Posttraumatisches Herzsyndrom

Zusammenfassung

  • Definition:Das posttraumatische Herzsyndrom umfasst eine Gruppe entzündlicher Perikardsyndrome: Postmyokardinfarktsyndrom (Dressler-Syndrom), Postperikardiotomiesyndrom und posttraumatische Perikarditis (iatrogen oder nicht-iatrogen).
  • Häufigkeit:Postmyokardinfarktsyndrom (Dressler-Syndrom) durch Reperfusionstherapie stark rückläufig. Zunahme vor allem der posttraumatischen Perikarditis infolge interventioneller Eingriffe (PCI, Herzschrittmacher, Ablation).
  • Symptome:Mit Latenz von einigen Wochen treten Brustschmerzen, Dyspnoe, Fieber, Abgeschlagenheit auf.
  • Befunde:Auskultatorisch perikarditisches Reiben. Im EKG ST-Hebung, PQ-Senkung. Laborchemisch erhöhte Entzündungsmarker. Echokardiografisch Nachweis eines Perikardergusses.
  • Diagnostik:Diagnosestellung durch Kombination aus Klinik, EKG, Labor und Bildgebung.
  • Therapie:Medikamentöse Behandlung mit ASS oder NSAR, ergänzend kann Colchizin verabreicht werden.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Das posttraumatische Herzsyndrom (Post Cardiac Injury Syndrome = PCIS) umfasst eine Gruppe entzündlicher Perikardsyndrome:1
    • Postmyokardinfarktsyndrom (Dressler-Syndrom)
    • Postperikardiotomiesyndrom
    • posttraumatische Perikarditis (iatrogen oder nicht-iatrogen).

Häufigkeit

  • Das bereits in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts beschriebene späte Postmyokardinfarktsyndrom (Dressler-Syndrom)2-3 als bekannteste Form eines PCIS trat vor Beginn der Reperfusionsära in > 5 % der Herzinfarkte auf, im Zeitalter der schnellen Reperfusionstherapie ist es aber selten geworden.4-6
  • Das Postkardiotomiesyndrom tritt nach herzchirurgischen Eingriffen recht häufig auf (10–40 % der Fälle).5
  • PCIS nach nichtiatrogenen Traumen sind beschrieben, insgesamt aber sehr selten7
  • Aufgrund der stetig wachsenden Eingriffszahlen sind iatrogene Traumen im Rahmen von Interventionen immer häufiger Ursache eines PCIS (Inzidenz 0,5–5 % je nach Eingriffsart).5,8-12
  • Im Einzelnen werden die Inzidenzen für die verschiedenen Formen des PCIS folgendermaßen geschätzt:13

Ätiologie und Pathogenese

  • Es wird eine autoimmune Pathogenese angenommen.14
  • Auslöser für den autoimmunologischen Prozess ist eine initiale Schädigung von Perikard-/und oder Pleuragewebe durch:14
    • Myokardnekrose (Postmyokardinfarktsyndrom) 
    • chirurgisches Trauma (Postkardiotomiesyndrom)
    • Thoraxtrauma oder iatrogene Verletzung im Rahmen invasiver Eingriffe (posttraumatische Perikarditis).
  • Das Konzept der autoimmunen Pathogenese wird unterstützt durch:1
    • die Latenz von einigen Wochen bis zu den ersten Manifestationen
    • das Ansprechen auf eine antiinflammatorische Therapie mit der Möglichkeit von Rezidiven.

ICPC-2

  • K76 Ischäm. Herzerkrank. ohne Angina

ICD-10

  • I24 Sonstige akute ischämische Herzkrankheit
    • I24.1 Postmyokardinfarkt-Syndrom

