Oropharynxkarzinom

Zusammenfassung

  • Definition:Tumoren der Tonsillen, des Zungengrunds, der Rachenhinterwand oder des weichen Gaumens.
  • Häufigkeit:Kopf-Hals-Tumoren stehen in der Häufigkeit weltweit an 6. Stelle.
  • Symptome:Über lange Zeit hinweg sind die Symptome spärlich. Schmerzen im Hals, evtl. ein Bolusgefühl, im späteren Stadium Schmerzen und Schluckbeschwerden, nicht heilende Wunden.
  • Befunde:Häufig ulzerierende Wunden, einseitig vergrößerte Tonsille, evtl. Lymphknotenschwellungen und Schwellungen am Hals.
  • Diagnostik:Ergänzende Untersuchungen sind Biopsie, Röntgen, CT, MRT, Szintigrafie und Endoskopie.
  • Therapie:Operation, Bestrahlung und Chemotherapie, einzeln oder kombiniert.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Der Oropharynx ist derjenige Teil des Rachens, der sich an die Mundhöhle anschließt.
  • Karzinome in diesem Bereich treten zumeist an den Tonsillen auf, aber auch der Zungengrund, die Rachenhinterwand oder der weiche Gaumen können betroffen sein.

Stadieneinteilung

  • TNM-Klassifikation
    • T0–T4 für die Tumorgröße
    • N0–N3 für die Streuung in die regionalen Lymphknoten am Hals
    • M0–M1 für Fernmetastasen

Häufigkeit

  • Die Inzidenz für Mundhöhlen- und Rachenkarzinome liegt aktuell für Frauen bei 6,9 und für Männer bei 15,9 pro 100.000/Jahr.1
  • Meist handelt es sich um Plattenepithelkarzinome.
  • Männer sind 3- bis 4-mal häufiger betroffen.
  • Die Inzidenz von Plattenepithelkarzinomen hat in den letzten Jahrzehnten in der westlichen Welt stark zugenommen2, was mit der Zunahme von HPV-Infektionen des Rachens in Verbindung gebracht wird.3
  • Das mittlere Erkrankungsalter lag im Jahr 2008 für Männer bei 61, für Frauen bei 66 Jahren.4

Ätiologie und Pathogenese

  • Mehr als die Hälfte der Pharynxkarzinome findet sich in den Tonsillen, der Rest ist ungefähr gleichmäßig auf die Zungenbasis und den weichen Gaumen verteilt, manchmal befinden sie sich auch an der dorsalen Wand des Pharynx.
  • Starker Tabak- und Alkoholkonsum ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entwicklung eines oropharyngealen Karzinoms.
  • Humanes Papillomavirus (HPV)
    • Der Nachweis von HPV -Antikörpern ist  mit einem erhöhten Risiko für ein Oropharynxkarzinom assoziiert.1 
    • Der Anteil HPV-positiver Oropharynxkarzinome hat deutlich zugenommen.5-7 
    • Das Risiko steigt mit der Anzahl der Sexualpartner*innen und durch oralen Sex an.8
  • Plattenepithelkarzinome machen bis zu 90 % der Krebserkrankungen des Rachens aus.
    • Plattenepithelkarzinome wachsen meist infiltrierend und ulzerierend.
    • Der Tumor wächst oft schon früh in benachbarte Organen und Knochen/Knorpel hinein.
  • Darüber hinaus kommen Lymphome, Non-Hodgkin-Lymphome, Adenokarzinome oder Rhabdomyosarkome vor.
  • Sehr häufig ist bei Erstfeststellung des Tumors bereits eine Metastasierung in die regionalen Lymphknoten, aber auch eine Fernmetastasierung (Lunge, Leber, Knochen) vorhanden.

