Subclavian-Steal-Syndrom

Zusammenfassung

  • Definition: „Subclavian Steal“ beschreibt ein Phänomen, bei dem es aufgrund eines Verschlusses (oder einer höhergradigen Stenose) der A. subclavia proximal des Vertebralisabgangs zu einer Flussumkehr in der A. vertebralis kommt. Bei Auftreten klinischer Symptome durch eine insuffiziente vertebrobasiläre und/oder Armperfusion spricht man vom „Subclavian-Steal-Syndrom“.
  • Häufigkeit:Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung unbekannt. Ein Steal-Phänomen zeigt sich bei 0,5–2 % dopplersonografischer Untersuchungen der Hirnarterien. Männer zu Frauen ca. 2:1. 
  • Symptome:Beim „Subclavian-Steal-Syndrom“ Symptome der vertebrobasilären Insuffizienz und/oder einer Armischämie. Bei Patienten mit koronarem A.-mammaria-Bypass evtl. Myokardischämie. 
  • Befunde: Abgeschwächter Puls und verminderter Blutdruck auf der betroffenen Seite. Dopplersonografisch verminderter antegrader bis retrograder Fluss in der ipsilateralen A. vertebralis.
  • Diagnostik:Diagnosestellung überwiegend durch sonografische Flussmessungen. Als Provokationstest kann eine Oberarmkompression mit Verstärkung des retrograden Vertebralisflusses nach Dekompression (reaktive Hyperämie) durchgeführt werden. Darstellung der Subclavialäsion durch CT- oder MR-Angiografie.
  • Therapie:Bei asymptomatischen Patienten nur konservative Behandlung der zumeist zugrunde liegenden Atherosklerose und der entsprechenden Risikofaktoren. Bei symptomatischen Patienten Katheterintervention oder Operation.

Allgemeine Informationen

Definition

  • „Subclavian Steal“ beschreibt ein Phänomen, bei dem es aufgrund eines Verschlusses (oder einer höhergradigen Stenose) der A. subclavia proximal des Vertebralisabgangs zu einer Flussumkehr in der der A. vertebralis kommt.
  • Die Versorgung der A. subclavia distal der Läsion sowie von ihr abgehender Gefäße erfolgt so zumindest teilweise aus dem kontralateralen Stromgebiet.
  • Bei Auftreten klinischer Symptome durch eine insuffiziente vertebrobasiläre und/oder Armperfusion spricht man vom „Subclavian-Steal-Syndrom“.1
  • Zur klinischen Manifestation kommt es vor allem bei Vorliegen weiterer Strombahnhindernisse im Hirnkreislauf, die die Versorgung von der kontralateralen Seite beeinträchtigen.2

Häufigkeit

  • Die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung ist unbekannt.3
  • Verhältnis Männer zu Frauen ca. 2:14
  • Ca. 85 % der Fälle mit linksseitiger Lokalisation5

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Strukturelle oder funktionelle Einengungen der A. subclavia können ursächlich für ein „Subclavian-Steal“-Phänomen sein.6
    • Atherosklerose (überwiegende Zahl der Fälle) 
    • entzündliche Gefäßerkrankungen (Takayasu-Arteriitis, Riesenzellarteriitis, Lues)
    • Thoracic-outlet-Syndrom
    • Knickstenosen bei Elongation oder Kinking
    • iatrogene oder traumatische Gefäßläsionen
    • fibromuskuläre Dysplasie

