Zusammenfassung
- Definition:Chronische Erkrankung aus der Gruppe der Hypersomnien mit gestörter Regulation des Tag-Nacht-Rhythmus.
- Vorkommen: Prävalenz von etwa 26–50 Betroffenen pro 100.000 Personen; hohe Dunkelziffer.
- Symptome: Ausgeprägte Tagesmüdigkeit mit plötzlichen Einschlafattacken. Kataplexie (plötzlicher Tonusverlust und Zusammensacken) ist charakteristisch für die Erkrankung. Weitere Symptome sind hypnagoge Halluzinationen, ein gestörter Nachtschlaf sowie Episoden von Schlaflähmung.
- Befunde: Körperliche Untersuchung in der Regel unauffällig.
- Diagnostik: Polysomnografie oder Einschlaflatenztest im Schlaflabor. Ggf. Lumbalpunktion und Bestimmung des Hypocretin-Spiegels im Liquor. HLA-Typisierung. Ggf. zerebrale Bildgebung.
- Therapie: Therapie mit Verhaltensmodifikation und Verbesserung der Coping-Strategien sowie medikamentösen Ansätzen zur symptomatischen Behandlung (z. B. Stimulanzien gegen Tagesmüdigkeit).
Allgemeine Informationen
Definition
- Narkolepsie ist eine Erkrankung aus der Gruppe der Hypersomnien mit gestörter Schlaf-Wach-Regulation.1
- Typische Symptome der Narkolepsie sind:1-4
- Tagesschläfrigkeit mit Einschlafattacken (> 6 Monate)
- Kataplexie (kurzzeitiger Verlust von Muskelspannung. manchmal mit Bewusstseinsstörung)
- Schlaflähmungen (Bewegungsunfähigkeit beim Aufwachen für Sekunden bis Minuten)
- hypnagoge Halluzinationen (lebhafte Träume während der Einschlafphase)
- fraktionierter Nachtschlaf
- automatisches Verhalten (repetitives Bewegungsmuster)
- Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, einschlafbedingte Unfälle, Depression
- Die Diagnose beruht auf einer typischen Anamnese, speziellen Fragebögen und ggf. weiteren Untersuchungen.
- in der Polysomnografie verkürzte Einschlaflatenzen und vorzeitiger REM-Schlaf
- hohe HLA-Assoziation und häufig Hypocretinmangel im Liquor
- Narkolepsie ist in 3 Untergruppen unterteilt:1,5
- Narkolepsie mit Kataplexie („klassische Narkolepsie")
- Narkolepsie ohne Kataplexie
- sekundäre Narkolepsie (symptomatisch z. B. bei Ischämie, Tumor).
- Narkolepsie ist eine chronische Erkrankung mit variabler Intensität der Symptome
- Einschränkung der Lebensqualität und hohe Rate an Arbeitslosigkeit durch die Erkrankung1
Häufigkeit
- Häufigkeit der Narkolepsie
- Manifestation der Erkrankung meist in der 2. Lebensdekade1,9
- Etwa 20 % der Fälle manifestieren sich in den ersten 10 Lebensjahren.
- Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
Ätiologie und Pathogenese
- Die Ätiologie der Erkrankung ist nicht geklärt.
- Pathogenese1,8
- Reduktion oder Fehlen Hypocretin-haltiger Neurone im dorsolateralen Hypothalamus
- dadurch verringerte Produktion an Hypocretin und verminderte Konzentration im Liquor
- Störungen im cholinergen, noradrenergen, histaminergen und weiteren Transmittersystemen
- Dysfunktion der Amygdala mit veränderter Emotionsverarbeitung (psychiatrische Manifestationen)
- Reduktion oder Fehlen Hypocretin-haltiger Neurone im dorsolateralen Hypothalamus
- Krankheit mit sehr hoher HLA-Assoziation
- 98 % der kaukasischen Narkolepsie-Patienten mit HLA DRB1*1501, DQB1*0602-Typ
- hohe Sensitivität, geringe Spezifität (auch bei 25–35 % der Normalbevölkerung)
Schlafmuster bei Narkolepsie
- Es liegt eine Störung bei der Regulierung des REM-Schlafes vor.
- Bei Menschen mit Narkolepsie tritt der REM-Schlaf schneller als normal ein.
- Kataplexie, Schlaflähmung und hypnogone Halluzinationen sind REM-ähnliche Phänomene.
