Akute Cholangitis

Zusammenfassung

  • Definition:Infektion der Gallengänge, die meist durch eine Obstruktion verursacht wird.
  • Häufigkeit:Ca. 1 % der Patient*innen mit Cholelithiasis entwickeln eine Cholangitis.
  • Symptome:Schmerzen im rechten oberen Quadranten, Fieber, Ikterus, verschlechterter Allgemeinzustand, entfärbter Stuhlgang, bierbrauner Urin, ggf. Juckreiz.
  • Befunde:Ikterus, Fieber, Druckschmerz im rechten oberen Quadranten, Hypotonie und Tachykardie bei Sepsis.
  • Diagnostik:Prädisponierende Faktoren, Anamnese, klinische Untersuchung, Labor incl. Entzündungs- und Cholestaseparametern, Sonografie des Abdomens.
  • Therapie:Eine unverzügliche Diagnostik und Therapie sind notwendig, um eine Entwicklung zur Sepsis und septischem Schock zu verhindern. Kausale Therapie ist die Beseitigung von Konkrementen oder Obstruktionen aus dem Gallengang und Sicherstellung der Galledrainage mittels endoskopischer retrograder Cholangiografie (ERC). Breitspektrum-Antibiose, bei schwerem Verlauf Intensivtherapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die akute Cholangitis, früher auch als aszendierende Cholangitis bezeichnet, ist eine Infektion der Gallengänge, die meist durch eine Obstruktion verursacht wird.1
    • Eine unverzügliche Diagnostik und Therapie sind notwendig, um eine lebensbedrohliche Entwicklung zum septischen Schock mit Multiorganversagen zu verhindern.1

Häufigkeit

  • Eher selten, ca. 1 % der Patient*innen mit Cholelithiasis entwickeln eine Cholangitis.1
  • Letalitätsrate 3–10 %2

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Der Abschnitt basiert, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf dieser Referenz.1
  • Häufigste Ursache: Gallensteinleiden (28–70 % der Fälle)2
    • Ausschwemmung eines oder mehrerer Gallensteine in den Hauptgallengang mit konsekutiver Obstruktion
  • Weitere Ursachen
    • benigne Strikturen des Gallengangs
      • durch iatrogene Verletzungen (endoskopisch oder i. R. einer Cholezystektomie)
      • bei chronischer Pankreatitis
      • nach Radiatio
      • chemotherapieinduziert
    • primär oder sekundär sklerosierende Cholangitis
    • akute Pankreatitis
    • parasitärer Befall der Gallengänge (durch Ascaris lumbricoides oder Fasciola hepatica)
    • Kompression des Gallengangs von außen
    • Papillenfibrose
    • maligne Strikturen
  • Low Phospholipid Associated Cholelithiasis(LPAC)-Syndrom
    • Führt zu rezidivierenden Gallengangsteinen bei jungen Patient*innen.
    • durch Mutationen im Gen des hepatokanalikulären Phospholipidtransporters ABCB4

Pathogenese

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.3
  • Die Obstruktion führt zu Stase im Gallengangssystem.
  • Folgen
    • aszendierende Infektion mit Darmbakterien
      • Üblicherweise liegt eine Mischflora mit der Dominanz von gramnegativen Erregern (E. coli, Enterobacter, Klebsiellen), aber auch grampositiven Erregern (Enterokokken, Staphylokokken) vor. Anaerobier werden bei Infektionen der Gallengänge in 5–10 % der Fälle nachgewiesen.2
    • erhöhter Druck im Gallengangssystem 
      • Begünstigt ein Einwandern der Bakterien in die Blutbahn mit der Folge einer Sepsis.

Disponierende Faktoren

ICPC-2

  • D13 Gelbsucht

ICD-10

  • K83.08 Sonstige Cholangitis, inkl.:
    • Cholangitis: aszendierend
    • Cholangitis: eitrig
    • Cholangitis: rezidivierend
    • Cholangitis: stenosierend
  • K80.30 Gallengangsstein mit Cholangitis 
    • Ohne Angabe einer Gallenwegsobstruktion
  • K80.31 Gallengangsstein mit Cholangitis
    • Mit Gallenwegsobstruktion

