme: akutes vestibuläres Syndrom, Neuronitis vestibularis, Neuropathia vestibularis4
  • Häufigkeit
    • Inzidenz etwa 13,6 pro 100.000 pro Jahr
    • dritthäufigste peripher-vestibuläre Schwindelform12
  • Symptome 
    • intensiver Dauerdrehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen3-5,12
      • Dauer: 1 Tag bis Wochen
      • akut oder subakuter Beginn
    • Stand- und Gangunsicherheit mit Fallneigung zur erkrankten Seite4-5
    • horizontaler, durch Fixation unterdrückbarer Spontannystagmus zur gesunden Seite4-5
    • Scheinbewegungen der Umwelt (Oszillopsien) und unscharfes Sehen
  • Diagnostik
    • Diagnosesicherung mittels Video-Kopfimpulstest oder kalorischer Testung4-5
  • Therapie
    • Behandlung mit Steroiden und Gleichgewichtstraining3-4

Morbus Menière

  • Siehe Artikel Morbus Menière.
  • Definition und Ursache
    • Erkrankung des Innenohrs mit Schwindelepisoden3-5
    • Ursache vermutlich Überschuss an Endolymphe im Innenohr (endolymphatischer Hydrops)4-5,12
    • hohe Koinzidenz mit vestibulärer Migräne4
  • Häufigkeit
    • Prävalenz von 50–250 /100.000 Einw.3
    • meist zwischen 40. und 60. Lebensjahr
  • Symptome
    • anfallsartige Schwindelepisoden mit Drehschwindel3-4
      • Dauer: Minuten bis wenige Stunden
      • abrupter Beginn, dann graduelle Besserung
    • Nystagmus während der Schwindelsymptomatik
    • auditorische Begleitsymptome (einseitige Hörminderung, Tinnitus)3-5
    • vor der Attacke ggf. Ohrdruck oder Hörstörungen (Prodromi in 30 %)
  • Diagnostik4-5,12
    • klinische Untersuchung inkl. Kopfimpulstest
    • kalorische Testung
    • Audiogramm zum Nachweis des asymmetrischen Hörverlusts
  • Therapie
    • Akuttherapie mit Antiemetika
    • Anfallsprophylaxe mit Betahistin3,12

Bilaterale Vestibulopathie

  • Definition und Ursache
    • beidseitiger Funktionsverlust des peripheren Vestibularorgans4-5
    • Ursachen sind vielfältig
      • z. B. Ototoxizität (Aminoglykoside), beidseitiger M. MenièreMeningitis, genetische Ursachen3,5,12
      • ca. 50 % ungeklärte Ätiologie4,6
  • Symptome
    • bewegungsabhängiger Schwindel außer im Sitzen oder Liegen5,12
    • Unsicherheit beim Gehen oder Stehen4-5
      • Verschlechterung bei Dunkelheit oder unebenem Boden
    • unscharfes oder zitterndes Sehen (Oszillopsien) bei Kopfbewegung4-6,12
    • Störung von Raumgedächtnis und Navigation12
  • Diagnostik
    • beidseitige Funktionsstörung des vestibulookulären Reflexes (VOR) im Kopfimpulstest4-6
  • Therapie
    • noch keine ursächliche Therapie verfügbar4
    • symptomatische Therapie, Gleichgewichtstraining und Sturzprophylaxe4-6,12

Vestibularisparoxysmie

  • Definition und Ursache
    • neurovaskuläres Kompressionssyndrom des N. vestibulocochlearis (VIII)3-5,12
      • Kompression des Nervs meist durch eine Schlinge der A. cerebelli inferior anterior
      • Pathomechanismus analog zur Trigeminusneuralgie3
  • Symptomatik
    • rezidivierende, kurze Schwindelattacken (bis zu 30-mal pro Tag)3-5,12
      • Dauer: Sekunden bis wenige Minuten
      • Dreh- oder Schwankschwindel12
    • mit oder ohne Hörstörungen (Tinnitus, Hörminderung)3
  • Diagnostik
    • Funktionsdiagnostik und Bildgebung
    • Nachweis Gefäß-Nerven-Kontakt unspezifisch (bis zu 45 % aller Gesunden)
  • Therapie
    • medikamentöse Therapie (z. B. Carbamazepin)3-5,12
    • in seltenen Fällen OP (mikrovaskuläre Dekompression)12

