Atelektase

Zusammenfassung

  • Definition:Kollaps eines Lungenabschnitts mit in der Folge reduziertem Gasaustausch. 
  • Häufigkeit:Häufig bei beatmeten Patienten (perioperativ oder auf Intensivstation). Gelegentlich bei pulmonalen Grunderkrankungen (COPD, zystische Fibrose, Raumforderung) oder spontan.
  • Symptome:Luftnot.
  • Befunde:Typische Befunde sind in ausgeprägten Fällen: Zyanose, Tachypnoe, Tachykardie, Dämpfung bei Perkussion und schwache Atemgeräusche, evtl. bronchiales Atemgeräusch.
  • Diagnostik:Mittels Bildgebung (Röntgenthorax/Computertomografie).
  • Therapie:Kleinere Atelektasen erfordern keine Therapie. Bei größeren, für den Gasaustausch relevanten Atelektasen evtl. Bronchoskopie oder Beatmung mit Überdruck (PEEP). Bei Hinweisen auf eine Infektion (Fieber, Leukozytose) antibiotische Therapie.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Lokal begrenzter Kollaps von Lungengewebe

Häufigkeit

  • Perioperative Atelektasen treten bei bis zu 90 % der Patienten mit Allgemeinnarkose auf.1

Ätiologie und Pathogenese

Angeborene Atelektase

  • Die unvollständige Entfaltung größerer oder kleinerer Lungenabschnitte bei der Geburt kann durch eine unzureichende alveoläre Surfactantbildung ausgelöst werden (z. B. bei Frühgeburt).
  • Die Aspiration von Schleim oder Fruchtwasser kann ebenfalls Atelektasen verursachen.

Erworbene Atelektase

  • Kompressionsatelektase2
    • bei Flüssigkeit oder Luft in der Pleurahöhle (Pneumothorax)
    • bei hochstehendem Zwerchfell aufgrund von Parese, Aszites oder Abdominaltumor
    • beim Kollaps der Thoraxwand nach Trauma oder operativen Eingriffen
    • bei intrathorakalem Tumor
  • Obstruktionsatelektase
    • Obstruktion von Bronchien z. B. durch Sekret-Ansammlung, Fremdkörper oder Tumor3-4
    • Bei hilären Lymphknotentumoren kann es zu einer Atelektase des kompletten Mittellappens kommen.
    • Eine chronische Mittellappenatelektase wird auch Mittellappensyndrom genannt.
  • Atelektase bei beatmeten Patienten (perioperativ und in der Intensivmedizin)
    • Zilienfunktionsstörungen und fehlender Hustenreflex infolge Narkose
    • Dilatation der glatten Muskulatur1
    • Diffusion von intraalveolärem Sauerstoff in die Blutbahn, insbesondere problematisch bei Beatmung mit hohem Sauerstoffanteil (Absorptionsatelaktase)1
    • Auch nach Extubation flache Atmung, reduzierte Zwerchfellbewegung und ineffizienter Husten infolge von Schmerzen

Disponierende Faktoren

  • Nach einer Operation des Thorax oder des oberen Abdomens
  • Chronische Lungenerkrankungen wie COPD und zystische Fibrose
  • Intensivmedizinische Behandlung, insbes. bei Beatmung
  • Intrathorakale Raumforderungen

ICPC-2

  • R99 Atemwegserkrankung, andere

ICD-10

  • J98 Sonstige Atmungsstörungen
    • J98.1 Lungenkollaps
  • P28 Sonstige Störungen der Atmung mit Ursprung in der Perinatalperiode
    • P28.0 Primäre Atelektase bei Neugeborenen
    • P28.1 Sonstige und nicht näher bezeichnete Atelektase bei Neugeborenen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Radiologische Diagnose

Differenzialdiagnosen

  • Pneumonie
    • positives Bronchoaerogramm im Röntgenbild
    • systemische Entzündungszeichen