Prädisponierende Faktoren

ICPC-2

  • D77 Bösartige Neubild. Verdauungstrakt

ICD-10

  • C10 Bösartige Neubildung des Oropharynx
    • C10.2 Seitenwand des Oropharynx
    • C10.3 Hinterwand des Oropharynx
    • C10.8 Oropharynx, mehrere Teilbereiche überlappend
    • C10.9 Oropharynx, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Ein Oropharynxkarzinom wächst oft lange Zeit unbemerkt.

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Manchmal sieht man den Tumor bereits bei der Inspektion des Rachenraums: Verdächtig ist eine einseitig vergrößerte Tonsille mit Ulzerationen oder Wunden im hinteren Rachenbereich.
  • Die Ohren sollten beidseits auf einen Paukenerguss kontrolliert werden.
  • Evtl. Hörprüfung mit Stimmgabeltest
  • Palpation des Halses, um Lymphknotenschwellungen festzustellen.

Ergänzende Untersuchungen 

  • Laryngoskopie
  • Die endgültige Diagnosestellung erfolgt durch die Biopsie und histologische Untersuchung.
  • Mit Sonografie, MRT und CT können Ausdehnung des Tumors, Lymphknotenbefall und ggf. Fernmetastasen erfasst werden.
  • Eine Szintigrafie kann Fernmetastasen aufzeigen.

Indikationen zur Überweisung

  • Bei diagnostischem Verdacht
  • Die Behandlung eines oropharyngealen Karzinoms sollte interdisziplinär unter Beteiligung von  Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Strahlentherapie, Onkologie, Pathologie und Radiologie erfolgen.10

Therapie

Therapieziele

  • Heilung oder Verbesserung der Lebensqualität

Allgemeines zur Therapie

  • Die Therapie ist von Art, Lage und Größe des Tumors abhängig.
  • Gerade bei Tonsillenkarzinomen wird oft als Erstes die operative Entfernung des Tumors im Gesunden angestrebt.
  • Strahlen- und Chemotherapie können sich anschließen oder auch primär bei sehr kleinen Tumoren oder bei nicht operablen Tumoren durchgeführt werden.
  • Manchmal ist eine alleinige Therapie ausreichend, oft wird man sich für eine Kombination aus Chirurgie, Strahlen- und Chemotherapie entscheiden.

Operative Therapie

  • Chirurgische Entfernung des Tumors möglichst im Gesunden
  • Ggf. Resektion der Halslymphknoten (Neck Dissection)
  • Ggf. Rekonstruktionsoperationen zum Decken entstandener Defekte

Medikamentöse Therapie

  • Chemotherapie, meist mit Cisplatin

Strahlentherapie

  • Gleich nach der operativen Therapie ist die Strahlentherapie die wichtigste Behandlungsmethode.
  • Die Strahlung kann empfindliche Strukturen schädigen und damit die Lebensqualität reduzieren.
  • Die Strahlentherapie kommt sowohl in der Erstlinientherapie als auch postoperativ und palliativ zum Einsatz.
  • Die postoperative Strahlentherapie sollte möglichst früh begonnen werden.
  • Nach einer Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich soll die Indikation für eine Implantatversorgung geprüft werden, um die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität zu verbessern.4
  • Als Komplikationen kommen die orale Mukositis und die Knochennekrose, auch als infizierte Osteoradionekrose, vor.
  • Weiterhin kommt es häufig zu einer ausgeprägten und dauerhaften Mundtrockenheit (Xerostomie), wenn die Speicheldrüsen, besonders die Ohrspeicheldrüse, im Strahlenfeld liegen.10
    • Die orale Gabe von Pilocarpin (5–10 mg 3-mal tgl.) führt im Vergleich zu einer Placebogruppe zu einer signifikanten subjektiven Verbesserung der Mundtrockenheit.10
  • Spätfolge einer Strahlentherapie im Bereich der Kau- und Schlundmuskulatur kann eine Fibrose sein, die zu einer Einschränkung der Schluckfunktion und der Mundöffnung (Trismus) führen kann.