Pathophysiologie

  • Eine hochgradige Stenose oder Verschluss der A. subclavia (seltener des Truncus brachiocephalicus auf der rechten Seite) führt zu einem verminderten Blutdruck distal der Läsion.
  • Durch die Druckdifferenz kommt es zu einem retrograden Fluss in abgehenden Ästen oder Kollateralen.
  • Am bedeutendsten ist dabei die Flussumkehr in der A. vertebralis, die über den Circulus willisii mit dem kontralateralen Stromgebiet verbunden ist.
  • Bei einer zumindest mäßigen Stenose der A. subclavia (> 50 %) weisen über 90 % der Patienten eine intermittierende oder kontinuierliche Flussumkehr in der A. vertebralis auf.1
  • Dennoch ist – vor allem bei Fehlen weiterer Anomalien – ein „Subclavian-Steal“-Phänomen überwiegend asymptomatisch und häufig ein Zufallsbefund.4
  • Symptome („Subclavian-Steal-Syndrom“) treten vor allem bei Belastung des ipsilateralen Arms auf und können verschiedene Versorgungsgebiete betreffen:1
    • vertebrobasiläre Ischämie mit Schwindel, Doppelbildern, Nystagmus, Tinnitus oder sogar „Drop Attacks“
    • Claudicatio des betroffenen Arms
    • bei Patienten mit koronarem A.-mammaria-Bypass „Coronary Subclavian Steal“ mit Myokardischämie und Angina pectoris7 

Klassifikation

  • Auf Basis der Flussmessungen kann eine Gradeinteilung vorgenommen werden.6
    • Grad I: verminderter antegrader Fluss in der A. vertebralis
    • Grad II: Flussumkehr bei Auslösung einer reaktiven Hyperämie am gleichseitigen Arm 
    • Grad III: permanenter retrograder Fluss
  • Die Gradeinteilung korreliert nur bedingt mit der klinischen Symptomatik.8

Prädisponierende Faktoren

  • Atherosklerose

ICPC-2

  • K89 Transiente zerebrale Ischämie
  • K92 Atherosklerose, pAVK

ICD-10

  • G45.89 Sonstige zerebrale transitorische Ischämie und verwandte Syndrome
  • I65 Verschluss und Stenose präzerebraler Arterien ohne resultierenden Hirninfarkt
    • I65.0 Verschluss und Stenose der A. vertebralis
    • I65.1 Verschluss und Stenose der A. basilaris
    • I65.2 Verschluss und Stenose der A. carotis
    • I65.3 Verschluss und Stenose mehrerer und beidseitiger präzerebraler Arterien
    • I65.8 Verschluss und Stenose sonstiger präzerebraler Arterien
    • I65.9 Verschluss und Stenose einer nicht näher bezeichneten präzerebralen Arterie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • „Subclavian-Steal“-Phänomen: Nachweis eines verzögerten bzw. retrograden Flusses in der A. vertebralis bei Stenose/Verschluss der A. subclavia
    • Diagnosestellung überwiegend durch Doppler-Sonografie
  • „Subclavian-Steal-Syndrom“
    • klinische Symptomatik (Zeichen der vertebrobasilären Insuffizienz, Claudicatio des Arms, evtl. Angina pectoris bei A.-mammaria-Bypass), die durch ein „Subclavian-Steal“-Phänomen erklärt werden kann.
    • Erhärtung des Verdachts durch Provokationsmanöver

Differenzialdiagnosen

  • Atherosklerose der hirnversorgenden Gefäße
  • Thrombembolische Ereignisse
  • Alternative Ursachen für Schwindel (z. B. otogen)

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Puls 
    • abgeschwächter oder fehlender Puls am Arm der betroffenen Seite
  • Blutdruck
    • Verdacht auf eine höhergradige Stenose oder einen Verschluss von A. subclavia oder truncus brachiocephalicus besteht bei:3
      • relativer Blutdruckdifferenz > 20 % – oder –
      • absoluter Blutdruckdifferenz > 30 mmHg.
    • Es gibt dabei aber keinen eindeutigen Cut-off, sondern je größer die Blutdruckdifferenz, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten von Symptomen.3
      • Bei einer Blutdruckdifferenz von 20–30 mmHg waren in einer Studie nur 1,4 % der Patienten symptomatisch, bei einer Differenz > 50 mmHg bereits 39 %.9
  • Auskultation
    • Evtl. kann in der Fossa supraclavicularis ein Stenosegeräusch auskultiert werden.1
  • Funktionsuntersuchungen6
    • bei einem „Thoracic-outlet-Syndrom“ abgeschwächter Puls erst in Funktionsstellungen (Abduktion, Elevation, Retroflexion)
    • Durch den Armbelastungstest nach Ratschow (Faustschlüsse bei erhobenem Arm) evtl. Auslösung einer Schwindelsymptomatik und/oder einer Armischämie 

