Reizdarmsyndrom bei Erwachsenen

Zusammenfassung

  • Definition:Das Reizdarmsyndrom (RDS; Irritable Bowel Syndrome/IBS) ist eine chronische Erkrankung charakterisiert durch abdominelle Schmerzen und gestörte Darmfunktion.
  • Häufigkeit:Genaue Daten zur Inzidenz und Prävalenz  in Deutschland fehlen. Internationale Daten legen eine Prävalenz von bis zu 15 % nahe.
  • Symptome:Bauchschmerzen/Unwohlsein, Völlegefühl, Diarrhö, Obstipation. Nicht selten psychische Komorbiditäten.
  • Befunde:Meist wird bei der klinischen Untersuchung kein auffälliger Befund außer ein Meteorismus gefunden.
  • Diagnostik:Es gibt keine spezifischen Labortests. Sinnvoll ist eine orientierende Blutuntersuchung, Calprotektin im Stuhl zum Ausschluss einer CED, bei Alarmsymptomen Magen-Darm-Spiegelung. Das RDS ist eine Ausschlussdiagnose.
  • Therapie:Eine kausale Therapie existiert nicht. Spasmolytika, Probiotika, Antidepressiva, Laxanzien und Phytotherapeutika mit unterschiedlich guter Evidenz stehen zur Verfügung. Evtl. Off-Label-Therapieversuch mit z. B. Rifaximin (vor allem intestinal wirksames Antibiotikum).

Allgemeine Informationen

Definition

  • Definition laut AWMF-S3-Leitlinie1
    • Die Krankheit des Reizdarmsyndroms (RDS; Irritable Bowel Syndrome/IBS) liegt vor, wenn alle 3 Punkte erfüllt sind.
    1. Es bestehen chronische, d. h. länger als 3 Monate anhaltende oder rezidivierende Beschwerden (z. B. Bauchschmerzen, Blähungen), die von den Patient*innen und Ärzt*innen auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen.
    2. Die Beschwerden sollen begründen, dass die betroffene Person deswegen Hilfe sucht und/oder sich sorgt und so stark sein, dass die Lebensqualität hierdurch relevant beeinträchtigt wird.
    3. Voraussetzung ist, dass keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen vorliegen, die wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind.
  • Empfohlene Definition laut aktueller britischer Leitlinie2
    • abdominale Schmerzen oder Beschwerden assoziiert mit veränderten Stuhlgewohnheiten für mindestens 6 Monate und Fehlen von Alarmsymptomen
    • In der Primärversorgung gegenüber der Rome-IV-Definition vorzuziehen.
  • Diagnostische Rome-IV-Kriterien2-3
    • abdominelle Schmerzen im Zusammenhang mit der Defäkation an mindestens 1 Tag pro Woche in den letzten 3 Monaten mit einem Symptombeginn 6 Monate vor Diagnosestellung, assoziiert mit Veränderungen von Stuhlfrequenz und/oder -konsistenz
    • Untergruppen nach vorherrschenden Stuhlgangsymptomen
      • RDS mit Obstipation (IBS-C) 
        • harte Stuhlkonsistenz in ≥ 25 % und weiche oder wässrige Stuhlkonsistenz in ≤ 25 % der Stuhlgänge
      • RDS mit Diarrhö (IBS-D)
        • weiche oder wässrige Stuhlkonsistenz in ≥ 25 % und harte Stuhlkonsistenz in ≤ 25 % der Stuhlgänge
      • RDS mit gemischten Stuhlgewohnheiten (IBS-M)
        • harte Stuhlkonsistenz in ≤ 25 % und weiche oder wässrige Stuhlkonsistenz in ≤ 25 % der Stuhlgänge
      • RDS nicht klassifiziert: Veränderungen des Stuhlgangs erfüllen nicht die Kriterien für die anderen 3 Untergruppen.  
    • RDS wird als Störung der Darm-Hirn-Interaktion definiert.
    • Aufgeblähtsein ist kein Diagnosekriterium.4
  • Das RDS beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich.4
  • Verlauf: Das RDS ist bei einem Teil der Patient*innen spontan rückläufig, häufig aber auch chronisch oder chronisch-rezidivierend verlaufend.1

Häufigkeit

  • Epidemiologie, Inzidenz und Prävalenz des Reizdarmsyndroms sind variabel, definitionsabhängig und werden von zahlreichen Faktoren beeinflusst.1
  • Sehr unterschiedliche Angaben:
    • Eine Untersuchung von ICD-Codes aus Versichertendaten ergab eine Inzidenz von 0,36 % und eine Prävalenz von 1,34 % im Jahr 2017 in Deutschland.5
    • In den USA, Großbritannien und Canada wird je nach Quelle eine Prävalenz von 4,4–4,8 % bis 15 % angegeben.3-4
  • Frauen sind doppelt so häufig betroffen.1,3
  • Bei den meisten Patient*innen setzen die Beschwerden im Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter ein.3
    • Symptombeginn ab einem Alter über 50 Jahre ist ungewöhnlich.
  • Symptome des unteren Gastrointestinaltraktes machen 1 von 12 Konsultationen in der Primärversorgung aus.2

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ursache ist wahrscheinlich multifaktoriell. Es gibt Evidenz für motilitätsbedingte, entzündliche, genetische, immune, psychologische und ernährungsabhängige Faktoren.3
  • Beim Reizdarmsyndrom sind gastrointestinale Motilität, Sekretion sowie Wahrnehmung der Darmtätigkeit durch die Patient*innen gestört.1
  • Konsistent, aber immer nur jeweils in Subpopulationen, können nachgewiesen werden:1,6
    • molekulare und zelluläre Alterationen auf Schleimhautebene
    • Veränderungen der Darmflora
    • erhöhte Prävalenzen psychischer Komorbiditäten.
  • Laut der Rome-IV-Definition, der aktuellen britischen Leitlinie und der AWMF-Leitlinie wird das RDS als Störung in der Darm-Hirn-Achse definiert unter Berücksichtigung des komplexen Zusammenspiels biologischer, zellulärer, molekularer, genetischer, psychologischer und sozialer Faktoren.1-2