Syndrome des dritten mobilen Fensters

  • Definition und Ursache
    • verschiedene Syndrome des 3. mobilen Fensters4-5,14
      • Bogengangdehiszenzsyndrome
      • „Perilymphfisteln“ mit Verbindung zwischen Innenohr und Mittelohr
    • Ursachen z. B. Trauma (Barotrauma), Infektionen, Fehlbildungen
  • Symptome
    • Vielzahl vestibulärer und audiologischer Symptome möglich4
    • rezidivierende Schwindelattacken über Sekunden bis Minuten
      • ausgelöst durch Druckänderungen (z. B. Husten), Kopfposition (z. B. Bücken) oder durch Geräusche (Tullio Phänomen)4-5,15
    • Körpereigene Geräusche werden laut im Ohr wahrgenommen.4
      • z. B. Puls, Schlucken, Sprechen, Augenbewegung
    • z. T. pulsatiler Tinnitus4
  • Diagnostik
    • audiologische und vestibuläre Funktionsdiagnostik4-5
    • bildgebende Diagnostik4
  • Therapie
    • Aufklärung und Vermeidung von Druckänderungen
    • ggf. operative Therapie bei starker Beeinträchtigung

Akute Labyrinthitis

  • Siehe Artikel Labyrinthitis.
  • Definition und Ursache
  • Symptome
    • meist vorausgehende Ohrenschmerzen
    • progrediente Hörminderung und Schwindel4
    • ggf. Begleitsymptome: Ohrdruck, Übelkeit und Erbrechen, Fieber
  • Diagnostik
    • Ohrmikroskopie, Funktionstests und Bildgebung4
  • Therapie
    • oft notfallmäßige Therapie mit i. v. Antibiotika und ggf. operativer Sanierung4

Akuter idiopathischer sensorineuraler Hörverlust (Hörsturz)

  • Definition und Ursache
    • plötzlicher, meist einseitiger Hörverlust ohne erkennbare Ursache4
    • mit oder ohne vestibuläre Beteiligung
  • Symptome
    • Hörverlust unterschiedlichen Ausmaßes, ggf. mit Tinnitus4
    • Schwindel (28–57 %) mit Übelkeit und Erbrechen4
  • Diagnostik
    • Tonaudiogramm zur Beurteilung der Hörminderung
    • Video-Kopfimpulstest-Test und kalorische Testung4
  • Therapie
    • systemische Therapie mit Prednisolon in hoher Dosierung4

Zentraler vestibulärer Schwindel

Schlaganfall und TIA

  • Siehe Artikel Schlaganfall und TIA.
  • Definition und Ursache
    • Schädigung des Hirngewebes durch Schlaganfall bzw. vorübergehende Durchblutungsstörung bei TIA3-4
    • Schwindelsyndrome bei Schädigung entlang der vestibulären Verbindungen (insbesondere Hirnstamm und Kleinhirn)5-6
  • Häufigkeit
    • Lebenszeitprävalenz für Schlaganfälle von ca. 15 %
    • ca. 220.000 Fälle pro Jahr in Deutschland
  • Symptome
    • plötzlicher Beginn der Symptomatik
    • Schwindel in unterschiedlicher Ausprägung, meist mit Übelkeit und Erbrechen3-5
      • Drehschwindel, Schwankschwindel, posturale Instabilität
    • daneben vielfältige neurologische Defizite abhängig von der Lokalisation
      • z. B. Sprechstörungen, Schluckstörungen, Sehstörungen, Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Koordinationsstörungen, Doppelbilder
  • Diagnostik
    • klinische Untersuchung auf Hinweise für einen zentralen Schwindel4,11
      • z. B. Skew Deviation (vertikale Augenfehlstellung), zentraler Fixationsnystagmus, unauffälliger Kopfimpulstest, Romberg-Test5
      • HINTS-Prozeduren (Kopfimpulstest, Nystagmusprüfung, Test auf Skew Deviation) mit Sensitivität von 88 % und Spezifität von 96 %4
    • zerebrale Bildgebung (MRT oder CT)
  • Therapie
    • sofortige Krankenhauseinweisung mit Behandlung auf einer Stroke Unit5

