Hepatitis D

Zusammenfassung

  • Definition:Akute Hepatitis, die durch das Hepatitis-D-Virus (HDV) verursacht wird. Das HDV ist ein unvollständiges Virus, das zu seiner Vermehrung das Hepatitis-B-Virus (HBV) benötigt; es entwickeln sich oft schwerere Krankheitsverläufe.
  • Häufigkeit:Etwa 5 % aller chronisch infizierten HBV-Träger*innen sind auch mit dem HDV infiziert.
  • Symptome:Das Krankheitsbild entspricht einer Hepatitis B.
  • Befunde:Variieren. Akute Hepatitis mit mildem bis fulminantem Verlauf, asymptomatische Trägerschaft bis hin zur chronischen Hepatitis mit rascher Progredienz.
  • Diagnostik:Antikörpernachweis: Anti-HDV-IgM bei akuter Infektion; Anti-HDV-IgG nach Ablauf der akuten Phase und bei Chronifizierung.
  • Therapie:Leitlinien empfehlen die Behandlung mit pegyliertem Interferon, dies ist nur bei etwa 30 % der Behandelten wirksam. Mit Bulevirtide steht erstmalig eine spezifische medikamentöse Therapie der Hepatitis D zur Verfügung.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4
  • Das Hepatitis-Delta-Virus (HDV) ist als unvollständiges Virus auf die Symbiose mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) angewiesen.
  • HDV und HBV können gleichzeitig übertragen werden (Simultaninfektion). In diesem Fall ist die Inkubationszeit für beide Infektionen gleich, und es entwickelt sich häufig eine schwere akute Hepatitis mit ggf. zwei Transaminasegipfeln. 
  • HBV-Träger*innen können sich auch nachträglich noch mit dem HDV infizieren (Superinfektion), was dann bei den meisten Patient*innen zu schweren chronischen Krankheitsverläufen führt.
  • Die Inkubationszeit kann 45180 Tage betragen. Die Dauer ist besonders von der Erregerdosis, dem Infektionsweg und dem Immunstatus der exponierten Person abhängig.

Häufigkeit

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4
  • Das Hepatitis-D-Virus ist weltweit verbreitet.
  • Hochprävalenzgebiete sind u. a. der Mittelmeerraum, der Mittlere Osten, Pakistan, Mittel- und Nordasien, Japan, Taiwan, Grönland, Afrika, das Amazonasbecken und bestimmte Gebiete des Pazifiks.
  • 37,6 % der HBsAg-Träger*innen mit i. v. Drogenkonsum und 17,1 % mit riskantem Sexualverhalten sind mit HDV infiziert.
  • In Deutschland ist Hepatitis D eine seltene Erkrankung.
    • 2019 wurden dem Robert Koch-Institut 65 Erkrankungen gemeldet, wobei nur in 8 Fällen Deutschland als mögliches Infektionsland angegeben wurde.1
    • Die meisten Infektionen (58 %) wurden bei den 30- bis 49-jährigen Erwachsenen übermittelt.

Ätiologie und Pathogenese

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4
  • Es handelt sich um eine Infektion mit dem Hepatitis-D-Virus, einem defekten RNA-Virus, das zu seiner Vermehrung das Hepatitis-B-Virus benötigt.
  • Ein Hepatitis-D-Virion besteht aus einer äußeren Lipoproteinhülle, die vom Oberflächenantigen des HBV (HBsAg) gebildet wird, und einer inneren RNA-Struktur, die das HDV-Genom enthält.
  • Das HD-Ag löst bei der infizierten Person eine spezifische Immunreaktion mit Bildung von IgM- und IgG-Antikörpern aus.
  • Aufgrund des zeitlichen Ablaufs dieser spezifischen Immunreaktion lassen sich anhand der Konzentrationen von HDV-RNA, Anti-HDV (evtl. HD-Ag) und HBV folgende Infektionsformen unterscheiden:
    • akute HBV/HDV-Co-Infektion 
    • akute HDV-Superinfektion von chronischen HBV-Träger*innen
    • chronische HDV-Infektion.