Pathogenetische Faktoren beim Reizdarmsyndrom1-4

  • Entwicklung eines RDS durch eine bakterielle Enteritis (sog. postinfektiöses RDS)
    • Das Risiko für ein RDS nach bakterieller Enteritis ist 8- bis 15-fach erhöht.
    • Die Höhe des Risikos ist abhängig von der Schwere des akuten Krankheitsbildes.
  • Veränderungen der Darmflora
    • RDS ist assoziiert mit einem veränderten Mikrobiom (Darmflora).6
    • Die bei RDS veränderte Darm-Mikrobiota kann mit dem Schweregrad der Erkrankung und mit dem Ansprechen auf Ernährungstherapie assoziiert sein.
    • Ein bakterielles Überwucherungssyndrom wurde bei manchen Patient*innen mit RDS nachgewiesen, vor allem bei überwiegend Diarrhö, Schmerzen und Meteorismus.
  • Entwicklung eines RDS nach Antibiotikatherapie
    • teilweise Besserung der RDS-Symptome durch Probiotika oder nicht-resorbierbare orale Antibiotika
  • Chronischer Stress, psychische Symptome, negative Vorstellungen bezüglich der Symptome und maladaptive Coping-Strategien können die Frequenz und Schwere der Symptome steigern.
    • Psychische Komorbiditäten und Belastungen sind für manche Betroffene vermutlich eher Folge als Ursache der Schwere und Häufigkeit der Symptome.
      • Mit dem RDS sind laut der britischen Leitlinie keine speziellen Persönlichkeitsprofile oder psychiatrischen Diagnosen assoziiert.
      • Laut AWMF-Leitlinie ist das RDS gehäuft mit somtatoformen und psychischen Störungen assoziiert.
  • Veränderte Darmmotilität
    • beschleunigte Transitzeit bei Reizdarm vom Durchfalltyp
    • verzögerte Transitzeit bei Reizdarm vom Obstipationstyp
    • Störungen des Gastransits
    • Mögliche Ursache ist ein veränderter Serotonin-Spiegel (erhöht bei RDS vom Durchfalltyp, erniedrigt bei RDS vom Obstipationstyp).
  • Veränderte Schleimhautpermeabilität
    • gestörte Barrierefunktion
    • erhöhte Sekretion
  • Neurale Komponenten
    • Bei RDS-Patient*innen findet sich eine erhöhte Innervation der Schleimhaut.
    • Die spinale Weiterleitung intestinaler Reize kann bei Patient*innen mit RDS gesteigert sein.
    • Verändertes Schleimhaut-Mediatorprofil bei RDS führt zur Aktivierung des enterischen Nervensystems und der primär afferenten (nozizeptiven) Nerven.
    • Die parasympathische Aktivität ist vermindert, die Sympathikus-Aktivität erhöht.
      • Reduzierter Vagotonus kann durch Stress verursacht sein und Motilität und Empfindlichkeit des Darms sowie periphere Entzündungsvorgänge und Schleimhautpermeabilität beeinflussen. 
    • Bei RDS-Patient*innen führen viszerale Schmerzreize zur Aktivierung anderer und größerer Hirnregionen als bei Kontrollen.
    • veränderte Sensitivität der Patient*innen in Bezug auf Darmaktivität
    • erniedrigte Schmerzschwellen unter rektaler Ballondistension (Barostat)
  • Genetische Prädisposition für RDS
  • Störung des enteralen Immungleichgewichts
    • bei RDS Zeichen einer Immunaktivierung in der Darmmukosa und systemisch
  • Veränderungen der Muster kurzkettiger Fettsäuren im Stuhl
    • veränderte Differenz zwischen Propionsäure und Buttersäure im Stuhl
  • Gestörter Gallensäuremetabolismus
    • bei einer Subgruppe (bis zu 50 %) von Betroffenen mit Diarrhö als Hauptsymptom – trotz fehlender vorangegangener Erkrankung des Ileums, abdominellen Eingriffen oder Cholezystektomie–assoziiert mit Polymorphosmen verschiedener Gene
  • Hormoneller Einfluss
    • RDS gehäuft bei Frauen im gebährfähigen Alter

ICPC-2

  • D93 Reizdarmsyndrom

ICD-10

  • F45 Somatoforme Störungen
    • F45.3 Somatoforme autonome Funktionsstörung
  • K58 Reizdarmsyndrom
    • K58.0 Reizdarmsyndrom mit Diarrhoe
    • K58.9 Reizdarmsyndrom ohne Diarrhoe