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Für die Diagnose eines PCIS sollten mindestens 2 der folgenden Kriterien erfüllt sein:14
    1. Fieber ohne Vorliegen anderer Ursachen
    2. perikarditische oder pleuritische Thoraxschmerzen
    3. Perikardreiben oder Pleurareiben
    4. Nachweis eines Perikardergusses
    5. Pleuraerguss mit erhöhtem CRP.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Prädisponierende vorangegangene Schädigung, anschließende Latenz von einigen Tagen bis Wochen13
  • Ähnliche Symptome bei PCIS wie bei akuter Perikarditis anderer Ätiologie5,13
    • Brustschmerzen (> 80 %)
      • variierende Schmerzstärke, aber häufig starke, brennende Schmerzen
      • Lokalisation links präkordial oder retrosternal, Ausstrahlung möglich
      • Besserung bei Aufsitzen und Vorwärtsbeugen
      • Verstärkung der Schmerzen bei Inspiration oder Husten17
      • keine Besserung auf Nitrate
      • nicht anstrengungsabhängig
    • sonstige Symptome
      • Abgeschlagenheit
      • Fieber, normalerweise ≤ 38 °C (50–60 %)
      • bei begleitender Pleuritis Schmerzen im Bereich des Brustkorbs
      • Dyspnoe (50–60 %)
        • ausgeprägte Dyspnoe möglicher Hinweis für größeren Perikarderguss/Tamponade

Klinische Untersuchung

  • Ein perikardiales Reibegeräusch ist ein pathognomonischer Befund.
    • Kommt in 30–60 % der Fälle vor.5
    • Punktum maximum meistens links parasternal (Erb)
    • kratzendes systolisch-diastolisches Geräusch
    • Hörbarkeit bzw. Lautstärke des Geräuschs kann im Verlauf wechseln.
    • Häufig bei vornübergebeugter Haltung der Patient*innen am besten zu hören.
    • im Gegensatz zum Pleurareiben auch bei angehaltenem Atem hörbar
    • Perikardiales und pleurales Reiben können auch gleichzeitig vorkommen.
    • Cave: Verschwinden des Geräuschs kann Zeichen eines zunehmenden Perikardergusses sein!
  • Evtl. Halsvenenstauung als Hinweis auf größeren Perikarderguss/Tamponade
  • Tachykardie/Hypotonie bei größerem Perikarderguss/Tamponade 

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Interpretation der klinischen Befunde sowie der Ergebnisse der ergänzenden Untersuchungen häufig erschwert durch die Grunderkrankung, die bzw. deren Behandlung das PCIS ausgelöst hat.5

EKG

  • EKG empfohlen bei allen Patient*innen mit V. a. Perikarditis1
  • Befunde 
    • Sinustachykardie
    • bei typischem Ablauf 4 Stadien17
      • Stadium I
        • ST-Hebung in zahlreichen Ableitungen
        • ST-Hebung typischerweise konkav (im Gegensatz zum typischen STEMI mit konvexer ST-Hebung)18-19
        • keine ST-Senkung in aVL (im Gegensatz zum inferioren STEMI)20
        • PQ-Strecken-Senkung
      • Stadium II
        • ST-Hebungen und PQ-Senkung rückläufig
      • Stadium III
        • T-Negativierungen
      • Stadium IV
        • Normalisierung des EKG
    • evtl. Niedervoltage bei Perikardergus

Rö-Thorax

  • Rö-Thorax empfohlen bei allen Patient*innen mit V. a. Perikarditis1
  • Pleuraerguss, verbreiterter Herzschatten als möglicher Hinweis auf Perikarderguss

Labor

  • Bestimmung von Entzündungsparametern und Markern für Myokardschaden bei Patient*innen mit V. a. Perikarditis empfohlen1
    • BSG, CRP, Leukozyten
    • wichtig auch für Aktivitätsbeurteilung bei Verlaufskontrollen
  • Troponin

Sonografie

Diagnostik bei Spezialist*innen

Echokardiografie

  • Transthorakale Echokardiografie (TTE) bei allen Patient*innen mit V. a. Perikarditis empfohlen1
  • Nachweis und semiquantitative Einschätzung der Menge eines Perikardergusses, Beurteilung der hämodynamischen Wirksamkeit
  • Beurteilung der Pumpfunktion (begleitende Myokarditis?)

CT

  • Darstellung einer perikardialen Entzündung nach Kontrastmittelgabe
  • Darstellung Perikarderguss

MRT

  • Darstellung der perikardialen Entzündung (Late Gadolinium Enhancement)
  • Erfassung einer Myokarditis (Late Gadolinium Enhancement)
  • Darstellung des Perikardergusses

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei Verdacht auf PCIS Überweisung an Spezialist*in
  • Bei hämodynamischer Instabilität sofortige Klinikeinweisung

Therapie

Therapieziele

  • Remission des autoimmun vermittelten Entzündungsprozesses
  • Vermeidung von Rezidiven

