Giardiasis

Zusammenfassung

  • Definition: Klassische reiseassoziierte Infektionskrankheit, die durch das Protozoon Giardia lamblia verursacht wird.
  • Häufigkeit: In Deutschland werden jährlich ca. 4.000 Fälle gemeldet.
  • Symptome: Variabel; bei akuter Erkrankung Bauchschmerzen und Diarrhö, die 2–4 Wochen anhalten können, aber auch asymptomatische und chronische Verläufe sind möglich.
  • Befunde: Fieber, Bauchschmerzen, Diarrhö.
  • Diagnostik: Stuhlproben mit mikroskopischem Nachweis von Zysten, PCR oder pos. Antigentest.
  • Therapie: Metronidazol.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Klassische reiseassoziierte Infektionskrankheit, die durch Giardia lamblia verursacht wird.
  • Das Protozoon besiedelt den Dünndarm und gehört zu den am häufigsten vorkommenden Protozoeninfektionen beim Menschen.
  • Die Übertragung erfolgt fäkal-oral direkt oder indirekt durch kontaminiertes Wasser und Lebensmittel. Zur Infektion reichen bereits wenige Zysten (10–100) aus.

Häufigkeit

Deutschland

  • Im Jahr 2018 wurden dem Robert Koch-Institut 3.411 Fälle einer akuten Giardiasisinfektion gemeldet.1
  • Die bundesweite Inzidenz lag bei 4,1 Fällen pro 100.000 Einwohner, wobei die Inzidenz zwischen den Bundesländern schwankt und in Berlin mit 13,6 Fällen pro 100.000 Einwohner, gefolgt von Hamburg (9,3), Sachsen (6,6), Mecklenburg-Vorpommern (5,7) und Bayern (4,5) höher liegt.1
  • 55 % der Infektionen werden im Ausland erworben, hierbei werden Indien (11 %), gefolgt von Spanien (2 %), Thailand (2 %), Kolumbien (2 %), Italien (2 %) sowie Ägypten (1 %) am häufigsten genannt.1
  • Am häufigsten sind Kleinkinder und junge Erwachsene betroffen.1

Die weltweite Lage

  • Laut WHO erkranken ca. 280.000.000 Personen pro Jahr weltweit.
  • Ansteckungsgefahr besteht weltweit. Das größte Ansteckungsrisiko besteht in (sub-)tropischen Gebieten.
  • Langdauernder asymptomatischer Trägerstatus ist in vielen Entwicklungsländern sehr verbreitet.

Ätiologie und Pathogenese

  • Das Protozoon kommt in zwei Formen vor: aktiv (Trophozoiten-Vermehrung und Anhaftung am Epithel des Dünndarms) oder ruhend (Zysten infektiös, Ausscheidung über den Stuhl, sehr resistent).
  • Der Wirt des Protozoon ist der Mensch, bestimmte Tierarten können aber auch betroffen sein.
  • Die Infektion wird meist über das Trinkwasser, manchmal auch über Lebensmittel, übertragen.
  • Die Krankheit kann ebenfalls durch oral-analen Kontakt sexuell übertragen werden.
  • Eine Übertragung durch kontaminierte Swimmingpools, Seen, Flüsse etc. durch Verschlucken des Wassers ist ebenfalls möglich.

Prädisponierende Faktoren

  • Reise in Endemiegebiete
  • Verunreinigtes Trinkwasser
  • Unzureichende Hygiene bei der Zubereitung von Mahlzeiten
  • Baden in kontaminierten Süßwasserseen, Flüssen oder Schwimmbecken

ICPC-2

  • D70 Gastrointest. Infekt., Viren

ICD-10

  • A07.1 Giardiasis [Lambliasis]

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Mikroskopischer Nachweis von Zysten im Stuhl
  • Evtl. Nachweis von Giardia-Antigen im Stuhl mittels ELISA und PCR 
  • Ggf. mikrospkopischer Nachweis von beweglichen Trophozoiten im Stuhl bei ausgeprägter Diarrhö

