Palpitationen

Red Flags und abwendbar gefährliche Verläufe1-2

Red Flags

Abwendbar gefährliche Verläufe

Brustschmerz

z. B. ACS, Myokardinfarkt, Perimyokarditis, Lungenembolie

Dyspnoe

z. B. ACS, Myokardinfarkt, Perimyokarditis, Lungenembolie

Synkope

ACS, Myokardinfarkt, Lungenembolie, Herzrhythmusstörung (z. B. ventrikuläre Tachykardie), Bradykardien (z. B. kompletter AV-Block), Bradyarrhythmien, Herz-Kreislauf-Stillstand

Präsynkope, Unwohlsein/ Schwindelgefühl

ACS, Myokardinfarkt, Lungenembolie, Herzrhythmusstörung (z. B. ventrikuläre Tachykardie), Bradykardien (z. B. kompletter AV-Block), Bradyarrhythmien, Herz-Kreislauf-Stillstand

Implantierter Schrittmacher oder ICD

Dysfunktion von Schrittmacher oder ICD

Neurologisches Defizit/Verwirrtheit/ Bewusstseinstrübung

Krampfanfall

Schlaganfall, zerebrale Minderperfusion

Fieber > 38,5 °C

Myokarditis

Plötzlicher Herztod in der Familienanamnese

z. B. hypertrophe Kardiomyopathie, Brugada-Syndrom, ARVC

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.3-5
  • Unangenehme Wahrnehmung des eigenen Herzschlags in der Brust oder angrenzenden Regionen
    • Herzschlag kann schneller/langsamer, stärker oder unregelmäßiger empfunden werden.
    • häufig verbunden mit Unwohlsein, Angst, seltener auch Schmerz
    • Empfindung kann sehr unterschiedlich lange andauern (von Sekunden bis zu Tagen).

Häufigkeit und Bedeutung 

  • Palpitationen gehören zu den häufigsten Gründen für eine Konsultation in der hausärztlichen oder kardiologischen Praxis.6-7
  • Prävalenz bis zu 16 % bei ambulanten Patient*innen8-9
  • In der Mehrheit der Fälle sind Palpitationen harmlos.4
    • Sie können aber auch Hinweis auf eine ernste Grunderkrankung sein.
  • Palpitationen können durch Herzrhythmusstörungen ausgelöst sein, sind aber keineswegs damit gleichzusetzen!10
    • Verschiedene Auslöser für Palpitationen, weniger als die Hälfte der Patient*innen mit Palpitationen weisen eine Arrhythmie auf.11 
    • Umgekehrt nehmen viele Arrhythmie-Patient*innen diese gar nicht wahr.12
  • Eher inverse Beziehung zwischen subjektivem Leidensdruck und objektiver Gefährlichkeit10 
    • starke Palpitationen häufig bei gestörter Wahrnehmung der normalen Herzaktion
    • Lebensbedrohliche Rhythmusstörungen hingegen treten häufig unmittelbar als Synkope oder Kreislaufstillstand in Erscheinung.
  • Schwierigkeit und Aufgabe für Hausärzt*innen ist die Unterscheidung zwischen Palpitationen ohne und mit einer relevanten Grunderkrankung.13
    • Vermeidung von Über- und Unterdiagnostik
    • Palpitationen sind zweithäufigster Grund für eine Überweisung zur Kardiologie.14 

Ätiologie und Pathophysiologie

Ätiologie: Einteilung für Palpitationen in 5 Hauptgruppen3

  1. Kardiale Arrhythmie
  2. Strukturelle Herzerkrankung
  3. Psychosomatische Störungen
  4. Systemische Ursachen
  5. Medikamente und Drogen
    • Sympathomimetika10
    • Vasodilatoren
    • Anticholinergika
    • kürzliches Absetzen von Betablockern
    • Alkohol, Koffein, Nikotin
    • Kokain, Amphetamine, Cannabis15 

Pathophysiologie

  • Verschiedene Mechanismen können zur Empfindung der Palpitation beitragen:3,10
    • Frequenz des Herzschlags
      • zu schnell
      • zu langsam
    • Regelmäßigkeit des Herzschlags
      • sporadisch unregelmäßig
      • ständig unregelmäßig
    • Art der Kontraktion
      • verstärkte Kontraktion und anomale Bewegung im Thorax bei Erkrankungen mit erhöhtem Schlagvolumen
    • veränderte Art der Wahrnehmung
      • unangenehme Wahrnehmung eines normalen Herzrhythmus
      • verminderte Toleranz gegenüber minimalen Rhythmusunregelmäßigkeiten