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom1

Allgemeines zur Diagnostik

  • Für die positive Diagnosestellung sollen laut AWMF-Leitlinie grundsätzlich 2 Komponenten erfüllt sein:
    1. Anamnese, Muster und Ausmaß der Beschwerden sind mit einem Reizdarmsyndrom vereinbar.
    2. Andere relevante Krankheiten, die sich ebenfalls mit den Symptomen eines RDS manifestieren können, sind – symptomabhängig gezielt – ausgeschlossen.
  • Es wird empfohlen, je nach Beschwerdemuster frühzeitig relevante Differenzialdiagnosen auszuschließen und danach weitere Diagnostik zu vermeiden.
  • Eine möglichst frühe positive Diagnosestellung bzw. ein möglichst verlässlicher Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen sollte angestrebt werden.
  • Hinweise auf andere schwerwiegende Erkrankungen/Alarmzeichen
    • Fieber und andere Entzündungszeichen
    • Anämie und/oder andere relevante Laborveränderungen
    • kurze (< 3 Monate) Anamnese
    • ungewöhnlich heftige Schmerzen
    • zunehmende Beschwerden
    • Gewichtsabnahme
    • sichtbares oder okkultes Blut im Stuhl
  • Zur positiven Diagnosestellung sollen insbesondere schwerwiegende, potenziell bedrohliche Krankheiten ausgeschlossen werden, die sich mit ähnlicher Symptomatik wie ein RDS manifestieren können.
    • Besteht die RDS-Symptomatik erst seit weniger als 12 (bis 24) Monaten, so sind insbesondere auch maligne Ursachen zu erwägen bzw. aktiv auszuschließen:
    • Auch bei u. U. schon jahrelang bestehender RDS-Symptomatik gibt es wichtige Differenzialdiagnosen, die ebenfalls grundsätzlich zu bedenken bzw. auszuschließen sind:
  • Zusätzlich sollten weitere potenziell kausal therapierbare Krankheiten und Störungen, die sich ebenfalls mit RDS-Symptomen präsentieren können, individuell und gezielt in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden:
    • symptomatische Laktose- oder Fruktosemalabsorption
    • bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms (SIBO)
    • Gallensäuren-Malabsorption (chologene Diarrhö)
    • Nicht-Zöliakie-Weizen-Sensitivität
    • symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD)
    • intestinale Ischämien
    • Motilitätsstörungen, insbesondere auch Pseudoobstruktionen (Ogilvie-Syndrom, chronische intestinale Pseudoobstruktion [CIPO], idiopathisches Megakolon/-rektum, M. Hirschsprung, Slow Transit
      Constipation [STC]) sowie anorektale Funktionsstörungen, Beckenbodendyssynergie, Anismus, Beckenbodenspastik.
    • gynäkologische Ursachen (insbes. Adnexitiden, Ovarialzysten etc.).
  • Die Diagnose Reizdarmsyndrom sollte laut britischer Leitlinie gestellt werden:2
    • auf der Basis von Symptomen
    • bei fehlenden Alarmzeichen
    • bei unauffälligen einfachen Blut- und Stuhluntersuchungen.
  • Typische „Reizdarmbeschwerden“ sind bei 40–85 % der Betroffenen als erste bzw. einzige klinische Manifestation bei folgenden Erkrankungen zu finden:

Differenzialdiagnosen

  • Wichtige Differenzialdiagnosen des Reizdarmsyndroms bei Patient*innen mit chronischen „reizdarmtypischen“ Abdominalbeschwerden entsprechend der folgenden Leitsymptome1

Leitsymptom Diarrhö

Leitsymptom Schmerz

Leitsymptom Obstipation

Leitsymptome Blähungen, Distension

  • Bakterielle Fehlbesiedlung (Small Intestinal Bacterial Overgrowth, SIBO; oft sekundär z. B. bei Dünndarmdivertikeln, Motilitätsstörungen etc.)
  • Kohlenhydratmalabsorption (z. B. symptomatische Laktose- und/oder Fruktosemalabsorption)
  • Postoperative Funktionsstörungen (z. B. Briden)

Anamnese

Allgemeines

  • Bei RDS deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität im Vergleich zur Normalpopulation und im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen1
  • RDS beginnt in der Regel in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter.3 
    • Beginn im Alter > 50 Jahre ist ungewöhnlich und sollte sorgfältig abgeklärt werden.
  • Die Symptome sind geprägt von Bauchschmerzen und Blähungen, Durchfall und Verstopfung.
  • Das Symptommuster ist von Person zu Person verschieden und ändert sich im Lauf der Zeit. Hinsichtlich des Leitsymptoms werden 3 Unterkategorien unterschieden:3
    1. obstipationsdominiertes Reizdarmsyndrom
    2. diarrhödominiertes Reizdarmsyndrom
    3. alternierendes Reizdarmsyndrom: abwechselnd Diarrhö und Obstipation.
  • Am häufigsten ist Diarrhö und Obstipation im Wechsel.

Abdominelle Schmerzen

  • Die Lokalisierung ist unterschiedlich und wechselnd.
  • Zum Teil treten intensive Schmerzen in Schüben (krampfartig, brennend, stechend) auf.
  • Druckgefühl im Unterbauch oder im Bereich der linken oder rechten Kolonflexur
  • Sigma gelegentlich schmerzhaft tastbar
  • Schmerz lässt häufig nach Abgang von Winden oder Stuhlgang nach.

Blähungen

  • Häufig stark vorhanden
  • Viele Patient*innen klagen, dass sich der Bauch im Laufe des Tages aufbläht.3
  • Ballaststoffreiche Nahrung verstärkt oft den Meteorismus.

Mögliche Auslöser2

  • Vorangegangene Magen-Darm-Infektion
    • RDS kann in bis zu 30 % der Fälle nach einer akuten bakteriellen Gastroenteritis auftreten.
  • (Wiederholte) Antibiotikaeinnahme
  • Akuter oder chronischer Stress oder psychisches Trauma
  • Komorbiditäten
  • Frühere operative Eingriffe am Abdomen
  • Medikation
  • Einfluss von Ernährung
    • Verschlechterung nach Konsum von Koffein, Kuhmilch, fruktosehaltigen Nahrungsmitteln, Zuckeraustauschstoffen oder Alkohol3
    • Bei anamnestischen Hinweisen auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit sollte ein Ernährungs-Symptom-Tagebuch geführt und im Anschluss eine zunächst zeitlich befristete gezielte probatorische Eliminationsdiät versucht werden.1
  • Familienanamnese
    • RDS-Risiko ist um den Faktor 2,75 erhöht, falls eine erstgradig verwandte Person betroffen ist.

Alarmsymptome als Anzeichen von Malignität oder einer Entzündung

Klinische Untersuchung

  • Oft wird bei der Untersuchung kein pathologischer Befund festgestellt.
    • manchmal leichte Druckempfindlichkeit in den rechten und linken unteren Quadranten
  • Laut britischer Leitlinie sind eine abdominelle Palpation und ggf. eine rektale Untersuchung indiziert.2
    • Test auf okkultes Blut im Stuhl gehört nicht zur Routinediagnostik bei V. a. RDS.
    • Bei entsprechendem Verdacht sollten aber ein kolorektales Karzinom oder ein Ovarialkarzinom durch weitere Diagnostik ausgeschlossen werden.

