Akute mesenteriale Ischämie

Zusammenfassung

  • Definition:Akut auftretende arterielle oder venöse Durchblutungsstörung des Darms mit passagerer oder dauerhafter Gewebeschädigung im nach- bzw. vorgeschalteten Darmabschnitt.
  • Häufigkeit:Ca. 1 % der Patient*innen mit akutem Abdomen.
  • Symptome:Leitsymptom ist der akut einsetzende Bauchschmerz. Häufig begleitet von Übelkeit, Erbrechen.
  • Befunde:Initial noch keine klinischen Zeichen von Ileus oder Peritonitis, Entwicklung erst im weiteren Verlauf.
  • Diagnostik:Sicherung der Diagnose durch CT-Angiografie.
  • Therapie:Intensivmedizinische Behandlung, schnellstmögliche Revaskularisierung durch katheterinterventionellen oder operativen Eingriff. Bei Mesenterialvenenthrombose überwiegend nur Antikoagulation.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Akut auftretende arterielle oder venöse Durchblutungsstörung des Darms mit passagerer oder dauerhafter Gewebeschädigung im nach- bzw. vorgeschalteten Darmabschnitt1
  • Eine akute mesenteriale Ischämie kann durch 4 pathophysiologisch unterschiedliche Krankheitsbilder ausgelöst werden:1
    • akute mesenteriale Embolie
    • akute Mesenterialarterienthrombose
    • nonokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI)
    • akute Mesenterialvenenthrombose.

Häufigkeit

  • Wenige epidemiologische Daten, in einer älteren Analyse wird eine Inzidenz von 13/100.000 berichtet.1
  • Verantwortlich für ca. 1 von 1.000 Hospitalisationen2
  • Vorkommen bei ca. 1 % aller Patient*innen mit akutem Abdomen3
    • bei über 70-Jährigen bis zu 10 % der Fälle mit akutem Abdomen3
  • Verschluss der A. mesenterica superior häufigste Form der mesenterialen Ischämie4

Ätiologie und Pathogenese

Ätiologie

  • Akuter arterieller Verschluss in ca. 70 % der Fälle1
    • Embolie häufiger als Thrombose (Verhältnis etwa 1,4:1)
    • Embolie mit 40–50 % der Fälle häufigste Ursache, durch den spitzwinkligen Abgang der A. mesenterica superior aus der Aorta ist sie das anfälligste Gefäß für eine Embolisation5
  • Nonokklusive mesenteriale Ischämie (NOMI) in ca. 15 % der Fälle1
  • Akute Mesenterialvenenthrombose in ca. 15 % der Fälle1

Pathogenese

  • Arterielle Durchblutung der Intestinalorgane erfolgt durch 3 große aortale Gefäße: Truncus coeliacus, A. mesenterica superior, A, mesenterica inferior.6
  • Bei plötzlichem Verschluss eines der 3 Hauptgefäße schwere Darmischämie5
    • Über die Kolletaralen ist eine gewisse Kompensation möglich.
  • Insbesondere ein akuter Verschluss der A. mesenterica superior führt allerdings fast immer zum Mesenterialinfarkt.6
  • Ischämie beginnt luminal an der Schleimhaut und breitet sich transmural zur serosalen Seite aus.1
  • Je nach Dauer und Kollateralisierung entstehen:1
    • eine passagere mukosale Enteritis mit Restitutio ad integrum
    • eine tiefer gehende passagere Schädigung der Darmwand mit Defektheilung (z. B. Stenose)  
    • ein transmuraler Infarkt mit Darmgangrän/Perforation. 
  • Eine akute vollständige Durchblutungsstörung führt innerhalb von 6 Stunden zur irreversiblen Gewebeschädigung.3
  • Bei der Mesenterialvenenthrombose wird das Ausmaß der Organschädigung von der Größe der Thrombose und der Geschwindigkeit ihres Fortschreitens bestimmt.1

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • D99 Erkrankung des Verdauungssystems IKA
    • Schließt ein: Thrombose/Ischämie im Mesenterium

ICD-10

  • K55.0 Akute Gefäßkrankheiten des Darms
    • inkl. 
      • Darminfarkt
      • Dünndarmischämie
      • fulminante ischämische Kolitis
      • Mesenterial-Embolie
      • Mesenterial-Infarkt
      • Mesenterial-Thrombose
      • Subakute ischämische Kolitis 

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Verdacht auf akute mesenteriale Ischämie durch Kombination aus:
    • Klinik (akuter Bauchschmerz)
    • und prädisponierenden Faktoren.
  • Bestätigung durch Bildgebung

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Symptome
    • Leitsymptom der akuten mesenterialen Ischämie ist der Bauchschmerz.5
      • akut auftretend
      • stark
      • periumbilikal, im rechten Unterbauch, häufig auch nicht eindeutig lokalisiert
      • initial kein Druckschmerz, keine Abwehrspannung9-10
    • Übelkeit, Erbrechen
    • Durchfall
  • Vorgeschichte
  • Bei Mesenterialvenenthrombose ist das Bild häufig variabel mit allmählicher Entwicklung der Symptomatik.10

Klinische Untersuchung

  • Allgemeinzustand
  • Puls (absolute Arrhythmie?)
  • Blutdruck
  • Abdomen
    • Abwehrspannung?
    • Peristaltik?