Pathologie2

  • In den westlichen Industrieländern überwiegt der HDV-Genotyp I.
  • Eine chronische HDV-Infektion verschlechtert in der Regel eine bereits vorhandene Hepatitis B.
  • Dabei kann es zur raschen Progression in Richtung Leberzirrhose kommen.
  • Eine chronische Hepatitis D kann auch langsam fortschreiten; es gibt auch asymptomatische HDV-Träger*innen.

Übertragung2

  • Die Übertragung des HDV entspricht der des HBV, d. h. in der Regel erfolgt diese über infiziertes Blut oder Körperflüssigkeiten. Es kann über Verletzungen der Haut oder Schleimhaut in den Körper gelangen. Zudem ist es in Speichel, Tränenflüssigkeit, Sperma, Vaginalsekret, Menstrualblut und Kolostrum enthalten.
  • Eine direkte Kontaktübertragung von Mensch zu Mensch ist grundsätzlich möglich. Insbesondere erfolgt eine Infektion über die Benutzung infizierter Nadeln, Geschlechtsverkehr sowie über die Übertragung durch kontaminiertes Blut oder Blutprodukte. 
  • In westlichen Industrienationen sind Angehörige bestimmter Risikogruppen besonders gefährdet. In nicht-endemischen Gebieten ist die Infektion in der Regel auf intravenösen Drogenkonsum zurückzuführen.
  • Eine Übertragung des HDV kann mit dem HBV gleichzeitig stattfinden (Simultaninfektion) oder nachträglich als Superinfektion eines HBV-Trägers erfolgen.

Prädisponierende Faktoren2

  • HBV-Infektion
  • HBV-Träger*innen können sich mit HDV infizieren (Superinfektion). Meistens führt dies zur akuten Hepatitis und Progression der chronischen Lebererkrankung.
  • Intravenöser Drogenkonsum
  • Ungeschützte Sexualkontakte

ICPC-2

  • D72 Virushepatitis akut

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM 20215
    • B16.0 Akute Virushepatitis B mit Delta-Virus (Begleitinfektion) und mit Coma hepaticum
    • B16.1 Akute Virushepatitis B mit Delta-Virus (Begleitinfektion) ohne Coma hepaticum
    • B17.0 Akute Delta-Virus- (Super-) Infektion eines Hepatitis-B- (Virus-) Trägers
    • B18.0 Chronische Virushepatitis B mit Delta-Virus

Diagnostik

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4

Diagnostische Kriterien

  • Voraussetzung für die Erkrankung ist eine vorhandene HBV-Infektion.
  • Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis von Antikörpern.
    • Anti-HDV-IgM bei akuter Infektion und
    • Anti-HDV-IgG bei akuter, chronischer und ausgeheilter Infektion.
  • Der Nachweis von Anti-HDV zeigt keine Immunität an.
  • Eine akute Infektion liegt beim Nachweis von HDV-RNA vor.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Entsprechende Anamnese wie bei einer Hepatitis B
  • Das Krankheitsbild variiert: von akuter Hepatitis mit leichtem bis fulminantem Verlauf, asymptomatischer Trägerschaft bis hin zur chronischen Hepatitis mit rascher Progredienz.
  • Der Krankheitsverlauf hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. dem HDV-Genotyp.
  • Eine HDV-Superinfektion eines HBV-Trägers führt zu einer schwerer verlaufenden Lebererkrankung als eine alleinige HBV-Infektion. Die HDV-Superinfektion nimmt bei über 90 % der Infizierten einen chronischen Verlauf. Sie führt zu einer erhöhten Inzidenz für eine Leberzirrhose und zu einem früheren Auftreten von Leberzellkarzinomen.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis 

Biochemische Untersuchungen

Serologie (Hepatitis B)

  • HBsAg-Nachweis
    • bei akuter Hepatitis und chronischer Trägerschaft
    • Das Virus befindet sich im Körper, es besteht Ansteckungsgefahr.
  • HBeAg-Nachweis
    • Hochinfektiöser Träger; es besteht erhebliche Ansteckungsgefahr.
    • Wird bei nachgewiesener HBsAg-Trägerschaft getestet.
  • Anti-HBs-Nachweis
    • Abgelaufene Infektion oder Impfung; es besteht Immunität gegen Hepatitis B.
    • Ist bei manchen Patient*innen mit abgelaufener Infektion nach einigen Jahren nicht mehr nachweisbar.
  • Anti-HBe-Nachweis
    • chronische Trägerschaft
    • Hinweis auf eine mildere Verlaufsform und ein etwas geringeres Ansteckungsrisiko
  • Anti-HBc-Nachweis
    • abgelaufene und chronischer Infektion, lebenslang nachweisbar
    • Ist negativ bei geimpften Personen (Anti-HBc neg., Anti-Hbs pos.).
    • Dient zur Bestimmung des Immunstatus vor einer evtl. Impfung.
  • Bei Diagnoseunsicherheit
    • zusätzliche EBV- und CMV-Serologie

