Hörverlust

Bei akuter Schwerhörigkeit, die nicht innerhalb einiger Tage wieder zurückgeht, kann ein Arztbesuch erforderlich sein.

Was ist Schwerhörigkeit?

Das Ohr

  • Im Ohr sorgen Außenohr, Gehörgang, Trommelfell, Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel), Hörschnecke und Hörnerv dafür, dass Signale in das Hörzentrum im Gehirn gelangen, wo wir diese als Töne wahrnehmen.
  • Schallwellen gelangen durch den Gehörgang zum Trommelfell und versetzen dieses in Schwingung. Auf der Innenseite des Trommelfells schließt sich der Hammer an, der die Schwingungen über Amboss und Steigbügel weiterleitet, bis sie auch die Flüssigkeit im Innenohr in Bewegung bringen. Nervenfasern setzen diese Bewegung der Flüssigkeit in elektrische Signale um, die über den Hörnerv an das Gehirn gesendet werden. Dort befindet sich das Hörzentrum, in dem wir das Signal schließlich als Ton wahrnehmen.

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Definition

  • Ein Hörverlust wird in Dezibel (dB) gemessen. Als Wert wird dabei die niedrigste Lautstärke angegeben, die Sie hören können.
  • Wenn das Gehör normal funktioniert, liegt dieser Wert zwischen 0 und 20 dB. Bei einem Hörverlust von 60–70 dB hören Sie normales Sprechen nicht, bei einem Hörverlust von 90–100 dB lautes Rufen.
  • Bei den Ursachen der Schwerhörigkeit werden zwei Hauptgruppen unterschieden:
    • Mechanische Störung der Weiterleitung von Schallwellen in das Innenohr. Hierbei wirkt sich der Hörverlust am stärksten auf tiefere Töne aus. Häufige Ursachen sind Ohrenschmalz, Veränderung des Trommelfells, Erkrankung oder Schädigung der Gehörknöchelchen.
    • Neurogene, d. h. die Nerven betreffende Störung, die das Innenohr oder die Weiterleitung der Signale an das Gehirn betrifft.
  • Eine Schwerhörigkeit kann angeboren sein oder im Laufe des Lebens eintreten.

Vorkommen

  • In Deutschland gibt etwa ein Fünftel der Bevölkerung an, Hörschwierigkeiten zu haben.  
  • Männer berichten Hörschwierigkeiten ähnlich häufig wie Frauen. Dies gilt für leichte Hörschwierigkeiten (17% vs. 16%) ebenso wie für
    große Hörschwierigkeiten (beide 2%) und den vollständigen Verlust der Fähigkeit, zu verstehen, was in einem Gespräch mit mehreren
    Personen gesagt wird (beide unter 1%).
  • Unabhängig vom Geschlecht werden leichte und große Hörschwierigkeiten mit zunehmendem Alter kontinuierlich häufiger angegeben. So steigt die Häufigkeit von leichten Hörschwierigkeiten von der jüngsten (18 bis
    29 Jahre) bis zur höchsten Altersgruppe (ab 65 Jahre) um ein Mehrfaches (Männer: 7% vs. 34%; Frauen: 6% vs. 29%).
  • Große Hörschwierigkeiten sind bis zu einem Alter von 44 Jahren bei beiden
    Geschlechtern selten (< 1%). Die Häufigkeit steigt danach bis auf knapp 6% bei Männern und Frauen ab 65 Jahren. Die Häufigkeit von Hörverlust liegt bei beiden Geschlechtern ab 65 Jahren bei etwa 1%.

Was kann die Ursache sein?

Häufige Ursachen einer nicht behandlungsbedürftigen Schwerhörigkeit

  • Akuter Mittelohrkatarrh (akute seröse Otitis media):
    • Kommt am häufigsten im frühen Kindesalter vor, kann aber auch Jugendlichen und Erwachsene betreffen. Hierbei führt eine Erkältung zu einer Verstopfung der Ohrtrompete, also des Verbindungskanals zwischen Mittelohr und Nase. Dadurch entsteht im Mittelohr ein Unterdruck, und das Mittelohr füllt sich mit Sekret.
    • Löst einen Hörverlust und manchmal auch Schmerzen aus.
  • Akute Mittelohrentzündung (akute Otitis media):
    • Kommt am häufigsten im frühen Kindesalter vor. Tritt in Verbindung mit Erkältungen auf.
    • Verursacht meist einseitig Ohrenschmerzen und Hörverlust.
  • Hörverlust durch Flugreise, Autofahrt im Gebirge u. Ä. (Barotrauma):
    • Wenn die Funktion der Ohrtrompete z. B. aufgrund einer Erkältung beeinträchtigt ist, können die Druckschwankungen bei einem Flug oder einer Autofahrt im Gebirge nicht ausreichend ausgeglichen werden.
    • Verursacht ein Druckgefühl auf den Ohren und Hörverlust. Tritt meist beidseitig auf.

