Akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM)

Die akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM) ist eine entzündliche Erkrankung, die die Myelinscheiden der Nerven im Gehirn und Rückenmark betrifft und hauptsächlich bei Kindern auftritt.

Was ist die akute demyelinisierende Enzephalomyelitis?

Im Gehirn, Rückenmark und in den Nerven außerhalb des zentralen Nervensystems sind die Nervenfasern von einer Schutzhülle umgeben, der sogenannten Myelinscheide. Bei der seltenen Erkrankung ADEM werden eben diese Myelinscheiden im Gehirn und Rückenmark durch eine Entzündung geschädigt. 

Nervenzelle mit Myelinscheide
Nervenzelle mit Myelinscheide

Vor der akuten demyelinisierenden Enzephalomyelitis hatten Betroffene häufig eine Viruserkrankung, wie z.B. eine Rachenentzündung. Die ADEM entsteht vermutlich infolge einer vorübergehenden Autoimmunreaktion, d. h. das Abwehrsystem des Körpers greift fälschlicherweise eigenes Gewebe an. Die Bezeichnung als „akut“ und „disseminiert“ bedeutet, dass die Erkrankung meist relativ schnell auftritt und bei Befall verschiedener Stellen des Nervensystems eine Vielzahl von Krankheitssymptomen verursachen kann.

Risikogruppen

Von einer ADEM sind in etwa 80 % der Fälle Kinder unter 10 Jahren betroffen, Erwachsene sind nur selten betroffen. Bei Kindern sind Virusinfektionen, die man als Auslöser vermutet, besonders häufig. Dies erklärt auch das vermehrte Auftreten in den Wintermonaten. In den USA geht man nach Schätzungen von etwa 3 neuen Fällen pro 100.000 Einwohner unter 10 Jahren aus.

Da Kinder heute gegen die schwerwiegendsten Viruskrankheiten geimpft werden (z. B. Masern, Mumps, Röteln), ging die Anzahl der virusbedingten Erkrankungen stark zurück. Die ADEM kann auch als Folge einer Impfung auftreten, dies ist jedoch selten.

Das Risiko einer Erkrankung an ADEM wird durch erbliche Faktoren, häufige virale Infekte, den Impfstatus, die Ernährung und weitere weniger bekannte Faktoren beeinflusst.

Ursachen

Die akute demyelinisierende Enzephalomyelitis ist eine Entzündungsreaktion, die die Myelinscheide, die die Nervenfasern umgibt, schädigt (demyelinisiert). Die Erkrankung hat auf den ersten Blick starke Ähnlichkeit mit der Multiplen Sklerose (MS), denn auch hier greifen Antikörper des körpereigenen Immunsystems vorübergehend die Myelinscheiden an. Während dies bei der ADEM jedoch nur vorübergehend geschieht und nach einmaliger Krankheitsperiode meist folgenlos abheilt, kehrt die MS häufig in Schüben immer wieder, was mit der Zeit zu einer erheblichen Schädigung des Nervensystems führen kann.

Symptome

Der Patient, in der Regel ein Kind, hatte oft eine vorausgehende Infektionskrankheit. Die ADEM tritt typischerweise ein bis 20 Tage nach dieser meist fieberhaften Infektion auf. Die Krankheit beginnt in der Regel schnell und ist von Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und psychischen Veränderungen (Verwirrtheit, auffallende Apathie, Passivität) gekennzeichnet. Häufig geht der Krankheitsbeginn mit Fieber einher. Fast immer treten mehrere neurologische Symptome auf, die von verschiedenen Teilen des Gehirns und Rückenmarks herrühren, beispielsweise ein verringertes Gefühl im Arm mit einer mangelnden Kontrolle über die Harnblase. Der Zustand der Patienten verschlechtert sich einige Tage lang, in seltenen Fällen bis zu sechs Wochen lang.

Bei älteren Kindern lässt sich die ADEM in einigen Fällen möglicherweise schwer von dem ersten Schub einer Multiplen Sklerose (MS) unterscheiden. Es ist jedoch ungewöhnlich, dass sich eine MS bereits beim ersten Auftreten mit vielseitigen neurologischen Symptomen bemerkbar macht. Ebenso sind bei einer MS Nackensteifigkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit und Krämpfe eher ungewöhnlich.

Diagnostik

Die Diagnose wird auf der Grundlage des typischen Verlaufs der Erkrankung sowie der Befunde der ärztlichen Untersuchung, einer Nervenwasseruntersuchung und der MRT gestellt. Bereits im frühen Stadium kann diese MRT-Untersuchung bei 80 bis 90 % der Betroffenen typische Veränderungen zeigen.

Die Untersuchung des Nervenwassers als auch eine MRT-Untersuchung sind darüber hinaus wichtig, um andere Ursachen für die Symptome auszuschließen.

Therapie

Die Krankheit heilt bei den meisten Patienten auch ohne Behandlung innerhalb von 2-4 Wochen vollständig ab. Dennoch werden oft kurzzeitig Steroide (oder Kortison-Präparate) in hohen Dosierungen gegeben, um den Verlauf, um den Verlauf günstig zu beeinflussen. Bei fehlendem Ansprechen kommen gelegentlich intravenös verabreichte Immunglobuline zum Einsatz.

Prognose

Die Prognose der ADEM ist sehr gut. Der überwiegende Anteil der Betroffenen zeigt eine komplette Heilung. Die Prognose scheint nicht von der Schwere der Erkrankung abzuhängen, denn sogar bei Kindern, die zwischenzeitlich im Koma lagen, wurden vollständige Genesungen beobachtet. Etwa eines von drei Kindern mit Anzeichen von Nervenschäden hat diese Schäden wochen- oder monatelang. In den meisten Fällen sind diese Ausfälle dann aber innerhalb von einem Jahr nach Ausbruch der Krankheit verschwunden.

Bei wenigen Betroffenen verursacht die Krankheit dauerhafte Nervenschäden, die sich in Lähmungen oder einer Epilepsie äußern können. In unter 2 % der Fälle kann die Krankheit tödlich verlaufen. 

Rückfälle treten bei etwa 5 % der Betroffenen auf. Solche Rückfälle erwecken den Verdacht, dass auch eine MS zugrunde liegen könnte. Das Risiko einer MS bei Kindern, die vor der Pubertät eine ADEM hatten, ist allerdings kaum höher als das von anderen Kindern. Bei Kindern mit mehreren Rückfällen vor der Pubertät oder bei älteren Patienten steigt dieses Risiko dementsprechend.

Weiterführende Informationen

Autoren

  • Jonas Klaus, Arzt, Freiburg i. Br.

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM). Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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