Vestibuläre Migräne

  • Siehe Artikel Migräne.
  • Definition und Ursache
    • primäre, episodische Kopfschmerzerkrankung
      • z. T. neurologische Reiz- und Ausfallserscheinungen (Aura)
    • Vestibuläre Migräne bezeichnet eine Migräne mit oder ohne Aura mit vestibulären Symptomen.3-5
  • Häufigkeit
    • häufigste Ursache episodischer Schwindelattacken im Erwachsenen- und Kindesalter4
    • 1-Jahres-Prävalenz der vestibulären Migräne bei ca. 2,7 % der Erwachsenen4
    • Frauen sind häufiger betroffen als Männer (3,65:1).
  • Symptome
    • typische Episode einer Migräne mit vestibulären Symptomen4
      • meist Drehschwindel mit Übelkeit und Gangunsicherheit
      • Kopfschmerz, meist okzipital betont (70 %)
      • Bewegungs-, Licht- und Lärmempfindlichkeit
      • Dauer: 5 Minuten bis 72 Stunden
    • vestibuläre Migräne ohne Kopfschmerz in 30 %4
    • fakultative Aurasymptomatik4-5
      • Sehstörungen, Sensibilitätsstörungen, Sprachstörungen
      • Stand- und Gangataxie und/oder andere Hirnstammausfälle
  • Diagnostik
    • klinische Diagnose, in erster Linie auf der Anamnese beruhend4
    • Ausschluss sekundärer Ursachen
  • Therapie
    • frühzeitige Einnahme eines NSAR (z. B. Ibuprofen) ggf. in Kombination mit einem Antiemetikum4

Vestibularis-Schwannom (Akustikusneurinom)

  • Siehe Artikel Vestibularis-Schwannom (Akustikusneurinom).
  • Definition und Ursache
    • Gutartiger und meist langsam wachsender Tumor, der von den Schwann-Zellen des N. vestibulocochlearis ausgeht.
    • beidseitiges Auftreten assoziiert mit Neurofibromatose Typ 2
  • Häufigkeit
    • häufigster Tumor im Kleinhirnbrückenwinkel (Inzidenz 1/100.000 /Jahr)
  • Symptome
    • anfangs symptomarm
    • im Verlauf Hörstörungen (v. a. hohe Töne), Schwindel sowie gelegentlich Fazialisparese

Weitere zentrale Schwindelursachen

  • Siehe Artikel Intrakranielle Tumoren bei Erwachsenen.
    • bei entsprechender Lokalisation Schwindel durch Hirntumoren
      • v. a. bei Lokalisation im Kleinhirn, Hirnstamm oder nahe des Vestibularapparats
    • in der Regel kein isolierter Schwindel, sondern zusätzliche Symptome4
      • oft mit klar definierten Hirnstammsyndromen (z. B. Wallenberg-Syndrom)6
      • z. B. Übelkeit, Erbrechen, fokal-neurologische Defizite, Epilepsie, Hirnnervenausfälle, Persönlichkeitsveränderungen
  • Multiple Sklerose (MS)
    • chronische Erkrankung mit entzündlichen Läsionen des ZNS
    • Symptome wie Schwindel, Gang- und Gleichgewichtsstörungen, Nystagmus abhängig von der Lokalisation der Entzündung
  • Neurodegenerativer Erkrankungen
    • Leitsymptom Schwindel oft bei atypischen Parkinson-Syndromen (z. B. progressive supranukleären Blickparese [PSP], Multisystematrophie [MSA])
    • begleitend häufig zerebelläre Störungen (z. B. Downbeat-Nystagmus-Syndrom, spinozerebelläre Ataxie)
    • Erkennen der diskreten Zeichen oft schwierig; Überweisung und regelmäßige Verlaufskontrolle
  • Enzephalitis12
  • Episodische Ataxien4-5
    • genetische Erkrankungen mit Koordinationsstörungen
    • häufigste Form: Typ 2 (EA 2)4,12
      • autosomal dominant
      • episodische Schwindelattacken mit zentralen Okulomotorikstörungen und Kopfschmerz

Funktioneller Schwindel

Persistierender postural-perzeptiver Schwindel (PPPD)

  • Siehe Artikel Persistierender postural-perzeptiver Schwindel und Somatoforme Körperbeschwerden.
  • Definition und Ursache
    • Syndrom mit chronischem Schwindel oder Stand- und Gangunsicherheit ohne feststellbare organische Ursache3-5
    • Synonym: „phobischer Schwankschwindel“ (nach ICD-11 Klassifikation)4
    • früher: somatoformer Schwindel bzw. psychogener Schwindel
  • Häufigkeit
    • relativ häufigste Schwindelform3-5
    • etwa 15–30 % aller ambulanten Schwindelzustände3
  • Symptome
    • typische Schwindelart: „Benommenheit“3
    • charakteristische Art der Beschreibung3,12
      • starke Verunsicherung und Verängstigung
      • dramatische Darstellung
      • Auslöser, Dauer und Art des Schwindels oft unstimmig
      • unspezifische Angaben („Alles dreht sich“; „schummerig“ oder „komischer Kopf“)
    • wenig objektivierbare Beeinträchtigungen (Stand-/Gangunsicherheit, Erbrechen, Stürze)3
  • Diagnosekriterien4-5
    • persistierender, fluktuierender Schwindel oder Unsicherheit an den meisten Tagen über ≥ 3 Monate
      • Charakter: oft Schwank- oder Benommenheitsschwindel
    • spontanes Auftreten der Beschwerden
      • ggf. Verstärkung durch aufrechte Körperposition, Kopfbewegung, sich bewegende visuelle Reize
    • signifikante funktionelle Beeinträchtigung und hoher Leidensdruck
    • Beschwerden nicht durch eine andere Erkrankung besser erklärbar
  • Komorbidität
  • Therapie
    • Psychoedukation, Beruhigung, vestibuläre Rehabilitationstherapie, Eigenexposition, Verhaltenstherapie4
    • Therapieerfolge in etwa 70 % aller Fälle5