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Die Inkubationszeit beträgt 7–10 Tage, in Ausnahmefällen auch 5–25 Tage.
  • Der klinische Verlauf ist variabel.2
  • Bei einer akuten Erkrankung kommt es oft zu wässriger Diarrhö. Weitere Symptome sind Bauchschmerzen und Blähungen, Übelkeit sowie übelriechender Stuhl.
  • Nach Abklingen der akuten Infektion bleiben die Betroffenen meist asymptomatische Träger über einen langen Zeitraum.
  • Es kann auch zu lang anhaltender Diarrhö und über Jahre wiederkehrenden Durchfällen, Oberbauchschmerzen mit Gewichtsabnahme sowie ausgeprägtem Meteorismus kommen.1
  • Laut einer Studie können auch extraintestinale Symptome an Augen, Haut und Gelenken auftreten.2
  • Vor allem bei persistierender Diarrhö > 14 Tage nach einer vorangegangener Fernreise sollte auch an eine Erkrankung mit Lambien gedacht werden.3

Klinische Untersuchung

  • Klinikbezogene körperliche Untersuchung

Ergänzende Untersuchung in der Hausarztpraxis

  • Mikroskopischer Nachweis typischer Zysten und Eier im Stuhl
    • Mindestens 3 Stuhlproben, da es bei mit Giardia infizierten Personen zu intermittierender Zystenausscheidung kommen kann.
    • In 80–85 % der Fälle basiert die Diagnose auf dem Nachweis des Parasiten und dessen Eier im Stuhl.4
  • Stuhlkultur zum Ausschluss anderer Ursachen anlegen.
  • Weiterhin ist der Nachweis von Giardia-Antigen im Stuhl mittels ELISA und PCR möglich.5
  • Freunde und Familienangehörige ohne Symptome müssen nicht untersucht werden. 

Diagnostik beim Spezialisten

  • Endoskopie mit mikroskopischer Untersuchung von Dünndarmsekret 
    • Giardia ist ein Protozoon, das sich im Dünndarm ansiedelt. Die eindeutige Diagnose wird durch den mikroskopischen Nachweis in dem aus dem Duodenum gewonnenen Inhalt gestellt. Diese Methode wird jedoch nur selten angewandt.

Indikationen zur Überweisung

  • Eine Überweisung ist normalerweise nicht erforderlich.

Therapie

Therapieziele

  • Heilung und Prävention sekundärer Erkrankungen

Allgemeines zur Therapie

  • Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr im akuten Krankheitsverlauf ist wichtig, ggf. mittels oraler Rehydratationslösung.
  • Auf entsprechende Hygienemaßnahmen zur Prävention sekundärer Infektionen sollte geachtet werden.

Empfehlungen für Patienten

  • Eine weitere Ausbreitung kann effektiv verhindert werden durch:
    • eine gute Hygiene
    • vor allem gründliches Händewaschen nach dem Toilettengang und vor der Essenszubereitung
    • falls möglich, separate Nutzung der Toilette bzw. Desinfizieren des Toilettensitzes.
  • Zudem sollten kontaminierte Handtücher und Unterwäsche bei 60/70 °C gewaschen werden.
  • Ausscheider von Lamblien sollten aufgrund der Ansteckungsfähigkeit anderer Personen kein Schwimmbad besuchen, da die Erreger durch Chlor nicht abgetötet werden.

