Zusammenfassung
- Definition:Erworbener Verlust der Hautpigmentierung, bedingt durch eine zunehmende Zerstörung der Melanozyten in Haut und Schleimhäuten.
- Häufigkeit:Prävalenz weltweit 0,5–1 %.
- Symptome:Depigmentierte Flecken der Haut, leichter Juckreiz.
- Befunde:Depigmentierte Flecken der Haut, manchmal stellenweise weiße Haare.
- Diagnostik:Klinische Diagnose, ggf. Histologie. Ausschluss begleitender Autoimmunerkrankungen, vor allem an der Schilddrüse.
- Therapie:Glukokortikoide lokal oder ggf. auch systemisch. Andere lokale Immunmodulatoren off label. Schmalspektrum UV-B Bestrahlung.
Allgemeine Informationen
Definition
- Vitiligo (Weißfleckenkrankheit) ist eine multifaktoriell bedingte, nicht ansteckende Hautkrankheit, bei der durch den Verlust von Melanozyten depigmentierte Flecken auf der Haut erscheinen.1
- Auch Haare können betroffen sein (Poliosis).2
Häufigkeit
- Prävalenz
- 0,5–1 % weltweit1
- Geschlecht und Alter
- Kommt bei Männern und Frauen gleich häufig vor.
- Alter bei Beginn meist 10–30 Jahre2-3
- Bei etwa 20 % der Fälle ist eine familiäre Häufung feststellbar.
Ätiologie und Pathogenese
- Die pathophysiologischen Zusammenhänge, die zu einem Funktionsverlust mit progressiver Zerstörung der Melanozyten führen, sind noch nicht vollständig geklärt.
- Folgende pathophysiologische Mitfaktoren sind bekannt:1
- genetische Disposition
- Fehlregulierung antioxidativer Enzyme
- verstärkte Vulnerabilität der Melanozyten
- neurologische Faktoren
- Ungleichgewicht zwischen melanozytären Mitogenen (Schutzfaktoren) und proinflammatorisch wirkenden Zytokinen
- Autoimmunphänomene.
- Vitiligo ist häufig mit Hashimoto-Thyreoiditis oder Alopecia areata assoziiert.
- Auch bei folgenden Erkrankungen gibt es Assoziationen mit Vitiligo:
- perniziöse Anämie
- M. Addison
- Lupus erythematodes
- autoimmune Gastritis (Autoantikörper gegen Parietalzellen des Magens)
- malignes Melanom
- Pemphigus vulgaris
- Typ-1-Diabetes mellitus
- Myasthenia gravis
- primär biliäre Cholangitis (PBC)
- polyglanduläres Autoimmunsyndrom (Schmidt-Syndrom)
- tuberöse Sklerose
- allergische Erkrankungen.
Klassifizierung der Vitiligo
- Es gibt 4 Subtypen:
- nicht-segmentale Vitiligo (NSV)
- bilateral symmetrisch und häufig periorifiziell
- Breitet sich häufiger auf eine generalisierte Depigmentierung aus.
- segmentale Vitiligo (SV)
- Nicht so ausgeprägt, kommt meist innerhalb eines Jahres zum Stillstand.
- gemischte Vitiligo
- nicht-klassifizierbare Formen.
- nicht-segmentale Vitiligo (NSV)
ICPC-2
- S99 Hautkrankheit, andere
ICD-10
- L80 Vitiligo
- H02.7 Vitiligo, Augenlid
Diagnostik
Diagnostische Kriterien
- Die Diagnose wird klinisch gestellt: klar begrenzte depigmentierte Flecken der Haut.
- Zur Einschätzung des Ausmaßes und der Aktivität der Erkrankung kann eine Fotodokumentation hilfreich sein.