Serologie (Hepatitis D)3

  • Die Hepatitis-D-Diagnostik wird bei allen Patient*innen mit Hepatitis B/HBV-Infektion empfohlen.
  • Insbesondere bei:
    • akuter Hepatitis B und vorliegenden Risikofaktoren (intravenöser Drogenkonsum, Personen aus Endemiegebieten) und/oder besonders schweren und langanhaltenden Krankheitsverläufen
    • Exazerbation einer chronischen Hepatitis B zum Ausschluss einer Superinfektion
    • HBsAG-pos. Patient*innen mit chronischer Hepatitis zum Ausschluss einer HDV-Koinfektion.
  • Die Bestimmung von Anti-HDV-Antikörpern wird als Screening-Test empfohlen. Bei positivem Anti-HDV-Antikörper-Nachweis soll anschließend HDV-RNA bestimmt werden.
  • HBsAg 
    • Der Nachweis ist erforderlich.
  • HDAg
    • HDAg ist im Frühstadium einer akuten HDV-Infektion nachweisbar. Da es aber sehr kurzlebig ist, wird es nur noch selten zu Diagnosezwecken bestimmt.
    • Bei chronischer HDV-Infektion liegen hohe Anti-HDV-Titer vor, was den Nachweis von HDAg erschwert.
  • HDV-RNA
    • früh nachweisbarer, sensitiver Marker einer HDV-Replikation bei akuter Hepatitis
    • Bei chronischer HDV-Infektion liegt die Sensitivität bei nur 70–80 %. Wird HDV-RNA nicht nachgewiesen, sollte die Untersuchung wiederholt werden.
    • Die chronische HDV-Infektion ist durch die Persistenz der HDV-RNA über mindestens 6 Monate definiert; die Quantifizierung der HDV-RNA dient der Therapieüberwachung.
  • HDV-Antikörper (Anti-HDV)
    • Bestimmung von Anti-HDV-IgM und Anti-HDV-IgG
    • Sind etwa 4 Wochen nach Beginn einer akuten Hepatitis D nachweisbar und haben daher einen nur begrenzten klinischen Wert.

Nationales Referenzzentrum für Hepatitis B und D6

Indikationen zur Überweisung

  • Die Patient*innen sollten Spezialist*innen vorgestellt werden.

Therapie

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-4

Therapieziele

  • Schwere Leberschäden verhindern.
  • Infektiosität senken und eine Infektionsausbreitung verhindern.

Allgemeines

  • Primär
    • Suppression der HDV-Replikation mit Normalisierung der GPT
  • Sekundär
    • Elimination der HBV-Infektion; Nachweis durch Serokonversion von HBsAg zu Anti-HBs
    • Es weist wenig darauf hin, dass unter der derzeitig eingesetzten Therapie dieses Ziel erreicht werden kann.
  • Leitlinien empfehlen die Behandlung mit pegyliertem Interferon, dies ist jedoch auf Patient*innen mit kompensierter Krankheit beschränkt und bei etwa 30 % der Behandelten wirksam.
  • Aufgrund der begrenzten Behandlungsmöglichkeiten werden neue Wirkstoffe untersucht, zu denen neben Stimulatoren der Immunantwort des Wirts auch Inhibitoren der Viruspartikel (Eintritt, Zusammenbau, Export) gehören.
  • Es gelten die gleichen Präventionsmaßnahmen wie bei der Hepatitis B.
  • Aufgrund der spezifischen Symbiose mit HBV schützt die Impfung gegen Hepatitis B auch gegen Hepatitis D.