Prognose

  • Prognose vor allem abhängig von der zugrunde liegenden Ätiologie3
  • Insgesamt haben Patient*innen mit Palpitationen eine gute Prognose.
    • In einer Studie an Praxis-Patient*innen gab es keinen Unterschied in der Mortalität zwischen Personen mit Palpitationen und asymptomatischen Patient*innen.16
    • In einer Studie an Patient*innen mit Palpitationen in einem tertiären Zentrum war die 1-Jahres-Mortalität nur 1,6 % trotz eines hohen Anteils kardialer Ätiologien.
  • Rhythmusstörungen, die sich als Palpitationen manifestieren, sind überwiegend gutartig ohne strukturelle Herzerkrankung.10
  • Möglicherweise haben Patient*innen mit häufigen Palpitationen ein erhöhtes Risiko für späteres Auftreten von Vorhofflimmern.17
  • Palpitationen können im Einzelfall aber auch Hinweis für eine zugrunde liegende strukturelle oder arrhythmogene Herzerkrankung mit spezifischen prognostischen Implikationen sein.3
  • Auch bei guter Prognose hinsichtlich Mortalität können Palpitationen Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Lebensqualität haben.3,13
    • verminderte Leistung am Arbeitsplatz und erhöhte Fehlzeiten
    • Eingeschränkte Fähigkeit, den Haushalt normal zu führen.
    • psychische Probleme mit Angststörungen
    • vermehrte Arztkonsultationen

ICPC-2

  • K04 Palpitation
  • K05 Unregelmäßigk. Herzschlag, and.

ICD-10

  • R00 Störungen des Herzschlages
    • R00.0 Tachykardie, nicht näher bezeichnet
    • R00.1 Bradykardie, nicht näher bezeichnet
    • R00.2 Palpitationen
    • R00.8 Sonstige und nicht näher bezeichnete Störungen des Herzschlages

Diagnostik

Diagnostische Strategie

  • Bislang wenige Empfehlungen zum diagnostischen Work-up bei Patient*innen mit Palpitationen3
  • Die diagnostische Strategie sollte zum Ziel haben:3
    • Erfassung des pathophysiologischen Mechanismus der Palpitation
    • Aufzeichnung eines EKG während der Symptome
    • Diagnose einer evtl. zugrunde liegenden Herzerkrankung.
  • Alle Patient*innen mit Palpitationen sollten daher initial klinisch beurteilt werden, üblicherweise zunächst im hausärztlichen Rahmen:3

Anamnese

  • Die Anamnese ist ein entscheidender Teil der diagnostischen Abklärung.18
    • Patient*innen sind zum Zeitpunkt der Konsultation häufig asymptomatisch.
  • Eine strukturierte Anamnese kann folgende Hauptfragen an die Betroffenen umfassen:3
  1. Äußere Umstände 
    • Aktivität (Ruhe, Schlaf, während oder nach körperlicher Belastung) 
    • Position (liegend oder aufrecht, Positionswechsel)
    • prädisponierende Faktoren (z. B. emotionaler Stress)
  2. Beginn der Palpitation
  3. Episode der Palpitation
    • Art der Palpitation (regelmäßig oder nicht, schnell oder nicht, anhaltend oder nicht)
    • Begleitsymptome (Brustschmerz, Schwindel, Synkope, Angst, Schwitzen, Erbrechen etc.)
  4. Ende der Palpitation
    • plötzlich oder allmählich
    • Begleitsymptome endend oder andauernd
    • spontan oder durch vagales Manöver/Medikation
  5. Vorgeschichte
    • Alter bei der ersten Episode, Anzahl und Häufigkeit bisheriger Episoden
    • Herzerkrankung
    • systemische Erkrankung
    • Schilddrüsenerkrankung
    • plötzlicher Herztod/Herzrhythmusstörungen/Herzerkrankungen in der Familie
    • Medikamente
    • Genussmittel/Drogen
    • Elektrolytstörungen
    • psychische Erkrankung
      • Prävalenz von Angst-/Panikstörungen liegt bei Patient*innen mit Palpitationen bei ca. 15–30 %, vor allem jüngere Frauen sind betroffen.19
      • Das Herz ist ein häufiger Projektionsort für psychische Konflikte.20
      • Umgekehrt kann eine tachykarde Herzrhythmusstörung als Angststörung fehlinterpretiert werden.21
  • Hilfreich kann die Imitation der Palpitation mit den Fingern auf die Tischplatte sein.10

