Anstrengungsinduzierte Kopfschmerzen

Zusammenfassung

  • Definition: Im Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung hervorgerufene Kopfschmerzen. Klassifiziert als primäre Kopfschmerzform ohne zugrunde liegende Erkrankung.
  • Vorkommen: Prävalenz: etwa 1–10 %. Erstmanifestation im jungen Erwachsenenalter.
  • Symptome: Der Kopfschmerz ist in der Regel pulsierend, bilateral und zumeist im Hinterkopf lokalisiert und tritt im Gefolge körperlicher Anstrengung auf.
  • Befunde: Keine krankheitsspezifischen neurologischen Befunde.
  • Diagnostik: Beim ersten Auftreten ist eine stationäre Einweisung indiziert, um eine Subarachnoidalblutung oder eine arterielle Dissektion auszuschließen. Bei wiederholtem Auftreten sind weitere Bildgebungen nicht notwendig.
  • Therapie: Wichtigster Therapieansatz ist das Unterlassen der den Kopfschmerz provozierenden Aktivitäten. Wenn dies nicht möglich ist, können Indometacin, NSAR oder Propranolol (off label) prophylaktisch eingenommen werden. Ein Großteil der Patienten spricht auf Indometacin therapeutisch gut an. Die Prognose ist gut. Die Beschwerden verschwinden im Verlauf in der Regel von alleine. 

Allgemeine Informationen

Definition

  • Kopfschmerz ausgelöst durch eine Form von körperlicher Anstrengung ohne Vorliegen einer intrakraniellen Erkrankung1
  • Der Anstrengungskopfschmerz gehört zu den primären Kopfschmerzarten, die keiner anderen Erkrankung kausal zugeordnet werden können.2
  • Der primäre Anstrengungskopfschmerz erfüllt folgende Kriterien:1
    • ausgelöst von oder nur auftretend während starker körperlicher Betätigung
    • Dauer < 48 Stunden.
  • Die meisten Patienten berichten über einen pulsierenden Charakter.
    • Jugendliche Betroffene klagen meist nur über Kopfschmerzen < 5 Minuten.
  • Vom Anstregungskopfschmerz zu unterscheiden sind:3
    • Husten-Kopfschmerz
    • Kopfschmerz durch sexuelle Aktivitäten.
  • Beim erstmaligen Auftreten eines Anstrengungskopfschmerzes ist es wichtig, eine Subarachnoidalblutung, eine arterielle Dissektion und das reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom (RCVS)4 auszuschließen.1 

Häufigkeit

  • Relativ seltene Erkrankung; eine genaue Epidemiologie liegt nicht vor.5
  • Veschiedene Studien berichten von einer Prävalenz zwischen 1–12 % der Erwachsenen.5-6
  • Das Geschlechtsverhältnis ist ungeklärt.
  • Erstmanifestation im jungen Erwachsenenalter7
  • Bei ca. 40 % der Betroffenen liegt eine Komorbidität mit primärem Kopfschmerz bei sexueller Aktivität vor.3,8
  • In ca. 46 % der Fälle Komorbidität mit Migräne8

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ursachen sind nicht bekannt.
  • Eine zugrunde liegende organische Erklärung für den primären Anstrengungskopfschmerz konnte bislang nicht gefunden werden.

Pathophysiologie

  • Die Pathophysiologie ist unbekannt.
  • Eine vaskuläre Genese wird angenommen. Venöse und arterielle Gefäßerweiterungen als Folge von körperlicher Anstrengung sollen den Kopfschmerz bedingen.
  • Kürzlich konnte nachgewiesen werden, dass eine Klappendysfunktion der Vena jugularis interna bei Patienten mit Anstrengungskopfschmerz häufiger nachweisbar ist als in gesunden Probanden (70 % im Vergleich zu 20 %).1
    • Ein bei Anstrengung auftretender venöser Rückfluss und eine konsekutive venöse Stauung könnten für die Beschwerden verantwortlich sein. 
  • Auch ein temporär erhöhter intrakranieller Druck kommt als eine mögliche Erklärung in Betracht.
  • Obwohl im Prinzip jede Aktivität, die den intrakraniellen Druck ansteigen lässt, zu einem Anstrengungskopfschmerz führen kann, führen bestimmte Aktivitäten diesen häufiger herbei.
    • z. B. Gewichtheben, Joggen und Rudern
    • Niedrigintensive Aktivitäten wie Wandern, Schwimmen und Radfahren lösen diese Art von Kopfschmerz seltener aus.

