Gasbrand

Zusammenfassung

  • Definition:Nekrotisierender Weichteilinfekt mit Gasbildung und Zeichen systemischer Toxizität durch Clostridium species.
  • Häufigkeit:Sehr seltene Erkrankung.
  • Symptome:Starke Schmerzen im betroffenen Gewebe mit schwerem Krankheitsgefühl.
  • Befunde:Progrediente Weichteilschwellung mit rotbrauner Verfärbung der Haut und Knistern bei Kompression durch Gasbildung im Gewebe.
  • Diagnostik:Die Entzündungsparameter weichen von der Norm ab. Bildgebende Verfahren machen ggf. Gas im Gewebe sichtbar. Diagnosesicherung durch anaerobe Kultur.
  • Therapie:Intravenöse Antibiotikagabe, Infusion, chirurgische Beseitigung des infizierten Gewebes, ggf. Amputation.

Vorgehen im Notfall

  • Bei Verdacht auf Gasbrand sofortiger Notfalltransport ins Krankenhaus

 

Allgemeine Informationen

Definition

  • Synonyme: Gasgangrän, clostridiale Myonekrose1
  • Nekrotisierender Weichteilinfekt mit Gasbildung, der durch Clostridium (C.) species verursacht wird.1 
  • Clostridien sind obligat anaerobe, sporen- und toxinbildende Stäbchenbakterien, die ubiquitär – insbesondere im Erdboden sowie in der normalen Darmflora und der weiblichen Genitalflora – vorkommen.2

Häufigkeit

  • Exogen verursachte Infektionen sind in der heutigen Zeit äußerst selten.3
  • Häufiger, wenn auch immer noch selten, sind endogene Infektionen über den Darmtrakt.3

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Unterscheidung zwischen traumatischer/postoperativer und spontaner Genese
  • Traumatisch/postoperativ (exogene Infektion)
    • bei tiefen penetrierenden Weichteilverletzungen oder großen Weichteiloperationen bakterielle Kontamination der Wunde, meist durch C. perfringens
  • Spontan (endogene Infektion)
    • Kolonisation des Gastrointestinal- und gelegentlich Urogenitaltrakt des Menschen mit C. septicum
    • C. septicum kann insbesondere bei Tumorpatient*innen mit prädisponierenden Faktoren wie Immunsuppression zu foudroyant verlaufenden septischen Krankheitsbildern führen.
    • häufig vom Darm ausgehende endogene Infektion, z. B. bei vorbestehender Sigmadivertikulitis, mit hämatogen septischer Streuung

Pathogenese

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.2
  • Im gesunden Gewebe verhindert hoher Sauerstoffgehalt die Ansiedlung der anaeroben Clostridien.
  • Über verletztes, vor allem avitales Gewebe (insbesondere Muskeln) können die Erreger in den menschlichen Körper eindringen und sich schnell vermehren.
  • Die von den Erregern gebildeten Toxine zerstören die Zellmembran und hemmen die Funktionalität der Leukozyten und Erythrozyten.2
  • Dadurch werden massive Ödeme, Muskelnekrose und Hämolyse verursacht, was zu Schockzuständen führen kann.
  • Durch die Toxin- und CO2-Bildung wird der befallene Bereich noch anaerober, und die Wachstumsbedingungen für die Clostridien werden verbessert.

Prädisponierende Faktoren

  • Tiefe, kontaminierte Wunden, z. B. Kriegsverletzungen
  • Große Weichteiloperationen1
  • Immunsuppression, z. B. durch Radio- oder Chemotherapie1
  • I. m. oder s. c. Gabe von vasokonstriktorischen oder entzündungshemmenden Wirkstoffen, z. B. Epinephrin (Autoinjektor bei allergischer Reaktion)2

ICPC-2

  • A78 Infektiöse Erkrankung NNB, andere

ICD-10

  • A48.0 Gasbrand

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Diagnosestellung erfolgt in Zusammenschau aus dem klinischen Bild und dem radiologischen Nachweis des Weichteilemphysems1
    • klinisches Bild: Entzündungszeichen des betroffenen Gewebes mit Krepitationen durch Lufteinschlüsse
    • Bildgebung: CT Bildgebung der Wahl zur Darstellung der Lufteinschlüsse

Differenzialdiagnosen

  • Andere Infektionen, bei denen eine Gasbildung im Gewebe auftritt, z. B.:
    • Enterobacter, Escherichia und anaerobe Mischinfektionen, wie etwa Infektionen mit Bacteroides und Peptostreptokokken

Anamnese

  • Symptomatik
    • fulminant beginnend mit schwerem Krankheitsgefühl
    • starke Schmerzen des betroffenen Gewebes2
  • Ursachenfindung
    • Hautverletzungen als Eintrittspforte für Clostridien
      • Akut durch Trauma/Medikamentenapplikation?
      • Chronische Wunden?
    • Bekannte Immunsuppression? Tumorerkrankung?
    • Bekannte Fisteln im urogenitalen oder gastrointestinalen Bereich?
    • Sigmadivertikulose?

