Schluckauf (Singultus)

Allgemeine Informationen

Definition

  • Singultus (Schluckauf) beschreibt eine unwillkürliche, rasche Kontraktion des Diaphragmas und Stimmlippenverschluss mit charakteristischer Geräuschentwicklung.
    • repetitives Auftreten mit Frequenz im Bereich von 4–60 pro Minute1
    • Beteiligt sind N. phrenicus, der N. vagus, Sympathikus und Hirnstamm.2
  • Einteilung nach zeitlichem Verlauf1-6
    • akuter Singultus: kurzes und selbstlimitierendes Phänomen
    • persistierender bzw. chronischer Singultus: > 48 Stunden anhaltend
    • therapieresistenter Singultus: > 1 Monat
  • Persistierender Singultus meist Ausdruck einer organischen Pathologie1

Häufigkeit

  • Akuter, vorübergehender Schluckauf ist sehr häufig.1,6
    • bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen
  • Persistierender Schluckauf (Singultus) selten
    • Verlässliche Daten zur Häufigkeit fehlen.
    • Männer sind häufiger betroffen als Frauen (ca. 9:1).1,7
  • Etwa 3 % der Allgemeinbevölkerung klagen über wiederkehrenden Singultus.6
  • In den USA jährlich ca. 4.000 Krankenhausaufnahmen wegen Singultus1

Ätiologie und Pathogenese

Pathophysiologie

  • Schluckauf entsteht durch eine Irritation im Verlauf des Reflexbogen aus afferenten, zentralen und efferenten Komponenten.1-2,6
    • Ursachen z. B. lokale Pathologie (Entzündung, Raumforderung) oder systemische Störungen (metabolisch, Alkohol, Medikamente)
  • Der Glottisverschluss während des Schluckaufs ist ein Schutzreflex.1
    • Führt zur charakteristischen Geräuschentwicklung.
    • Verhindert übermäßige Ventilation der Lunge.

Reflexbogen2,6

  • Afferente Komponenten
    • N. phrenicus
    • N. vagus
    • thorakaler Sympathikus (Th6–Th12)
  • Zentrale Komponenten
    • Verschaltung von Hirnstamm und Hypothalamus
    • Beteiligung von verschiedenen Hirnnervenkernen
  • Efferente Komponenten
    • N. phrenicus (C3–C5): Innervation des Zwerchfells
    • C5–C7: Innervation der Scalenus-Muskeln
    • Th1–Th11: Innervation der Interkostalmuskulatur
    • N. recurrens des N. vagus: Innervation der Glottis

Diagnostische Überlegungen

  • Akuter Schluckauf ist meist nach wenigen Minuten selbstlimitierend.1-2,6 
  • Persistierender Schluckauf ist unspezifisch, kann aber auf ernsthafte Erkrankungen hinweisen und bedarf einer Abklärung.1,6
    • interdisziplinäre Diagnostik (Innere Medizin, Neurologie und HNO)
  • Gastrointestinale Ursache in etwa 2/3 aller Fälle2
    • Refluxsymptome sind sowohl häufige Ursache als auch Folge von Schluckauf.6
  • Folgeerscheinung von persistierendem Singultus3
  • Oft ist trotz ausgiebiger Diagnostik keine Ursache identifizierbar (idiopathischer Singultus).6,8

ICPC-2

  • R29 Sympt./Beschw. Atmungsorgane, and.

ICD-10

  • F45 Somatoforme Störungen
    • F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung
  • R06 Störungen der Atmung
    • R06.6 Singultus

Differenzialdiagnosen

Selbstlimitierender, akuter Schluckauf

Häufige Ursachen2-3,6

  • Hastiges Essen
  • Verschlucken von Luft (Aerophagie)
  • Starke Magendehnung
  • Alkohol
  • Rauchen
  • Scharfe Mahlzeiten
  • Chemische Stoffe
  • Plötzliche Temperaturänderungen
  • Kalte Getränke oder Speisen
  • Kohlensäurehaltige Getränke
  • Psychogene Alteration (z. B. Aufregung, Stress)