Häufige Ursachen einer mechanisch bedingten und ggf. behandlungsbedürftigen Schwerhörigkeit

  • Ohrenschmalz (Zerumen):
    • Stellt die häufigste Ursache dar.
    • Verursacht einen meist einseitig auftretenden, akuten Hörverlust.
  • Fremdkörper im Ohr:
    • Kinder können sich einen Gegenstand ins Ohr gesteckt haben. Ein Insekt kann in den Gehörgang gelangt sein.
    • Mögliche Symptome sind ein unangenehmes Gefühl, Juckreiz, Druckgefühl auf dem Ohr und ggf. eine nässende Infektion.
  • Chronische Mittelohrentzündung (Otitis media chronica):
    • Länger als drei Monate anhaltende Erkrankung, bei der eine Perforation, also ein Loch im Trommelfell vorliegt. Tritt am häufigsten bei Erwachsenen auf, kann aber auch Kinder und Jugendliche betreffen.
    • Die Symptome sind unterschiedlich. Häufig tritt Sekret aus dem Gehörgang aus, wenn ein Infekt der oberen Atemwege vorliegt oder Wasser ins Ohr gelangt ist. Der Grad des Hörverlustes richtet sich nach Größe und Lage der Perforation.
  • Erkrankung der Gehörknöchelchen (Otosklerose):
    • Hierbei kommt es zur Neubildung knöcherner Strukturen im Innenohr. Im Laufe der Zeit kann die Steigbügelfußplatte mit dem ovalen Fenster verwachsen, sodass die Bewegung im Rahmen der Schallübertragung nicht mehr möglich ist. Bei 80 % der Patienten sind beide Ohren betroffen.
    • Führt zu einem langsam fortschreitenden Hörverlust, der sich am stärksten auf niedrige Frequenzen (tiefe Töne) auswirkt. Bei manchen Patienten tritt phasenweise ein leichter, unspezifischer Schwindel auf. Tritt häufig in Verbindung mit unterschiedlich stark ausgeprägtem Tinnitus auf.

Häufige Ursachen einer neurogen bedingten und ggf. behandlungsbedürftigen Schwerhörigkeit

  • Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis):
    • Kommt bei älteren Menschen häufig vor.
    • Führt zu beidseitigem Hörverlust, der sich zunächst vor allem auf hohe, später auch auf mittlere Frequenzen auswirkt und eine soziale Isolierung nach sich ziehen kann. Kann mit hochfrequentem, dauerhaftem und beidseitigem Tinnitus einhergehen.
  • Lärmschädigung:
    • Eine akute, durch Lärm verursachte Schädigung kann ein hochfrequentes Pfeifen auslösen.
    • Eine chronische Lärmschädigung führt häufig zu hochfrequentem, dauerhaftem und beidseitigem Tinnitus.
  • Angeborene Taubheit:
    • Hierbei handelt es sich häufig um eine vererbte Erkrankung.
    • Typisch ist, dass ein Säugling zunächst reichlich Töne von sich gibt, dies aber dann immer mehr nachlässt. Das Kind kann nicht gut Kontakt aufnehmen. Es reagiert nicht auf akustische Reize.
  • Menière-Krankheit:
    • Bricht in der Regel im Alter von 30–50 Jahren aus, tritt meist zunächst einseitig (90 %) auf und führt bei 30–50 % der Patienten im weiteren Verlauf zu beidseitigen Beschwerden. Bei rund 10 % der Patienten liegt Migräne vor. Bei rund 10 % der Patienten tritt die Erkrankung in der Familie auf.
    • Hierbei treten Schübe mit Schwindel, Hörverlust, Tinnitus, Übelkeit und Erbrechen auf. Ein solcher Schub dauert häufig ein bis zwei Stunden und bringt viele Patienten dazu, sich hinzulegen. Mit der Zeit stellt sich ein Hörverlust und ein praktisch dauerhafter, niederfrequenter und rauschender Tinnitus ein.

