Zusammenfassung
- Definition:Umschriebener ventrikulärer Myokardabschnitt mit abnormer Ausbuchtung nach außen und fehlender Kontraktilität. Ursache ist überwiegend ein Herzinfarkt mit Verschluss eines großen Gefäßes.
- Häufigkeit:Heutzutage durch frühe Revaskularisation deutlich seltener als früher (< 5 % bei großen Infarkten).
- Symptome:Herzinsuffizienz, Angina, ventrikuläre Tachykardie, Thrombembolie.
- Diagnostik:Nachweis üblicherweise durch Echokardiografie, alternativ durch CT oder MRT.
- Therapie:Überwiegend konservative Therapie (Herzinsuffizienztherapie, bei Thrombusbildung Antikoagulation), im Einzelfall chirurgische Aneurysmektomie.
Allgemeine Informationen
Definition
- Umschriebener ventrikulärer Myokardabschnitt mit abnormer Ausbuchtung nach außen und fehlender Kontraktilität
Häufigkeit
- Früher war die Inzidenz eines linksventrikulären Aneurysmas nach Myokardinfarkt mit 10–35 % hoch.1
- Seit durch PCI eine frühe Revaskularisierung erzielt wird, ist die Aneurysmabildung deutlich seltener geworden.2
- Heutzutage entwickeln nur noch < 5 % der Patient*innen mit großem transmuralem Infarkt ein Aneurysma.3
Ätiologie und Pathogenese
Ätiologie
- Herzinfarkt bei KHK mit Abstand häufigste Ursache (> 95 % der Fälle)4
- Seltene Ursachen4-8
- posttraumatisch
- Sarkoidose
- hypertrophe Kardiomyopathie
- Chagas-Krankheit
- kongenital.
Pathogenese
- Zu unterscheiden sind das häufige echte Aneurysma und das seltenere Pseudoaneurysma.
- Echtes Aneurysma
- Nach Verschluss eines großen Gefäßes wird nekrotisches Myokard allmählich durch Narbengewebe ersetzt.1
- Der intraventrikuläre Druck führt zu einer Überdehnung und Ausbuchtung des infarzierten Gewebes.9
- Im Verlauf kommt es meist zu einer Ausdünnung der Aneurysmawand auf < 5 mm.2
- Typische Prädilektionsstelle ist die Vorderwand und das vorderwandnahe Septum bei Verschluss des Ramus interventricularis anterior.2
- Entstehung des Aneurysmas im Verlauf von Tagen bis mehreren Wochen nach Infarkt, meist innerhalb von 8 Wochen2,9
- Pseudoaneurysma
- Pseudoaneurysmen resultieren aus einer Ruptur der freien ventrikulären Wand mit Abdeckung der Blutungshöhle nur durch das Perikard.10
- insgesamt selten (< 0,1 % der Patient*innen mit Herzinfarkt)10
- Pseudoaneurysmen treten häufiger bei Infarkten der Hinterseitenwand als bei Vorderwandinfarkten auf.2
- Auftreten häufig bereits in den ersten 1–2 Wochen nach Infarkt4
- gefährlicher als echte Aneurysmen, unbehandelt hohe Mortalität2
Lokalisation
- Ca. 90 % der Aneurysmen sind im Bereich der Vorderwand lokalisiert, ca. 10 % im Bereich der Hinter- oder Seitenwand.4
Klinische Bedeutung
- Ein Ventrikelaneurysma erhöht das Risiko für:4,10-11
- chronische Herzinsuffizienz
- Angina pectoris
- Herzrhythmusstörungen (ventrikuläre Tachykardien), plötzlichen Herztod
- Thrombusbildung im Aneurysma mit Schlaganfall.
Disponierende Faktoren
- Risikofaktoren sind:12-13
- Verschluss des R. interventricularis anterior
- Eingefäßerkrankung ohne Kollateralen
- keine pektanginösen Beschwerden in der Vorgeschichte
- Versagen einer thrombolytischen Therapie
- weibliches Geschlecht
- lange „Door to Balloon“-Zeit bei PCI.
ICPC-2
- K74 Ischämische Herzerkrankung mit Angina
- K75 Akuter Myokardinfarkt
- K76 Ischämische Herzerkrankung ohne Angina
- K77 Herzinsuffizienz
ICD-10
- I25.3 Herz-(Wand-)Aneurysma
- inkl. Ventrikelaneurysma
- I25.2- Alter Myokardinfarkt
- I25.5 Ischämische Kardiomyopathie
- I25.9 Chronische ischämische Herzkrankheit, nicht näher bezeichnet
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Der Nachweis erfolgt durch Bildgebung, meist durch Echokardiografie.