Gastrointestinale Erkrankungen

Gastroösophageale Refluxkrankheit

  • Siehe Artikel Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD).
  • Definition und Ursache
    • Erkrankung mit Rückfluss (Reflux) von Magen-/Duodenalinhalt in den Ösophagus
  • Häufigkeit
    • ca. 10–25 % der erwachsenen Bevölkerung
    • häufigste Ursache für Singultus (ca. 2/3 aller Fälle)2
  • Symptome
    • Sodbrennen, Brennen im Rachen, Säureregurgitation
    • 10 % der Betroffenen klagen über rezidivierenden Singultus.1-2,6

Hiatushernie

  • Siehe Artikel Hiatushernie.
  • Definition und Ursache
    • Aussackung von Teilen des Magens über eine Bruchpforte im Zwerchfell in die Brusthöhle
  • Häufigkeit
    • häufig (Prävalenz von bis zu 50 %)
    • vermehrt mit zunehmendem Lebensalter
  • Symptome
    • variabel je nach Ausprägung, oft asymptomatisch
    • Charakteristisch sind Refluxsymptome und Dysphagie
    • Zwerchfellreizung kann zu Singultus führen.2,6

Weitere gastroenterologische Ursachen2,6

Neurologische Erkrankungen

Zentrale Läsionen

Parkinson-Krankheit (M. Parkinson)

  • Siehe Artikel Parkinson-Syndrom.
  • Definition und Ursache
    • progressive, neurodegenerative Erkrankung unklarer Ätiologie
  • Häufigkeit
    • Prävalenz von ca. 108–257/100.000 Personen
  • Symptome
    • typische Symptomatik mit Akinese, Rigor, Tremor, Standunsicherheit
    • 20 % der Betroffenen klagen über rezidivierenden Singultus.6

Weitere Ursachen

Metabolische Störungen2,6

HNO-Erkrankungen2,6

Kardiovaskuläre Erkrankungen2,6

Pulmonale Erkrankungen2,6

Medikamente2,6,10

  • Dopaminagonisten
  • Steroide
  • Barbiturate
  • Benzodiazepine
  • Antibiotika (z. B. Makrolide)
  • Chemotherapie (Platin-basiert)
  • Alpha-Methyldopa
  • Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten (NK1-RA)

Iatrogene Ursachen2,6,8

  • Intubation
  • Anästhetika
  • Endoskopie
  • Thorakale und abdominelle Operationen
  • Anlage eines zentralen Venenkatheters (ZVK)

Psychogener Schluckauf2,6

Weitere Ursachen6

  • Alkohol und Drogen
  • Verletzungen und Traumata
  • Mediastinale Raumforderungen
  • Struma
  • Lymphome

Anamnese

  • Beginn, Frequenz und Dauer des Schluckaufs
    • Ein nächtlicher Schluckauf deutet auf eine organische Ursache hin.11
  • Begleitsymptomatik
  • Vorerkrankungen
    • insbesondere kardiovaskulär, pulmonal, gastrointestinal, neurologisch1
  • Traumata und Verletzungen
  • Operationen
  • Medikamente

Klinische Untersuchung

  • Körperliche Untersuchung auf Anzeichen ursächlicher Erkrankungen
  • Untersuchung von Ohren, Nase, Hals und Rachen
  • Untersuchung von Thorax und Abdomen
  • Orientierende neurologische Untersuchung
    • Defizite der Hirnnervenfunktion, SpracheMotorik, Sensibilität und Koordination

Ergänzende Untersuchungen

  • Labordiagnostik6
  • Stufenbasierte, apparative Diagnostik2,6
    • EKG
    • Röntgen-Thorax
    • CT (Schädel, Hals, Thorax, Abdomen)
    • Gastroskopie
    • MRT des Schädels
    • Ösophagus-Manometrie/-pH-Metrie
    • Lumbalpunktion
    • Lungenfunktionstest
    • Bronchoskopie

Maßnahmen und Empfehlungen

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei häufig wiederkehrendem Singultus mit Einschränkung der Lebensqualität abhängig von der vermuteten Ursache und Begleitsymptomen Überweisung an Spezialist*innen (Gastroenterologie, Neurologie und HNO) erwägen.
  • Bei persistierendem Singultus (> 48 Stunden) mit schwerer Beeinträchtigung (Nahrungsaufnahme, Schlaf) Krankenhauseinweisung zur weiteren Abklärung