Sekundärer Anstrengungskopfschmerz

  • Frühere Kopfverletzung(en)
  • Raumfordernde Prozesse in der supratentoriellen und posterioren Fossa cranii
  • Vaskuläre Anomalien wie Aneurysmen oder arteriovenöse Malformationen
  • Intrakranielle Blutung

Prädisponierende Faktoren

  • Anstrengende körperliche Aktivität
  • Hohe Außentemperaturen/Hitze
  • Große Höhen

ICPC-2

  • N01 Kopfschmerz

ICD-10

  • G44 Sonstige Kopfschmerzsyndrome
    • G44.8 Sonstige näher bezeichnete Kopfschmerzsyndrome

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Leitlinie: International Classification of Headache Disorders ICHD-31

Belastungskopfschmerzen

  • A. Mindestens 2 Episoden von Kopfschmerz, der die Kriterien B und C erfüllt.
  • B. Ausgelöst von oder nur auftretend während anstrengender körperlicher Betätigung
  • C. Dauer < 48 Stunden
  • D. Durch keine andere ICHD-3-Diagnose besser beschrieben
  • Der Kopfschmerz tritt akut im Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung auf.
  • Es treten kurze, oft pulsierende Kopfschmerzattacken auf, die weniger als 2 Tage lang anhalten.
  • Oft dauern die Kopfschmerzen nur wenige Minuten an. 
  • Beim erstmaligen Auftreten eines Anstrengungskopfschmerzes ist es wichtig, eine Subarachnoidalblutung, eine arterielle Dissektion und das reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom (RCVS)4 auszuschließen. 
  • Bildgebende Diagnostik beim (erstmaligen Auftreten von) Anstrengungskopfschmerz
    • entsprechend einer Subarachnoidalblutung (s. u.)
    • EKG
    • ggf. 24-h-RR
  • Diagnostik bei V. a. eine Subarachnoidalblutung
    • CCT
    • wenn cCT negativ: Liquorpunktion
    • ggf. MRT, Angio-CT, Angiografie, transkranieller Doppler
  • Bei Verdacht auf eine Gefäßdissektion ist eine extrakranielle Doppler-/Duplexsonografie sinnvoll, wobei hier die Kernspintomografie mit fettsuprimierten Sequenzen sensibler ist.
  • Eine kranielle Bildgebung ist bei typischer Anamnese und normalem neurologischem Befund beim Anstrengungskopfschmerz nur bei der ersten Episode zum Ausschluss der Differenzialdiagosen bzw. bei verändertem Schmerzcharakter notwendig. 
    • Bei schon längerfristig bestehenden, konstanten Kopfschmerzen ist eine wiederholte Bildgebung nicht erforderlich. 

Differenzialdiagnosen

  • Subarachnoidalblutung (SAB) 
    • explosionsartiger Kopfschmerz mit ggf. Bewusstseinseintrübung, in der Regel durch eine Aneurysmaruptur
  • Kopfschmerz durch ein reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS)4
    • sekundärer Kopfschmerz, ausgelöst durch reversible zerebrale Vasokonstriktionen, getriggert durch sexuelle Aktivität, körperliche Anstrengung, Valsalva-Manöver oder starke Emotionen
  • Migräne
    • Migräneanfälle können durch körperliche Anstrengung ausgelöst werden. 
  • Kardialer Anstrengungskopfschmerz
    • In Fällen mit höherem Erstmanifestationsalter und Vorliegen vaskulärer Risikofaktoren muss auch eine koronare Herzerkrankung als Ursache eines symptomatischen Kopfschmerzes bei körperlicher Anstrengung ausgeschlossen werden. 

Anamnese

  • Die Schmerzen treten üblicherweise akut und in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu körperlichen Anstrengungen auf.
  • Der Kopfschmerz ist in der Regel pulsierend, bilateral und zumeist im Hinterkopf lokalisiert. Er ist nur selten mit Übelkeit oder Erbrechen verbunden.
  • Es gibt sowohl kurzzeitige als auch länger andauernde Verlaufsformen.
    • Die Kopfschmerzen können von 5–20 Minuten bis zu 2 Tagen anhalten.
    • Länger als 48 Stunden andauernde Kopfschmerzen sind nicht mit der Diagnose vereinbar.

Klinische Untersuchung

  • Die Anamnese ist zielführend.
  • Keine krankheitsspezifischen Befunde, normaler neurologischer Status

Ergänzende Untersuchungen

  • Evtl. weitere Untersuchungen sind nur zum Zweck der Differenzialdiagnostik relevant.
  • Schädel-CT und Lumbalpunktion
    • Beim erstmaligen Anfall kommt es vor allem darauf an, möglichst zeitnah eine Subarachnoidal-/Aneurysmablutung auszuschließen.
    • Es ist zu beachten, dass eine normale CT keine Subarachnoidalblutung ausschließt, bei negativem CT muss dann eine Liquorpunktion folgen.
  • MRT
    • Die Relevanz steigt mit dem Alter, sofern die Kopfschmerzen über mehrere Stunden anhalten oder von Erbrechen oder fokalen neurologischen Symptomen begleitet sind.
    • Kann auch eingesetzt werden, um vaskuläre Ursachen oder strukturelle Läsionen auszuschließen.
  • Angio-CT/Angiografie
    • bei Verdacht auf ein Aneurysma
  • EKG
    • bei Verdacht auf eine begleitende koronare Herzkrankheit9
    • In Fällen mit höherem Erstmanifestationsalter und Vorliegen vaskulärer Risikofaktoren muss auch eine koronare Herzerkrankung als Ursache eines symptomatischen Kopfschmerzes bei körperlicher Anstrengung ausgeschlossen werden (sog. kardialer Anstrengungskopfschmerz).7
  • Evtl. Langzeit-Blutdruckmessung zum Ausschluss einer Belastungshypertonie