Seltene Ursachen einer ggf. behandlungsbedürftigen Schwerhörigkeit:

  • Medikamente, die das Gehör schädigen können:
    • Aminoglykoside, Chinin, bestimmte Zytostatika, Acetylsalicylsäure, Furosemid (fördert die Ausscheidung von Gewebeflüssigkeit), Alkohol.
  • Schlaganfall:
    • Kann das Hörzentrum im Gehirn oder Teile des Innenohrs schädigen.
  • Vitamin-B12-Mangel:
    • Kann zu einem neurogenen Hörverlust führen.
  • Tumor im Bereich des Hörnervs (Akustikusneurinom):
    • Hierbei handelt es sich um einen gutartigen, langsam wachsenden Tumor. Pro Jahr kommt es etwa zu einer Neuerkrankung pro 100.000 Einwohner.
    • Führt zu einseitigem Hörverlust, der meist vor allem die hohen Frequenzen betrifft. Kann von weiteren unspezifischen Symptomen begleitet sein, wobei Schwindel und Tinnitus meist nur schwach ausgeprägt sind.
  • Multiple Sklerose:
    • Betrifft typischerweise jüngere Menschen.
    • Äußert sich zu Beginn in akuten Schwindelanfällen, Doppeltsehen, einseitigen Sehstörungen, Ungeschicklichkeit, Sensibilitätsstörungen und starkem Harndrang.
    • Tritt anfangs meist in leichten und vorübergehenden Schüben auf.
  • Gehirntumor:
    • Entwickelt sich häufig über einen längeren Zeitraum.
    • Mögliche Anfangssymptome sind epileptische Anfälle, langsam einsetzende Lähmungserscheinungen und Sprachprobleme.
    • Weitere typische Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Schwindel und Hirnnervenlähmung, die z. B. Hörverlust oder Persönlichkeitsveränderungen auslösen kann.
  • Weitere Erkrankungen:

Empfehlungen für Patienten

  • In vielen Fällen tritt ein Hörverlust nur vorübergehend auf und bildet sich von selbst wieder zurück. Bei einem erkältungsbedingten Hörverlust können abschwellende Nasentropfen die Ohrtrompete wieder durchgängig machen.
  • Wenn sich zu viel Ohrenschmalz angesammelt hat, können Sie etwas lauwarmes Speiseöl in den Gehörgang geben und das Ohr einige Stunden später spülen.

Wann sollten Sie einen Arzt aufsuchen?

  • Ein Arztbesuch kann angeraten sein, wenn ein plötzlich aufgetretener Hörverlust Schmerzen verursacht und nicht innerhalb einiger Tage von selbst wieder zurückgeht.
  • Bei anhaltenden und langsam zunehmenden Beschwerden empfiehlt sich ein Arztbesuch zur Abklärung der Ursachen.

Wie geht der Arzt vor?

Anamnese

Der Arzt wird Ihnen eventuell folgende Fragen stellen:

  • Seit wann bestehen die Beschwerden?
  • Ist der Hörverlust plötzlich oder nach und nach eingetreten?
  • Betrifft der Hörverlust nur ein Ohr oder beide Ohren?
  • Bemerken Sie ein Klingeln oder ein Druckgefühl im Ohr, fließt Sekret aus dem Ohr, haben Sie Ohrenschmerzen?
  • Sind Familienmitglieder von Schwerhörigkeit betroffen?
  • Was machen Sie beruflich? Sind oder waren Sie einer starken Lärmbelastung ausgesetzt?
  • Liegen andere Erkrankungen wie Schlaganfall, Diabetes oder Herzerkrankungen vor?
  • Haben Sie eine Ohrenentzündung?
  • Hatten Sie in der Vergangenheit häufig Ohrenentzündungen?
  • Tritt der Hörverlust in Verbindung mit Schwindel auf?
  • Nehmen Sie Medikamente ein? Welche?

Ärztliche Untersuchung

  • Zur Untersuchung des Ohrs wird eine Betrachtung des Gehörgangs (Otoskopie) sowie ggf. eine Prüfung der Trommelfellbeweglichkeit oder ein Stimmgabeltest durchgeführt.

Andere Untersuchungen

  • Eventuell ist ein Hörtest angeraten.
  • Wenn im Einzelfall andere Erkrankungen ausgeschlossen werden sollen, können auch Blutuntersuchungen oder bildgebende Verfahren erforderlich sein.

Eventuell erfolgt eine Überweisung an einen Spezialisten oder ein Krankenhaus.

  • Eine fachärztliche Betreuung kann insbesondere bei chronischen Beschwerden angebracht sein.

Autoren

  • Philipp Ollenschläger, Medizinjournalist, Köln

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Hörverlust. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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