Anamnese
- Symptome (unspezifisch)
- Symptome einer Herzinsuffizienz
- Angina pectoris
- Palpitationen/Synkope (ventrikuläre Tachykardie)
- Symptome im Rahmen thrombembolischer Ereignisse (Schlaganfall und TIA)
- ACS/Herzinfarkt in der Vorgeschichte
Klinische Untersuchung
- Keine spezifischen klinischen Befunde eines Ventrikelaneurysmas
- Evtl. Zeichen der Herzinsuffizienz
Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis
- EKG
- LZ-EKG
- Erfassung von Rhythmusstörungen, insbesondere ventrikuläre Tachykardien
- Rö-Thorax
- Verbreiterung des Herzschattens
- Labor
- NT-proBNP (Marker einer Herzinsuffizienz)
Diagnostik bei Spezialist*innen
Echokardiografie
- Die Diagnose eines Ventrikelaneurysmas erfolgt überwiegend durch transthorakale Echokardiografie (TTE).14
CT, MRT
- CT und MRT sind Alternativen zur Echokardiografie vor allem bei unzureichenden Schallbedingungen.15-16
Invasive Darstellung
- Im Rahmen einer Linksherzkatheteruntersuchung kann das Aneurysma mittels Ventrikulografie dargestellt werden.
Therapie
Therapieziele
- Behandlung der mit einem Ventrikelaneurysma verbundenen möglichen Störungen
- chronische Herzinsuffizienz
- Angina pectoris bei chronischem Koronarsyndrom
- ventrikuläre Tachykardie
- Thrombembolien
Medikamentöse Therapie
Chronische Herzinsuffizienz
- Eine Herzinsuffizienz soll leitliniengerecht behandelt werden.3
- Details siehe Artikel Chronische Herzinsuffizienz.
Angina pectoris
- Symptomatische Behandlung pektanginöser Beschwerden und prognostische Behandlung der KHK17
- Details siehe Artikel Chronisches Koronarsyndrom.
Antikoagulation, linksventrikuläre Thromben
- Eine routinemäßige Antikoagulation ist nicht erforderlich.18
- Bei Nachweis von Thromben sollte eine orale Antikoagulation von bis zu 6 Monaten unter wiederholter Echokontrolle durchgeführt werden (wenig Evidenz zu bestem Antikoagulationsregime, Dauer, Strategie bei gleichzeitiger Thrombozytenaggregation).3
- Wenig Erfahrung zur Gabe von NOAK, diese sollten vermieden werden.
Interventionelle Therapie
- Eine ICD-Implantation kann im Rahmen der Primär- oder Sekundärprävention von ventrikulären Tachykardien indiziert sein.19
- Details siehe Artikel Ventrikuläre Tachykardie.
Chirurgie
Echte Aneurysmen
- Bei wahren Aneurysmen ist eine chirurgische Aneurysmektomie im Allgemeinen nicht indiziert.3
- Im Einzelfall kann eine Resektion erwogen werden und zur klinischen Verbesserung führen, insbesondere bei großen Aneurysmen mit unkontrollierter Herzinsuffizienz und therapierefraktären ventrikulären Tachykardien, die nicht abladiert werden können.3,11,20-22
Pseudoaneurysmen
- Pseudoaneurysmen sollten in der Regel zeitnah operiert werden wegen des hohen Risikos für eine Ruptur (30–50 %).2,9
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Komplikationen
- Progrediente Herzinsuffizienz, sekundäre Mitralklappeninsuffizienz
- Ruptur bei wahren Aneurysmen sehr selten, bei Pseudoaneurysmen hohes Risiko
- Thrombusbildung im Aneurysma, Embolisierung
- Ventrikuläre Tachykardien, plötzlicher Herztod
Verlauf und Prognose
- Die Prognose ist vor allem bestimmt durch ein chronisches Koronarsyndrom und chronische Herzinsuffizienz.
- Bei asymptomatischen echten Aneurysmen liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei > 90 %.2
- Bei unbehandelten Pseudoaneurysmen beträgt die Mortalität bis zu 50 %.2
Verlaufskontrolle
- Regelmäßige echokardiografische Verlaufskontrollen
Quellen
Leitlinien
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Autor
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.