Differenzialdiagnosen
- Hypomelanosis guttata idiopathica
- unveränderte Melanozytenzahl1
- Progressive makuläre Hypomelanose
- Postinflammatorische Hypopigmentierungen (Leukodermie)
- Hypopigmentierte Halos im Umkreis von Nävi (Halo-Nävi)
- Bei Geburt vorhandene depigmentierte Flecken
- Piebaldismus (Albinismus partialis)
- angeborene depigmentierte Flecken, ggf. in Kombination mit einer weißen Stirnlocke4
- Naevus depigmentosus
- Meist solitäre, seltener multiple, depigmentierte Flecken der Haut, die durch einen isolierten Transferdefekt der Melanosomen bei normaler Melanozytenanzahl entstehen.5
- Piebaldismus (Albinismus partialis)
- Pityriasis versicolor
- Lichen sclerosus et atrophicus
- Diese Erkrankungen können vitiligoähnliche Hautveränderungen hervorrufen.
- Zirkumskripte Sklerodermie
- Chemotoxische Schädigung
- Pigmentveränderungen können auch infolge des berufsbedingten Gebrauchs depigmentierender Stoffe und des Einsatzes hydrochinonhaltiger Bleichmittel entstehen.
- Hydrochinon hemmt die Melaninsynthese.
- Pigmentveränderungen können auch infolge des berufsbedingten Gebrauchs depigmentierender Stoffe und des Einsatzes hydrochinonhaltiger Bleichmittel entstehen.
- Lepra
Anamnese
- Beginn und Ausbreitung der depigmentierten Flecken
- Familienanamnese
- Bestehen Symptome, die auf eine begleitende Autoimmunerkrankung hinweisen, insbesondere Hashimoto-Thyreoiditis?
- Schilddrüsenüberfunktion mit Zittern, Nervosität, Tachykardie und verstärktem Schwitzen
- oder Unterfunktion mit Müdigkeit und Antriebslosigkeit
Klinische Untersuchung
- Depigmentierte, manchmal leicht juckende Flecken der Haut
- Die Flecken liegen im Hautniveau und zeigen keine epidermalen Veränderungen wie z. B. Schuppen.
- Die Flecken sind zu Beginn meist klar begrenzt und klein. Im weiteren Verlauf werden sie größer und zahlreicher und konfluieren.
- Auch Lippen, Genitalien und Mamillen, sowie Schleimhäute können betroffen sein.
- In von Vitiligo betroffenen Bereichen wie etwa dem Kopf, den Achseln und dem Genitalbereich kann es zu einer Depigmentierung der Behaarung kommen.
- Leukotrichie ist prognostisch ein eher ungünstiges Zeichen.
- In sehr seltenen Fällen kann es zu einer Augen- (Uveitis) und Innenohrbeteiligung (Hypoakusis) kommen.2
Weiter Untersuchungen
- Es gibt verschiedene Instrumente zum Abschätzen der Ausdehnung und Aktivität der Vitiligo, die hilfreich bei der Therapieplanung sind.1,6
- Ein Koebner-Phänomen (isomorpher Reizeffekt) weist auf eine höhere Aktivität der Vitiligo hin und es kommt häufiger zu einem Therapieversagen.7
Labor
- Ausschluss von Schilddrüsenerkrankungen, insbesondere der Hashimoto-Thyreoiditis (TPO-Antikörper in etwa 10 % der Fälle erhöht)
- TSH sollte einmal jährlich überprüft werden.1
- ANA (5 %)
- Eosinophilie (etwa 15 %)
Biopsie
- Eine Biopsie kann zu differenzialdiagnostischen Zwecken hilfreich sein.
- Histologie
- keine Melanozyten
- lymphozytäres Infiltrat
Indikationen zur Überweisung
- Eine interdisziplinäre Behandlung ist wünschenswert, da die Vitiligo durch die häufige Assoziation mit Autoimmunerkrankungen und psychosoziale Belastung der Patient*innen eine ernstzunehmende Erkrankung ist.
Therapie
Therapieziele
- Progression beenden.
- Repigmentierung
- Sonnenbedingte Hautschädigungen vermeiden.
- Ggf. kosmetische Anpassung
Allgemeines zur Therapie
- Die Therapie richtet sich nach Aktivität und Ausmaß der Vitiligo sowie den Wünschen der Betroffenen.
- Für alle Therapieformen gilt, dass es immer noch nicht ausreichend aussagekräftige Studien über den Erfolg gibt.8
- Ggf. kann eine Kombination der Therapien sinnvoll sein.