Weitere Ursachen

Orthostatischer Schwindel

  • Siehe Artikel Orthostatische Hypotonie.
  • Definition und Ursache
    • Schwindel im Rahmen einer orthostatischen Hypotonie3-4
  • Häufigkeit
    • häufig mit bis zu 10 % der Schwindelzustände in der Hausarztpraxis3
  • Symptome
    • Schwindelart „Benommenheit/Schwankschwindel/Präsynkope“3
    • Lageabhängigkeit mit Sistieren im Sitzen oder Liegen
    • begleitend Gefühl drohender Ohnmacht und Gefahr von Stürzen3
  • Diagnostik
    • Blutdruckmessungen im Liegen und Stehen
  • Therapie
    • Vermeidung von auslösenden Situationen, Hydratation und Salzaufnahme
    • ggf. Modifikation antihypertensiver Medikation

Herzrhythmusstörungen

Obstruktive Herzerkrankungen

  • Definition und Ursache
  • Symptome
    • Schwindel überwiegend in Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung3

Unerwünschte Medikamentennebenwirkungen

  • Definition und Ursache
  • Symptome
    • meist orthostatischer Schwindel oder unspezifischer Schwindel

Schwindel im Alter

  • Definition und Ursache
    • keine allgemein akzeptierte Krankheitsentität3
      • in einigen Fachgebieten als „komplexer Schwindel“ anerkannt
    • Ursache a. e. Kombination mehrerer leichter Einschränkungen (z. B. Seh- und Hörstörung)3,6
  • Häufigkeit
    • Häufigkeit von Schwindelzuständen nimmt im Alter zu.
    • gleichzeitig häufiger unklare Schwindelursache
  • Symptomatik3
    • Schwindelart „Benommenheit“
    • ständige Unsicherheit im Raum
    • Gang unsicher, nach vorn gebeugt, tippelnd
  • Diagnostik
    • Ausschlussdiagnose
      • Abgrenzung zu zervikogenem und zerebrovaskulärem Schwindel oft schwierig3
    • oft nicht nur normaler Alterungsprozess, sondern Hinweis auf:6
      • sensorische Funktionsdefizite (visuell, vestibulär, somatosensorisch)
      • muskuläre Insuffizienz (Sarkopenie, Arthrose)
      • kognitive und psychische Störungen (DemenzAngst).

Zervikogener Schwindel

  • Definition und Ursache
    • Schwindelsyndrom im Rahmen eines HWS-Syndroms
    • Entität lange umstritten, jedoch:3
      • Schwindel nach HWS-Distorsionen und Spondylosen beobachtet
      • Besserung der Symptomatik durch Physiotherapie
  • Symptome
    • Schwindelart am ehesten „Schwankschwindel“3
    • Provokation durch Bewegung (v. a. im HWS-Bereich)

Polyneuropathie

  • Siehe Artikel Periphere Neuropathien.
  • Definition und Ursache
    • Erkrankung des peripheren Nervensystems verschiedener Ursache
    • Gangunsicherheit durch Störung der Wahrnehmung (z. B. Propriozeption)
  • Häufigkeit
    • Prävalenz von ca. 2,4 % in der Allgemeinbevölkerung
  • Symptome
    • Schwindelart „Gangunsicherheit mit klarem Kopf“3,12
      • Beschwerden wie „Stacksen“ oder ins Leere treten.
      • eher Koordinationsstörung (Ataxie) als Schwindel
    • Beschwerden nur beim Gehen (nie beim Sitzen/Liegen, selten beim Radfahren)
    • meist weitere Symptome einer Polyneuropathie (Schmerzen, Parästhesien)3
  • Diagnostik
    • klinisch-neurologische Untersuchung (z. B. Prüfung der Sensibilität und Reflexe) und elektrophysiologische Untersuchung3
    • Abklärung der Ursache bzw. Grunderkrankung3

