Neurodermitis circumscripta (Lichen simplex chronicus)

Zusammenfassung

  • Definition: Stark juckende Hauterkrankung, ausgelöst und aufrechterhalten durch chronisches Kratzen. Klar definierte, erythematöse, oft hyperpigmentierte Bereiche/Plaques mit verdickter, lichenifizierter Haut.
  • Häufigkeit: Genaue Angaben zur Häufigkeit liegen nicht vor, chronischer Juckreiz verschiedener Ätiologie ist jedoch ein häufiges Phänomen.
  • Symptome: Zu den Symptomen zählt lästiger, unkontrollierbarer Juckreiz, der sich nachts verstärkt und der durch Wärme, Schweiß und die Haut reizende Kleidung verschlimmert werden kann.
  • Befunde: Der klinische Befund umfasst einzelne oder multiple erythematöse (akut) bis violette (chronisch) lichenifizierte Flecken und Plaques, die sich häufig am Hals, in der Perianalregion und an anderen Lokalisationen befinden.
  • Diagnostik: Keine Zusatzuntersuchungen erforderlich, eine Histologie kann erwogen werden. Differenzialdiagnosen im dermatologischen, internistischen und psychiatrischen Bereich sind auszuschließen.
  • Therapie: Juckreizlinderung (meist sind intermittierend hochpotente topische Kortikosteroide notwendig).

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die Neurodermitis circumscripta wird auch als Lichen simplex chronicus bezeichnet.
  • Andere Synonyme sind: Lichen chronicus Vidal; Lichen Vidal; Vidalsche Krankheit, Neurodermitis from Rubbing (Erstbeschreiber Vidal, 1886).1
  • Klar definierte, erythematöse, oft hyperpigmentierte Bereiche/Plaques mit verdickter, lichenifizierter Haut2
  • Meist befinden sich die Läsionen im Nacken, an den Knöcheln, auf der Kopfhaut, im Schambereich, an der Vulva, am Skrotum und an den Streckseiten der Unterarme.
  • Die Neurodermitis circumscripta entsteht durch permanentes Kratzen aufgrund chronischen Juckreizes an derselben Stelle.
  • Die Erkrankung ist harmlos, die Lebensqualität kann jedoch durch den chronischen, starken Juckreiz beeinträchtigt sein.
  • Die Neurodermitis circumscripta sollte nicht mit dem atopischen Ekzem (umgangsprachlich ebenfalls „Neurodermitis") verwechselt werden.3

Häufigkeit

  • Die Neurodermitis circumscripta (Lichen simplex chronicus) ist eine häufige Erkrankung, zu der keine genauen Angaben zu Inzidenz oder Prävalenz vorliegen.
  • Die Erkrankung tritt in jedem Alter auf, es gibt keine eindeutige Geschlechtsbetonung; einige Autoren postulieren, dass die Erkrankung bei Frauen etwas häufiger auftritt.1-2
  • Chronischer Pruritus aufgrund verschiedener Erkrankungen wird in Deutschland bei ca. 13,5 % der Allgemeinbevölkerung beobachtet mit einer Inzidenz von 7 %.4

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Neurodermitis circumscripta (Lichen simplex chronicus) entwickelt sich im Laufe der Zeit bei Patienten, die sich ständig an derselben Stelle kratzen.
  • Dies führt zu einem Teufelskreis, bei dem das Kratzen neuen Juckreiz hervorruft.5
  • Als Grunderkrankung können andere Hauterkrankungen, systemische Erkrankungen, die zu Juckreiz führen (z. B. Nierenversagen), Umweltfaktoren wie Hitze, Schweiß und Reizstoffe und psychische Erkrankungen vorliegen.4
    • Beschrieben sind Beziehungen zu Magen-Darm-Störungen, Lebererkrankungen, Cholezystopathien, Diabetes mellitus sowie psychogene Faktoren.1
  • Diskutiert wird auch eine Minusvariante des atopischen Ekzems. Atopiestigmata können jedoch komplett fehlen.1

ICPC-2

  • S02 Juckreiz
  • S99 Hautkrankheit, andere

ICD-10

  • L28.0 Lichen simplex chronicus
  • L98.1 Dermatitis factitia, neurotische Exkoriation

Diagnostik

Anamnese

  • Patienten mit Neurodermitis circumscripta (Lichen simplex chronicus) berichten häufig, dass sie das Kratzen nicht lassen können und dass sie sich scheinbar auch kratzen, ohne es zu merken.
  • Sehr lästiger, unkontrollierbarer Juckreiz, der sich nachts verstärkt und der durch Wärme, Schweiß und die Haut reizende Kleidung verschlimmert werden kann.2
  • Der Juckreiz kann phasenweise auftreten.
  • Häufig berichten Patienten, dass der Juckreiz in einer Phase begann, während der sie unter Stress, Angst oder Depressionen litten.6
  • Die Abklärung einer möglichen zugrunde liegenden Erkrankung sollte angestrebt werden.4