S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom1

Basisdiagnostik

  • Vor der Festlegung der Diagnose RDS soll eine gründliche Basisdiagnostik durchgeführt werden.
  • Untersuchungen, die bei der diagnostischen Erstabklärung einer klinischen RDS-Symptomatik im Rahmen der obligaten, grundsätzlich bei jeder Patientin/jedem Patienten indizierten Basisdiagnostik durchzuführen sind:
    • detaillierte Anamnese (mit gezieltem Erfragen sog. „Alarmsymptome")
    • körperliche (mit rektaler) Untersuchung
    • Basislabor (inkl. Zöliakie-AK und Stuhluntersuchungen auf intestinale Entzündungsmarker (Calprotectin u. a.) sowie Erreger (u. a. Lamblien)
    • Abdomensonografie
    • gynäkologische Vorstellung.
  • Anschließend sollten in der Regel noch zusätzliche, individuell ausgewählte Untersuchungen durchgeführt werden.
  • Zusätzliche Untersuchungen, die bei der diagnostischen Erstabklärung einer klinischen RDS-Symptomatik zur positiven RDS-Diagnosestellung in der Regel erforderlich sind:
    • Ileokoloskopie (Stufenbiopsien obligat bei Diarrhö)
    • ÖGD (mit Duodenalbiopsien)
    • individuell Funktionstests (bei entsprechendem klinischem Verdacht)
    • individuell bildgebende Verfahren (bei konkretem klinischem Verdacht).
  • Patient*innen mit typischen RDS-Symptomen ohne Diarrhö können – nach negativer Basisdiagnostik – probatorisch für max. 2 Monate symptomatisch behandelt werden, auch ohne dass eine positive Diagnosestellung erfolgt ist.
  • Besteht Diarrhö als wesentliches Symptom, soll grundsätzlich eine umfassende diagnostische Abklärung einschließlich Erregerdiagnostik im Stuhl sowie endoskopischer (inklusive Stufenbiopsien) und funktionsdiagnostischer Untersuchungen durchgeführt werden.
  • Tests zum Nachweis sog. „Disease Marker“ (Biomarker) als positive Diagnosekriterien des Reizdarmsyndroms können derzeit nicht empfohlen werden.

Basisdiagnostik bei typischer Reizdarmsymptomatik 

  • Körperliche Untersuchung mit ggf. auch gynäkologischer Untersuchung6
  • Labor2-3
    • BSG/CRPBlutbild
    • Transglutaminase-Antikörper – anti-tTG IgA (DD Zöliakie)
    • Calprotectin bei Personen unter 45 Jahren (DD chronisch entzündliche Darmerkrankung)
      • bei vorherrschender Diarrhö4
  • Keine Indikation zur Testung auf exokrine Pankreasinsuffizienz bei typischer RDS-Symptomatik2
  • H2-Atemtests
    • Soll laut AWMF-Leitlinie grundsätzlich bei Diarrhö als wesentliches Symptom erfolgen. 1 
      • Bei eindeutigen Hinweisen auf symptomatische Kohlenhydratmalabsorptionen sollten diese mit geeigneten Methoden abgeklärt werden.
    • keine Indikation für Atemtests auf bakterielle Dünndarmfehlbesiedelung oder Kohlenhydratmalabsorption bei typischer RDS-Symptomatik laut britischer Leitlinie2
    • Laut BMJ Best Practice können Atemtests auf Laktoseintoleranz und Dünndarmfehlbesiedelung bei Betroffenen mit überwiegend Diarrhö und geblähtem Abdomen sinnvoll sein.3
  • Tests auf Lebensmittelallergien oder -unverträglichkeiten 
    • Bei eindeutigen Hinweisen auf IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien sollten diese mit geeigneten Methoden abgeklärt werden.1
    • Bei anamnestischer Auslösung oder Verschlimmerung der Beschwerden durch Getreideprodukte sollen zunächst eine Zöliakie und eine Weizenallergie ausgeschlossen werden. 1
      • Bei reproduzierbarer Auslösung oder Verschlimmerung der Beschwerden durch Getreideprodukte kann nach Ausschluss einer Zöliakie und einer Weizenallergie eine zeitlich befristete weizen-/glutenfreie Diät erfolgen mit anschließender gezielter Re-Exposition (anzustreben als „placebo-kontrollierter Provokationstest“) zur Prüfung einer zugrunde liegenden Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizen-/Gluten-Sensitivität (NCGS/NCWS).1
    • Bei anamnestischer Auslösung oder Verschlimmerung der Beschwerden durch histaminhaltige Nahrungsmittel kann eine zeitlich befristete histaminarme Diät mit anschließender gezielter Re-Exposition zur Prüfung einer zugrunde liegende Histamin-Unverträglichkeit versucht werden.1
  • Stuhldiagnostik auf pathogene Keime
    • Mikrobielle Stuhldiagnostik auf pathogene Keime sollte laut AWMF-Leitlinie bei V. a. RDS vom Diarrhö-Typ oder Misch-Typ erfolgen.1
    • laut US-amerikanischer Leitlinie keine Indikation für eine routinemäßige Stuhluntersuchung auf pathogene Keime bei Betroffenen mit typischen RDS-Symptomen4
      • nur bei anamnestischen Hinweisen oder Risiken, z. B. für eine Infektion mit Giardia lamblia
      • bei RDS mit vorwiegend Diarrhö Untersuchung auf fäkale Leukozyten, Wurmeier und Parasiten laut BMJ Best Practice
  •   Nicht indiziert sind:1
    • Diagnostik auf nahrungsspezifisches IgG
    • mikrobielle Analytik der kommensalen Darmmikrobiota.