Stoffwechselstörungen

Weitere Ursachen

Anamnese

Leitlinie: Anamnese bei Schwindel3-4

Allgemeines zur Anamnese

  • Strukturierte Anamnese bei jedem Beratungsanlass wegen Schwindel
  • Für die Hausarztpraxis diagnostischer Zugang primär nach Schwindelart empfohlen
    • schnelle Diagnosestellung bei häufigen Ursachen und Verbleib seltener Diagnosen zur meist spezialärztlichen Abklärung
  • Patienten nutzen häufig andere Ausdrücke für den Begriff Schwindel
    • z. B.: „der Kreislauf spielt verrückt“, „mir ist ganz schlecht“, „mir dreht sich alles“ (bei Nachfragen meist kein Drehschwindel), „mir ist so komisch“, „wie, als wenn alles wegkippt“ etc.
  • Anamnestische Einteilung des Schwindels nach Kategorien A–D
    • Vorgehen ausgehend von Art des Schwindels (A), zeitliche Kategorisierung (B), modulierenden Faktoren (C) und Begleitsymptome (D)
    • multidisziplinär (Neurologie, HNO, Kardiologie) erstelltes Raster zur diagnostischen Einordnung

Art des Schwindels (A)

  • Drehschwindel
    • Drehen (Karussellfahren): Wegwandern der Horizontallinie
    • auch in Vertikalebene (Liftschwindel)
    • v. a. bei peripherer vestibulärer Ursache häufig mit Erbrechen
    • oft benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel als Ursache
  • Gangunsicherheit (mit klarem Kopf)
    • Schwindel nur durch Gehen auslösbar
    • unsicheres Gehen im Raum („in die Leere treten“)
    • nie Erbrechen/Übelkeit
    • oft Polyneuropathie als Ursache
  • Schwankschwindel und (Prä-)Synkope
    • meist kurzes Gefühl drohender Ohnmacht (ohne klaren Kopf) bzw. „Schwarzwerden“ vor Augen
    • häufige Auslöser 
    • deutliche Überlappung mit der Schwindelart „Benommenheit“
  • Benommenheit
    • Unsicherheit im Raum ohne klaren Kopf
      • z. B. „Trieselig-sein“, Nachschwanken, komisches Gefühl im Kopf oder Gefühl des Wegsinkens
      • Übelkeit und Erbrechen nur selten (Ausnahme Migräne)
    • häufig durch Kopfbewegungen oder durch Lageveränderungen verstärkt
    • z. B. bei Herzrhythmusstörungen oder arterieller Hypo- und Hypertonie

Zeitliche Kategorisierung (B)

  • Dauer des Schwindels
    • Sekunden
    • Minuten
    • Stunden bis Tage
    • länger als Tage anhaltend
  • Zeitlicher Verlauf
    • akut
    • episodisch
    • chronisch

Modulierende Faktoren (C)

  • Nur beim Laufen
  • Aufrichten des Körpers
  • Bewegung des Kopfes wie Rotation oder Retroflexion3,13,15
  • Heben/Arbeiten mit Armen über dem Kopf
  • Körperliche Anstrengungen
    • z. B. Husten, Pressen, Niesen oder Heben schwerer Lasten13
  • Neue Brille
    • insbesondere Gleitsichtbrillen
  • Medikamenteneinnahme
    • insbes. Antihypertensiva, Sedativa, Antiarrhythmika, NSAR
  • Bedeutende Lebensveränderung bzw. Belastung
    • bestimmte soziale Situationen wie Menschenmengen13
  • Hungerperioden bei Patient*innen mit Diabetes mellitus

Begleitsymptome (D)

  • Neurologische und HNO-ärztliche Erkrankungen meist mit Zusatzsymptomen
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Hörstörungen
  • Schmerzen: Ohrschmerz/Ohrdruck, Kopf, HWS
  • Gefühllosigkeit oder Brennen in den Beinen
  • Nystagmus
    • bei vestibulärem aber auch bei zentralem Schwindel
  • Sehstörungen
  • Oszillopsien (verwackeltes Sehen)
    • selten, insbesondere bei vestibulärem Schwindel
  • Herzjagen, Herzstolpern oder zu langsamer Herzschlag
  • Ängstliche oder niedergeschlagene Stimmung, insbes. neu aufgetreten
    • deutlich beunruhigte, ausufernde und ungenaue Schilderungen sowie angstbestimmte Symptome hinweisend für funktionellen Schwindel

Weitere anamnestische Hinweise

  • Beginn der Schwindelsymptomatik
  • Medikamentenanamnese3,14
  • Erklärung und Krankheitskonzept der Betroffenen
    • z. B. Zusammenhang mit wesentlichen Lebensereignissen
  • Entstehungsort eines Drehschwindels3,13