Medikamentöse Therapie
- Topische Kortikosteroide sind Mittel der 1. Wahl bei limitierter Vitiligo (< 3 % der Körperoberfläche) und extrafazialem Befall.1
- z. B. Mometasonfuorat 1 mg/ml 1 x tgl. für 3 Monate oder 1 x tgl. für jeweils 15 Tage, gefolgt von einer 14-tägigen Pause für 6 Monate
- Topische Calcineurin-Inhibitoren (z. B. Tacrolismus 0,1 %, bei Kindern nur 0,03 %. oder Pimecrolimus 1 % 2 x tgl.) sind im Gesicht sinnvoll und reduzieren das Risiko eines Rezidivs nach Repigmentierung (2 x wöchentliche Anwendung).9
- Off-Label-Use (nur zugelassen für Neurodermitis)1
- Immunsuppressive Systemtherapien
- orale Glukokortikoide
- Minipulstherapie mit Dexamethason (2,5 mg an 2 aufeinander folgenden Tagen pro Woche) für 3–6 Monate unter Berücksichtigung der Nebenwirkungen
- Andere Immuntherapien haben sich nicht bewährt, unter Anti-TNF-Biologika steigt sogar das Risiko, an Vitiligo zu erkranken.1
- orale Glukokortikoide
Phototherapie
- Eine zeitlich begrenzte Ganzkörper Phototherapie mit NB-UVB (Schmalspektrum-UVB-Bestrahlung) kann die weitere Progression der Erkrankung verhindern und zur Repigmentierung führen.10
- Die Therapie kann auch mit Handgeräten als Heimtherapie durchgeführt werden.
- Vitiligoherde können auch gezielt mit 308 nm Excimer-Laser oder 308 nm Excimer-Lampe (UVB-Laser, der nur Licht der Wellenlänge 308 nm ausstrahlt) behandelt werden.
- Hiermit ist v. a. eine selektive Behandlung erkrankter Flächen möglich.
- Nebenwirkungen können transiente Erytheme oder Blasenbildung sein.
- Beide Lichttherapieformen werden in der dermatologischen Praxis durchgeführt und können mit topischer oder systemischer Therapie ergänzt werden.
Dermatochirurgische Behandlung
- Gewebe- oder Spalthauttransplantationen können bei einer stabilen Vitiligo die gewünschte Repigmentierung erreichen, zu berücksichtigen ist eine mögliche Narben- oder Keloidbildung.
- Auch erfolgreich kann eine autologe Zelltransplantation sein, sie ist jedoch technisch anspruchsvoll und zeitaufwendig.11
Depigmentierung
- Eine Depigmentierung der noch dunklen Anteile der Haut, um die Farbe anzugleichen, gilt als Ultima Ratio und sollte nur bei sehr hohem Leidensdruck durchgeführt werden.
- Es werden die noch vorhandenen Melanozyten irreversibel zerstört, z. B. mit Trichloressigsäure (TCA).12
- In Deutschland sind hierzu keine Medikamente zugelassen.
Psychologische Mitbehandlung
- Eine psychologisch oder psychotherapeutische Mitbehandlung kann hilfreich sein.
- Bei 30 % der Patient*innen gelten Stressfaktoren als Mitauslöser einer Vitiligo.13
- Stigmatisierung, Schamgefühle und reduziertes Selbstwertgefühl können zu Depression, Angstzuständen und einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.1
- Eine dermatologisch-psychosomatische Rehabilitation kann erwogen werden.
Neuere Therapien
- Weitere neue Therapien wie ein alpha-melanozytenstimulierendes Hormon (Afamelanotide) oder topische bzw. systemische JAK-Inhibitoren sind in der Erprobung.
Empfehlungen für Patient*innen
- Kosmetische Camouflage mit Makeup, sollte täglich erneuert werden, die Reizbarkeit der Haut ist zu beachten.
- Ausreichender UV-Schutz (Sonnenschutzmittel mit LSF 50)
Verlauf, Komplikationen und Prognose
Verlauf
- Sehr individuelle Verläufe
- Häufig schubweise Progression, selten vollkommene Spontanrückbildung
- Repigmentierung möglich
- Prognostisch eher ungünstig im Hinblick auf einen Therapieerfolg sind folgende Symptome zu werten:2
- früher Beginn in der Kindheit
- Befall von > 30 % der Körperoberfläche
- progredienter Verlauf innerhalb der letzten 6–12 Monate
- Hinweise auf ein Köbner-Phänomen
- Weißfärbung der Körperhaare in den Vitiligoherden.