Medikamentöse Therapie

  • Symptomatische Therapie mittels Analagetika/Spasmolytika nach WHO-Stufenschema, z. B. Paracetamol, Metamizol oder Butylscopolamin3
  • Evtl. kurzdauernder Einsatz motilitätshemmender Substanzen (z. B. Loperamid nur bei unkompliziertem Krankheitsbild); bei schwerem Krankheitsbild (z. B. Fieber) Verzicht auf diese3
  • Antibiotikatherapie
    • Metronidazol 3 x 500 mg für 5–7 Tage3
    • Alternativen: Albendazol 1 x 400 mg tgl. für 5 Tage (Off-Label-Use); weitere Alternativen: Tinidazol 2 g/d Einmaldosis, Ornidazol 2 g/d, Secnidazol 2 g/d, Nitazoxanide 2 x 500 mg für 3 Tage sind in Deutschland nicht im Handel erhältlich bzw. zugelassen.3

Prävention

  • Reiseberatung bei Reisen in Gebieten mit schlechten oder unsicheren hygienischen Verhältnissen
    • Lediglich Wasser aus gekauften Flaschen trinken.
    • Rohes Gemüse oder Obst, das nicht geschält werden kann, Salat und Eis vermeiden. 
    • Hähnchen, Hamburger, Hackbraten und andere Fleischgerichte sowie Fisch und Schalentiere sollten gut durchgekocht oder durchgebraten sein.
    • Andere Fleischprodukte müssen äußerlich durchgebraten sein.
    • Unbehandelte Milch sollte vermieden werden.
    • konsequentes Händewaschen nach dem Toilettengang und vor der Essenszubereitung
    • Abwaschen von Messern, Schneidbrettern und Küchengeräten, die durch Lebensmittel verunreinigt sein können.
  • Giardia lamblia ist unempfindlich gegenüber Chlor. Der Parasit ist auch nur schwer bei der Trinkwasseraufbereitung abzutöten.

Meldepflicht

  • Nach § 7 des Infektionsschutzgesetzes (Labormeldepflicht) besteht bei Nachweis der Infektion eine namentliche Meldepflicht an das Gesundheitsamt.
  • Nach § 6 des Infektionsschutzgesetzes (Arztmeldepflicht) ist der Verdacht
    und die Erkrankung namentlich meldepflichtig, wenn eine Person
    betroffen ist, die eine Tätigkeit im Lebensmittelbereich im Sinne des § 42 Abs. 1
    ausübt oder zwei oder mehr Erkrankungen auftreten, bei denen ein
    epidemiologischer Zusammenhang wahrscheinlich ist.3
  • Personen, deren Beruf in die Bestimmungen des § 42 IfSG – Lebensmittelgewerbe fällt, haben während der akuten Krankheitsphase ein Tätigkeitsverbot.3

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Der Verlauf ist variabel.
  • Die Krankheit kann asymptomatisch verlaufen, wobei der Betroffene lange Träger sein kann. Zysten können bis zu 6 Monaten nach der Infektion nachgewiesen werden.
  • Akute Verlaufsform mit abdominellen Beschwerden, wässriger Diarrhö sowie Exsikkose sind möglich.
  • Aber auch chronische Verläufe mit lang anhaltender Diarrhö und über Jahre wiederkehrenden Durchfällen, Oberbauchschmerzen mit Gewichtsabnahme sowie ausgeprägtem Meteorismus kommen vor.1

Komplikationen

  • Häufig treten keine schweren Komplikationen auf.
  • Komplikationen wie Exsikkose, Hypotonie, prärenales Nierenversagen sind möglich.3
  • Berichtet wurde  auch von einem gehäuften Auftreten an Fatigue- und Reizdarmsymptomen 3 Jahre nach überstandener Infektion.6
  • Bei chronischem Verlauf kann es sogar bei asymptomatischen Patient*innen zu einem Malabsorptionssyndrom mit einem Verlust von 10 % bis 20 % des Körpergewichts aufgrund von Malabsorption von Fetten und Kohlehydraten kommen.7
    • Vitamin A-, Vitamin B12- und Folsäure-Mangel, sowie Hypalbuminämie und sekundärer Laktasemangel können ebenfalls auftreten.