Klinische Untersuchung

Leitlinie: Körperliche Untersuchung bei Schwindel3-4

Allgemeines

  • Schwindelzustände mittels Anamnese und körperlicher Untersuchung zu 60–85 % zuverlässig diagnostizierbar (II)
  • Körperliche Untersuchung kann gezielt erfolgen, wenn ausreichend Hinweise auf die Verdachtsdiagnose durch die Anamnese vorliegen (meistens der Fall).
    • Untersuchung kann relativ kurz sein und in der Regel von Hausärzt*innen durchgeführt werden.
  • Beunruhigte Patient*innen erwarten oft eine gewissenhafte Untersuchung.
  • Abwendbar gefährliche Verläufe sind auszuschließen.

Allgemeine körperliche Untersuchung

  • Allgemeiner Status
    • Allgemeinzustand
      • Blässe (Konjunktiven)
      • augenscheinlich andere, z. B. konsumierende Erkrankungen
    • Stand, Gang und Bewegung der Patient*innen
    • Darstellung der Symptomatik (dramatisierend vs. sachlich/ruhig)
    • Angst oder Beunruhigung
  • Kreislauf
  • HWS-Untersuchung
    • muskuläre Verspannungen
    • segmentale Bewegungsstörungen auch in Retro- und Anteflexion der HWS

HINTS-Test

  1. Kopfimpulstest (KIT)
    • Prüfung des vestibulookulären Reflexes (VOR) durch rasche Kopfbewegung nach links und rechts unter Fixation auf ein Objekt (z. B. Untersucher*in)
    • Hinweis auf periphere Störung bei verzögerter Rückstellsakkade
    • Hinweis auf zentrale Störung bei unauffälligem Kopfimpulstest
  2. Nystagmusprüfung
    • Hinweis auf zentrale Störung bei Spontannystagmus, der nicht durch Fixieren auf ein Objekt unterdrückt werden kann (Fixationsnystagmus).
    • Hinweis auf zentrale Störung bei vertikalem Nystagmus oder Blickrichtungsnystagmus entgegen der Richtung eines möglichen Spontannystagmus
  3. Prüfung auf Skew Deviation
    • abwechselndes Zudecken eines Auges (Cover-Test)
    • Hinweis auf zentrale Störung bei vertikaler Divergenz der Augen

Neurologische Untersuchung

  • Orientierende neurologische Untersuchung mit Prüfung von:
    • Hirnnervenfunktion (insbesondere Sehstörungen oder Doppelbilder)
    • Blickfolge und Blickrichtungsnystagmus
    • Motorik (Vorhalteversuch: Lähmungen z. B. bei Schlaganfall)
    • Sensibilität, ggf. mittels Stimmgabel (Polyneuropathie)
    • Koordination (Finger-Nase- und Knie-Hacken-Versuch)
    • Romberg-Test
      • Standvermögen mit offenen bzw. geschlossenen Augen
    • Unterberger-Tretversuch
    • Reflexstatus

HNO-Untersuchungen

  • Nystagmusprüfung (ggf. mit Frenzel-Brille) einschl. Lagerungs-Provokation
    • Spontannystagmus bei Geradeausblick (Hinweis auf vestibuläre Störung)
    • Einstell-Nystagmus bei extremer Blickeinstellung (wenn unerschöpflich Hinweis auf vestibuläre Störung)
    • Blickrichtungsnystagmus und sakkadierende Bewegung (Hinweis auf zerebelläre Störung)
    • Lagerungsversuch nach Sémont oder Dix-Hallpike (Auslösen eines benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels)
  • Inspektion von Gehörgang und Trommelfell
  • Orientierende Prüfung des Hörvermögens3-4,11
    • insbesondere bei Hinweisen auf vestibuläre Störung
    • Flüstersprache sollte in > 1 m Entfernung mit zugehaltenem rechten und dann linken Ohr noch verstanden werden.
  • Rinne-Weber-Test (bei Hörminderung)

Ergänzende Untersuchungen

In der Hausarztpraxis

  • Apparative Diagnostik ist in den meisten Fällen nachrangig.3
    • Die Diagnose beruht im Wesentlichen auf einer sorgfältigen Anamnese und körperlicher Untersuchung.
  • Technische Untersuchungen sollten entsprechend DEGAM-LL in der Regel nicht von Hausärzt*innen veranlasst werden.3
    • Ausnahme sind Blutdruck-Messungen, EKG, Langzeit-EKG, Schellong-Test und bestimmte Laboruntersuchungen
  • Laboruntersuchungen
  • EKG bei V. a. Rhythmusstörungen