Immuntherapie

  • Auch die Immuntherapie kommt als Therapie des Mundhöhlenkarzinoms infrage.
  • So soll z. B. das Immuntherapeutikum Nivolumab ( in Deutschland hierfür zugelassen) einen signifikanten Überlebensvorteil  bei Patient*innen mit metastasiertem Plattenepithelkarzinom im Kopf- und Halsbereich bewirken, sehr viel verträglicher sein als die Chemotherapie und die Lebensqualität deutlich verbessern können.11

Psychoonkologische Betreuung

  • Bei vielen Patient*innen kommt es im Krankheitsverlauf zu psychischen Komorbiditäten wie Angst, affektiven Störungen, Depression oder Fatigue.
  • Die psychosozialen Belastung und der individuelle psychoonkologische Behandlungsbedarf sollten frühzeitig abgeklärt und bei Bedarf eine Therapie eingeleitet werden.12

Palliative Therapie

Prävention

  • Tabakkonsum sollte aufgegeben und Alkoholkonsum so weit wie möglich reduziert werden.
  • Impfung gegen humane Papillomviren13
    • Empfohlen ist die Impfung für alle Mädchen und Jungen im Alter zwischen 9 und 14, möglichst vor dem ersten Sexualkontakt.1
      • 2 Impfdosen im Abstand von 5 Monaten (bei kürzerem Abstand ist eine 3. Impfstoffdosis erforderlich)
    • Jugendliche im Alter von 15–17 Jahren sollen unabhängig von ihrem Geschlecht, möglichst frühzeitig, gegen HPV geimpft werden.1
      • Hier sind 3 Impfdosen erforderlich.
    • Auch Erwachsene im Alter von 18–26 Jahren sollten unabhängig von ihrem Geschlecht gegen HPV geimpft werden, ab dem Alter von 27 Jahren sollte keine Impfung mehr erfolgen.1
    • Auffrischimpfungen sind nicht erforderlich.
  • Siehe auch TrainAMed Impfen (Uni Freiburg).

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Der Verlauf ist von der Art des Tumors, des Ausdehnung und der möglicherweise vorliegenden Metastasierung abhängig.
  • Tonsillenkarzinome haben sich zum Zeitpunkt der Diagnose oft bereits auf die Zunge, die Rachenwände und das Gaumensegel ausgebreitet.
  • Meist kommt es früh zu einer lokalen Ausbreitung in den Lymphknoten.

Komplikationen

Prognose

  • Patient*innen mit frühen Stadien (T1–T2, N0) von Plattenepithelkarzinomen haben eine relativ gute Prognose.
  • Die Langzeitüberlebensrate reduziert sich bei lokal fortgeschrittener Erkrankung (T3–T4) und, wenn Lymphknotenmetastasen am Hals vorliegen.
  • Trotz hoher Sensitivität und Spezifität des Staging-Verfahrens besteht  ein Restrisiko von okkulten Fernmetastasen.14
  • Die durchschnittliche 5-Jahres-Überlebensrate beträgt ca. 50–60 % und ist am besten für Frauen.
  • HPV-assoziierte Oropharynxkarzinome haben eine bessere Prognose als nicht HPV-assoziierte, insbesondere bei Nichtraucher*innen.6,15-16

Patienteninformationen in Deximed

Lindernde Therapie bei fortgeschrittener Krebserkrankung

Video

Quellen

Leitlinien

  • Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. HPV-assoziierter Neoplasien, Impfprävention. AWMF-Leitlinie Nr. 082-002. S3, Stand 2020. www.awmf.org 
  • Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Mundhöhlenkarzinom, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr.007-100OL. S3, Stand 2012 (in Überarbeitung). www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Implantat-Versorgung zur oralen Rehabilitation im Zusammenhang mit Kopf-Hals-Bestrahlung. AWMF-Leitlinie Nr. 007-089. S3, Stand 2015. www.awmf.org
  • Deutsche Krebsgesellschaft (DKG). Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten. AWMF Leitlinie Nr. 032-051OL. S3, Stand 2014. www.awmf.org

