Zusammenfassung
- Definition: Der lange Brustkorbnerv entspringt dem Plexus brachialis aus C5–C7 und innerviert den M. serratus anterior. Eine Dysfunktion des Nerven kann zur einer Lähmung des Muskels mit Abstehen des Schulterblatts (Scapula alata) und Unfähigkeit zur Elevation des Arms über die Horizontale führen.
- Häufigkeit: Ein seltener Nervenschaden, durch Kompression, traumatisch, entzündlich oder iatrogen bedingt.
- Symptome: Einschränkung in der Bewegung von Arm und Schultergelenk und diffuse Schulter- oder Nackenschmerzen, die durch Aktivitäten über dem Kopf verstärkt werden.
- Befunde: Lähmung des M. serratus anterior mit abstehendem Schulterblatt.
- Diagnostik: Die klinische Untersuchung ist meist aussagekräftig, als ergänzende Untersuchungen stehen EMG und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit zur Verfügung.
- Therapie: Die Therapie ist in den meisten Fällen konservativ: Entlastung, Bewegung und Krafttraining – in seltenen Fällen Operation.
Allgemeine Informationen
Definition
- Der N. thoracicus longus (langer Brustkorbnerv) geht als rein motorischer Nerv von C5–C7 aus dem supraclaviculären Anteil des Plexus brachialis ab und innerviert den M. serratus anterior. Eine Dysfunktion des Nerven kann zur Lähmung des Muskels und zum Abstehen des Schulterblatts nach hinten (Scapula alata) führen.
- Der M. serratus anterior verläuft gefiedert von der lateralen Thoraxwand zum inneren Rand der Scapula. Er hat zwei Funktionen, erstens den Arm gestreckt nach vorne anzuheben. Seine zweite Aufgabe ist es, das Schulterblatt nach vorne zu ziehen und derart auch indirekt bei der Rotation des Schulterblattes zu helfen.1
- Der N. thoracicus longus kann durch Schläge/Stöße gegen die Schulter, insbesondere von oben, geschädigt werden, da er relativ oberflächlich und somit ungeschützt verläuft.
Klinische Anatomie
- Der Nerv geht von C5–C7 aus und innerviert den M. serratus anterior als rein motorischer Nerv.
- Die Nervenwurzeln von C5 und C6 durchlaufen den M. scalenus medius, während die C7-Fasern (die manchmal fehlen können) vor diesem Muskel entlang laufen.
- Der Nerv verlässt den Plexus brachialis früh und verläuft mit der A. thoracica lateralis durch die Fossa axillaris am M. serratus anterior nach unten.
- Er verläuft auf der Oberfläche des M. serratus anterior und an der Außenseite des Brustkorbs entlang, bis er am unteren Teil des Muskels endet.
Ätiologie und Pathogenese
- Schäden am N. thoracicus longus enstehen durch Kompression, traumatisch, entzündlich oder iatrogen.
- Typischerweise treten Schädigungen nach dem Tragen schwerer Lasten (Rucksack) oder durch Schläge von oben auf die Schulterregion auf.
- Weiterhin können Kompressionserscheinungen auftreten nach exzessivem Krafttraining/Bodybuilding.
- Bei Sportarten, die eine chronische, kontinuierliche Streckung des Nerven beinhalten wie Tennis, Schwimmen oder Baseball sind Schädigungen des N. thoracicus longus beschrieben.2
- Iatrogene Läsionen nach ausgedehnten Operationen im Bereich der Achselhöhle, z. B. Lymphknotenausräumungen, treten ebenfalls auf.3-5
- Im Rahmen von entzündlichen Erkrankungen des Plexus brachialis, wie der neuralgischen Schulteramyotrophie (Idiopathische Armplexusneuritis) treten auch Schädigungen des N. thoracicus longus auf.6
- Selten treten Irriationen des Nerven auf durch eine akzessorische Halsrippe oder einen prominenten Quervorsatz von Wirbelkörper C7.
ICPC-2
- N81 Verletzung Nervensystem, andere
ICD-10
- G58 Sonstige Mononeuropathien
- G58.8 Sonstige Mononeuropathien der oberen Extremität
- S44 Verletzung von Nerven in Höhe der Schulter und des Oberarmes
- S44.8 Verletzung sonstiger Nerven in Höhe der Schulter und des Oberarmes
Diagnostik
Anamnese
- Die Patienten stellen sich häufig mit diffusen Schulter- oder Nackenschmerzen vor, die bei Aktivitäten über dem Kopf stärker werden.
- Die Lähmung erschwert das Anheben des Armes.
Klinische Untersuchung
- Eine Lähmung des M. serratus anterior führt zu erschwerter Elevation des Armes nach vorne über die Horizontale hinaus.