Diagnostik beim Spezialisten

  • Ultraschalluntersuchung 
    • Doppler- und Farbduplexsonografie der A. subclavia und der A. vertebralis ist die Standarduntersuchung zum Nachweis eines „Subclavian-Steal“-Phänomens
    • Abhängig von der Ausprägung können unterschiedliche Flussvarianten in der A. vertebralis dargestellt werden:5,10
      • verminderter antegrader Fluss
      • ante- und retrograder Fluss im Verlauf eines Herzzyklus
      • ausschließlich retrograder Fluss.
    • Provokationstest durch reaktive Hyperämie im Arm11
      • Oberarmkompression mit einer Blutdruckmanschette mindestens 20 mmHg über dem systolischen Blutdruck für 1–2 min
      • Nach Lösen der Stauung führt die Hyperämie zu einer Zunahme des Flusses im Arm und ggf. zur Demaskierung eines okkulten „Subclavian Steals“ mit Induktion eines retrograden Flusses in der A. vertebralis.
  • MR- oder CT-Angiografie
    • Darstellung von Stenosen oder Verschlüssen der A. subclavia
    • Erfassung von weiteren Läsionen extra- oder interkranieller Gefäße
  • Digitale Subtraktionsangiografie
    • invasive Diagnostik der Subclaviapathologie, evtl. kombiniert mit katheterinterventioneller Behandlung

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf die Erkrankung

Therapie

Therapieziele

  • Beseitigung der durch das „Subclavian-Steal“-Phänomen verursachten vertebrobasilären Insuffizienz (bzw. im Einzelfall auch einer Myokardischämie bei Patienten mit A.-mammaria-Bypass)
  • Beseitigung der durch Verschluss/Stenose der A. subclavia verursachten ischämischen Symptome des Arms

Allgemeines zur Therapie

  • Diagnose und Therapie des „Subclavian-Steal-Syndroms“ erfolgt disziplinenübergreifend (Neurologen, Angiologen, Radiologen, Gefäßchirurgen).
  • Die Mehrzahl der Patienten mit einem „Subclavian-Steal“-Phänomen ist asymptomatisch oder gering symptomatisch, bei diesen wird unabhängig vom Ausmaß des „Steals“ die Grunderkrankung konservativ behandelt.4
  • Bei den deutlich symptomatischen Patienten kommen infrage:
    • katheterinterventionelle Verfahren12-14
    • operative Verfahren.15-16
  • Derzeit noch keine Daten aus prospektiv-randomisierten Vergleichen zwischen Katheterintervention und Operation1 

Medikamentöse Therapie

  • Die meisten Subclavia-Läsionen sind atherosklerotisch bedingt, die medikamentöse Behandlung umfasst dementsprechend ASS, Statine und die Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren.
  • Bei entzündlichen Grunderkrankungen Behandlung mit Kortikoiden und Immunsuppressiva

Katheterintervention

  • Die PTA mit Stentimplantation ist heutzutage Methode der Wahl, wenn der Stent voraussichtlich nicht den Fluss in der A. vertebralis beeinträchtigt.1
  • Die technische Erfolgsrate von Katheterinterventionen liegt bei 86–100 %.2
  • Die Offenheit des Gefäßes nach 5 Jahren liegt bei 85 %.1