Komplikationen
- Auftreten einer Autoimmunerkrankung, insbesondere Schilddrüsenerkrankungen
- Aufgrund des fehlenden Pigmentschutzes kann es zu sonnenbedingten Schädigungen der Haut kommen.
- Innenohrschwerhörigkeit bei Befall des Innenohrs, selten und meist sehr milde
- Uveitis durch Funktionseinschränkung der Melanozyten in der Stria vascularis des Auges, ebenfalls selten
Prognose
- Je nach Aktivität und Ausmaß sowie der Begleiterkrankungen
- Das Risiko für Melanome ist erhöht, für andere Karzinomarten wird jedoch durch den autoimmunologischen Aspekt der Erkrankung eher eine Reduzierung des Risikos beobachtet.14
Patienteninformationen
Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?
- Die Erkrankung neigt grundsätzlich dazu, chronisch zu verlaufen, und die Ausbreitung der Flecken kann im Lauf der Zeit zunehmen.
- Häufig stabilisiert sich die Zahl der Flecken jedoch nach einer Weile und bleibt dann stabil.
- Schutz vor Sonneneinstrahlung durch Bedeckung der Haut mit angemessener Kleidung, Verwendung von Sonnencreme mit einem hohen Lichtschutzfaktor sowie Aufenthalt im Schatten.
Patienteninformationen in Deximed
Illustrationen
Quellen
Leitlinie
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Diagnostik und Therapie der Vitiligo. AWMF-Leitlinie Nr. 013-093. S1, Stand 2021. www.awmf.org
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Psychosomatische Dermatologie (Psychodermatologie). AWMF-Leitlinie Nr. 013-024. S1, Stand 2018. www.awmf.org
Literatur
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG). Diagnostik und Therapie der Vitiligo. AWMF-Leitlinie Nr. 013-093. Stand 2021 www.awmf.org
- Altmeyer P. Enzyklopädie der Dermatologie. Vitiligo 2021 www.enzyklopaedie-dermatologie.de
- Jaisankar TJ, Baruah MC, Garg BR. Vitiligo in children. Int J Dermatol 1992; 31: 621-3. PubMed
- Altmeyer P. Dermatologie Enzyklopädie. Piebaldismus. Springer 2021 www.enzyklopaedie-dermatologie.de
- Altmeyer P. Dermatologie Enzyklopädie. Naevus depigmentosus. Springer 2021 www.enzyklopaedie-dermatologie.de
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- van Geel N, Speeckaert R, De Wolf J, Bracke S, Chevolet I, Brochez L, Lambert J. Clinical significance of Koebner phenomenon in vitiligo. Br J Dermatol. 2012 Nov pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Whitton ME, Pinart M, Batchelor J, et al. Interventions for vitiligo. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Feb 24;2:CD003263. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Lee JH, Kwon HS, Jung HM et al. Treatment Outcomes of Topical Calcineurin Inhibitor Therapy for Patients With Vitiligo: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Dermatol 2019. pmid:31141108. www.ncbi.nlm.nih.gov
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- Razmi TM, Kumar R, Rani Sc, et al. Combination of Follicular and Epidermal Cell Suspension as a Novel Surgical Approach in Difficult-to-Treat Vitiligo: A Randomized Clinical Trial. JAMA Dermatol 2018 Jan 31. pmid:29387874 PubMed
- Nofal A, Fawzy Mohamed, lakad, R. Die Verwendung von Trichloressigsäure als Depigmentierungstherapie bei Vitiligo universalis. JDDG: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft.2021 www.researchgate.net
- Deutsche Dermatologische Gesellschaft. Psychosomatische Dermatologie (Psychodermatologie). AWMF-Leitlinie Nr. 013-024. Stand 2018. www.awmf.org
- Wen Y,Wu X,Peng H, Cancer risks in patients with vitiligo: a Mendelian randomization study. Journal of cancer research and clinical oncology. 2020 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
Autor*innen
- Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
- Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).