Bei Spezialist*innen

  • Spezifische technische Untersuchungen beim Leitsymptom Schwindel sind in der Regel sinnvoller von Spezialist*innen zu veranlassen.3
  • Die weiterführende Diagnostik ist abhängig von der Verdachtsdiagnose nach Anamnese und körperlicher Untersuchung.3-4

Apparative Funktionsdiagnostik

  • Nystagmusaufzeichnung
    • mittels Elektronystagmografie (ENG) oder Videookulografie (VOG)4
    • quantitative Erfassung von Spontan- und Lagenystagmen
  • Video-Kopfimpulstest (vKIT)
    • Aufzeichnung des vestibulookulären Reflexes (VOR) mittels Kamera
    • bessere Detektion pathologischer Befunde und weniger untersucherabhängig4,11
  • Kalorische Prüfung (thermische Prüfung)4
    • Spülung des Gehörgangs mit temperiertem Wassers (30 °C und 44 °C)
    • Auswertung der Nystagmusantwort im Seitenvergleich
  • Subjektive Visuelle Vertikale (SVV)
  • Vestibulär evozierte myogene Potenziale (VEMP)
  • Audiologische Testung bei Hörstörungen10,21

Bildgebende Diagnostik

Kardiologische Diagnostik

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung

  • Überweisung abhängig von der (Verdachts-)Diagnose nach Anamnese und körperlicher Untersuchung (II–III)3
  • Entscheidung zur Überweisung nach vermuteter Ursache3
  • Hinzuziehen von Spezialist*innen empfohlen bei:3
    • widersprüchlichen Befunden
    • Notwendigkeit einer spezialärztlichen Behandlung der Verdachtsdiagnose.
  • Strategie des „abwartenden Offenhaltens“3
    • vertretbar bei Fehlen einer definitiven Diagnose und fehlenden Gründen für eine unmittelbare Überweisung zu Spezialist*innen
    • Die Mehrzahl dieser Betroffenen ist nach kurzer Zeit (Tage bis Wochen) beschwerdefrei.

Indikationen zur Klinikeinweisung

Allgemeines zur Therapie

  • Bei definitiver Diagnose ist eine gezielte Therapie in Kooperation mit Spezialist*innen empfohlen.3
  • Empfehlungen der DEGAM-Leitlinie zur symptomatischen Behandlung von Schwindel bei:3
    • unklarer oder noch nicht feststehender Diagnose
    • definitiver Diagnose ohne gezielte Behandlung.

Schwindel und Fahreignung

  • Verweis der Leitlinie auf die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST)4
  • Siehe Artikel Beurteilung der Fahreignung.

Nichtmedikamentöse Therapien

Leitlinie: Nichtmedikamentöse Behandlung3-4

Beratung

  • Die Beratung sollte verständlich machen, was geschieht und wie der Schwindel zu erklären ist.
    • Ziel ist die Vermittlung von Sicherheit und Ermutigung zur Teilhabe am Alltagsleben.
  • Bei anzunehmend kurz dauerndem Schwindel gute Prognose bzw. die Behandelbarkeit darstellen.
  • Bei anzunehmend länger anhaltendem Schwindel:
    • Hinweis auf Selbstregulierungsmechanismen und somit mögliche Besserung
      • z. B. Kompensation, Habituation und Adaptation 
    • Schwindelsymptomatik zu einem Teil aushalten, um Adaptationsvorgänge zu ermöglichen.
      • deshalb Antivertiginosa, wenn überhaupt, nur kurzzeitig (in der Akutphase max. etwa 3 Tage)
  • Wiedervorstellung nach neu aufgetretenem Schwindel 1–2 Tage nach Erstvorstellung
    • insbesondere aufgrund subjektiver Verunsicherung und Bedrohlichkeit

Physikalische Therapie

  • Empfehlung trotz begrenzter Evidenz bei zervikogenem Schwindel
    • Versuch von physikalischer Therapie bzw. Gleichgewichtsübungen auch bei Schwindel, der keiner definitiven Diagnose zuzuordnen ist (phobischer Schwindel, Schwindel im Alter).
  • Krankengymnastik
    • Vereinzelte Studien zeigen Besserung bei zervikogenem Schwindel nach Physiotherapie (Ib, IIa).
  • Gleichgewichtsübungen
    • Kleine Studien zeigen signifikante Besserung bei nicht zuordenbarem Schwindel (IIb).
    • teilweise auch nur mittels Anleitung zur Selbstdurchführung der Übungen
  • Chirotherapie
    • keine ausreichende Evidenz für den Nutzen von Chirotherapie beim Symptom Schwindel
    • bei zervikogenem Schwindel (entsprechende Ausbildung vorausgesetzt)
  • Bei benignem paroxysmalem Lagerungsschwindel (BPLS) ist eine physikalische Therapie mit Lagerungsmanövern von großer Bedeutung.
    • z. B. Lagerungsmanöver nach Epley oder Sémont bei BPLS des posterioren Bogengangs (häufigste Form)
    • Durchführung oder Anleitung zur Selbstbehandlung (sofern Erfahrung vorhanden)