Medikamentöse Therapie

  • Eine spezifische Hepatitis-D-Therapie ist nicht verfügbar.
  • Pegyliertes Interferon(PEG-IFN)-alpha
    • Laut S3-Leitlinie zur Hepatitis B soll der Einsatz von PEG-IFN-alpha bei chronischer HBV/HDV-Koinfektion mit kompensierter Lebererkrankung geprüft werden (II/A).3
    • Die Leitlinien der American Association for the Study of Liver Diseases (AASLD), Asian Pacific Association for the Study of the Liver (APASL) und der European Association for the Study of the Liver (EASL) empfehlen PEG-IFN-alpha für 12 Monate.
    • Nur etwa 30 % der Behandelten sprechen auf die Therapie an.
  • Bulevirtide3,7-8
    • seit Juli 2020 als erstes Medikament zur spezifischen Behandlung der Hepatitis D vorläufig zugelassen
    • Hindert HDV und HBV am Eindringen in die Zelle.
    • In den zulassungsrelevanten Studien wurde Bulevirtide in Kombination mit PEG-IFN-alpha gegeben. Nach 48 Wochen dieser Behandlung war die Viruslast stark reduziert. Die HDV-RNA fiel in der Hälfte der Fälle unter die Nachweisgrenze.

Operative Therapie

  • Erkrankte mit dekompensierter Leberzirrhose oder akuter fulminanter Hepatitis D sollen für eine Lebertransplantation evaluiert werden.3

Prävention

  • Die Impfung gegen Hepatitis B schützt gleichzeitig gegen Hepatitis D.
  • Verbesserung des Impfschutzes bei besonders betroffenen Gruppen
  • Personen mit chronischer Hepatitis B können sich nur durch Vermeiden von Risikoverhalten (wie intravenöser Drogenkonsum oder ungeschützte Sexualkontakte) vor einer HDV-Superinfektion schützen.
  • Für Hepatitis B und D bestehen gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) namentliche Labor- und Arztmeldepflichten. Es besteht eine Meldepflicht nach § 6 IfSG für die feststellenden Ärzt*innen bei Verdacht auf bzw. Erkrankung oder Tod durch eine akute Virushepatitis.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Im Vergleich zur alleinigen HBV-Infektion kommt es bei Koinfektion mit dem HDV häufiger zur Entwicklung einer fulminanten Hepatitis.

Prognose

  • Die Simultaninfektion mit HBV und HDV führt meist zu einer schweren akuten Hepatitis, aber nur etwa 5 % der Patient*innen bleiben chronisch infiziert.
  • Die HDV-Superinfektion eines HBV-Trägers führt in der Regel zur chronischen Hepatitis mit rasch fortschreitender Leberschädigung und Entwicklung einer Leberzirrhose innerhalb von 10 Jahren.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-B-Virusinfektion. AWMF-Leitlinie Nr. 021–011. S3, Konsultationsfassung Dezember 2020. Letzter Zugriff 08.06.2021. www.dgvs.de

Literatur

  1. Robert Koch-Institut: Epidemiologisches Bulletin. Berlin 2020 (23.07.2020). www.rki.de
  2. Robert Koch Institut. Hepatitis B und D - RKI Ratgeber. Stand: 20.05.2016; letzter Zugriff 08.06.2021 www.rki.de
  3. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Hepatitis-B-Virusinfektion. AWMF-Leitlinie 021–011. S3, Konsultationsfassung Dezember 2020. Letzter Zugriff 07.06.2021. www.dgvs.de
  4. Gilman C, Heller T, Koh C. Chronic hepatitis delta: A state-of-the-art review and new therapies. World journal of gastroenterology 2019; 25(32): 4580–4597. www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 08.06.2021. www.dimdi.de
  6. Robert Koch-Institut. Nationale Referenzzentren und Konsilarlabore. Berlin, 2016 (29.03.2016). www.rki.de
  7. Erstes Medikament gegen Hepatitis D zugelassen. Deutsches Ärzteblatt, 5. August 2020. www.aerzteblatt.de
  8. Einecke, D. Hepatitis B und D: Entry-Inhibitor mit ermutigenden Ergebnissen in Phase 2b-Studie. Gastro-News 2019;6: 47. doi.org

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Mana Schmidt-Haghiri, Dr. med., Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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