- Patienten mit Schläfrigkeit und Kataplexie haben deutlich geringere Werte von Hypocretin 1 und 2 im Liquor.10-12
- Hypocretin ist ein Neuropeptid.
- Geringere Mengen Hypocretin können den schnellen Übergang von Wachheit in REM-Schlaf bei Narkolepsie erklären.13
Prädisponierende Faktoren
- Assoziation mit HLA-Typ DRB1*1501, DQB1*06021
- Angehörige 1. Grades haben ein 38- bis 40-fach erhöhtes Risiko.
ICPC-2
- P06 Schlafstörung
ICD-10
- G47.4 Narkolepsie und Kataplexie
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Typische Anamnese, ggf. spezialisierte Fragebögen
- Untersuchung in einem Schlaflabor
- In Einzelfällen weitere Untersuchungen (z. B. HLA-Typisierung)
Leitlinie: Diagnostik bei Narkolepsie1
Notwendige Untersuchungen
- Anamnese der Kernsymptome (Tagesschläfrigkeit und Kataplexie); Familienanamnese
- Dokumentation durch Schlaffragebögen und Schlaftagebücher
- z. B. Epworth Sleepiness Score (ESS)
- Deutsche Version siehe DGSM.
- Polysomnografie bzw. Einschlaflatenztest (Multiple Sleep Latency Test, MSLT)
Im Einzelfall erforderliche Untersuchungen
- Bestimmung des Hypocretin-(Orexin-)Spiegels im Liquor
- HLA-Klasse-II-Typisierung
- Zerebrale Bildgebung (bei Verdacht auf sekundäre Narkolepsie)
Differenzialdiagnosen
Bei Tagesschläfrigkeit
- Chronisches Schlafdefizit
- Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus
- Schichtarbeit
- Jetlag
- Schlafapnoe-Syndrom
- Einschlaf- oder Durchschlafstörung
- Syndrom der verzögerten Schlafphase
- Idiopathische Hypersomnie
- Periodische Hypersomnie (Kleine-Levin-Syndrom)
- Depression
- Neurodegenerative Erkrankungen (z. B. Parkinson-Syndrom, Chorea Huntington)
- Zustand nach Schlaganfall oder Schädel-Hirn-Trauma
- Medikamentennebenwirkungen (z. B. Antidepressiva, Antiepileptika, Dopaminergika, Betablocker, Antihistaminika)
Bei Kataplexie
- Transitorische ischämische Attacke (TIA)
- Orthostatische Dysregulation
- Synkopen (z. B. kardiogen, vestibulär)
- Epilepsie (atonische Anfälle ohne Bewusstseinsverlust)
- Dissoziative (psychogene) Anfälle
Anamnese
- Oft treten nur einige der Komponenten des Syndroms auf.
- Mittleres Erkrankungsalter von ca. 14 Jahren
- Die Diagnose wird häufig erst 10–15 Jahre nach Symptombeginn gestellt.
- Klinische Symptome1-2
- Tagesschläfrigkeit mit Tagschlafepisoden (fast immer)
- meist Erstmanifestationssymptom
- Einschlafattacken können überall auftreten und dauern meist einige Minuten bis zu 1 Stunde.
- Kataplexie
- Tonusverlust der gesamten Muskulatur und Zusammensacken des Betroffenen
- meist als 2. Symptom (sehr spezifisches Auftreten bei Narkolepsie)
- typische Auslöser: Lachen, Freude, Überraschung, Ärger, Furcht
- Schlaflähmung (ca. 50 % der Fälle)
- Bewegungsunfähigkeit mit erhaltenem Bewusstsein beim Einschlafen oder Aufwachen
- hypnagoge Halluzinationen (ca. 50 % der Fälle)
- lebhafte, traumähnliche Erlebnisse in der Einschlafphase
- gestörter Nachtschlaf (ca. 50 % der Fälle)
- fraktionierter Nachtschlaf (häufige Unterbrechungen)
- anomale Handlungen im Schlaf, z. B. Schlafwandeln
- automatisches Verhalten
- repetitive Bewegungsmuster
- Tagesschläfrigkeit mit Tagschlafepisoden (fast immer)
- Weitere Begleitsymptome1
- Kopfschmerzen
- Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
- Depression
- Potenzstörungen
- Persönlichkeitsveränderungen
- einschlafbedingte Unfälle
- Schlafanamnese
- typische Schlafdauer und -zeiten
- Störfaktoren (z. B. Alkohol, Kaffee)
- Medikamentenanamnese
- Familienanamnese
- Auswirkungen auf das soziale und berufliche Leben
- Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen, Ausbildung, Arbeit, Fahrtauglichkeit, Gefühlslage und Lebensqualität1
- Fremdanamnese bzgl. Auffälligkeiten im Schlaf
- Eine strukturierte Anamnese anhand spezifischer Fragebögen wird empfohlen.