Medikamentöse Therapie

  • Keine Evidenz durch randomisierte Studien für die Behandlung des PCIS5
  • Es wird eine empirische antientzündliche Therapie durchgeführt entsprechend der sonst üblichen Perikarditis-Behandlung.
    • ASS oder NSAR (z. B. Ibuprofen) mit Magenschutz
    • evtl. ergänzend Colchizin
  • Bei im Rahmen einer Grunderkrankung bereits bestehender Thrombozytenaggregationshemmung sollte ASS bevorzugt werden.1
  • Colchizin führt zu schnellerer Beschwerdefreiheit und weniger Rezidiven, außerdem seltener Tamponade oder Entwicklung einer konstriktiven Perikarditis.13
  • Kortikosteroide nur bei Kontraindikationen gegen ASS und NSAR (in Kombination mit Colchizin)13

Präventive medikamentöse Therapie

  • Bei Patient*innen mit herzchirurgischen Eingriffen senkt die postoperative Gabe von Colchizin das Risiko für das Auftreten eines PCIS.21
  • Allerdings erhöhtes Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen1

Leitlinie: Behandlung und Prävention des posttraumatischen Herzsyndroms (PCIS)14

  • Eine antiinflammatorische Therapie wird bei Patient*innen mit PCIS zur Beschleunigung einer Remission und zur Verminderung von Rezidiven empfohlen (I/B).
  • ASS wird als Therapie der 1. Wahl bei Postmyokardinfarkt-Perikarditis sowie bei den Patient*innen empfohlen, die bereits eine antithrombozytäre Therapie erhalten (I/C).
  • Colchicin kann zusätzlich zu ASS oder NSAR – wie bei der akuten Perikarditis – gegeben werden (IIa/B).
  • Colchicin kann nach einer Herzoperation unter Verwendung von körpergewichtsabhängigen Dosen (d. h. 0,5 mg 1 x tgl. bei Patient*innen ≤ 70 kg und 0,5 mg 2 x tgl. bei Patient*innen > 70 kg) und ohne Aufsättigung zur Prävention eines PPS erwogen werden, wenn es vertragen wird und keine Kontraindikationen vorliegen. Eine präventive Verabreichung von Colchicin über 1 Monat wird empfohlen (IIa/A).
  • Eine sorgfältige Nachbeobachtung nach einem PCIS ist zu erwägen, um die mögliche Entwicklung einer konstriktiven Perikarditis auszuschließen, wobei eine Echokardiografie je nach klinischen Merkmalen und Symptomen alle 6–12 Monate durchgeführt werden sollte (IIa/C).

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Rezidive
  • Pericarditis constrictiva
  • Tamponade

Verlauf und Prognose

  • In der Mehrzahl der Fälle ist die Prognose des PCIS günstig.13
  • Rezidive in ca. 10–15 %5
  • Längerfristig (72 Monate) intermediäres Risiko (2–5 %) für konstriktive Perikarditis, daher Verlaufskontrollen sinnvoll13

Verlaufskontrollen

Quellen

Leitlinien

  • European Society of Cardiology. Guidelines for the diagnosis and management of pericardial diseases. Stand 2015. www.escardio.org

Literatur

  1. Adler Y, Charron P, Imazio M, et al. 2015 ESC Guidelines for the diagnosis and management of pericardial diseases. Eur Heart J 2015; 36: 2921–2964. doi:10.1093/eurheartj/ehv318 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Dressler W. A postmyocardial infarction syndrome. JAMA 1956; 160: 1379-1383. doi:10.1001/jama.1956.02960510005002 DOI
  3. Weiser N, Kantor M, Russel H. Postmyocardial Infarction Syndrome. Circulation 1959; 20: 371-380. www.ahajournals.org
  4. Verma B, Montane B, Chetrit M, et al. Pericarditis and Post-cardiac Injury Syndrome as a Sequelae of Acute Myocardial Infarction. Current Cardiology Reports 2020; 22: 127. doi:10.1007/s11886-020-01371-5 DOI
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  6. Shahar A, Hod H, Barabash GM, et al. Disappearance of a syndrome: Dressler's syndrome in the era of thrombolysis. Cardiology 1994; 85:255. PubMed
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  13. Bohnen M, Biskup U. Posttraumatisches Herzsyndrom – eine spezielle Form der akuten Perikarditis. Praxis 2018; 107: 61-67. doi:10.1024/1661-8157/a002874 DOI
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Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i.Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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