Asperger-Syndrom (Autismus-Spektrum-Störung)

Zusammenfassung

  • Definition:Das Asperger-Syndrom gehört zur Gruppe der Autismus-Spektrum-Störungen bzw. tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Sie geht einher mit Störungen im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie stereotypen und repetitiven Verhaltensauffälligkeiten.
  • Häufigkeit:Die weltweite Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungen wird mit hoher Variabilität angegeben und liegt im Median bei 170/100.000 Einw. In Europa liegt sie mit 619/100.000 Einw. höher. Das männliche Geschlecht ist deutlich häufiger betroffen.
  • Symptome:Betroffene haben Autismus-spezifische Auffälligkeiten der sozialen Interaktion, die häufig zu negativen Auswirkungen im alltäglichen Leben führen. Zudem geht die Erkrankung mit stereotypen und repetitiven Verhaltensmustern einher. Eine Besonderheit des Asperger-Syndroms sind eine meist unbeeinträchtigte Intelligenz und eine Tendenz zu Spezialinteressen.
  • Befunde:Entwicklungsverzögerungen in betroffenen Bereichen sowie Verhaltensauffälligkeiten, die in der Beobachtung des Kindes oder durch Angehörige und andere nahestehende Personen bzw. in der Schule auffallen.
  • Diagnostik:Verschiedene Screening-Verfahren für verschiedene Altersgruppen stehen zur Verfügung. Neben der Untersuchung der Hör- und Sehfunktion sollte auch eine neurologische Untersuchung durchgeführt werden. Eine weiterführende Diagnostik sollte an spezialisierten Zentren erfolgen.
  • Therapie:Eine kausale Therapie ist nicht möglich. Die Therapie beruht auf psychologischer Behandlung, insbesondere Verhaltenstherapie und Psychoedukation. Ergänzt wird sie durch soziale Interventionen. Die Therapieziele werden individuell festgelegt und beinhalten z. B. Teilhabe am Arbeitsleben und der Gesellschaft. Begleiterkrankungen und Symptome können ggf. medikamentös behandelt werden.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Das Asperger-Syndrom ist eine Entität aus der Gruppe der Autismus-Spektrum-Störungen (ASS), auch tiefgreifende Entwicklungsstörungen genannt.1
    • Umfasst frühkindlichen Autismus (Kanner-Syndrom), Asperger-Syndrom, atypischen Autismus und „nicht näher bezeichnete", „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen" (engl. Pervasive Developmental Disorders, Not Otherwise Specified, PDD-NOS).1
  • Kennzeichnend für Autismus-Spektrum-Störungen sind Beeinträchtigungen in folgenden Bereichen:1
    • soziale Interaktion
    • Kommunikation
    • Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten.
  • Typische Manifestationen des Asperger-Syndroms1-2
    • Autismus-spezifische Auffälligkeiten der sozialen Interaktion
    • stereotypes und repetitives Verhalten
      • Tendenz zu ritualisierten Handlungen und Gewohnheiten
    • ungewöhnliche Spezialinteressen
    • sprachliche und kognitive Entwicklung unauffällig
      • z. T. hochfunktionale Formen mit Inselbegabungen3-4
  • Die Symptome des Asperger-Syndroms bestehen ab der frühen Kindheit lebenslang.1-2
    • Veränderung des klinischen Erscheinungsbildes abhängig von der Lebensphase

Häufigkeit

  • Prävalenz für Autismus-Spektrum-Störungen von 0,9–1,1 %1,5
    • weltweit 2,8–94/10.000 (Median 17/10.000)
    • Europa 30/10.00–116/10.000 (Median 61,9/10.000)
    • hohe Variabilität der Daten zur Prävalenz
      • Ursache sind Unterschiede in Screeningverfahren, Kriterien der Fallidentifikation sowie eine hohe Dunkelziffer.
  • Prävalenz des Asperger-Syndroms im Kindesalter von etwa 0,02–0,03 %2,6
  • Wenige Studien zur Inzidenz von Autismus-Spektrum-Störungen1
    • Zeigen insgesamt einen Aufwärtstrend der Inzidenz.
  • Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen (Verhältnis von bis zu 8:1).1-2