Allgemeines zur Therapie

  • Akuter Schluckauf bedarf keiner Therapie.6
  • Persistierender Schluckauf sollte behandelt werden.2,6
    • erhebliche Einschränkung der Lebensqualität (Nahrungsaufnahme, Schlaf) und Gefahr von Komplikationen
  • Diagnostik sowie kausale Behandlung der Ursache anstreben2,6
  • Keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen möglich2
    • Laut einer Cochrane-Metaanalyse gibt es kaum wissenschaftliche Studien zur Behandlung von Schluckauf.4

Physikalische Maßnahmen

  • Insgesamt nicht in Studien untersucht, kaum Evidenz6
  • Durchführung, falls keine spezifische Ursache und Therapie vorliegt.
    • meist nur kurzzeitiges Sistieren bei persistierendem Singultus
  • Eingesetzte Maßnahmen1-2,6-8
    • Atem anhalten.
    • Valsalva-Manöver
    • Hyperkapnie durch Rückatmung in eine Tüte
    • nasale und pharyngeale Stimulation
      • rasches Trinken von Eiswasser
      • intranasal Essig oder Riechen von Ammoniak
    • Niesen
    • Druck auf Augenbulbus
    • Karotisdruck

Medikamentöse Behandlung

  • Mögliche Therapien bei persistierendem Schluckauf (geringe Evidenz, off label):2-3,6
    • Baclofen 3 x 5–20 mg p. o.
    • Gabapentin 3 x 300–600 mg p. o.
    • Chlorpromazin 3 x 25–50 mg p. o.
    • Carbamazepin 3 x 100–300 mg p. o.
    • Metoclopramid 3 x 10 mg p. o.
    • Haloperidol 3 x 1–4 mg p. o.
    • Amitriptylin 1 x 10–25 mg p. o.
  • Ausgeprägtes Nebenwirkungsprofil der Substanzen6
  • Kombination verschiedener Medikamente möglich2
  • Bei fehlender Besserung zeitnahe Beendigung der Therapie2

Nichtmedikamentöse Therapien

  • Magenentleerung (Magensonde)2
  • CPAP-Atmung6
  • Anästhesie der Rachenhinterwand
  • Blockade oder teilweise Resektion des N. phrenicus2,11
  • Nervus-Vagus-Stimulation2,6
  • Akupunktur2,4,6
  • Verhaltenstherapie2,6

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Literatur

  1. Rouse S, Wodziak M. Intractable Hiccups. Curr Neurol Neurosci Rep. 2018;18(8):51. Published 2018 Jun 22. doi:10.1007/s11910-018-0856-0 doi.org
  2. Eisenächer A, Spiske J: Case report: persistent hiccups (singultus) as the presenting symptom of medullary cavernoma. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(48): 822–6. www.aerzteblatt.de
  3. Chang FY, Lu CL. Hiccup: Mystery, Nature and Treatment. J Neurogastroenterol Motil. 2012;18:123–130. www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Moretto EN, Wee B, Wiffen PJ, et al. Interventions for treating persistent and intractable hiccups in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2013;(1):CD008768. www.cochranelibrary.com
  5. Kohse EK, Hollmann MW, Bardenheuer HJ, Kessler J. Chronic Hiccups: An Underestimated Problem. Anesth Analg. 2017;125(4):1169-1183. doi:10.1213/ANE.0000000000002289 doi.org
  6. Steger M, Schneemann M, Fox M. Systemic review: the pathogenesis and pharmacological treatment of hiccups. Aliment Pharmacol Ther. 2015;42(9):1037-1050. doi:10.1111/apt.13374 doi.org
  7. Vecellioa M, Bloch KE, Bassettia CL. Chronischer zentralnervös bedingter Singultus. Schweiz Med Forum 2007;7:158–161. medicalforum.ch
  8. Becker DE. Nausea, vomiting, and hiccups: a review of mechanisms and treatment. Anesth Prog. 2010 Winter;57(4):150-6; quiz 157. doi: 10.2344/0003-3006-57.4.150. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Erbguth, Frank & Dietrich, Wenke. Hirndruck und Hirnödem. Der Anaesthesist. 62.2013 www.researchgate.net
  10. Deutsche Krebsgesellschaft. Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen - interdisziplinäre Querschnittsleitlinie. AWMF-Leitlinie Nr.032-054OL. Stand 2016. (abgelaufen) www.awmf.org
  11. Kuhn M . Reinhart W, Singultus, Schweiz Med Forum 2004;4:1138–1141 medicalforum.ch

Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt in Weiterbildung Neurologie, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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