Operation

  • Verschiedene operative Techniken stehen zur Verfügung, angewandt werden vor allem:6
    • Carotis-Subclavia-Bypass
    • Transposition der A. subclavia mit End-zu-Seit-Anastomisierung an die A. carotis communis

Leitlinie: Management von Stenosen/Verschlüssen der A. subclavia17

  • Bei symptomatischen Patienten mit Stenose/Verschluss der A. subclavia sollte eine Rekanalisierung erwogen werden (IIa/C).
  • Bei symptomatischen Patienten mit Stenose/Verschluss der A. subclavia sollten beide Revaskularisierungsoptionen (Stenting oder Chirurgie) auf individueller Basis (Charakteristik der Läsion, Patientenrisiko) diskutiert werden (IIa/C).
  • Bei asymptomatischen Patienten sollte eine Revaskulariserung erwogen werden, wenn bei A.-mammaria-Bypass Hinweise auf eine myokardiale Ischämie bestehen (IIa/C).

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Embolisationen nach zentral und peripher bei Katheterinterventionen und Operationen
  • Selten Läsionen von N. phrenicus, N. recurrens, Grenzstrang oder Plexus brachialis bei Operationen6
  • Rezidivstenosen/-verschlüsse

Verlauf und Prognose

  • Ein „Subclavian Steal“ führt üblicherweise zu transienten ischämischen Ereignissen und nur selten zu einem Hirninfarkt.2
  • Nach Intervention oder Operation sind die Patienten überwiegend frei von vertebrobasilären oder Armischämien.4
    • In einer Kontrollstudie nach Katheterintervention berichteten 75 % der Patienten völlige Symptomfreiheit, der Rest eine wesentliche Besserung.12
  • Eine Subclaviastenose/-verschluss ist ein Marker eines erhöhten kardiovaskulären Risikos, die kardiovaskuläre und Gesamtmortalität ist bei diesen Patienten erhöht.18

Verlaufskontrolle

  • Regelmäßige Verlaufskontrollen
    • klinisch (einschließlich vergleichender Blutdruckmessung)
    • sonografisch (Offenheit der A. subclavia nach Katheterintervention oder Operation)

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Halsarterien
Halsarterien

Quellen

Leitlinien

  • European Society of Cardiology. Guidelines on the Diagnosis and Treatment of Peripheral Arterial Diseases. Stand 2017. www.escardio.org

Literatur

  1. Potter B, Pinto D. Subclavian Steal Syndrome. Circulation 2014; 129: 2320-2323. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.113.006653 DOI
  2. Bayat I. Subclavian steal syndrome. Medscape, updated Apr 09, 2019. Zugriff 30.12.19. emedicine.medscape.com
  3. Seidel G. Steal-Phänomene der Hirnarterien. NeuroTransmitter 2013; 24: 35-37. www.bvdn.de
  4. Osiro S, Zurada A, Gielecki J, et al. A review of subclavian steal syndrome with clinical correlation. Med Sci Monit 2012; 18: RA57-63. pmid:22534720 PubMed
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  6. Rantner B, Fraedrich G. Verschlussprozesse des Truncus brachiocephalicus und der Arteria subclavia. Gefässchirurgie 2007; 12: 455–464. doi:10.1007/s00772-007-0556-6 DOI
  7. Hillock RJ, Smyth DW. A case of coronary-subclavian steal syndrom. Heart Lung Circ 2004; 13: 421-2. PubMed
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  9. Labropoulos N, Nandivada P, Bekelis K: Prevalence and Impact of the Subclavian Steal Syndrome. Ann Surg 2010;252:166–70. www.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Grant EG, El-Saden SM, Madrazo BL et al. Innominate artery occlusive disease: sonographic findings. Am J Roentgenol 2006; 186: 394-400. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Kliewer MA, Hertzberg BS, Kim DH et al. Vertebral artery Doppler waveform changes indicating subclavian steal physiology. AJR Am J Roentgenol 2000; 174: 815-9. PubMed
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Autoren

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim

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