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Ätiologie des Asperger-Syndroms ist nicht geklärt.1
    • Bei bekannten Risikofaktoren ist deren neurobiologischer Mechanismen nicht erforscht.
    • Pathophysiologisch ist die neuronale Entwicklung und Differenzierung bei Autismus-Spektrum-Störungen verändert.
  • Wissenschaftlich belegte Ursachen umfassen:1,7-9
    • genetische Risikofaktoren
      • z. B. (Spontan-)Mutationen, Mikrodeletionen und -duplikationen, chromosomale Störungen, häufige genetische Varianten
    • Umweltrisikofaktoren, insbesondere im Rahmen der Schwangerschaft

Prädisponierende Faktoren

  • Familiäre, genetische Prädisposition1,8-9
  • Umweltrisikofaktoren1
    • höheres Alter von Mutter und Vater
    • Medikamentenexposition in der Schwangerschaft (z. B. Valproat, Antiepileptika, SSRI)
    • Röteln-Infektion der Mutter in der Schwangerschaft
    • Migrationsstatus der Eltern
  • Ausgeschlossene Risikofaktoren (in der Öffentlichkeit diskutiert und ohne erhöhtes Risiko)1

ICPC-2

  • P99 Psych. Störung/Erkrank., andere

ICD-10

  • F84. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
    • F84.0 Frühkindlicher Autismus
    • F84.1 Atypischer Autismus
    • F84.5 Asperger-Syndrom
    • F84.8 Sonstige tief greifende Entwicklungsstörungen

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Diagnostik erfolgt auf der Basis von Verhaltensbeobachtungen.1
    • Biologische Marker für Autismus-Spektrum-Störungen existieren bislang nicht.
  • Diagnosekriterien des Asperger-Syndroms entsprechend der ICD-10-Klassifikation1
    • Entwicklungsauffälligkeit vor dem 3. Lebensjahr vorhanden
    • Kernsymptomatik mit den Domänen:
      • Störungen in der sozialen Interaktion
      • Störungen der Kommunikation
      • stereotype und repetitive Verhaltensweisen und Spezialinteressen.
    • sprachliche und kognitive Entwicklung dabei unauffällig
  • Eine sichere Unterscheidung zwischen den Subgruppen der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (Autismus-Spektrum-Störungen) ist nicht möglich (dimensionale Störung).1
  • Neuere Diagnosekriterien des DSM-5 sehen Veränderungen vor.1
    • Sollen mit ICD-11 harmonisiert werden.
    • Überführung in eine einzige diagnostische Kategorie (Autismus-Spektrum-Störung)
    • Veränderung der diagnostischen Kriterien
    • Diagnosestellung auch bei Beginn nach dem 3. Lebensjahr möglich
  • Verbesserungsbedarf bezüglich der frühzeitigen Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen in Deutschland1
  • Auch bei Erwachsenen bei entsprechender Symptomatik an ein Asperger-Syndrom denken.2

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Leitlinie: Anamneseerhebung bei V. a. Autismus-Spektrum-Störungen1

  • Aspekte der Anamneseerhebung
    • aktuelle Symptomatik und Vorstellungsgrund
    • Schwangerschafts- und Geburtsanamnese mit Erfragung von Risikofaktoren
    • Entwicklungsanamnese
    • Betreuungs- und Erziehungssituation vom Säuglings- bis zum Jugendalter
    • Bildungsanamnese
    • Hobbys und Freundschaften
    • Hinweise auf repetitive, stereotype Verhaltensweisen
    • somatische Anamnese (körperliche Beschwerden sowie Substanzkonsum)
    • bisherige Vorbehandlung und Fördermaßnahmen
    • bisherige Sozial-/Jugendhilfemaßnahmen, bisherige Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben
    • aktuelle psychiatrische komorbide Symptomatik (inkl. Abklärung von Suizidalität und selbstverletzendem Verhalten)
    • Familienanamnese
  • Kernsymptome sind typischerweise bereits in der frühen Kindheit vorhanden.1-2,10
    • Sie lassen sich nicht bei der Geburt erfassen.
    • Und fallen oft erst in Kindergarten oder Schule auf.
    • erste Wahrnehmung häufig durch die Eltern
    • ggf. Rückschritt oder Verlust bereits erworbener Fähigkeiten in der Sprache oder sozialen Interaktion
  • Leitsymptome von Autismus-Spektrum-Störungen1
    • Auffälligkeiten der wechselseitigen sozialen Kommunikation und Interaktion
      • gesprochene Sprache
      • Reaktion auf andere Personen
      • Interaktion mit anderen Personen
      • Blickkontakt, Deuten auf, Gesten
      • Ideen und Vorstellungskraft
    • unübliche oder eingeschränkte Interessen und/oder rigide, stereotype und repetitive Verhaltensweisen
  • Besondere Frühsymptome des Asperger-Syndroms1,10
    • kein, wenig oder inadäquater Kontakt
    • stereotype Verhaltensweisen
    • Veränderungsängste
    • sensorische Auffälligkeiten
    • auffällige Reaktion auf Annäherung anderer Kinder
    • eingeschränktes Phantasiespiel
    • Kaum Angebote, etwas (Nahrung, Spielzeug etc.) zu teilen.
    • seltene Zeigegeste mit begleitendem Blickkontakt
    • Spricht selten, nur um freundlich oder gesellig zu sein, sondern meist, um Bedürfnisse mitzuteilen oder Informationen zu geben.
    • stereotyper Sprachgebrauch
    • zwanghafte und ritualisierte Verhaltensweisen
  • Anamnestische Einschätzung der konkreten Kompetenzen, Verhaltensweisen und Schwierigkeiten im Alltag, auch durch nahestehende Personen
  • Komorbidität bezüglich psychischer Störungen und somatischer Erkrankungen beachten.1,10

Leitlinie: Mögliche Zeichen einer Autismus-Spektrum-Störung1

Kinder

  • Altersgruppe 12–18 Monate
    • Keine Zeigegeste, um Interesse zu teilen.
    • keine Winke-Geste zum Abschied
    • fehlende Reaktion auf Namensnennung
    • fehlende Imitation
    • mangelnder Blickkontakt
    • ungewöhnliche Exploration von Objekten
    • kein Folgen der Zeigegeste
    • seltenes soziales Lächeln
    • verlangsamte Flexibilität in der visuellen Anpassung
    • Vorliebe für geometrische Figuren
  • Altersgruppe 18–24 Monate
    • Keine Zeigegeste, um Interesse zu teilen.
    • mangelnder Blickkontakt
    • Fehlendes Bringen, um zu zeigen.
    • fehlendes „So-tun-als-ob"-Spiel
    • keine bzw. wenig Reaktion auf die Not anderer Menschen
  • Altersgruppe ab 24 Monate
    • Keine Zeigegeste, um Interesse zu teilen.
    • mangelnder Blickkontakt
    • Fehlendes Bringen, um zu zeigen.
    • fehlendes „So-tun-als-ob"-Spiel

Erwachsene

  • Schlechte reziproke soziale Interaktion
    • eingeschränkte Interaktion mit anderen (z. B. distanziertes, desinteressiertes oder unübliches Verhalten)
    • Nur Interaktionen, aus denen ein Nutzen gezogen wird.
    • naive oder unübliche soziale Annäherung
  • Mangelndes Verantwortungsgefühl anderen gegenüber und/oder einseitige Interaktionen
  • Verhalten verändern sich kaum oder gar nicht als Reaktion auf verschiedene soziale Situationen.
  • Keine oder nur geringe soziale Demonstration von Empathie
  • Rigide Routinen und Widerstand bei Veränderungen
  • Auffällige repetitive Aktivität (z. B. Fingermanierismen) insbesondere in Stresssituationen oder wenn Emotionen geäußert werden.

Klinische Untersuchung

  • Internistisch-neurologische Untersuchung1
  • Wesentlich ist die Beobachtung von Kindern und Jugendlichen.1
    • verzögerte, verminderte oder atypische Entwicklung von Fähigkeiten der sozialen Interaktion und Kommunikation
    • auffälliges Spielverhalten
    • stereotype Verhaltensweisen
  • Mindestens eine nahestehende Person in die Diagnostik einbeziehen, die die Person seit der Kindheit kennt.1

Ergänzende Untersuchungen bei Spezialist*innen

Leitlinie: Screening auf das Vorliegen von Autismus-Spektrum-Störungen1

  • Ein Screening der Gesamtpopulation soll nicht durchgeführt werden.
    • Die Rate falsch positiver und falsch negativer Ergebnisse bei allen auf Deutsch verfügbaren Screening-Instrumenten ist hoch.
  • Screening empfohlen bei Vorliegen von mind. 1 Symptom und Risikofaktoren
    • genetische Befunde mit einer erhöhten Rate von Autismus-Spektrum-Störungen (z. B. Mutation, Mikrodeletion oder Mikroduplikation, Chromosomenaberration)
    • Medikamenten-Exposition während der Schwangerschaft
    • Virusinfektionen in der Schwangerschaft
    • Geburtsgewicht < 1.500 g und/oder Geburt < 32. Woche
    • neonatale Krampfanfälle
    • Geschwisterkind mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)
  • Beispiele für Screening-Instrumente
    • M-CHAT – modifizierte Checkliste für Autismus bei Kleinkindern
      • für Kleinkinder ab dem 2. Lebensjahr
    • FSK – Fragebogen zur sozialen Kommunikation
      • für Vorschul- und Grundschulkinder
    • MBAS – Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom
      • für das Grundschul- bis zum Jugendalter
    • SRS – Skala zur Erfassung der sozialen Responsivität
      • für das Vorschul- bis in das Jugendalter
    • SRS-A – Skala zur Erfassung der sozialen Responsivität bei Erwachsenen
      • Kann im Erwachsenenalter eingesetzt werden.
      • Spezifität sehr niedrig (vorsichtige Interpretation)

Leitlinie: Spezialisierte Diagnostik bei Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störung1

  • Symptomerfassung im Quer- und Längsschnitt
    • basierend auf ICD-10-Kriterien für F84.0, F84.1 und F84.5
  • Anamneseerhebung mit detaillierter Erfassung von ICD-10-Symptomen
    • im Vor- und Schulalter (Eigen- und Fremdanamnese) sowie aktuell
    • allgemeine Entwicklungsanamnese
    • medizinische und psychiatrische Anamnese
    • Dokumentation möglicher Risikofaktoren
  • Direkte Verhaltensbeobachtung
  • Bei Kindern und Jugendlichen: standardisierte Entwicklungsdiagnostik bzw. mehrdimensionale kognitive Testung, soweit durchführbar
  • Bei Verdacht auf Sprachentwicklungsstörung: standardisierte Erfassung der Sprachentwicklung
  • Erfassung des aktuellen Funktionsniveaus hinsichtlich persönlich-familiärer, schulischer und beruflicher Aspekte
  • Internistisch-neurologische Untersuchung
  • Klinisch indizierte Labor- und apparative Untersuchungen
  • Abklärung vorhandener internistisch-neurologischer sowie psychiatrischer komorbider Erkrankungen
  • Aufklärung über das Ergebnis der Diagnostik
  • Labordiagnostik1
    • nur bei entsprechender klinischer Indikation
  • Apparative Diagnostik1
    • nur bei klinischer Indikation basierend auf Anamnese und internistisch-neurologischer Untersuchung
    • z. B. EEG, MRT
    • Ausschluss von Hör- und Sehstörungen

Indikationen zur Überweisung

  • In Deutschland haben Früherkennungsuntersuchungen („U"-Untersuchungen) eine große Bedeutung in der Erkennung von Auffälligkeiten.1
  • Bei Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung sollten zunächst eine fachärztliche (z. B. pädiatrische oder psychiatrische) Vorstellung zur Screening-Untersuchung sowie orientierenden klinischen Evaluation erfolgen.1
  • Bei klinischem Verdacht und positivem Screening-Ergebnis sollte eine Überweisung an eine auf die Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen spezialisierte Einrichtung erfolgen.1

Therapie

Therapieziele

  • Ziele sollten mit den Betroffenen und Angehörigen festgelegt werden und sind abhängig von:11
    • Ausprägung der Beeinträchtigungen
    • Alter der betroffenen Person
    • Möglichkeiten der Patient*innen
    • Leidensdruck
    • persönlichen Lebenszielen, Wünschen und Vorstellungen
    • äußeren Vorgaben, z. B. durch Schule/Arbeitgeber oder Justiz.
  • Zudem Therapie von weiteren Begleiterkrankungen

Allgemeines zur Therapie

  • Eine frühzeitige Diagnose ist wichtig zur Unterstützung der Entwicklung von Fähigkeiten und Planung notwendiger Hilfen und therapeutischer Interventionen.
  • Ausführliches Aufklärungsgespräch ohne Verzögerung nach Diagnosestellung1
    • Soll durch die spezialisierte Stelle vermittelt werden.
    • Aufklärung über Symptome, Ursachen, Prognose, wirksame sowie entbehrliche Interventionen, Jugendhilfemaßnahmen sowie schulische, berufliche und rechtliche Aspekte
    • mit Eltern bzw. Sorgeberechtigten und/oder mit dem Kind/Jugendlichen (wenn angemessen)
    • Ängste und Schuldgefühle hinsichtlich der Ursachen und Folgen der Störung sollten angesprochen werden.
    • bei Einverständnis Befundbericht an „Schlüsselpersonen" (z. B. Erzieher*innen/Lehrer*innen und Sozialbetreuer*innen)
  • Begleiterkrankungen sollten entsprechend behandelt werden.
  • Es gibt keine kurative Therapie.

Medikamentöse Therapie

  • Keine allgemein empfohlene psychopharmakologische Therapie bei Asperger-Syndrom
  • Therapie mit atypischen Neuroleptika bei Autismus-Spektrum-Störung
    • Eine Cochrane-Metaanalyse zeigt bei begrenzter Datenlage Verbesserungen in Bezug auf Reizbarkeit, ein stereotypes Verhalten und sozialen Rückzug.12
  • Bei Angststörung Therapie mit Antidepressiva erwägen.
    • strenge Abwägung von Leidensdruck und potenziellen Nebenwirkungen
    • Eine Cochrane-Metaanalyse mit Studien zu SSRI bei Kindern belegt Wirksamkeit.13
    • zudem Hinweise auf Besserung der Verhaltensstörung bei Autismus-Spektrum-Störung unter Therapie mit SSRI14

Weitere Therapien

Psychosoziale Therapie

  • Interdisziplinäre Betreuung der Betroffenen (psychologisch, medizinisch, sozial)11,15
  • Verhaltenstherapie als wesentlicher Teil der Therapie15-16
    • regelmäßige und hochfrequente Behandlung nötig
  • Mögliche Zielsetzungen und Komponenten der Therapie11,15
    • Soziale Kompetenz trainieren.
    • Umgang mit Emotionen üben.
    • Alternative Kommunikationsformen nutzen (Briefe, E-Mails).
    • Motivation durch positive Erfahrungen und Verstärkung
    • Erreichbare Etappenziele einplanen, um die Motivation zu steigern.
    • Bezugspersonen einbeziehen.
    • Weiterführende Hilfen vermitteln.
    • Individuelle Fähigkeiten fördern.
    • Individuelle Probleme angehen.
  • Flankierende Maßnahmen1,11,15
    • Unterstützung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten
    • Unterstützung/Förderung der Betroffenen bezüglich Kindergarten, Schule, Ausbildung und Beruf
    • Wohnen
    • weiteres Lebensumfeld
    • Bestehende Unterstützungsstrukturen sollten genutzt werden.1
      • lokale und regionale Unterstützungssysteme im Rahmen der „Frühen Hilfen" für Eltern und Kinder
      • Kontaktvermittlung zu Patientenorganisationen

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Weg zur Diagnose ist noch immer relativ lang.1
    • in Deutschland durchschnittliches Alter bei Erstdiagnose
      • für Autismus bei 76 Monaten
      • für das Asperger-Syndrom bei 110 Monaten
  • Die Symptomatik einer Autismus-Spektrum-Störung ist qualitativ stabil bis ins hohe Erwachsenenalter vorhanden.1,17
    • Die Diagnose bleibt insbesondere bei früher Diagnose (< 2 Jahre) stabil im Spektrum (100 %).1
    • Bei Erstdiagnose zwischen 2 und 6 Jahren verlieren 10 % der Kinder im späteren Verlauf die Diagnose, insbesondere bei Asperger-Syndrom.
  • Viele Betroffene entwickeln psychische Komorbiditäten.
  • Bei beruflichem Erfolg sind die meisten Betroffenen auf soziale Unterstützung durch die Familien oder Institutionen angewiesen.1,17
  • Es gibt keine Evidenz für eine „Heilung" von Autismus.1

Komplikationen

  • Negative Auswirkungen auf Schule, Beruf, Familie und Freundschaften17
    • z. B. Verlust des Arbeitsplatzes
  • Unerwünschte Abhängigkeit von Unterstützungssystemen
  • Stress und Angst durch Anpassungsdruck an die Anforderungen der Gesellschaft17
  • Komorbide psychische Störungen und somatische Erkrankungen1

Prognose

  • Beim Asperger-Syndrom oft bessere allgemeine Prognose als bei anderen Autismus-Spektrum-Störungen (z. B. beim frühkindlichen Autismus)1
  • Zentrale Aspekte der Lebensqualität für viele Betroffene18
    • Integration in das Arbeitsleben und/oder Bewältigung von Problemen im Arbeitsalltag
    • Knüpfen und Aufrechterhalten sozialer Kontakte

Verlaufskontrolle

Leitlinie: Verlaufsdiagnostik bei Autismus-Spektrum-Störungen1

  • Im Rahmen von Therapie und Förderung soll der aktuelle Entwicklungsstand der Person mit einer Autismus-Spektrum-Störung regelmäßig überprüft werden.
    • Neu aufgetretene körperliche oder psychische Störungen beachten.
    • Therapie- bzw. Förderziele an den aktuellen Bedarf anpassen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Patientenorganisationen

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 1: Diagnostik. AWMF-Leitlinie Nr. 028-018. S3, Stand 2016. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter, Teil 1: Diagnostik. AWMF-Leitlinie Nr. 028-018, Stand 2016. www.awmf.org
  2. Roy, M; Dillo, W; Emrich, H M.; Ohlmeier, M D.. Das Asperger-Syndrom im Erwachsenenalter. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(5): 59-64. doi:10.3238/arztebl.2009.0059 DOI
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Autor*innen

  • Jonas Klaus, Arzt, Freiburg im Breisgau
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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