Weitere Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Endoskopie
    • Laut AWMF-Leitlinie sind bei der Erstabklärung einer klinischen RDS-Symptomatik in der Regel erforderlich:1
      • Ileokoloskopie (Stufenbiopsien obligat bei Diarrhö)
      • Ösophago-Gastro-Duodenoskopie mit Duodenalbiopsien
    • dagegen keine Indikation für Ileokoloskopie bei Reizdarmsyndrom laut britischer Leitlinie, außer:2
      • bei Alarmsymptomen
      • Blutauflagerungen im Stuhl, Meläna, unbeabsichtigter Gewichtsverlust, chronisch entzündliche Darmerkrankungen oder kolorektales Karzinom oder andere bedeutsame Darmerkrankung in der Familienanamnese4
      • bei Reizdarmsymptomen mit Diarrhö und atypischen Befunden oder relevanten Risikofaktoren oder erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine mikroskopische Kolitis
      • weiblich, über 50 Jahre, autoimmune Begleiterkrankung, nächtliche oder schwere wässrige Diarrhö, Diarrhö-Dauer über 12 Monate, Gewichtsverlust, Einnahme potenziell auslösender Medikamente, wie NSAR, PPI etc.
    • Auch laut US-amerikanischer Leitlinie keine Koloskopie bei Betroffenen mit RDS-Symptomen unter 45 Jahren ohne Alarmzeichen4
      • Darmkrebs-Screening sollte jedoch altersentsprechend durchgeführt werden.4
  • Bei atypischer, u. a. nächtlicher Diarrhö oder Z. n. Cholezytektomie: Ausschluss einer Gallensäuremalabsorption2-3
    • erhöhte Gallensäurewerte in 48-h-Kolontransit
    • Fibroblasten-Wachstumsfaktor 19 (FGF-19) erniedrigt
    • SeHCAT-Szintigrafie
    • Symptombesserung bei Therapieversuch mit Gallensäurebinder (Cholestyramin)
  • Untersuchung der Analsphinkterfunktion bei Hinweisen auf Funktionsstörungen des Beckenbodens oder refraktärer Obstipation4
  • Gynäkologische Untersuchung, z. B. zum Ausschluss eines Ovarialkarzinoms2

Indikation zur Überweisung

  • Überweisung an Gastroenterologie
  • Überweisung an Gynäkologie
    • zum Ausschluss gynäkologischer Differenzialdiagnosen, v. a. eines Ovarialkarzinoms1
  • Überweisung an Psychiatrie/Psychotherapie
    • bei Trauma und Missbrauch in der Anamnese1
    • bei psychischer Begleiterkrankung1

Therapie

Allgemeines zur Therapie

  • Aufbau einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung ist essenziell zur erfolgreichen Diagnostik und Therapie des RDS.2
    • Die Versorgung von Betroffenen mit RDS sollte in der Hausarztpraxis erfolgen.
  • Den Betroffenen sollte das Konzept des RDS als Störung der Darm-Hirn-Achse erklärt werden, und wie diese durch Ernährung, Stress, die kognitive, Verhaltens- und emotionale Reaktion auf Beschwerden und postinfektiöse Veränderungen beeinflusst werden kann.2
  • Allgemeine Empfehlungen laut aktueller britischer Leitlinie und der AWMF-Leitlinie1-2 
    • Allen Betroffenen mit Reizdarmsyndrom soll zu körperlicher Aktivität geraten werden.
    • Allen Betroffenen soll eine Diätberatung angeboten werden.
    • Eliminationsdiäten auf der Basis von IgG-Antikörpern sollen vermieden werden.
  • Die Therapie sollte an den jeweiligen RDS-Subtyp angepasst werden.4 

S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom1

Allgemeines zur medikamentösen Therapie

  • Die medikamentöse Therapie soll symptomorientiert erfolgen.
    • Ihr Erfolg misst sich an der Symptombesserung und der Verträglichkeit.
    • Bei unzureichendem Therapieerfolg sollten, wenn erforderlich, sukzessiv unterschiedliche Medikamente eingesetzt werden.
    • Ein erfolgreiches medikamentöses Therapieregime kann fortgesetzt, verändert (z. B. als Bedarfs- anstelle der Dauermedikation) oder im Sinne eines Auslassversuchs unterbrochen werden. Diese Optionen gelten auch für nichtmedikamentöse Behandlungskonzepte.
  • Aufgrund der Heterogenität des Reizdarmsyndroms gibt es keine Standardtherapie.
    • Deswegen hat jede Therapie zunächst probatorischen Charakter; deren Dauer sollte a priori mit den Patient*innen besprochen werden.
    • Ein medikamentöser Therapieversuch ohne Ansprechen sollte nach spätestens 3 Monaten abgebrochen werden.
  • Off-Label-Therapien
    • Die Verwendung von nur für andere Indikationen zugelassenen Substanzen (off label) kann notwendig sein und ist möglich, wenn nach der wissenschaftlichen Datenlage ein therapeutischer Effekt erwartet werden kann.
    • Aufgrund des benignen Verlaufs des Reizdarmsyndroms sollte jedoch bei der Entscheidung hierfür eine sorgfältige individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden.
    • Bei therapierefraktärer, schwerer Symptomatik kann in Einzelfällen ein Behandlungsversuch mit einem bislang nur im Ausland zugelassenen Wirkstoff sinnvoll sein.
      • In solchen Fällen sollte die Konsultation eines spezialisierten Zentrums erfolgen.
      • Diesen Patient*innen sollte ferner die Möglichkeit zur Teilnahme an kontrollierten, klinischen Behandlungsstudien ermöglicht werden.
  • Um Patient*innen mit Reizdarmsyndrom adäquat behandeln zu können, sollte eine Unterscheidung zwischen Obstipationsprädominanz, Diarrhöprädominanz und wechselndem, gemischtem Stuhlverhalten vorgenommen werden.