Literatur

  1. Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie. HPV-assoziierter Neoplasien, Impfprävention. AWMF-Leitlinie Nr. 082-002. Stand 2013 www.awmf.org
  2. Mehanna H, Jones TM, Gregoire V, Kian Ang K. Oropharyngeal carcinoma related to human papillomavirus. BMJ 2010; 340: c1439. BMJ (DOI)
  3. Mehanna H, Beech T, Nicholson T, et al. Prevalence of human papillomavirus in oropharyngeal and nonoropharyngeal head and neck cancer—systematic review and meta-analysis of trends by time and region. Head Neck 2012;35:747–55 www.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Implantat-Versorgung zur oralen Rehabilitation im Zusammenhang mit Kopf-Hals-Bestrahlung. AWMF-Leitlinie Nr. 007-089. Stand 2015. www.awmf.org
  5. Moore KA, Mehta V. The growing epidemic of HPV-positive oropharyngeal carcinoma: A clinical review for primary care providers. J Am Board Fam Med 2015; 28: 498-503. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Worden FP, Kumar B, Lee JS, Wolf GT, Cordell KG, Taylor JM, et al. Chemoselection as a strategy for organ preservation in advanced oropharynx cancer: response and survival positively associated with HPV16 copy number. J Clin Oncol 2008; 26: 3138-46. PubMed
  7. O'Rorke MA, Ellison MV, Murray LJ, Moran M, James J, Anderson LA. Human papillomavirus related head and neck cancer survival: a systematic review and meta-analysis. Oral Oncol 2012;48:1191–201 www.ncbi.nlm.nih.gov
  8. Dahlstrom KR, Li G, Tortolero-Luna G, Wei Q, Sturgis EM. Differences in history of sexual behavior between patients with oropharyngeal squamous cell carcinoma and patients with squamous cell carcinoma at other head and neck sites. Head Neck. 2011 Jun;33(6):847-55. doi: 10.1002/hed.21550 www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. McIlwain WR, Sood AJ, Nguyen SA, Day TA. Initial symptoms in patients with HPV-positive and HPV-negative oropharyngeal cancer. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg 2014;140:441–7 www.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Mundhöhlenkarzinom, Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr.007-100OL. Stand 2012 (in Überarbeitung). www.awmf.org
  11. Harrington KJ, Ferris RL, Blumenschein G Jr. Nivolumab versus standard, single-agent therapy of investigator's choice in recurrent or metastatic squamous cell carcinoma of the head and neck (CheckMate 141): health-related quality-of-life results from a randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2017;18(8):1104 www.ncbi.nlm.nih.gov
  12. Deutsche Krebsgesellschaft (DKG). Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten. AWMF Leitlinie Nr. 032-051OL. S3, Stand 2014. www.awmf.org
  13. Robert-Koch-Institut. Humane Papillomaviren (HPV). Stand 2020. www.rki.de
  14. Park A. Busch C.Dalchow C. Nicht-diagnostizierte Fernmetastasierung bei einem cT2 cN2c cM0 Oropharynxkarzinom. German Medical Science GMS Publishing House. 2015 www.egms.de
  15. Harris J, Wheeler R, Weber R, et al. Human papillomavirus and survival of patients with oropharyngeal cancer. N Engl J Med 2010; 363: 24-35. doi: 10.1056/NEJMoa0912217 DOI
  16. Fakhry C, Westra WH, Li S, Cmelak A, Ridge JA, Pinto H, et al. Improved survival of patients with human papillomavirus-positive head and neck squamous cell carcinoma in a prospective clinical trial. J Natl Cancer Inst 2008; 100: 261-9. PubMed

Autor*innen

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikel basierts auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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