Entzündung des Gleichgewichtsnervs (Neuritis vestibularis)

Die Beschwerden sind unter der Bezeichnung „Entzündung des Gleichgewichtsnervs“ bekannt und werden aufgrund des plötzlich auftretenden, intensiven Drehschwindels als sehr unangenehm empfunden.

Was ist eine Entzündung des Gleichgewichtsnervs?

Definition

Neuritis vestibularis ist eine Entzündung des Nervs, der vom Gleichgewichtsorgan im Innenohr zum Gehirn verläuft. Bei einer Entzündung des Nervs werden die Impulse (Signale) gestört, die durch den Nerv geleitet werden. Diese gestörten Signale kann das Gehirn nicht wie üblich verarbeiten. Dadurch hat die betroffene Person das Gefühl eines Drehschwindels, der Gang wird unsicher.

Symptome

Klassischerweise kommt es zu einem Drehschwindel, bei dem sich die Umgebung zu drehen scheint, zu einer Fallneigung in Richtung der betroffenen Seite und Übelkeit, fast immer begleitet von Erbrechen.

Unfreiwillige Bewegungen der Augen können sichtbar sein (Nystagmus). Die Augen gleiten dabei zur gesunden Seite hin und springen dann wieder zurück.

Das Gehör ist bei der Entzündung des Gleichgewichtsnervs nicht beeinträchtigt.

Die akute Symptomatik dauert selten länger als ein paar Tage, manchmal bis zu ein paar Wochen.

Ursachen

Die genaue Ursache ist nicht bekannt. Es wird vermutet, dass die Erkrankung durch die Aktivierung eines Virus ausgelöst wird, den die meisten Menschen im Körper haben (Herpes-simplex-Virus), was zu einer Entzündung des Gleichgewichtsnervs (N. vestibularis) führt. Dies wiederum verursacht eine vorübergehende Störung der Nervensignale zwischen dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr und dem Gleichgewichtszentrum im Gehirn.

Häufigkeit

  • International treten etwa 13,6 Fälle pro 100.000 Einw. auf.
  • Neuritis vestibularis ist die dritthäufigste Ursache für einen zuordenbaren Drehschwindel nach dem gutartigen Lagerungsschwindel und M. Menière.

Untersuchungen

Die Schilderung der typischen Symptome akuter Schwindel, Übelkeit und Fallneigung zu der betroffenen Seite sind wegweisend für die Diagnose. Es können unwillkürliche Augenbewegungen (Nystagmus) beobachtet werden.

Eine körperliche Untersuchung inklusive neurologischer Befunderhebung wird durchgeführt, ebenso eine Untersuchung der Gehörgänge und des Trommelfells. Das Hörvermögen muss bei HNO-Ärzt*innen durch einen Hörtest abgeklärt werden, dort erfolgen auch ggf. weitere Tests. Bei einer Neuritis vestibularis ist das Hörvermögen normal.

Andere Ursachen für einen Schwindel müssen ausgeschlossen werden, insbesondere ein Schlaganfall. Dafür sind teilweise zusätzliche Untersuchungen notwendig.

Mögliche weitere Ursachen sind:

Eine Krankenhauseinweisung kann notwendig sein bei:

  • akutem Pflegebedarf
  • starker Übelkeit und Erbrechen
  • Sturzneigung und fehlender häuslicher Versorgungsmöglichkeit.

Behandlung

  • Behandlungsziele sind:
    • Symptomlinderung
    • Verkürzung des Krankheitsverlaufs und
    • Verhindern von bleibenden Folgen.
  • In den ersten Tagen kann die Gabe von Antiemetika (Medikamente gegen Übelkeit) und Antiverginosa (Medikamente gegen Schwindel) in Kombination mit Kortison sinnvoll sein.
  • Anschließend ist es wichtig, frühzeitig ein Rehabilitationsprogramm zu beginnen:
    • Mobilisierung mit Schulung der Gleichgewichtsfunktion im Stehen und Gehen auf ebenen und unebenen Flächen
    • Training der Fähigkeiten zur Blickfixierung
  • Diese Aktivitäten verursachen zu Beginn erhöhtes Unwohlsein und Müdigkeit, werden aber auf längere Sicht die Symptome reduzieren, die Funktionsfähigkeit verbessern und zu einer schnelleren Heilung beitragen.
  • Siehe auch Trainingsübungen bei Neuritis vestibularis.
  • Manche Patient*innen benötigen eine besondere physiotherapeutische oder gleichgewichtstherapeutische Verlaufskontrolle

Prognose

  • Die Prognose ist im Allgemeinen sehr gut, die meisten Patient*innen erhalten ihren normalen Gleichgewichtssinn zurück.
  • Die Mehrzahl der Patient*innen hat 1–2 Tage starke Beschwerden mit anschließend allmählicher Besserung. Der akute Verlauf dauert selten länger als ein paar Tage, manchmal bis zu ein paar Wochen.
  • In einigen Fällen können mäßiger Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit über mehrere Monate lang andauern.
  • Etwa 20–30 % sind von einem langwierigen Verlauf betroffen.
  • Mögliche Restsymptome sind Übelkeit, Schwindel und verwackelte Bilder durch den Nystagmus.

Weitere Informationen

Autorin

  • Susanna Allahwerde, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Berlin

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Neuritis vestibularis. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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