- Der fehlende muskuläre Zug nach unten und zur Brustwand hin zeigt sich in einem Abstehen des Schulterblattes nach hinten (Scapula alata).
- Diese ist meist am deutlichsten sichtbar, wenn der Patient die ausgestreckten Arme gegen eine Wand drückt.
- Das Durchführen von Liegestützen ist typischerweise nicht mehr möglich.
- Sensorische Ausfälle treten nicht auf.
Diagnostik beim Spezialisten
- Ein Röntgenthorax kann evtl. eine zervikale Rippe oder einen verlängerten Querfortsatz an C7 zeigen.
- EMG
- Messung der Nervenleitgeschwindigkeit
Therapie
Allgemeines zur Therapie
- Therapie und Prognose sind vom zugrunde liegenden Typ der Verletzung abhängig.
- Indirekte Druckschäden
- Bessern sich meist spontan innerhalb von 6–24 Monaten, da es sich in der Regel um einen inkompletten Nervenschaden handelt.
- Die Patienten sollten Bewegungen vermeiden, die den Schmerz auslösen und keine schweren Lasten auf den Schultern tragen.7
- Physio- und Bewegungstherapie sind für die Aufrechterhaltung der Beweglichkeit und zur Stärkung der Umgebungsmuskulatur wichtig.
- Eine allgemeine Schmerztherapie mit NSAR ist möglich.
- Zur Behandlung von im Verlauf auftretenden neuropathischen Schmerzen werden verschiedene systemisch verabreichte Substanzgruppen mit unterschiedlichen pharmakologischen Wirkprinzipien eingesetzt, wie Antidepressiva, Antikonvulsiva und Opioide.8
- 5 % der Patienten sprechen auf eine konservative Therapie gut an.1
Operative Therapie
- Bei persistierenden Beschwerden kann eine Neurolyse, d. h. Dekompressionsoperation erwogen werden.
- Eine Operation mit Muskel- und/oder Nerventransfer lindert ausgeprägte Bewegungsstörungen.9
- Als Ultima Ratio bleibt eine Schulterblattversteifung möglich.1
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Prognose
- Bei indirekten Druckverletzungen gut, diese heilen meist spontan aus.
- Substanzielle Nervenverletzungen heilen in der Regel mit einem funktionellen Defekt (Ausnahme: kindliches Alter). Die Qualität und der Zeitpunkt der Primärversorgung haben (neben patientenbezogenen Faktoren) Einfluss auf das Behandlungsergebnis.4
- Direkte Schädigungen des Nerven führen häufig zu permanenten Schäden und zu persistierender Lähmung.
Illustrationen

Plexus brachialis
Quellen
Leitlinien
- Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), Deutsche Gesellschaft für Neurochirugie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) u.a. Nervenverletzungen, Versorgung peripherer.... AWMF Leitlinie 005-010. S3, Stand 2013. www.awmf.org
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Chronische neuropathische Schmerzen, Pharmakologische nicht interventionelle Therapie. AWMF Leitlinie 030-114. S1, Stand 2012. www.awmf.org
Literatur
- Orthopädie, Schultersprechstunde, Klinikum Dortmund (Mitte). www.schulterinfo.de
- Neal SL, Fields KB. Peripheral nerve entrapment and injury in the upper extremity. Am Fam Physician 2010; 81: 147-55. www.ncbi.nlm.nih.gov
- Krasna MJ, Forti G. Nerve injury: injury to the recurrent laryngeal, phrenic, vagus, long thoracic, and sympathetic nerves during thoracic surgery. Thorac Surg Clin 2006; 16:267. PubMed
- Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH), Deutsche Gesellschaft für Neurochirugie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) u.a. Nervenverletzungen, Versorgung peripherer.... AWMF Leitlinie 005-010. S3. Stand 2013. www.awmf.org
- Antoniadis G, Kretschmer T, Pedro MT, König RW, Heinen C, Richter HP. Iatrogene Nervenläsionen. Deutsches Ärzteblatt 2014; 111(16): 273-9. www.aerzteblatt.de
- Orphanet. Das Portal für seltene Erkrankungen und Orphan drugs. Neuralgische Amyotrophie. 2013. www.orpha.net
- Goslin KL, Krivickas LS. Proximal neuropathies of the upper extremity. Neurol Clin 1999; 17:525. PubMed
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Chronische neuropathische Schmerzen, Pharmakologische nicht interventionelle Therapie. AWMF Leitlinie 030-114. S1. Stand 2012. www.awmf.org
- Galano GJ, Bigliani LU, Ahmad CS, Levine WN. Surgical treatment of winged scapula. Clin Orthop Relat Res 2008; 466:652. PubMed
Autoren
- Caroline Beier, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
- Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
- Erik Stålberg, professor emeritus och läkare, Institutionen för neurovetenskap, avd för klinisk neurofysiologi, Uppsala universitet (Medibas)