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf Subarachnoidalblutung sollte eine umgehende Klinikeinweisung erfolgen.
  • Überweisung zur weiteren neurologischen Abklärung bei erstmaligem Auftreten

Therapie

Therapieziel

  • Die Häufigkeit und Intensität der Kopfschmerzattacken reduzieren.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Dauer eines Anfalls lässt sich verkürzen, indem die den Anfall provozierende Aktivität eingestellt wird, sobald sich erste Anzeichen der Kopfschmerzen bemerkbar machen.

Empfehlungen für Patienten

  • Aufwärmen vor sportlicher Betätigung, regelmäßiges Training
  • Vermeidung von Belastung bei Hitze oder in großer Höhe

Medikamentöse Therapie

  • Evidenzbasierte Empfehlungen zu geben, ist schwierig.
  • Einzelfallberichte sprechen von einer Besserung unter prophylaktischer Einnahme von Ergotaminen.1
  • Indomethacin, hilfreich bei einem Großteil der Patienten1,10
    • 3-mal 25–50 mg als Kurzzeitprophylaxe7
    • zugelassen zur Behandlung von Schmerzen und Entzündungen
  • Naproxen und andere NSAR
    • therapeutisch und ggf. prophylaktisch 30–60 Minuten vor Beginn der Anstrengung
    • zugelassen zur Behandlung von Schmerzen und Entzündungen
  • Empfehlungen gibt es zudem zu Propranolol.7,11
    • 40–200 mg/Tag während des Zeitraums, in dem die Beschwerden bestehen.
    • Cave: Beim Anstrengungskopfschmerz Off-Label-Einsatz!
  • Für alle längerfristig prophylaktisch eingenommenen Medikamente gilt: 
    • Da spontane Remissionen die Regel sind, sollte nach einer Therapiedauer von ca. 6–8 Wochen ein Auslassversuch unternommen werden.7

Prävention

  • Ist der Auslöser bekannt und kann nicht vermieden werden, können NSAR/Indometacin oder Ergotamine kurz vor Beginn der Anstrengung prophylaktisch eingenommen werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Krankheitssymptomatik geht normalerweise im Laufe einiger Wochen oder Monate von selbst zurück.
    • Spontanremissionen sind die Regel, symptomatische Phasen können aber wenige Tage bis mehrere Jahre anhalten.7

Prognose

  • Die Prognose ist gut.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • The International Classification of Headache Disorders 3rd edition. International Headache society. Stand 2018. www.ichd-3.org

Literatur

  1. The International Classification of Headache Disorders 3rd edition. 4.2 Primary exercise headache. International Headache society, Stand 2018. www.ichd-3.org
  2. The International Classification of Headache Disorders 3rd edition. International Headache society, Stand 2018 www.ichd-3.org
  3. The International Classification of Headache Disorders 3rd edition. Other primary headache disorders. International Headache society, Stand 2018. www.ichd-3.org
  4. The International Classification of Headache Disorders 3rd edition. 6.7.3 Headache attributed to reversible cerebral vasoconstriction syndrome (RCVS). International Headache society, Stand 2018 www.ichd-3.org
  5. Rasmussen BK, Olesen J. Symptomatic and nonsymptomatic headaches in a general population. Neurology 1992; 42: 1225. Neurology
  6. Sjaastad O, Bakketeig LS. Exertional headache. I. Vaga study of headache epidemiology. Cephalalgia 2002; 22: 784. PubMed
  7. Evers S, Frese A, May A, Sixt G, Straube A. Therapie seltener idiopathischer Kopfschmerzerkrankungen - Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Nervenheilkunde 2005; 24: 217–26. www.dmkg.de
  8. Sjaastad O, Bakketeig LS. Exertional headache – II. Clinical features Vaga study of headache epidemiology. Cephalalgia 2003; 23: 803-7. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Cutrer FM, Huerter K. Exertional headache and coronary ischemia despite normal electrocardiographic stress testing. Headache 2006; 46: 165. PubMed
  10. Slavik RS, Rhoney DH. Indomethacin: a review of its cerebral blood flow effects and potential use for controlling intracranial pressure in traumatic brain injury patients. Neurol Res 1999; 21: 491. PubMed
  11. Mayo-Clinic. Diseases and Conditions: Exercise headaches. Mayo Foundation for Medical Education and Research (MFMER). Stand 2015. www.mayoclinic.org

Autoren

  • Caroline Beier, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL
  • Elisabet Waldenlind, docent och överläkare, Neurologiska kliniken, Karolinska universitetssjukhuset (Medibas)

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