Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen

Die Ursachen von Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen sind komplex. Angeborene Eigenschaften, die Sozialisation sowie Lebenserfahrungen können eine Rolle bei der Entwicklung von Angststörungen spielen.

Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen

Bei Kindern ist die Grenze zwischen normaler Emotionalität und einer Angststörung oft schwer zu definieren. Ein Warnzeichen ist, wenn die Angst soziale Situationen erschwert oder das Kind in seiner sozialen Entwicklung einschränkt. Angst ist ein sehr unspezifisches Symptom, das auch bei einer Reihe anderer Erkrankungen vorhanden sein kann.

Zu den Angststörungen bei Kindern gehören u. a. folgende Erkrankungen:

  • Emotionale Störung mit Trennungsangst, z. B. von Mutter und/oder Vater
  • Phobien vor bestimmten Gegenständen oder Situationen, z. B. Hundephobie
  • Ausgeprägte Angst vor Fremden (Störung mit sozialer Ängstlichkeit)
  • Situationsunabhängige, dauerhafte Angst (generalisierte Angststörung)
  • Schwere Angstzuständen, die anfallartig auftreten (Panikstörung).

Angststörungen zählen in allen Altersgruppen zu den häufigsten psychischen Störungen. Einige der genannten Angststörungen treten auch bei Erwachsenen auf. Bei Kindern treten Angststörungen etwas häufiger bei Mädchen als bei Jungen auf. Aus verschiedenen Studien ergeben sich grobe Schätzungen, dass etwa 8 % der 2- bis 5-Jährigen und 8–9 % der Jugendlichen an einer Angststörung erkrankt sind. Die häufigsten Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen sind die generalisierte Angststörung, die soziale Phobie sowie die Trennungsangst.

Angststörungen können durch mehrere Ursachen und deren Wechselwirkungen bedingt sein. Dabei spielen die Persönlichkeitsfaktoren, die Lebenserfahrungen des Kindes sowie das Umfeld, in dem es aufwächst, eine Rolle. Vermutlich sind für die Krankheitsentstehung auch genetische Faktoren, psychische Störungen der Eltern und Bewältigungsstrategien des Kindes sowie der Familie von Bedeutung.

Trennungsangst

Hier liegt eine starke Angst vor einer Trennung von Bezugspersonen oder der gewohnten Umgebung vor. Die Angst besteht auch noch in einem Alter, in dem solche Reaktionen nicht mehr als normal einzustufen sind. Das Kind fürchtet sich auf unrealistische Weise vor der Trennung und versucht, eine Trennung zu vermeiden und den Kontakt bei einer Trennung sofort wiederherzustellen. Häufig treten auch körperliche Krankheitszeichen auf, wie Bauchschmerzen oder Übelkeit. Das Kind weigert sich womöglich, in den Kindergarten oder in die Schule zu gehen. Das Kind neigt dazu, zu Hause zu bleiben, nicht auszugehen und nicht außerhalb zu schlafen.

Phobien

Phobien sind eine Gruppe von Angststörungen, bei denen Angst in bestimmten Situationen oder durch bestimmte Objekte hervorgerufen wird, die in der Regel ungefährlich oder harmlos sind. In der Folge werden diese Situationen vermieden oder sind mit großer Angst verbunden. Allein der Gedanke, sich in eine Situation, die die Phobie auslöst, zu begeben, löst in der Regel Angst aus (sog. Erwartungsangst). Daher versucht das Kind, Situationen zu vermeiden, in denen die Angst entstehen kann. Beispielsweise kann eine Hundephobie dazu führen, dass das Kind nicht mehr nach draußen geht, sondern sich zu Hause isoliert, wo es sich sicher fühlt.

Die „Schulphobie" gilt nicht als eigene Erkrankung. Es sollte abgeklärt werden, ob Mobbing oder realistische Gründe für die Angst vor der Schule oder dem Schulweg vorliegen. Auch Trennungsangst (s. o.) kann vor allem bei kleinen Kindern der Grund für Angst vor der Schule sein. Bei Jugendlichen kann auch eine Depression zugrunde liegen.

Störung mit sozialer Ängstlichkeit

Diese Angststörung tritt bereits vor dem 6. Lebensjahr auf und bringt in der Regel eine außergewöhnlich starke Angst vor Fremden und Unsicherheit in sozialen Situationen mit sich. Sie führt zu einer Vermeidung von sozialen Interaktionen und ausgeprägten Einschränkungen im Alltag. Furcht und Vermeidungsverhalten können sich hauptsächlich auf Erwachsene, auf Gleichaltrige oder beide beziehen. Dies äußert sich beim Kind durch Weinen, Panik, Wutanfälle, Rückzug oder Erstarren.