- z. B. Einsatz der Epworth Schläfrigkeits-Skala (ESS)
- deutsche Version auf der Seite DGSM
- bei Narkolepsie meist Punktzahlen von 15 oder höher
- Screeninginstrument
- z. B. Einsatz der Epworth Schläfrigkeits-Skala (ESS)
Narkolepsie in der Kindheit
- Der Grad der Tagesschläfrigkeit ist sehr variabel.14
- bei Vorschulkindern ausgiebiger Mittagsschlaf und längerer Nachtschlaf
- bei Schulkindern Müdigkeit und plötzliches Einschlafen tagsüber
- Betroffene Kinder können unaufmerksam, reizbar und aggressiv sein.14-16
Klinische Untersuchung
- Allgemeine körperliche Untersuchung
- Die körperliche Untersuchung ist bei Narkolepsie meist unauffällig.
- Übergewicht und Bluthochdruck können differenzialdiagnostisch auf ein Schlafapnoe-Syndrom deuten.
- Orientierende neurologische Untersuchung
- Neurologische Auffälligkeiten können Hinweis auf zugrunde liegende Erkrankungen geben.
Diagnostik beim Spezialisten
- Untersuchungen im Schlaflabor
- Polysomnografie
- kurze Einschlaf- und REM-Latenz
- Schlaffragmentierung
- „Periodic Limb Movements“ in Non-REM- und REM-Schlafstadien
- ggf. REM-Schlaf ohne Atonie
- Einschlaflatenztest (Multiple Sleep Latency Test, MSLT)
- Bestimmung der Dauer zum Einschlafen in einem abgedunkelten Raum über mehrere Durchgänge
- Polysomnografie
- Ggf. Lumbalpunktion
- Bestimmung von Hypocretin im Liquor:1bei Narkolepsie ohne Kataplexie oft auch normal
- Ggf. HLA-Typisierung
- Test insbesondere auf HLA-Typ DRB1*1501, DQB1*0602
- Ggf. zerebrale Bildgebung
- CT oder MRT des Schädels
- v. a. bei Verdacht auf sekundäre Narkolepsie (z. B. bei Hirntumor)
Indikationen zur Überweisung
- Bei Verdacht auf die Erkrankung
Therapie
Therapieziele
- Lebensqualität verbessern.
- Soziale und berufliche Teilhabe ermöglichen.
- Tagesmüdigkeit reduzieren.
- Kataplexie und Einschlafattacken vermeiden.
- Über die Erkrankung aufklären und beraten.
Allgemeines zur Therapie
- Eine interdisziplinäre Therapie ist empfohlen.
- Vor- und Nachteile einer medikamentösen Behandlung müssen abgewogen werden.
- Die Narkolepsie begleitet die Betroffenen lebenslang.
- Betroffene und Angehörige sollten ausführlich über die Erkrankung aufgeklärt werden.
- Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen können einen wertvollen Beitrag leisten.
- Die Leistungsfähigkeit in der Schule und im Beruf ist häufig eingeschränkt.
Leitlinie: Therapie der Narkolepsie1
Nichtmedikamentöse Therapien
- Verhaltensmodifizierende Maßnahmen
- Verbesserung von Coping-Strategien
- Schlafhygiene
- individuell angepasste Tagschlafepisoden
Medikamentöse Therapie
- Meist ist eine Dauertherapie erforderlich.