Anamnese

  • Disponierende Faktoren in der Krankengeschichte
  • Entwicklung von Dyspnoe

Klinische Untersuchung

  • Größere Atelektasen können klinisch diagnostiziert werden.
  • Typische Befunde sind: Zyanose, Tachypnoe, Tachykardie, Dämpfung bei Perkussion und umschrieben schwaches Atemgeräusch, evtl. bronchiales Atemgeräusch.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Diagnostik beim Spezialisten

  • Arterielle Blutgasanalyse zur Beurteilung des Gasaustausches

Röntgenthorax

  • Die Veränderungen sind oftmals segmental oder lobär.2
    • Es kann sich auch um verstreute kleinere Infiltrate handeln.
  • Das klassische Bild einer kleinen Atelektase ist ein keilförmiger homogener Schatten mit Spitze zum Hilus.
  • Das atelektatische Gewebe ist luftleer, oft scharf abgegrenzt und führt zu einem Volumenverlust.
  • Bei einer Unterlappenatelektase auffällig:
    • Der Hilus ist kaudal verschoben.
    • Die Zwerchfellkontur ist auf der betroffenen Seite verwischt.
  • Bei einer Oberlappenatelektase auffällig:
    • Der Hilus ist kaudal verschoben.
  • Bei einer Mittellappenatelektase auffällig:
    • Die rechte Herzkontur ist verwischt.
    • Bei seitlicher Ansicht über dem Herzen ist eine schwach keilförmige Verdichtung mit der Spitze zum Hilus und mit Basis im vordersten Phrenikokostalwinkel zu sehen.
  • Bei Atelektase der Lingula ist der linke Herzrand verwischt.
  • Bei großen Atelektasen kann das verringerte Volumen dazu führen, dass das Mediastinum und die Herzgefäßschatten zur betroffenen Seite hin verschoben werden und das Zwerchfell auf der betroffenen Seite angehoben wird.

Computertomografie

  • Zur Differenzierung von (malignen) Raumforderungen und Klärung der Ursache 5

Bronchoskopie

  • Ist in der Regel indiziert bei größeren Atelektasen, um auslösende Ursachen wie Tumoren, Fremdkörper oder eine bronchiale Kompression nachzuweisen.

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • In der Regel ist eine sofortige oder baldige Überweisung erforderlich zur Behandlung und Diagnose der Ursache.
  • Kleine Atelektasen mit spärlichen Symptomen ohne Hinweis auf schwerwiegende Grunderkrankung können abwartend beobachtet werden.
  • Bei Hinweis auf eine schwerwiegende Grunderkrankung, Zyanose oder Dyspnoe ist eine Klinikeinweisung erforderlich.

Therapie

Therapieziel

  • Die Atelektase beseitigen.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung ist von der Ätiologie und Ausbreitung des Prozesses abhängig.
  • Wichtig ist die Abgrenzung von der Pneumonie, die eine antibiotische Therapie erfordert.
  • Kleine Atelektasen verschwinden in der Regel spontan.

Medikamentöse Therapie

  • Effektive postoperative Analgesie kann vorbeugend wirken, um eine Hypoventilation zu vermeiden.
  • Bronchodilatatoren wie Salbutamol können den Patienten beim Abhusten von Sekret helfen.
  • Bei systemischen Entzündungszeichen antibiotische Therapie gemäß den Empfehlungen der empirischen Therapie bei Pneumonie, z. B. mit Amoxicillin 875 mg 3 x tgl. über 7 Tage

Invasive Therapie

  • Bronchoskopie6
    • zur Diagnostik (Klärung der Ätiologie der Atelektase) und Therapie (Beseitigung einer Obstruktion)
  • Bei beatmeten Patienten1
    • Beatmung mit positivem endexpiratorischem Druck (PEEP)
    • „Blähmanöver“ mit kurzzeitig erhöhtem Beatmungsdruck zur Rekrutierung von atelektatischen Lungenabschnitten

Sekundärbehandlung

  • Physiotherapie mit Drainage

Prävention

  • Eine postoperative Physiotherapie für Patienten nach umfangreicher Chirurgie umfasst:
    • Atemübungen, Übungen zur Stabilisierung von Haltung und Bewegung und zur Expektoration.
  • Bei Patienten mit akutem Lungenversagen (ARDS) auf der Intensivstation reduziert eine Lagerung in Bauchlage das Auftreten von Atelektasen.7 

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Abhängig von Ursache und Größe der Atelektase
  • Kleine Atelektasen heilen in der Regel spontan aus.