Ernährung/Probiotika/Ballaststoffe

  • Individuelle Ernährungsempfehlungen sollten sich an den jeweiligen Symptomen orientieren.
  • Laut britischer Leitlinie sollten als Erstlinien-Empfehlung folgende Ernährungshinweise gegeben werden:2
    • regelmäßige Mahlzeiten
    • vollwertige Ernährung
    • begrenzter Konsum von Alkohol und Koffein
    • ausreichend Ballaststoffe
    • reduzierter Konsum von fettigen oder stark gewürzten Lebensmitteln.
  • Low-FODMAP-Diät
    • Empfehlungen der AWMF-Leitlinie1
      • Bei Schmerzen, Blähungen und Diarrhö als dominantes Symptom sollte eine Low-FODMAP-Diät (in 3 Phasen: Elimination, Toleranzfindung, Langzeiternährung) empfohlen werden.
      • Bei Obstipation als dominantes Symptom kann eine Low-FODMAP-Diät (in 3 Phasen: Elimination, Toleranzfindung, Langzeit-Ernährung) empfohlen werden.
    • Laut britischer Leitlinie ist eine FODMAP-arme-Diät als Zweitlinien-Therapie empfohlen, laut amerikanischer Leitlinie als zeitlich begrenzter Therapieversuch.2,4
    • Eine Metaanalyse ergab eine bessere Wirksamkeit einer Low-FODMAP-Diät in allen Endpunkten im Vergleich zu anderen Interventionen. 11 
    • Eine FODMAP-arme Diät (FODMAP = Fermentable Oligosaccharides, Disaccharides, Monosaccharides and Polyols) ist bei allen Symptomen des RDS wirksam.1-2,12
      • Reduziert werden vergärbare Mehrfachzucker (z. B. Laktose, Stärke), Einfachzucker (wie Fruktose) und Zuckeralkohole (z. B. Süßstoffe).
      • Der Effekt dieser Ernährungsrestriktion sollte jedoch von Diätberater*innen begleitet werden, um einer einseitigen Mangelernährung vorzubeugen.
      • Die FODMAP sollten je nach Verträglichkeit sukzessive wieder in die Ernährung eingeführt werden.
  • Bei manchen erwachsenen Patient*innen mit RDS und auch ohne Hinweise auf eine Zöliakie kann eine glutenreduzierte Diät wirksam sein.
    • Siehe Artikel Weizensensitivität.
    • Wirksamkeit basiert vermutlich auf der reduzierten Aufnahme von Weizen-Fruktanen.2
    • keine ausreichende Evidenz für eine allgemeine Empfehlung2,4
  • Probiotika1-2 
    • Können in der Linderung von allgemeinen RDS-Symptomen und Bauchschmerzen wirksam sein.
    • bisher keine ausreichende Evidenz für eine differenziert Empfehlung einzelner Stämme, Kombinationspräparate oder Applikationsform
    • Bifidobacterium infantis kann laut BMJ Best Practice besonders in Kombination mit anderen Probiotika die RDS-Symptome verbessern.3
    • laut britischer Leitlinie Therapieversuch über 12 Wochen sinnvoll
    • laut US-amerikanischer Leitlinie aufgrund fehlender Daten zur Evidenz nicht empfohlen4
  • Ballaststoffe1-2,4
    • effektiv für alle RDS-Symptome und Bauchschmerzen
    • Dabei sollten lösliche Ballaststoffe wie Psyllium/Plantago/Ispaghula (Flohsamenschalen) verwendet werden, von der Einnahme nichtlöslicher Ballaststoffe wird abgeraten.2
      • Beginn der Einnahme löslicher Ballaststoffe mit einer Menge von 3–4 g/d
      • Einnahme in einem Glas Wasser vor dem Zubettgehen3
    • Auch bei Patient*innen mit Reizdarmsyndrom vom Diarrhö-Typ oder vom Schmerz-Typ können lösliche Ballaststoffe zur Therapie eingesetzt werden.2

Psychotherapeutische Maßnahmen

  • Eine kleine Gruppe der RDS-Betroffenen, die auf Maßnahmen zur Ernährungsumstellung und auf die medikamentöse Therapie nicht ansprechen, benötigen eine Überweisung zur Psychotherapie und weitere Unterstützung.3
  • Indikationen zur Psychotherapie laut AWMF-Leitlinie1
    • mittelschwere bis schwere Beschwerden, auch trotz medizinischer Behandlung
    • Rezidive
    • Patientenwunsch
    • psychische Komorbidität
  • Empfehlung laut AWMF-Leitlinie1
    • Psychoedukative Elemente („kleine Psychotherapie") und angeleitete Selbsthilfestrategien (z. B. mithilfe eines Patientenhandbuchs oder internetbasierter Selbsthilfeprogramme) können den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen und sollten als Elemente einer abgestuften psychotherapeutischen Intervention auf haus- und fachärztlicher Ebene eingesetzt werden.
    • Strategien zur Stressvermeidung und/oder Krankheitsbewältigung (Coping) sollten individuell als adjuvante Maßnahmen empfohlen werden.
    • Bei Aufnahme einer Psychotherapie sollte die allgemein- sowie fachärztliche Betreuung weitergeführt werden.
  • Empfehlungen nach AWMF und aktueller britischer Leitlinie1-2 
    • RDS-spezifische kognitive Verhaltenstherapie kann eine wirksame Behandlung für alle RDS-Symptome sein.
    • psychodynamische Psychotherapie
    • bauchgerichtete Hypnose (Gut-directed Hypnosis, in Deutschland nur in speziellen Zentren verfügbar)
    • Verfahrensmischformen (Multi-component Psychotherapy)

Medikamentöse Therapie 

Symptomatische Erstlinientherapie

  • Loperamid bei Diarrhö2
    • laut Fachinformation: Zu Beginn 4 mg, danach nach jedem ungeformten Stuhl jeweils 2 mg
      • Eine tägliche Dosis von 12 mg darf nicht überschritten werden.
  • Spasmolytika bei allgemeinen Symptomen und abdominellen Schmerzen
    • laut US-amerikanischer Leitlinie nicht empfohlen4 
    • Mebeverin 3 x tgl. 135 mg oder 2 x tgl. 200 mg retard (zugelassen bei RDS)1
  • Pfefferminzöl vor allem bei Blähungen und abdominellen Schmerzen1-2,6
    • rezeptfreie Kapseln nach jeweiliger Fachinformation
  • Macrogol bei Obstipation (AWMF- und britische Leitlinie)1-2
    • in US-amerikanischer Leitlinie nicht empfohlen4
    • laut Fachinformation: 1–3 Beutel tgl.