Differenzialdiagnosen

  • Allergisches Kontaktekzem, Arzneimittelreaktion, atopisches Ekzem, Lichen planus, Prurigo nodularis, Lichen amyloidosus, Psoriasis1,3-4,7

Histologie

  • Ausgeprägte, plumpe Akanthose mit unregelmäßiger Elongation der meist kolbig aufgetriebenen Reteleisten. Kräftige Orthohyperkeratose mit fokaler Parahyperkeratose. Weite Kapillaren im Stratum papillare sowie in der oberen Dermis. Vorwiegend gefäßgebundenes, aber auch diffuses, eher schütteres lymphohistiozytäres Infiltrat. Meist deutliche Fibrose der Dermis, mit senkrecht zur Epidermis verlaufenden Kollagenbündeln.1

Klinische Untersuchung

  • Lichen simplex chronicus: chronischer Pruritus einhergehend mit lokalisierten chronischen Kratzläsionen (umschriebene Lichenifizierung)1,4
  • 0,1–0,2 cm große, solide, scharf begrenzte, plane, graue bis braunrötliche oder hautfarbene, nicht selten zerkratzte Papeln, die zu rundlichen, bandförmigen oder streifenförmigen Plaques aggregieren können.
  • Meist kann man bei seitlicher Betrachtung der Herde einen matten Glanz der Läsionen erkennen.
  • Dreizonenaufbau – zentral: Flächige Lichenifikation, randwärts lichenoide Knötchen, peripher Hyperpigmentierung.
  • Das Leitsymptom ist der starke Juckreiz, der sich häufig in Stresssituationen verstärkt.1
  • Eine Neurodermitis circumscripta (Lichen simplex chronicus) tritt typischerweise im Nacken, an den Knöcheln, auf der Kopfhaut, an der Vulva, im Schambereich, am Skrotum und an den Streckseiten der Unterarme auf.
  • Es liegen einzelne oder multiple erythematöse (akut) bis violette (chronisch) lichenifizierte Flecken und Plaques vor.
  • Variable Schuppenbildung und Erosionen sekundär zu den Exkoriationen.

Therapie

Therapieziel

  • Stillen des Juckreizes und Linderung/Heilung der Entzündung

Allgemeines zur Therapie

  • Die Neurodermitis circumscripta (Lichen simplex chronicus) ist oft schwer zu behandeln.
  • Es werden topische Kortikosteroide, Feuchtigkeitscremes, Anpassungen des Lebensstils, evtl. leichte Sedativa zur Linderung des nächtlichen Juckreizes und evtl. Antihistaminika häufig zur Therapie eingesetzt.4
  • Eine dem Juckreiz zugrunde liegende dermatologische oder internistische Therapie sollte ausgeschlossen werden. Auch ein möglicher Dermatozoenwahn muss evaluiert werden.4

Empfehlungen für Patienten

  • Vermeiden Sie auslösende und verschlimmernde Faktoren wie trockene oder sehr feuchte Haut, ständige Reibung durch enge oder grobe Kleidungsstücke sowie evtl. reizende Hautpflegeprodukte.
  • Die Barrierefunktion der Haut kann durch die häufige Anwendung von nicht parfümierten Feuchtigkeitscremes oder -lotionen, z. B. unmittelbar nach dem Duschen, wiederhergestellt und aufrechterhalten werden.2

Medikamentöse Therapie

  • Hochpotente Steroide
    • Es ist wichtig, den Teufelskreis aus Juckreiz und Kratzen zu unterbrechen. Häufig müssen hochpotente Steroide verwendet werden, damit der Drang, sich zu kratzen, kontrollierbar wird.2
      • Betamethason
      • Triamcinolon
      • als Salben oder Cremes, kurzfristig ggf. als Okklusivverbände
    • Alternativ: intrakutane Injektion mit Triamcinolon 10 mg/ml in die Läsion – lindert den Juckreiz über 2–3 Wochen. Die Injektion kann Personen über 12 Jahre alle 6–8 Wochen verabreicht werden. Dies sollte jedoch nicht über längere Zeiträume erfolgen.
  • Tacrolimus-haltige Externa
  • Evtl. sedierende Antihistaminika oder trizyklische Antidepressiva
    • Können die Nachtruhe verbessern.
    • zur Juckreizlinderung nur mäßig erfolgreich
  • Evtl. Therapie von zugrunde liegenden Hauterkrankungen

Weitere Therapien

  • Mechanische Irritationen müssen vermieden werden; das Anlegen von Verbänden kann erforderlich sein.
    • Ein Verband kann auch eine wirksame physische Barriere gegen das Kratzen sein.
  • Teersalben
  • PUVA
  • Dermatologische Klimatherapie (Nordseebäder)1

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Tendenziell rezidiviert die Neurodermitis circumscripta/der Lichen simplex chronicus an derselben oder auch einer anderen Stelle am Körper.