Prognose

  • Die Prognose ist gut; unbehandelt kann die Infektion aber zu langer Trägerschaft und damit erhöhtem Risiko für Sekundärinfektionen führen.
  • Die Therapie führt schnell zur Infektionsfreiheit.

Verlaufskontrolle und Nachuntersuchung

  • Klare Handlungsempfehlungen zur Verlaufskontrolle und ob Nachuntersuchungen mittels Stuhlprobe nach Giardiasisinfektion empfohlen werden, ist nicht erschöpfend im Infektionsschutzgesetz geregelt und unterliegt nach Angaben des Robert Koch-Institutes der Zuständigkeit des jeweiligen Gesundheitsamtes (Kontaktdaten: Gesundheitsamt nach PLZ oder Ort). 
  • Je nach Patient (z. B. ob diese/dieser beruflich mit unverpackten Lebensmitteln umgeht oder in einer Gemeinschaftseinrichtung arbeitet oder diese besucht) werden durch das Gesundheitsamt individuelle Maßnahmen getroffen. Das Gesundheitsamt ist daher der beste Ansprechpartner.
  • Das Gesundheitsamt Saarbrücken informiert z. B., dass mit Giardiasis infizierte Kinder unter 6 Jahren Gemeinschaftseinrichtungen vorübergehend nicht besuchen dürfen. Bereits der Verdacht auf eine solche Erkrankung führt zu einem Besuchsverbot. Ist der Stuhl normal geformt, kann das Kind die Einrichtung wieder besuchen. Ein ärztliches Attest ist nicht erforderlich. Erwachsene und Schulkinder über 6 Jahren unterliegen dieser Regelung nicht. Dies ist im § 34 des Infektionsschutzgesetzes festgelegt und entspricht den Empfehlungen für die Wiederzulassung in Schulen und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS). Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. AWMF-Leitlinie Nr. 021-024. Stand 2015, S2k. www.awmf.org

Literatur

  1. Robert-Koch-Institut. Infektionsepidemiologisches Jahrbuch, Berlin, 2018. www.rki.de
  2. Cantey PT, Roy S, Lee B, et al. Study of nonoutbreak giardiasis: novel findings and implications for research. Am J Med 2011; 124: 1175. PubMed
  3. Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e. V. (DGVS). Gastrointestinale Infektionen und Morbus Whipple. AWMF-Leitlinie Nr. 021-024 Stand 2015, S2k. www.awmf.org
  4. Nazer H. Giardiasis. Medscape, last updated Feb 15, 2016. emedicine.medscape.com
  5. Robert-Koch-Institut. Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten, 2011. (Zugriff 07.09.2017). www.rki.de
  6. Wensaas K-A, Langeland N, Hanevik K ,Mørch K, Eide GE, Rørtveit G. Irritable bowel syndrome and chronic fatigue 3 years after acute giardiasis: historic cohort study. Gut 2011. doi:10.1136/gutjnl-2011-300220. DOI
  7. BMJ BestPractice. Giardiasis. Stand Juni 2022. (letzter Zugriff am 21.07.2022). bestpractice.bmj.com
  8. Buret AG. Pathophysiology of enteric infections with Giardia duodenalis. Parasite. 2008 Sep. 15(3):261-5. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. López CE, Dykes AC, Juranek DD, Sinclair SP, Conn JM, et al. Waterborne giardiasis: a communitywide outbreak of disease and a high rate of asymptomatic infection. Am J Epidemiol 1980; 112(4): 495. pmid:7424899 PubMed
  10. Granados CE, Reveiz L, Uribe LG, Criollo CP. Drugs for treating giardiasis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 12. Art. No.: CD007787. DOI: 10.1002/14651858.CD007787.pub2. DOI

Autoren

  • Kristine Scheibel, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Norderney
  • Bo Svenungsson, docent och överläkare, Smittskydd Stockholm
  • Dag Berild, överläkare, Medisinsk klinikk, Aker Sykehus

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