Zweitlinientherapie

  • Neuromodulatoren auf der Darm-Hirn-Achse2
    • trizyklische Antidepressiva bei allgemeinen Symptomen und abdominellen Schmerzen (off label, nicht bei Obstipation)1-2,4
      • z. B. Beginn mit 10 mg Amitryptilin 1 x/d, langsames Auftitrieren bis max. 30–50 mg 1 x/d2
    • SSRI bei allgemeinen Symptomen, v. a. Schmerzen (off label, in der AWMF-Leitlinie nur bei psychischen Komorbiditäten empfohlen)
      • Die Leitlinien empfehlen keinen speziellen Wirkstoff, z. B. Citalopram 20 mg, Fluoxetin 20 mg/d oder Sertralin 50 mg/d als Initialdosis. 
      • Weitere Informationen siehe Artikel Depression.
    • SNRI Duloxetin bei psychischen Komorbiditäten1
      • laut Fachinformation initial 60 mg/d 
  • 5-HT3- Antagonisten bei Diarrhö (off label)1-2
    • Ondansetron von zunächst 4 mg 1 x tgl. auf max. 8 mg 3 x tgl. auftitrieren.2
  • Rifaximin für allgemeine RDS-Symptome (off label, in Deutschland für Reisediarrhö und hepatische Enzephalopathie zugelassen)1-2,4
    • nicht-resorbierbares Antibiotikum2
    • effektiv bei Diarrhö, begrenzte Wirkung auf abdominelle Schmerzen
      • laut AWMF-Leitlinie nur bei RDS ohne Obstipation
    • keine Dosisangabe zur Behandlung des Reizdarmsyndroms in den Leitlinien
    • Nach Fachinformation: Zur Behandlung der Reisediarrhö wird eine Dosis von 200 mg alle 8 Stunden empfohlen, alternativ 400 mg alle 12 Stunden.
      • In Studien zur Anwendung bei RDS wurde eine Therapiedauer von 10 Tagen bis 2 Wochen gewählt, die Behandlungszyklen teilweise wiederholt.13
      • Die Dosierung in diesen Studien lag zwischen 440 mg 2–3 x/d und 550 mg 2–3 x/d.13
    • in der US-amerikanischen Leitlinie als Erstlinientherapie empfohlen4
  • Linaclotid-Laxans2
    • Dosierung laut Fachinformation 290 mg 1 x tgl.
    • Bei fehlender Besserung nach 4 Wochen absetzen.
    • Zugelassen bei RDS
    • Laut arznei-telegramm nicht empfohlen. 14
  • Stuhltransplantation
    • Eine qualitativ hochwertige Studie erbrachte sehr gute Resultate.15
    • in der AWMF- und der US-amerikanischen Leitlinie keine Empfehlung1,4
  • Komplementäre Therapie laut AWMF-Leitlinie1
    • Phytotherapeutika 
      • Pfefferminzöl: Erstlinientherapie nach britischer Leitlinie (s. o.)2
      • Wirksamkeitsnachweise für:
        • Berberin gegen Diarrhö und Schmerzen
        • Mischpräparate STW-5 (Iberis Amara, Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Mariendistelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter, Schöllkraut und Süßholzwurzel) und STW-5-II (Iberis Amara, Kamillenblüten, Kümmelfrüchte, Melissenblätter, Pfefferminzblätter und Süßholzwurzel) gegen allgemeine Symptome und speziell gegen Schmerzen
        • tibetanisches Phytopharmakon Padma Lax (Gemisch aus 15 Pflanzenextrakten [u. a. Anthrachinonhaltig] und Mineralien [u. a. Natriumsulfat und Magnesium!]) nach 3 Monaten wirksam gegen Schmerzen, Obstipation, Blähungen und unvollständige Entleerung
      • keine Wirksamkeitsnachweise bzw. keine Empfehlung für Capsaicin, Fumaria, Kurkuma, Aloe vera, Ayurvedapräparat, koreanisches Präparat Gwakhyangjeonggisan, Iberis Amara, Ingwer, Johanniskraut, TCM, Kampo
    • Yoga
      • Sollte im Rahmen eines komplementären Behandlungskonzepts angeboten werden.
    • Akupunktur und Moxibustion
      • Können zur Steigerung der Lebensqualität bei RDS-Subtyp Diarrhö eingesetzt werden.
    • viszerale Osteopathie und Darm-Massage
      • Können angeboten werden.
    • Nicht empfohlen werden: Homöopathie, Fußreflexzonenmassage, Darmlavage.

Symptomorientierte medikamentöse Therapieoptionen

Symptom Schmerz 

  • Individuell zur Schmerzbehandlung indiziert:1
    • Spasmolytika
    • lösliche Ballaststoffe 
    • 5-HT3- Antagonisten (bei anderweitig therapierefraktärem RDS)
    • trizyklische Antidepressiva
    • SSRI (bei psychischer Komorbidität)
    • SNRI Duloxetin (bei psychischer Komorbidität)
    • Linaclotid (bei fehlender Wirksamkeit anderer Therapien)1
    • Probiotika
    • Phytotherapeutika
      • Pfefferminzöl2-3
      • Cave: Schöllkrauthaltige Präparate mit potenziell lebertoxischer Wirkung!16
  • Kein Einsatz von Paracetamol, NSAR, Metamizol, µ-Opioid-Agonisten, Pregabalin1

Symptom Diarrhö

  • Individuell zur Diarrhö-Behandlung indiziert:1
    • Loperamid
    • lösliche Ballaststoffe
    • 5-HT3- Antagonisten (bei anderweitig therapierefraktärem RDS-D)
    • Rifaximin
    • Probiotika
    • Covesevelam.
  • Laut AWMF-Leitlinie empfohlen, in der US-amerikanischen Leitlinie ausdrücklich nicht empfohlen:1,4
    • Colestyramin.

Symptom Obstipation

  • Individuell zur Obstipationsbehandlung indiziert:1
    • wasserlösliche Ballaststoffe
    • osmotische Laxanzien vom Macrogoltyp
    • evtl. zusätzlich Lactulose oder Polyethylenglykol3
    • 5-HT4-Agonist Prucaloprid (Zweitlinientherapie, wenn andere Laxantien nicht wirksam oder unverträglich sind)1
    • Linaclotid (bei fehlender Wirksamkeit anderer Therapien)1-3
    • Probiotika2
    • SSRI (s. o.).