Typischer klinischer Verlauf1

  1. Initial starke Bauchschmerzen, keine Ileuszeichen, kein Peritonismus
  2. Nach 6–7 h Beginn eines symptomarmen Intervalls mit Nachlassen von Schmerz und Darmperistaltik
  3. Nach ca. 12 h wieder zunehmende Schmerzen, Ileus, Peritonitis

Diagnostik im Krankenhaus

Labor

  • Keine spezifischen Laborparameter für eine frühe Diagnose verfügbar2
  • Im weiteren Verlauf Leukozytose, Laktatanstieg, metabolische Azidose

Bildgebende Diagnostik

  • Entscheidend ist bei anamnestisch-klinischem Verdacht die unverzügliche Einleitung einer Bildgebung
Röntgen-Abdomen
  • Für die initiale Diagnostik nicht geeignet
  • Erst bei fortgeschrittener Ischämie Zeichen des Ileus oder einer Perforation (freie Luft)
Farbduplex-Sonografie
  • Ermöglicht bei ausreichenden Schallbedingungen eine rasche und spezifische Diagnose eines Mesenterialarterienverschlusses.9
  • Allerdings nur begrenzt sensitiv, bei unklarem Befund muss ergänzend eine CT-Angiografie durchgeführt werden.9
CT-Angiografie
  • Heutzutage Gold-Standard der bildgebenden Diagnostik1
  • Darstellung von arteriellen und venösen Verschlüssen
  • Erfassung von minderperfundiertem Parenchym
  • Ausschluss/Nachweis von Differenzialdiagnosen
MR-Angiografie
  • Im Vergleich zur CT schwächere Bildauflösung1
  • Option bei Kontraindikationen gegen CT-Kontrastmittel1
Invasive Angiografie
  • Früher Gold-Standard, heute für die Diagnostik nicht mehr Methode der 1. Wahl5

Indikationen zur Klinikeinweisung

Therapie

Therapieziel

  • Überleben der Patient*innen durch schnellstmögliche Revaskularisierung

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung beruht auf:
    • intensivmedizinischer Stabilisierung
    • Revaskularisierung durch:
      • katheterinterventionelle Verfahren
      • operative Revaskularisation.

Intensivmedizinische Basistherapie

Revaskularisierung

  • Randomisierte Vergleiche zwischen Katheterintervention und Operation liegen nicht vor.5
  • Ein katheterinterventionelles Vorgehen ist eine Option, wenn noch keine Peritonitis besteht.6
  • Bei Peritonitis besteht eine absolute Indikation zur explorativen Laparatomie6
  • Aufgrund häufiger Spontanrekanalisation (50–70 %) und Kollateralisation bei Mesenterialvenenthrombosen meist nur Antikoagulation8

Katheterintervention

  • Thrombusaspiration
  • Lokale Lyse
  • Stentimplantation

Operative Verfahren

  • Thrombektomie
  • Bypass-Chirurgie
  • Evtl. Second-look-OP zur Entfernung avitaler Darmsegmente

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Komplikationen

  • Abdominales Kompartmentsyndrom
  • Sepsis
  • Multiorganversagen
  • Tod

Verlauf und Prognose

  • Mortalität arterieller Verschlüsse ohne Eingriff nahezu 100 %11
  • Für die Prognose spielt die 6-Stunden-Grenze bis zur Revaskularisierung eine große Rolle.6
  • Letalität abhängig von der Dauer des Gefäßverschlusses
    • 30 % bei Behandlung innerhalb der ersten 6 Stunden nach Symptombeginn
    • 60 % bei Behandlung zwischen 6 und 12 h nach Symptombeginn
    • 80–100 % bei Behandlung > 24 h nach Symptombeginn
  • Die Letalität der Mesenterialvenenthrombose ist im Vergleich zu arteriellen Verschlüssen geringer.8

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

Literatur

  1. Michael Scheurlen. Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin. Akute mesenteriale Ischämie. e.Medpadia. Zugriff 23.02.21.test www.springermedizin.de
  2. Tilsed J, Casamassima A, Kurihara H, et al. ESTES guidelines: acute mesenteric ischaemia. Eur J Trauma Emerg Surg 2016; 42: 253-270. doi:10.1007/s00068-016-0634-0 DOI
  3. Klar E, Rahmanian P, Bücker A, et al. Acute mesenteric ischemia: a vascular emergency. Dtsch Arztebl Int 2012; 109: 249-256. doi:10.3238/arztebl.2012.0249 DOI
  4. Lock G. Die akute mesenteriale Ischämie – häufig übersehen und häufig letal. Med Klin 2002; 97: 402-409. doi:10.1007/s00063-002-1173-5 DOI
  5. Erben Y, Oderich G, Debus E. Akute mesenteriale Ischämie. e.Medpedia. Zugriff 26.03.21. www.springermedizin.de
  6. Luther B, Mamopoulos T, Schott P, et al. Akuter Mesenterialarterienverschluss - Hat die endovaskuläre Therapie die Prognose verbessert? Gefäschirurgie 2017; 22: 236-241. doi:10.1007/s00772-017-0290-7 DOI
  7. Russell C, Wadhera R, Piazza G. Mesenteric Venous Thrombosis. Circulation 2015; 18: 1599-1603. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.114.012871 DOI
  8. Luther B, Debus E. Mesenterialvenenthrombose. e.Medpedia. Zugriff 26.03.21. www.springermedizin.de
  9. Schäberle W, Leyerer L, Giebeler C, et al. Farbduplexsonographie bei chronischer und akuter Mesenterialarterienischämie - Wie relevant ist die Farbduplexsono­graphie für die Diagnostik?. Gefässchirurgie 2014; 19: 247–256. doi:10.1007/s00772-014-1320-3 DOI
  10. Lock G, Schölmerich J. Akute mesenteriale Durchblutungsstörungen. Intensivmed 2004; 41: 153-162. doi:10.1007/s00390-004-0416-5 DOI
  11. Cudnik M, Darbha S, Jones J, et al. The Diagnosis of Acute Mesenteric Ischemia: A Systematic Review and Meta-analysis. Acad Emerg Med 2013; 20: 1087-1100. doi:10.1111/acem.12254 DOI

Autor*innen

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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