Klinische Untersuchung

  • Das infizierte Wundareal ist nekrotisch und knistert bei Kompression durch die Freisetzung der durch die Bakterien gebildeten Gase.3
  • Rasch zunehmende Weichteilschwellung2
  • Das betroffene Areal schmerzt stark, und die Haut ist rotbraun verfärbt.3
  • Durch Übertreten der Toxine in den systemischen Kreislauf Sepsis mit u. a. Fieber, Tachykardie und Hypotonie3
  • Bei offenen Wunden kann süßlich-fauliger Geruch durch Stoffwechselprodukte der Erreger entstehen.2

Weitere Untersuchungen im Krankenhaus

Bildgebung1

  • Bildgebung der Wahl: Computertomografie
    • rasche Bildakquise in der Notfallsituation und Darstellbarkeit auch kleinerer Lufteinschlüsse
    • typischerweise lokale Überschreitung von Kompartimenten mit Ausdehnung in verschiedene Gewebegruppen (Muskulatur, Unterhautfettgewebe)

Mikrobiologie1

  • Kultureller Erregernachweis aus Gewebe
  • Blutkulturen bei septischem Verlauf
  • Cave: Bereits vor Vorliegen der mikrobiologischen Ergebnisse sofortige kalkulierte Antibiose und chirurgische Exploration einleiten!

Indikation zur Einweisung

  • Bei Verdacht auf Gasbrand sofortiger Notfalltransport ins Krankenhaus

Therapie

Therapieziele

  • Eradikation der Infektion und Verhinderung einer Ausbreitung im Gewebe

Allgemeines zur Therapie

  • Schon bei Verdacht auf Gasbrand ist ein sofortiger Therapiebeginn mit kalkulierter Antibiose unabdingbar.1
  • Die wichtigste Säule der Therapie ist eine chirurgische Herdsanierung.1

Medikamentöse Therapie

  • Kalkulierte hochdosierte Antibiotikatherapie bei Verdacht auf die Erkrankung
  • Penicillin G als Mittel der 1. Wahl: 20–40 Mio. IE/d in 3–4 Kurzinfusionen2
    • Alternativen: Clindamycin, Metronidazol, Meropenem
  • Bei immunsupprimierten Patient*innen zusätzlich ein gegen Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa und Peptostreptokokken wirksames Antibiotikum und ggf. G-CSF

Chirurgische Therapie

  • Notfallmäßige Herdsanierung durch chirurgisches Débridement und (ggf. mehrzeitige) Resektion nekrotischer Gewebeanteile2

Weitere Behandlungsmöglichkeiten

  • Der Nutzen einer hyperbaren Sauerstofftherapie ist umstritten.1-2

Prävention

  • Adäquate Wundreinigung und Exzision von totem Gewebe

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Nach Inkubationszeit von wenigen Stunden bis zu 4 Tagen entwickeln sich schwere Nekrosen der Muskulatur des infizierten Bereichs.3
  • Ohne adäquate Therapie fulminanter Verlauf mit septischem Krankheitsbild und rascher Verschlechterung des Allgemeinzustands1

Komplikationen

Prognose

  • Sehr hohe Letalität, etwa 67 %1 
  • Ein Befall des Körperstamms geht mit deutlich höherer Letalität einher als ein Befall einer oder mehrerer Extremitäten.1

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Abbildungen

Gasbrand 2
Gasbrand
 
Gasbrand
Gasbrand

Quellen

Literatur

  1. Haggenmüller B, Breining T, Kloth C et al. Letaler Verlauf bei ausgeprägtem infektiösem Weichteilemphysem. Radiologe 2021; 61: 748-51. link.springer.com
  2. Dicheva S, Walter S, Handrick W, et al. Gasbrand nach Injektion von Arzneimitteln. Arzneiverordnung in der Praxis 2017. www.akdae.de
  3. Wegner A, Doberentz E, Madea B. Gasbrand – Folge einer Injektionstherapie bei Rückenschmerz?. Rechtsmedizin 2020; 30: 180-83. link.springer.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung Allgemeinmedizin, Frankfurt a. M.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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