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2,4
  • Die Verdachtsdiagnose einer Cholangitis ergibt sich aus:
    • Vorhandensein prädisponierender Faktoren
    • der Trias aus Fieber, Schmerzen im rechten oberen Quadranten und Ikterus (Charcot-Trias).
      • Diese wurde in verschiedenen Studien allerdings in nur 16 bis maximal 72 % der Fälle beobachtet.2

Diagnostische Kriterien (Tokyo-Guideline 2018) 

  1. Zeichen der systemischen Inflammation
    • Fieber oder/und
    • laborchemische Entzündungszeichen erhöht (Leukozyten, CRP)
  2. Erhöhte Cholestaseparameter (Bilirubin, AP, Gamma-GT und Transaminasen)
  3. Bildgebung durch transabdominelle Sonografie
    • dilatiertes Gallengangssystem > 7 mm – oder/und –
    • Nachweis eines Konkrementes oder eines anderen Abflusshindernisses
  • Hohe Wahrscheinlichkeit einer obstruktiven Cholangitis bei:
    • Vorliegen pathologischer Befunde aller drei diagnostischen Kategorien (1. + 2. + 3.) 
  • Verdacht auf Cholangitis
    • Wenn neben den systemischen Infektzeichen noch ein zweiter Parameter erfüllt ist (entweder Verschlussikterus bzw. erhöhte Cholestase-Parameter oder ein erweiterter Gallengang bzw. pathologischer Gallengangbefund).
  • Diese Diagnosekriterien erwiesen sich im Vergleich zur Charcot-Trias als signifikant überlegen.2

Beurteilung des Schweregrades 

  • Der höchste Schweregrad (Grad III) 
  • Mäßig schwere Verlaufsform (Grad II)
    • Nachweis von mindestens zwei der folgenden Kriterien: 
      • Leukozytose > 12 G/l oder Leukopenie < 4 G/l
      • Fieber ≥ 39 °C
      • Alter ≥ 75 Jahre
      • Gesamtbilirubin ≥ 5 mg/dl (103 μmol/l)
      • Albumin < 25 g/l (0,3762 mmol/l)
  • Grad I (milde Verlaufsform)
    • Wenn keine Kriterien für eine moderate oder schwere Verlaufsform gegeben sind.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.1-2
  • Vorhandensein prädisponierender Faktoren
  • Ikterus
  • Entfärbter Stuhlgang, bierbrauner Urin
  • Schmerzen im rechten oberen Quadranten
  • Fieber, Schüttelfrost
  • Reduzierter Allgemeinzustand
  • Insbesondere bei älteren Patient*innen Veränderungen des mentalen Zustandes 
  • Ggf. Juckreiz
  • Ggf. Übelkeit und Erbrechen

Klinische Untersuchung

  • Charcot-Trias
    • Ikterus
    • Fieber
    • Druckschmerz im rechten oberen Quadranten
  • Vitalparameter: Hypotonie und Tachykardie bei Sepsis1

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Bei klinischem Verdacht, v.a. bei Zeichen der Sepsis, sofortige Krankenhauseinweisung ohne Verzögerung durch weitere Diagnostik in der Hausarztpraxis
  • Sonografie Abdomen 
    • falls sofort verfügbar und durchführbar: zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose bzw. Differenzialdiagnostik
    • Darstellung eines dilatierten Hauptgallengangs > 7 mm oder Nachweis eines Konkrements oder anderen Abflusshindernisses2

Diagnostik im Krankenhaus

  • Kleines Blutbild, CRPGesamtbilirubin, Gamma-GT, AP, ALT, AST, Lipase, Kreatinin, Harnstoff, Natrium, Kalium, Magnesium, Prothrombinzeit, Quick, PTT1-2
  • Blutkulturen
  • Ggf. Blutgasanalyse (BGA)
  • Abdomensonografie 
    • Mittel der Wahl zur bildgebenden Erstdiagnostik
    • Sollte zügig in im Rahmen der Aufnahme durchgeführt werden.
    • Darstellung eines dilatierten Hauptgallengangs > 7 mm oder Nachweis eines Konkrements oder anderen Abflusshindernisses zur Sicherung der Diagnose2
  • Endosonografie/Cholangio(pankreatiko)grafie mittels MRT (MRCP)
    • Lassen sich sonografisch weder eine Gallengangerweiterung noch ein Gallengangkonkrement oder ein anderes Abflusshindernis nachweisen, sollten eine Endosonografie oder MRCP durchgeführt werden, um die Indikation zur endoskopischen retrograden Cholangiografie (ERC) zu klären.2
    • Die ERC kann, wenn indiziert, direkt im Anschluss an eine Endosonografie erfolgen.2
  • Computertomorafie (CT)
    • Kann trotz Limitationen in der Detektion kleiner Cholesterolkonkremente zur Diagnose einer akuten Cholangitis beitragen.2

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei V. a. Cholangitis unverzügliche Krankenhauseinweisung

Therapie

Therapieziele

Allgemeines zur Therapie

  • Bei Zeichen der Sepsis zunächst initiale Stabilisierung, ggf. Intensivtherapie6
    • unverzügliche Verabreichung von Breitspektrum-Antibiotika2
    • i. v. Flüssigkeitsgabe, Ausgleich von Elektrolytstörungen
    • Analgesie
    • Monitoring von Diurese und Vitalparametern
  • Kausale Therapie ist die Beseitigung der Obstruktion und adäquate Drainage des Gallensekrets.
  • Eine endoskopische Therapie der Obstruktion (Steinextraktion oder Drainage) soll in Abhängigkeit von der Dringlichkeit so rasch wie möglich, bei Zeichen der Sepsis unverzüglich, erfolgen.2

Medikamentöse Therapie

  • Volumersatztherapie, Korrektur von Elektrolytstörungen und Gerinnungsstörungen, siehe auch Sepsis.
  • Kalkulierte Antibiotikatherapie2,7
    • Aminopenicillin/Betalakatamase-Inhibitor (BLI) (z. B. Ampicillin / Subactam), Acylaminopenicillin / BLI (Piperazillin-Tazobactam) – oder –
    • Cephalosporin der Gruppen 3 und 4 (z. B. Ceftriaxon) in Kombination mit Metronidazol 
    • alternativ: Carbapeneme der Gruppe 1 oder 2 (z. B. Imipenem / Cilastatin) – oder –
    • Fluorchinolone der Gruppe 2 (Ciprofloxacin)
    • Die Behandlungsdauer beträgt bei erfolgreicher Sanierung weniger als 3 Tage, bei Abflussstörungen auch länger.
    • Alle diese Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf Expertenmeinungen; größere kontrollierte vergleichende Studien fehlen.2
  • Antibiogrammgerechte Anpassung der Antibiose nach Erhalt der Ergebnisse von Blutkultur und Abstrich aus dem Gallengang1
  • Analgesie, z. B.:
    • Paracetamol 1 g 3 x tgl i. v. als Kurzinfusion
    • Metamizol
      • 4 x tgl. 1 g i. v. als Kurzinfusion
      • Cave: Nicht bei Hypotonie, da Gefahr des zusätzlichen Blutdruckabfalls besteht!
    • Opioide, vorzugsweise Pethidin oder Buprenorphin, weil sie den Sphinkter Oddi weniger stark kontrahieren.
      • z. B. Pethidin 25–50 mg i. v. als Einzeldosis (ED) oder 25–150 mg p. o. (10–60 Tropfen) als ED, Tageshöchstdosis 500 mg8

Weitere Behandlungsformen

  • Endoskopisch retrograde Cholangio(pankreatiko)grafie, ERC(P)
    • bei transabdominell sonografischem Nachweis von Konkrementen oder eines Abflushindernisses oder Gallengangserweiterung > 7 mm
    • Die ERC(P) mit Papillotomie, Steinextraktion und Galledrainage ist die kausale Therapie der Wahl bei obstruktiver Cholangitis und sollte schnellstmöglich durchgeführt werden.1-2
    • Bei Cholangitis soll die ERC/Papillotomie innerhalb von 24 h nach Aufnahme erfolgen, bei Zeichen der Sepsis unverzüglich.2
    • Eine Lithotripsie kann bei großen Steinen endoskopisch druchgeführt werden.1
  • Falls das transpapilläre Vorgehen misslingt, sollen alternative interventionelle Verfahren oder ein chirurgisches Vorgehen erwogen werden.2
  • Alternativen2
    • chirurgische Exploration des Gallengangs mit Steinextraktion und Drainage
    • Falls die endoskopische transpapilläre Therapie nicht gelingt und eine chirurgische Therapie nicht sinnvoll ist, sollte bei symptomatischen Patient*innen eine perkutan-transhepatische Gallengangsteinbehandlung durchgeführt werden.
  • Im Verlauf bei Cholezystolithiasis Cholezystektomie
  • Für die Choledocholithiasis im Allgemeinen wird die Cholezystektomie (wenn eine Cholezystolithiasis vorliegt) möglichst innerhalb von 72 Stunden nach erfolgreicher Gallengangssanierung empfohlen.2
    • Zeitpunkt bei der Cholangitis abhängig vom Gesamtzustand und Verlauf

Prävention

  • Bei klinischer Diagnose eines Low Phospholipid Associated Cholelithiasis(LPAC)-Syndroms sollte eine Therapie mit Ursodeoxycholsäure begonnen werden.2

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Im Verlauf sollte bei Vorhandensein einer Cholezystolithiasis eine Cholezystektomie erfolgen.1
  • Patient*innen mit primär sklerosierender Cholangitis sollten zur Mitbehandlung in eine hepatologische Praxis überwiesen werden.1 
  • Eine endoskopische Entfernung der Gallengangsdrainage ist in der Regel 6–12 Wochen nach Einlage notwendig.

Komplikationen

Prognose

  • Maßgeblich abhängig von der Dauer bis zur Diagnosestellung und Therapiebeginn2
  • Letalitätsrate 3–10 %2

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßige Verlaufskontrollen sind nicht vorgesehen.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Patient*innen mit prädisponierenden Faktoren/Gallengangssteinen in der Anamnese sollten darüber aufgeklärt werden, bei Fieber, rechtsseitigen Bauchschmerzen oder Ikterus umgehend ärztliche Hilfe aufzusuchen.1

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Diagnostik und Therapie von Gallensteinen. AWMF-Leitlinie Nr. 021-008. S3, Stand 2017 (abgelaufen). www.dgvs.de
  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Pankreatitis. AWMF-Leitlinie Nr. 021-003. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  • Miura F, Okamoto K, Takada T, et al. Tokyo Guidelines 2018: initial management of acute biliary infection and flowchart for acute cholangitis. J Hepatobiliary Pancreat Sci. 2018 Jan;25(1):31-40. www.onlinelibrary.wiley.com
  • Kiriyama S, Kozaka K, Takada T, et al. Tokyo Guidelines 2018: diagnostic criteria and severity grading of acute cholangitis (with videos). J Hepatobiliary Pancreat Sci. 2018 Jan;25(1):17-30. www.onlinelibrary.wiley.com

Literatur

  1. Adler DG. Acute Cholangitis. BMJ Best Practice. last updated Dec 7, 2021, letzter Zugriff 10.1.23. bestpractice.bmj.com
  2. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Diagnostik und Therapie von Gallensteinen. AWMF-Leitlinie Nr. 021-008. S3, Stand 2017 (abgelaufen). www.dgvs.de
  3. Kimura Y, Takada T, Strasberg SM, et al. TG13 current terminology, etiology, and epidemiology of acute cholangitis and cholecystitis. J Hepatobiliary Pancreat Sci. 2013 Jan;20(1):8-23. link.springer.com
  4. Kiriyama S, Kozaka K, Takada T, et al. Tokyo Guidelines 2018: diagnostic criteria and severity grading of acute cholangitis (with videos). J Hepatobiliary Pancreat Sci. 2018 Jan;25(1):17-30. onlinelibrary.wiley.com
  5. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Pankreatitis. AWMF-Leitlinie Nr. 021-003. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  6. Miura F, Okamoto K, Takada T, et al. Tokyo Guidelines 2018: initial management of acute biliary infection and flowchart for acute cholangitis. J Hepatobiliary Pancreat Sci. 2018 Jan;25(1):31-40. onlinelibrary.wiley.com
  7. Bodmann KF, Grabein B. und die Expertenkommission der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e. V. Empfehlungen zur kalkulierten parenteralen Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen – Update 2010. Chemother J 2010; 19: 179–255. www.p-e-g.org
  8. gelbe-liste.de. Pethidin. Stand 04.11.2018, Zugriff am 11.01.23. www.gelbe-liste.de
  9. Beyer G, Hoffmeister A, Lorenz P, Lynen P, Lerch MM, Mayerle J. Clinical practice guideline: Acute and chronic pancreatitis. Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 495–501. www.aerzteblatt.de

Autorin

  • Franziska Jorda, Dr. med., Fachärztin für Viszeralchirurgie, Ärztin in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Kaufbeuren

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