Komplikationen

Prognose

  • Die Prognose hängt von der Ursache der Atelektase ab.
  • Bei kleinen Atelektasen ist die Prognose gut und die Heilung spontan.

Verlaufskontrolle

  • Radiologische und klinische Verlaufskontrolle
  • Kontrolle mittels Röntgen Thorax nach einigen Wochen bei Risikofaktoren für Lungenkarzinom 8
    • Alter >65 Jahre
    • Raucher
    • Patienten mit schweren Begleiterkrankungen

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Atelektasen verschwinden in den meisten Fällen wieder.
  • Bei Fieber, vermehrtem Husten oder Atemnot sollte umgehend eine ärztliche Vorstellung erfolgen.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Lungen und Bronchien normal
Lungen und Bronchien normal
Normales Röntgen des Thorax
Normales Röntgen des Thorax: 1. Herzschatten, 2. Aortenbogen, („Aortenknopf“), 3. Rippen, 4. Trachea, 5. Hilus mit Pulmonalarterien.
Lunge mit Atelektase
Lunge mit Atelektase bei beatmetem Patienten: 1. Oberlappenatelektase, 2. regulär belüftete Lungen, 3. Endotrachealtubus, 4.zentraler Venenkatheter.
Atelektase durch einen Tumor
Atelektase durch einen Tumor: 1. Oberlappenatelktase, 2. konsekutiver Zwerchfellhochstand.

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. Tracheo-Bronchoskopie. AWMF-Registernummer 017-061. S1, Stand 2015. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI). Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen. AWMF-Registernummer 001-015. S2e, Stand 2015. www.awmf.org

Literatur

  1. Hedenstierna G, Edmark L. Mechanisms of atelectasis in the perioperative period. Best Pract Res Clin Anaesthesiol. 2010 Jun;24(2):157-69. Review. PubMed PMID: 20608554. PubMed
  2. Woodring JH, Reed JC. Types and mechanisms of pulmonary atelectasis. J Thorac Imaging. 1996 Spring;11(2):92-108. Review. PubMed PMID: 8820021. PubMed
  3. Kreider ME, Lipson DA. Bronchoscopy for atelectasis in the ICU: a case report and review of the literature. Chest. 2003 Jul;124(1):344-50. Review. PubMed PMID: 12853543. PubMed
  4. Scarlata S, Rossi Bartoli I, Pedone C, Antonelli Incalzi R. Obstructive atelectasis of the lung. Postgrad Med J. 2016 Jun;92(1088):365. doi:10.1136/postgradmedj-2015-133884. PubMed PMID: 26802128. PubMed
  5. Larson Hsu, Daniel Green et al: Imaging of Atelectasis. Contemporary Diagnostic Radiology: December 15th, 2013. journals.lww.com
  6. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. Tracheo-Bronchoskopie. S1-Leitlinie, AWMF Registernummer 017-061, Stand 07/2015. www.awmf.org
  7. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen. S2e-Leitlinie, AWMF Registernummer 001-015, Stand 04/2015. www.awmf.org
  8. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beartmungsmedizin (DGP), Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und Paul Ehrlich Gesellschaft für Chemotherapie e.V. (PEG). Pneumonie, ambulant erworben, Behandlung und Prävention von erwachsenen Patienten. AWMF-Leitlinie Nr. 020-020, Stand 2015 www.awmf.org

Autoren

  • Dietrich August, Dr. med., Arzt, Freiburg
  • Ingard Løge, spesialist allmennmedisin, universitetslektor, institutt for sammfunsmedisinske fag, NTNU, redaktør NEL
  • Lennart Hansson, Dr. med. und Oberarzt, Lungen- und Allergieklinik, Universitätskrankenhaus Skåne (Medibas)
  • Hasse Melbye, Facharzt für Allgemeinmedizin, Wissenschaftler am Institut für Sozialmedizin, Universität in Tromsø

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