Symptom Blähungen/abdominell Distension/Flatulenz

  • Folgende Therapie kann indiziert sein:1
    • Probiotika
    • Rifaximin 
    • Linaclotid (wird empfohlen)
    • Phytopharmaka.
  • Folgende Therapie ist nicht zur Behandlung empfohlen:1
    • entschäumende Substanzen (Simethikon, Dimethikon).

Schweres oder therapierefraktäres RDS

  • Empfehlungen laut aktueller britischer Leitlinie:2
    • Überdenken der Diagnose, weitere gezielte Diagnostik
    • interdisziplinäres Vorgehen
    • Unnötige Opioidverschreibungen, unnötige operative Eingriffe und ungerichtetes diagnostisches und therapeutisches Vorgehen sollten vermieden werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Bei einem Teil der Patient*innen spontan rückläufig, häufig aber auch chronisch verlaufend1
  • RDS führt nicht zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung anderer gastrointestinaler Krankheiten, insbesondere nicht für Dickdarmkarzinome.

Komplikationen

  • Keine organischen Komplikationen
  • Hohes Risiko für wiederholte Diagnostik mit potenziellen Komplikationen2
  • Übermäßige Häufigkeit chirurgischer Eingriffe
    • Die Symptome werden dabei fehlinterpretiert, sodass eine operative Behandlung als indiziert erscheint.
  • Erhöhtes Risiko für Depression und Schlafstörungen3

Prognose

  • Die Lebenserwartung ist normal. Das Risiko für andere somatische Krankheiten ist nicht erhöht.1

Verlaufskontrolle

  • Es besteht das Risiko, dass Tests und Untersuchungen mehrfach wiederholt werden, ohne dass eine klinische Indikation vorliegt.
  • Bei unzureichendem Therapieerfolg sollten, wenn erforderlich, sukzessiv unterschiedliche Medikamente eingesetzt werden.1
    • Ein medikamentöser Therapieversuch ohne Ansprechen sollte nach spätestens 3 Monaten abgebrochen werden.
    • Für nichtmedikamentöse Behandlungsansätze können abweichende Zeiträume gelten.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Gesundheitsinformation.de

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM). Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms. AWMF-Leitlinie Nr. 021-016. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  • American College of Gastroenterology. Management of Irritable Bowel Syndrome. Stand 2021. www.pubmed.com
  • British Society of Gastroenterology. Guidelines on the management of irritable bowel syndrome. Stand 2021. gut.bmj.com

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM). Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms. AWMF-Leitlinie Nr. 021-016. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  2. British Society of Gastroenterology guidelines on the management of irritable bowel syndrome. Stand 26.04.2021. gut.bmj.com
  3. BMJ Best Practice. Irritable bowel syndrome. Stand 14.05.2021 (letzter Zugriff am 14.06.2021). bestpractice.bmj.com
  4. Lacy BE, Pimentel M, Brenner DM, Chey WD, Keefer LA, Long MD, Moshiree B. ACG Clinical Guideline: Management of Irritable Bowel Syndrome. Am J Gastroenterol. 2021 Jan 1;116(1):17-44. doi: 10.14309/ajg.0000000000001036. PMID: 33315591. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Häuser W, Marschall U, Layer P, Grobe T: The prevalence, comorbidity, management and costs of irritable bowel syndrome—an observational study using routine health insurance data. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 463–70. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0463 www.aerzteblatt.de
  6. Andresen V, Keller J, Pehl C, Schemann M, Preiss J, Layer P. Irritable Bowel Syndrome. The Main Recommendations Dtsch Arztebl Int 2011; 108(44): 751-60. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0751 www.aerzteblatt.de
  7. Ford AC, Chey WD, Talley NJ, et al. Yield of diagnostic tests for celiac disease in individuals with symptoms suggestive of irritable bowel syndrome: systematic review and meta-analysis. Arch Intern Med 2009; 169: 651-8. pmid:19364994 PubMed
  8. O’Leary C, Wieneke P, Buckley S, et al. Celiac disease and irritable bowel-type symptoms. Am J Gastroenterol 2002; 97: 1463-7. pmid:12094866 PubMed
  9. Friedman GD, Skilling JS, Udaltsova NV, et al. Early symptoms of ovarian cancer: a case-control study without recall bias. Fam Pract 2005; 22: 548–53. pmid:15964871 PubMed
  10. Vine MF, Calingaert B, Berchuck A, et al. Characterization of prediagnostic symptoms among primary epithelial ovarian cancer cases and controls. Gynecol Oncol 2003; 90: 75-82. pmid:12821345 PubMed
  11. Black CJ, Staudacher HM, Ford AC Efficacy of a low FODMAP diet in irritable bowel syndrome: systematic review and network meta-analysis. Gut. 2021. PMID: 34376515. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Ockenga J. Ernährung (z. B. FODMAP-Diät*) in der Behandlung des Reizdarmsyndroms. AkdÄ. 3/2016. www.akdae.de
  13. Ford AC, Harris LA, Lacy BE, Quigley EMM, Moayyedi P. Systematic review with meta-analysis: the efficacy of prebiotics, probiotics, synbiotics and antibiotics in irritable bowel syndrome. Aliment Pharmacol Ther. 2018 Nov;48(10):1044-1060. doi: 10.1111/apt.15001. Epub 2018 Oct 8. PMID: 30294792. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  14. arznei-telegramm.LINACLOTID (CONSTELLA) BEI REIZDARMSYNDROM MIT OBSTIPATION. a-t 2013; 44: 59-60. www.arznei-telegramm.de
  15. El-Salhy M, Hatlebakk JG, Gilja OH et al. Efficacy of faecal microbiota transplantation for patients with irritable bowel syndrome in a randomised, double-blind, placebo-controlled study. Gut 2019. Epub ahead of print. pmid:31852769. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  16. arznei-telegramm. Therapiekritik - zum Nutzen von Iberogast. e a-t 2/2018. www.arznei-telegramm.de

Autor*innen

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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