- regelmäßige ambulante Kontrollen (Toleranzentwicklung, Abhängigkeit, kardiovaskuläre Nebenwirkungen, Hepatotoxizität)
- Therapie der 1. Wahl bei Tagesschläfrigkeit
- Modafinil
- Therapie der 1. Wahl bei Tagesschläfrigkeit
- Dosierung 200–400 mg/d
- Natrium-Oxybat (Gamma-Hydroxybuttersäure; unterliegt Betäubungsmittelgesetz)
-
- zur Behandlung aller Kernsymptome der Narkolepsie (insbesondere schwere Kataplexie)
- Dosierung 4,5–9 g pro Nacht
- Methylphenidat (unterliegt Betäubungsmittelgesetz)
- Dosierung 10–60 mg/d
- Modafinil
- Therapie bei Kataplexien, Schlaflähmungen, hypnagoge Halluzinationen
- Natrium-Oxybat (Gamma-Hydroxybuttersäure; unterliegt Betäubungsmittelgesetz)
- gegen Kataplexien besonders gut wirksam
- Clomipramin
- Dosierung 10–150 mg/d
- selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI)
- tri-/tetrazyklische Antidepressiva oder MAO-Hemmer
- Natrium-Oxybat (Gamma-Hydroxybuttersäure; unterliegt Betäubungsmittelgesetz)
Medikamentöse Therapie
- Modafinil1,18
- Medikament aus der Gruppe der Psychostimulanzien mit weniger Toleranzentwicklung und Nebenwirkungen als Amphetamine
- zur Behandlung bei Schläfrigkeit im Rahmen der Narkolepsie zugelassen
- Mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Leberfunktionseinschränkungen und Unverträglichkeitsreaktionen
- Natrium-Oxybat (Gamma-Hydroxybuttersäure)
- eng verwandt mit dem Neurotransmitter GABA (Gamma-Aminobuttersäure)
- Unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz, und ist somit (BtM-) rezeptpflichtig.
- für die Therapie von Narkolepsie mit Kataplexie zugelassen
- sedierende Wirkung, daher abendliche Einnahme empfohlen
- Alkoholkonsum stellt eine Kontraindikation dar.
- Methylphenidat
- Substanz mit struktureller Ähnlichkeit zu Amphetaminen
- Unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz, und ist somit (BtM-) rezeptpflichtig.
- Einsatz hauptsächlich in der Therapie von ADHS, seltener bei Narkolepsie
- Mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Nervosität und Reizbarkeit
Empfehlungen für Patienten
- Patientenedukation1
- Aufklärung des Betroffenen und Angehörigen über die Erkrankung und den Verlauf
- Empfehlungen zum Schlafverhalten19
- regelmäßiger und ausreichender Schlaf empfohlen
- Reduktion von Alkohol und Kaffee erproben.
- Vermeidung von Medikamenten, die zu Müdigkeit führen.
- z. B. Benzodiazepine, Opiate, Antipsychotika, Antiepileptika
- Anpassungen in Ausbildung und Beruf
- Zum Beispiel Risikoberufe, das Betätigen von Maschinen, Berufskraftfahrer usw. vermeiden.
- Möglichkeit zur Bewegung und zu kurzen Schlafpausen (10–20 min.)
- Beurteilung der Fahreignung
- Ausschluss der Fahreignung bei unbehandelter oder therapierefraktärer schwerer Tagesschläfrigkeit
- Näheres siehe auch Artikel Beurteilung der Fahreignung.
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Chronische Erkrankung mit variablem Verlauf
- Symptome der Narkolepsie können durch Therapie gebessert werden.
- Die Erkrankung hat fast immer Auswirkungen auf die Lebensqualität.20
- Einschränkungen in Beruf, Bildung, Hausarbeit und sozialem Leben
Komplikationen
- Berufliche und soziale Einschränkungen
- Unfallgefahr durch Einschlafattacken
- Erhöhte Rate an psychischer Komorbidität, v. a. Depression
- Ggf. erhöhte Inzidenz degenerativer Erkrankungen1
Prognose
- Narkolepsie ist eine chronische Erkrankung ohne kausale Therapie.
- Keine Assoziation mit erhöhter Mortalität1
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Weitere Informationen
- Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM): www.dgsm.de
- Ein interessante Fall der Nebenwirkung von Natrium-Oxybat bei Narkolepsie findet sich bei Coliquio.
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Narkolepsie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-056. S1, Stand 2012. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Narkolepsie. AWMF-Leitlinie Nr. 030-056, Stand 2012. www.awmf.org
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Autoren
- Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breisgau
- Bjørn Bjorvatn, professor dr.med., Seksjon for allmennmedisin, Universitetet i Bergen, og leder av Nasjonalt Kompetansesenter for søvnsykdommer, Haukeland Universitetssykehus
- Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL