Invasive Pneumokokken-Infektion

Zusammenfassung

  • Definition:Pneumokokken-Infektion steriler Körperregionen: Meningitis, Sepsis.
  • Häufigkeit:Gefährdet insbesondere Säuglinge und ältere Menschen sowie Patient*innen mit prädisponierenden Grunderkrankungen.
  • Symptome:Abhängig von Manifestation.
  • Befunde:Abhängig von Manifestation.
  • Diagnostik:Zur Erregeridentifizierung Kultur aus entsprechenden Körpermaterialien (Blut, Liquor, Sputum etc.).
  • Therapie:Stationäre Behandlung mit Betalaktam-Antibiotika. Hohen Stellenwert bei der Prävention hat die Impfung, die für alle Säuglinge und Senior*innen (≥ 60 Jahre) sowie bei prädisponierenden Grunderkrankungen empfohlen wird.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bei invasiven Pneumokokken-Infektionen dringen Erreger in normalerweise sterile Körperregionen ein und rufen dort Erkrankungen hervor.1
    • Zahlenmäßig überwiegen Septikämien und Meningitiden.
    • selten Pneumokokken in Pleura-, Gelenk- oder Aszitespunktaten
  • Eine Schutzimpfung gegen Pneumokokken verringert invasive Infektionen.2

Häufigkeit

  • Pneumokokken sind mit die häufigsten Erreger bakterieller Infektionskrankheiten, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern.3
    • Auch Senior*innen sind häufig betroffen.4
  • Gemeldete Fälle in Deutschland5
    • 2020: 8.697 Fälle von invasiven Pneumokokken-Infektionen
  • Impfquote gegen Pneumokokken in Deutschland im 1. Quartal 20204
    • 24,2 % der Personen > 60 Jahre
  • Weltweit
    • 10 % aller Todesfälle bei Kindern im Alter von 1 Monat bis zu 5 Jahren sind von Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae verursacht.6
    • Global signifikante Abnahme der invasiven Pneumokokken-Infektionen während der COVID-19-Pandemie, vermutlich durch generelle infektionsschützende Maßnahmen (u. a. Atemmasken, Handhygiene und Abstandhalten).7

Ätiologie und Pathogenese

  • Pneumokokken besiedeln die Schleimhäute bei ca. 50 % aller Kinder, aber nur bei 2,5 % aller Erwachsenen.8
  • Es gibt eine Vielzahl von pathogenen Serotypen der Pneumokokken, die durch polyvalente Impfstoffe möglichst breit abgedeckt werden sollen.1
  • Abhängig von Virulenzfaktoren der Bakterienserotypen und Immunstatus der Betroffenen können Bakterien in sterile Körperregionen eindringen.

Prädiktoren

  • Risikofaktoren für invasive Infektion:9
    • angeborene oder erworbene Immunschwäche
    • chronische Herz-Kreislauf-Erkrankung
    • chronische Lungenerkrankung
    • Asplenie
    • Frühgeburt oder niedriges Geburtsgewicht
    • frühere Pneumokokken-Infektion.

ICPC-2

  • N71 Meningitis/Enzephalitis
  • A78 Meningokokkeninfektion

ICD-10

  • G00.1 Pneumokokkenmeningitis
  • A40.3 Sepsis durch Streptococcus pneumoniae

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Nachweis durch Blutkultur bei Septikämie
  • Nachweis im Liquor cerebrospinalis bei Meningitis

Differenzialdiagnosen

  • Meningitis durch andere Bakterien
    • Alter < 2 Monate: meist Streptococcus agalactiae oder Escherichia coli
    • Alter von 2 Monaten bis ins junge Erwachsenenalter: Neisseria meningitidis (Meningokokken)
  • Sepsis durch andere Bakterien

Anamnese

  • Ausgangspunkt häufig Mittelohrentzündung oder Pneumonie2,10-12
  • Akuter Krankheitsverlauf bei Sepsis und Meningitis
  • Sepsis
    • hohes Fieber und Schüttelfrost sowie starkes Krankheitsgefühl
    • oft mentale Veränderungen, z. B. Unruhe und Verwirrung
  • Meningitis
    • hohes Fieber und Abgeschlagenheit
    • häufig Kopfschmerzen, manchmal eingeschränkte Beweglichkeit von Nacken

Klinische Untersuchung

Diagnostik bei Spezialist*innen

Im Krankenhaus

Indikationen zur Krankenhauseinweisung

  • Bei Verdacht auf Sepsis oder Meningitis unverzüglich stationäre Einweisung

Therapie

Therapieziele

  • Infektionsfokus sanieren.
  • Komplikationen vorbeugen.

Allgemeines zur Therapie

  • Stationäre Behandlung
  • Antibiotische Therapie bei V. a. Pneumokokken-Infektion empirisch mit Beta-Laktam-Antibiotikum3

Medikamentöse Therapie

  • Für spezifische Therapie der Meningitis und Sepsis siehe die jeweiligen Artikel.

Impfung/Prävention

  • Es sind 2 verschiedene Impfstoffe verfügbar:
    1. Konjugatimpfstoff (überwiegend 13-valent, PCV13)9
      • zur Grundimmunisierung bei Neugeborenen
      • Der Impfstoff deckt 13 Pneumokokken-Serotypen ab; diese stehen für ca. 95 % der Pneumokokken, die schwere Erkrankungen bei Kleinkindern verursachen.
      • Außerdem ist durch den Impfstoff die Anzahl der Träger*innen erheblich gesunken, was nachweislich dazu geführt hat, dass die Ansteckungsgefahr und das Krankheitsaufkommen auch in nicht geimpften Altersgruppen zurückgegangen sind („Herdeneffekt“).
      • In den USA erhobene Daten bestätigen die hohe Wirksamkeit des Impfstoffs. In Metaanalysen zeigte sich Rückgang invasiver Infektionen bei Kindern bis 5 Jahren um 78–97 % (gepoolte Daten 92 %).9,13-16
    2. Polysaccharid-Impfstoff (23-valent, PPSV23)
      • zur Immunisierung von älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
      • Bei Kleinkindern ist der Impfstoff aufgrund des unreifen Immunsystems wenig immunogen.
  • Siehe auch TrainAMed Impfen (Uni Freiburg).

Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO)

  • Empfehlungen gemäß STIKO, Stand 202217

Säuglinge

  • Generelle Impfung aller Kinder bis zum Alter von 24 Monaten mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff mit dem Ziel, die Morbidität invasiver Pneumokokken-Erkrankungen und die daraus entstehenden Folgen wie Hospitalisierung, Behinderung und Tod zu reduzieren.
  • Für die Grundimmunisierung von reifgeborenen Säuglingen bis zum Alter von 12 Monaten werden ab dem Alter von 2 Monaten 2 Impfstoffdosen Pneumokokken-Konjugatimpfstoff im Abstand von 8 Wochen verabreicht.
  • Frühgeborene erhalten ab dem chronologischen Alter von 2 Monaten 3 Impfstoffdosen im Abstand von jeweils 4 Wochen. Die Grundimmunisierung wird mit einer weiteren Dosis im Alter von 11 Monaten und mit einem Mindestabstand von 6 Monaten zur vorausgegangenen Impfung abgeschlossen.
  • Bisher noch nicht gegen Pneumokokken geimpfte Säuglinge im Alter ≥ 12 Monate (bis 24 Monate) erhalten als Nachholimpfung nur 2 Impfstoffdosen im Abstand von mindestens 8 Wochen.

Personen ≥ 60 Jahre

  • Für Personen ≥ 60 Jahre, die keiner Risikogruppe (siehe nächster Abschnitt) angehören, wird als Standardimpfung die einmalige Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharid-Impfstoff empfohlen.
  • Nach individueller Indikationsstellung kann eine Auffrischung frühestens nach 6 Jahren erfolgen. Generell empfohlen wird diese nicht.
  • Die Patient*innen sind auf die stärkere Reaktogenität der Wiederholungsimpfung im Vergleich zur Erstimpfung, aber auch auf den möglichen Verlust des Impfschutzes nach unterbleibender Wiederholungsimpfung hinzuweisen.

Indikationsimpfungen

  • Patient*innen mit einer der folgenden Grunderkrankungen bzw. Risikofaktoren wird die Impfung empfohlen aufgrund einer Prädisposition für invasive Pneumokokken-Infektion oder einen schwerwiegenden Verlauf. 
    • angeborene oder erworbene Immundefekte sowie Immunsuppression, Asplenie
    • chronische Krankheiten, insbesondere Erkrankungen der Atemwege (z. B. Asthma, Lungenemphysem, COPD) und des Herz-Kreislauf-Systems, Stoffwechselerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus) und neurologische Erkrankungen (z. B. Anfallsleiden)
    • anatomische und Fremdkörper-assoziierte Risiken für Pneumokokken-Meningitis (z. B. Liquor-Shunt, Cochlea-Implantat)
    • berufliche Exposition gegenüber Metallstauben (z. B. durch Schweißen)
  • In o. g. Fällen wird eine sog. sequenzielle Impfung empfohlen, bei der zunächst mit dem 13-valenten Konjugatimpfstoff immunisiert wird. Nach 6–12 Monaten folgt Gabe des 23-valenten Polysaccharidimpfstoffs (ab Alter ≥ 2 Jahre zugelassen).
  • Die 23-valente Polysaccharidimpfung sollte bei allen o. g. Gruppen nach Mindestabstand von 6 Jahren aufgefrischt werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Invasive Pneumokokken-Infektionen sind akute, lebensbedrohliche Erkrankungen.
  • Die Zunahme von Krankheiten durch nicht durch Impfstoffe erfasste Pneumokokken-Serotypen erfordert eine kontinuierliche epidemiologische Wachsamkeit und früher oder später auch neue Impfkonzepte.3

Komplikationen 

  • Bei Pneumokokken-Meningitis
  • Bei Pneumokokken-Sepsis
    • u. a. Multiorganversagen bis Tod

Prognose

  • Abhängig von Alter, Vorerkrankungen und Stärke des Immunsystems
    • insbesondere bei älteren, schwer vorerkrankten Patient*innen häufig letale Verläufe

Verlaufskontrolle

  • Klinische Kontrollen nach überstandener bakterieller Meningitis sollten zusammen mit Untersuchungen hinsichtlich der Folgeschäden durchgeführt werden.
    • Hörstörungen werden mit der Audiometrie evaluiert.
    • Bei Kindern mit Hydrozephalus sollten regelmäßige Kopfumfangsmessungen durchgeführt und Anzeichen von Drucksymptomen dokumentiert werden.
    • Strukturelle Epilepsie als Spätfolge erfordert eine Beurteilung mittels EEG und ggf. antikonvulsive Therapie.
    • Maßnahmen sollten bei Folgeschäden ergriffen werden, die man beeinflussen kann, z. B. neuropsychologische Folgeschäden wie Schlafstörungen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Video

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Akuter und chronischer Husten. AWMF-Leitlinie Nr. 053–013. S3, Stand 2021. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Pneumologie. Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit Husten. AWMF-Leitlinie Nr. 020–003. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Meningoenzephalitis im Erwachsenenalter, ambulant erworbene bakterielle (eitrige). AWMF-Leitlinie Nr. 030–089. S2k, Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org

RKI-Empfehlungen

  • RKI. Empfehlungen der STIKO. Stand 2022. www.rki.de
  • RKI. Schutzimpfung gegen Pneumokokken: Häufig gestellte Fragen und Antworten. Stand 23.06.2020. www.rki.de

Literatur

  1. RKI. Schutzimpfung gegen Pneumokokken: Häufig gestellte Fragen und Antworten. Stand 23.06.2020. Letzter Zugriff 04.07.2021. www.rki.de
  2. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Husten, AWMF-Leitlinie Nr. 053–013, Stand 2021. www.awmf.org
  3. Heininger U, van der Linden M. Pneumokokken-Infektionen: aktueller Stand und Impfprävention. Pädiatrie up2date 2017; 12(4): 319-30. www.thieme-connect.com
  4. Bublak R. Wichtig für Senioren: Impfschutz gegen Pneumokokken. MMW - Fortschritte der Medizin 2021; 163: 20-21. link.springer.com
  5. RKI. SurvStat@RKI 2.0. Invasive Pneumokokken-Infektionen. survstat.rki.de
  6. O`Brien KL, Wolfson LJ, Watt JP. Burden of disease caused by Streptococcus penumoniae in children jounger than 5 years: global estimates. Lancet 2009; 374: 893-902. PubMed
  7. Juan HC, Chao CM, Lai CC, et al. Decline in invasive pneumococcal disease during COVID-19 pandemic in Taiwan. J Infect 2021; 82(2): 282-327. www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Pletz MW, Maus U, Krug N et al. Pneumococcal vaccines: mechanism of action, impact on epidemiology and adaptation of the species. Int J Antimicrob Agents 2008; ePUB. www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Ständige Impfkommission: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut 2020/2021. Epid Bull 2020;34:1 –65 | DOI: 10.25646/7083 edoc.rki.de
  10. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie. Akuter und chronischer Husten, Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten, AWMF-Leitlinie Nr. 020–003, Stand 2019. www.awmf.org
  11. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Arzneiverordnung in der Praxis, Band 40: Atemwegsinfektionen, Stand 2013. www.akdae.de
  12. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Meningoenzephalitis im Erwachsenenalter, ambulant erworbene bakterielle (eitrige). AWMF-Leitlinie Nr. 030–089., Stand 2015. www.awmf.org
  13. DAHTA, DIMDA, Medizinische und ökonomische Effektivität der Pneumokokkenimpfung für Säuglinge und Kleinkinder, Stand 2005. portal.dimdi.de
  14. Whitney CG, Farley MM, Hadler J, Harrison LH, Bennett NM, Lynfield R, Reingold A, Cieslak PR, Pilishvili T, Jackson D, Facklam RR, Jorgensen JH, Schuchat A. Decline in invasive pneumococcal disease after the introduction of protein-polysaccharide conjugate vaccine. The New England journal of medicine 2003; 348 Nr. 18: 1737-1746. www.ncbi.nlm.nih.gov
  15. Black S, France EK, Isaacman D, Bracken L et al. Surveillance for invasive pneumococcal disease during 2000-2005 in a population of children who received 7-valent pneumococcal conjugate vaccine. Pediatr Infect Dis J 2007; 26: 771-7. PubMed
  16. Pavia M, Bianco A, Nobile CG, et al. Efficacy of pneumococcal vaccination in children younger than 24 months: a meta-analysis. Pediatrics 2009; 123: 1103-10. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  17. RKI. Empfehlungen der STIKO. Stand 2022. Letzter Zugriff 21.04.22. www.rki.de

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt
  • Dietrich August, Arzt, Freiburg im Breisgau
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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