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

EKG

  • Ruhe-EKG kann gemeinsam mit Anamnese und klinischer Untersuchung bei 40 % der Patient*innen die Ursache der Palpitationen klären.22
  • EKG-Veränderungen, die für eine arrhythmogene Ursache der Palpitationen sprechen:3
    • P-Wellen-Veränderungen, supraventrikuläre Extrasystolen, Sinusbradykardie
    • ventrikuläre Extrasystolen
    • Präexzitation (siehe WPW-Syndrom)
    • Zeichen der linksventrikulären Hypertrophie
    • pathologische Q-Zacken
    • Zeichen für ARVC (Epsilon-Welle und/oder T-Negativierung V1-V3), Brugada-Syndrom (Rechtsschenkelblock mit ST-Hebung V1–V3) 
    • langes oder kurzes QT
    • AV-Blockierung

Blutuntersuchungen

Diagnostik bei Spezialist*innen

Ambulantes EKG-Monitoring

  • Wenn eine Ruhe-EKG-Aufzeichnung während einer Episode mit Palpitation nicht gelingt, sollte ein länger dauerndes EKG-Monitoring erwogen werden.23
  • Die Art des Monitorings sollte sich an der Häufigkeit der Palpitationen orientieren.24
  • Folgende Möglichkeiten stehen in Abhängigkeit von der Symptomhäufigkeit zur Verfügung:25
    • täglich: Langzeit-EKG 24 h
    • alle 2–3 Tage: Langzeit-EKG 48–72 h
    • jede Woche: Langzeit-EKG (7 Tage) oder externer Ereignis-Rekorder26
    • jeden Monat: externer Ereignisrekorder27
    • seltener als 1 x/Monat: implantierbarer Ereignis-Rekorder.28

Weitere Untersuchungen

Risikostratifizierung und Überweisung

Risikostratifizierung

  • Eine Risikostratifizierung hilft bei der Entscheidung, ob die Patient*innen allein hausärztlich weiterbehandelt werden können oder zu Spezialist*innen überwiesen werden sollten.

Patient*innen mit geringem Risiko: primär hausärztliche Betreuung möglich24

Patient*innen mit erhöhtem Risiko: Überweisung an Kardiologie erwägen24

Kriterien für die Hospitalisierung von Patient*innen mit Palpitationen3

  • Diagnostische Gründe
    • V. a. auf schwere strukturelle Herzerkrankung
    • V. a. primäre Rhythmusstörung
    • plötzlicher Herztod in der Familienanamnese
    • Bei gegebener Indikation für eine elektrophysiologische Untersuchung, Koronarangiografie oder Telemonitoring
  • Therapeutische Gründe
    • Bradyarrhythmie mit Indikation zur Schrittmachertherapie
    • Schrittmacher/ICD-Dysfunktion, durch Umprogrammierung nicht behebbar
    • ventrikuläre Tachykardie
    • supraventrikuläre Tachykardie mit Notwendigkeit zur raschen Unterbrechung
    • Symptome der hämodynamischen Kompromittierung
    • schwere strukturelle Herzerkrankung mit Notwendigkeit zur Katheterintervention oder Operation
    • schwere psychische Dekompensation

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Das elektrische Leitungssystem des Herzens.
Das elektrische Leitungssystem des Herzens
Hauptmechanismen und typisches EKG bei supraventrikulärer Tachykardie.
Hauptmechanismen und typisches EKG bei supraventrikulärer Tachykardie

Quellen

Leitlinien

  • European Heart Rhythm Association. Management of patients with palpitations: a position paper. Stand 2011. www.academic.oup.com   

Literatur

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  2. Fleischmann T. Fälle Klinische Notfallmedizin - Die 100 wichtigsten Diagnosen. München, Deutschland: Elsevier, 2018.
  3. Raviele A, Giada F, Bergfeldt l, et al. Management of patients with palpitations: a position paper from the European Heart Rhythm Association. Europace 2011; 13: 920–934. doi:10.1093/europace/eur130 DOI
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  6. Mikulicic F, Schmied C, Georgi A. Palpitationen: Hilfe, mein Herz stolpert!. Praxis 2012; 101: 505-514. doi:10.1024/1661-8157/a000914 DOI
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Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.  
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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