Behandlung des funktionellen Schwindels

  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit spezialisierten Neurolog*innen, HNO-Ärzt*innen erforderlich
  • Behandlung beruht auf folgenden Maßnahmen:
    1. eingehende Diagnostik zum Ausschluss einer organischen Störung
    2. psychoedukative Therapie
    3. Desensibilisierung durch Eigenexposition und regelmäßiger Sport sowie
    4. bei Persistenz der Beschwerden Verhaltenstherapie mit oder ohne begleitende Pharmakagabe.
      • bei Angststörungen als Mittel der Wahl SSRI, wie Paroxetin, Citalopram oder Sertralin
  • Nach diesem einfachen therapeutischen Vorgehen Beschwerdefreiheit oder deutliche Besserung bei bis zu 75 % der Patient*innen

Medikamentöse Therapien

Leitlinie: Medikamentöse Behandlung3

  • Spezifische Therapien abhängig von der Schwindelursache (s. o.)
  • Symptomatische Therapien (Antivertiginosa)
    • Indikationen
      • noch unklare Diagnose, aber heftiger Schwindel
      • dauerhaft unklarer Schwindel ohne gelingende Adaptation
      • geklärte Ursache, aber keine kausale bzw. spezifische Therapiemöglichkeit und fehlgeschlagene Adaptation
    • nachweisbarer Nutzen bei vertretbaren unerwünschten Wirkungen (Ib)
      • Dimenhydrinat als Einzelsubstanz
      • Betahistin als Einzelsubstanz (beim Menière-Symptomenkomplex)
      • Dimenhydrinat in Kombination mit Cinnarizin
  • Dimenhydrinat
    • Gruppe der „sedierenden Antihistaminika“
    • Antiemetischer Effekt, sedierender Effekt, lindern vegetative Begleitsymptome.
    • Prophylaxe und symptomatischen Therapie von Übelkeit und Erbrechen unterschiedlicher Genese
    • UAW: sedierend und anticholinerge Effekte (Magen-Darm-Beschwerden, Beschwerden beim Wasserlassen und Mundtrockenheit)
  • Cinnarizin
  • Betahistin
    • zur Behandlung des Menière-Symptomenkomplexes zugelassen
    • keine sedierende Eigenschaften
    • kontraindiziert bei Patient*innen mit Asthma bronchiale und Phäochromozytom
    • UAW: Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen und Zittern
  • Homöopathische Substanzen
    • bisher nicht gegen Placebo getestet
    • bei Äquivalenz-Testung zu Betahistin beim unspezifischen Krankengut ebenso wirksam

Dosierungen

  • Dimenhydrinat
  • Cinnarizin und Dimenhydrinat
    • zur Behandlung von Schwindel verschiedener Genese24
    • 20 mg Cinnarizin und 40 mg Dimenhydrinat 3 x/d24
    • Behandlungsdauer so kurz wie möglich (max. 4 Wochen)
  • Betahistin
    • zur Behandlung von Schwindel im Rahmen des Menière- Symptomenkomplexes25
    • 1–2 Tabletten Betahistin 6 mg oder 0,5–1 Tablette Betahistin 12 mg 3 x/d (18–36 mg Betahistin/d)25

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Illustrationen

Cochlea und Vestibulum_korr.jpg
Cochlea und Vestibulum
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel: Sémont-Manöver
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel: Sémont-Manöver
Epley-Manöver_Lagerungsschwindel_34733.png
Epley-Manöver

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Vestibuläre Funktionsstörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 017-078. S2k, Stand 2021. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie Nr. 053-018. S3, Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

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  2. Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
  3. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie Nr. 053-018, Stand 2015, zuletzt überarbeitet 2018. www.awmf.org
  4. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Vestibuläre Funktionsstörungen. AWMF-Leitlinie Nr. 017-078. S2k, Stand 2021. www.awmf.org
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  25. Fachinformation (Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels/SmPC) Betahistin STADA®. Stand 2014 (abgerufen am 02.05.2022). fachinformation.srz.de

Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung, Neurologie, Hamburg
  • Peter Maisel, Prof. Dr. med. Facharzt für Allgemeinmedizin, Universität Münster/W. (Review)
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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