Prognose

  • Die Erkrankung erweist sich oft als äußerst therapieresistent.1
  • Therapeutische Richtlinien
    • Die Therapie des Lichen simplex chronicus ist als Langzeitstrategie anzulegen.
    • Es sollte klargestellt werden, dass es sich um eine chronische Erkrankung handelt.
    • Bei Bedarf sollte frühzeitig ein Psychotherapeut mit in die Therapie eingebunden werden.
  • Die Neurodermitis circumscripta (Lichen simplex chronicus) ist eine häufig chronische und rezidivierende Erkrankung, die ohne Therapie lebenslang anhalten kann.2
  • Die Wirksamkeit der Therapie ist, wie auch bei anderen Formen des chronischen Pruritus, nicht immer sicher; eine lebenslange Prognose ist schwer zu stellen.4,8
  • Die Therapie kann über mehrere Monate und Jahre erforderlich sein.
  • Die Erkrankung rezidiviert in Phasen mit psychischem Stress besonders leicht.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Das Kratzen ist die Ursache für den Ausschlag bzw. die sichtbare Hautveränderung; Kratzen löst weiteren Juckreiz aus; wird das Kratzen eingestellt, kann Besserung eintreten.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Eine Neurodermitis circumscripta entwickelt sich im Laufe der Zeit bei Patienten, die sich ständig an derselben Stelle kratzen; es liegt per definitionem keine Grunderkrankung der Haut vor
Eine Neurodermitis circumscripta entwickelt sich im Laufe der Zeit bei Patienten, die sich ständig an derselben Stelle kratzen; es liegt per definitionem keine Grunderkrankung der Haut vor.
Neurodermitis circumscripta tritt bei Frauen typischerweise im Nackenbereich, bei Männern am Schienbein und bei beiden Geschlechtern perianal auf
Neurodermitis circumscripta tritt bei Frauen typischerweise im Nackenbereich, bei Männern am Schienbein und bei beiden Geschlechtern perianal auf.

Quellen

Leitlinie

  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-048. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Neurodermitis. AWMF-Leitlinie Nr. 013-027. S2k, Stand 2015. www.awmf.org

Literatur

  1. Altmeyer P. Lichen simplex chronicus. Die Online Enzyklopädie der Dermatologie, Venerologie, Allergologie und Umweltmedizin. Springer 2017. www.enzyklopaedie-dermatologie.de
  2. Lotti T, Buggaiani G, Prignano F. Prurigo nodularis and lichen simplex chronicus. Dermatol Ther 2008; 21: 42-46. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Neurodermitis. AWMF-Leitlinie Nr. 013-027. S2k. Stand 2015. www.awmf.org
  4. Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus. AWMF-Leitlinie Nr. 013-048. S2k. Stand 2016. www.awmf.org
  5. Lynch PJ. Lichen simplex chronicus (atopic/neurodermatitis) of the anogenital region. Dermatol Ther 2004; 17: 8-19. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Konuk N, Koca R, Atik L, et al. Psychopathology, depression and dissociative experiences in patients with lichen simplex chronicus. Gen Hosp Psychiatry 2007; 29: 232-235. www.ncbi.nlm.nih.gov
  7. Altmeyer P. Prurigo nodularis. Die Online Enzyklopädie der Dermatologie, Venerologie, Allergologie und Umweltmedizin. Springer 2017. www.enzyklopaedie-dermatologie.de
  8. Vaidya DC, Schwartz RA. Prurigo nodularis: a benign dermatosis derived from a persistent pruritus. Acta Dermatovenerol Croat 2008;16:38-44. PubMed

Autoren

  • Caroline Beier, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Ove Bäck, professor emeritus och överläkare, Hudkliniken, Skånes universitetssjukhus (Medibas)
  • Sylvi Torvund, spesialist i allmennmedisin, Nidarvold legesenter, Trondheim
  • Kristin Ryggen, overlege, Hudavdelingen, Regionsykehuset i Trondheim

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