Das Krankheitsbild überlappt weitgehend mit den Symptomen der sozialen Phobie, die im Erwachsenenalter zu den phobischen Störungen gezählt wird.

Generalisierte Angststörung

Bei der generalisierten Angststörung treten ausgeprägte, nicht kontrollierbare Sorgen und Ängste auf, die das Verhalten der betroffenen Kinder hemmen und sie in verschiedenen Situationen einschränken. Eine solche Angststörung wird oft von körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen begleitet. Betroffene Kinder haben oft Probleme sich zu entspannen und einzuschlafen. Außerdem kann sich die Angststörung in Sorgen in Bezug auf anstehende Ereignisse, Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Anspannung, Gereiztheit und Wutanfällen äußern.

Panikstörung

Diese Angststörung tritt selten vor der Pubertät und nie vor dem 6. Lebensjahr auf. Das wesentliche Kennzeichen sind wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine bestimmte Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch nicht vorhersehbar sind. Die Panikattacken sind oft von Herzrasen, Brustschmerz, Erstickungsgefühlen, Schwitzen, Zittern, Mundtrockenheit und Todesangst begleitet.

Diagnose

Um eine Angststörung zu diagnostizieren, erkundigt sich der Arzt ausführlich zur Krankengeschichte und zu den aufgetretenen Symptomen. Wichtigster Bestandteil sind dabei mehrere Gespräche, bei denen sowohl die Eltern, Bezugspersonen und evtl. Lehrer, als auch das Kind selbst befragt wird. Außerdem kommen Fragebögen zum Einsatz, von denen einige eigenständig vom betroffenen Kind ausgefüllt werden. Weiterer Bestandteil der Diagnosestellung ist eine körperliche Untersuchung, um andere Erkrankungen auszuschließen, sowie die Beobachtung des Verhaltens, z. B. in der Eltern-Kind-Beziehung.

Therapie

Das Ziel der Therapie ist es, die aktuellen Symptome zu lindern oder zu beseitigen sowie eine normale kindliche Entwicklung zu fördern, sodass das Kind positive Erfahrungen bei der Bewältigung von Problemen sammelt und die Ängste nicht dauerhaft bestehen bleiben.

Gewisse vorübergehende Formen der Angst sind bei Kindern normal und erfordern in der Regel keine Behandlung. Eltern und Erzieher sollten nicht versuchen, das Kind vor allen potenziell angstauslösenden Situationen zu bewahren, sondern es darin unterstützen, sich seinen Ängsten zu stellen, diese auszuhalten und schließlich zu überwinden. Das Kind und seine Familie benötigen Hilfe, wenn die Symptome zu starken und anhaltenden Beeinträchtigungen führen, die normale Entwicklung des Kindes behindern oder soziale Interaktionen blockieren, z. B. in der Familie.

Zunächst ist die umfassende Informationsvermittlung in Beratungsgesprächen mit den Kindern/Jugendlichen und ihren Eltern vorgesehen. Bei Schulverweigerung sollte das Kind die Schule so schnell wie möglich wieder besuchen. Es kann hilfreich sein, auch eine Beratung für das Personal im Kindergarten/in der Schule anzubieten. Je nach Art der Angststörung kommen auch speziellere Therapien in Frage. Bei Phobien kann z. B. ein Training stattfinden, bei dem das Kind dem angstauslösenden Gegenstand oder der angstauslösenden Situation ausgesetzt ist.

Eine Familientherapie kann sinnvoll sein, falls es Probleme in der Interaktion zwischen den Eltern und dem Kind gibt. Eine Psychotherapie kann auch als Einzel- oder Gruppentherapie hilfreich sein.

Eine medikamentöse Therapie ist grundsätzlich nicht die Therapie der ersten Wahl und findet in der Regel als Kombination mit einer anderen Behandlungsmaßnahme statt. Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie können entscheiden, ob eine medikamentöse Therapie sinnvoll sein kann.

Verlauf und Prognose

Über den Verlauf von Angststörungen in der Kindheit ist wenig bekannt. Die Beschwerden gehen häufig spontan zurück, können aber erneut auftreten. Bei manchen Patienten entwickelt sich im Erwachsenenalter eine Panikstörung. Die Häufigkeit depressiver Störungen im Erwachsenenalter ist nach einer Angststörung im Kindesalter leicht erhöht.

Etwa 2/3 der Patienten genesen, bei etwa 1/3 entwickeln sich anhaltende Beschwerden. Das Risiko für anhaltende Beschwerden ist erhöht, wenn psychische Störungen bei Verwandten, besonders bei den Eltern vorliegen, die emotionale Entwicklung gestört wurde oder die Therapie erst spät begonnen wurde.

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  • Marleen Mayer, Ärztin, Mannheim

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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