Akute Otitis media (AOM)

Zusammenfassung

  • Definition:Schmerzhafte, akute Infektion der Schleimhäute im Mittelohr, in der Regel durch aszendierende Infektion über Nase und Tuba Eustachii bei einem bestehenden oder vorangegangenen oberen Luftwegsinfekt (= rhinogene Infektion).
  • Häufigkeit:Innerhalb der ersten 3 Lebensjahre erkranken kumulativ 2/3 aller Kinder.
  • Symptome:Leitsymptom akuter Ohrenschmerz bei Kindern in Kombination mit Fieber. Kinder sind unruhig und fassen sich ans Ohr.
  • Befunde:In Otoskopie Paukenerguss (vorgewölbtes Trommelfell), gerötetes Trommelfell, evtl. Perforation mit Sekretion.
  • Diagnostik:Anamnese und Otoskopie wegweisend. Ergänzende Untersuchungen und Bluttests nicht notwendig.
  • Therapie:Bei der Mehrzahl der Kinder ist „Watchful Waiting" mit analgetischer Therapie ausreichend. Nur bei Risikofaktoren und schweren Verläufen antibiotische Therapie mit Amoxicillin als Mittel der Wahl.
  • Prävention:Stillen. Vermeidung von Risikofaktoren wie Zigarettenrauch-Exposition und Schnullern.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Schmerzhafte, akute Infektion der Schleimhäute im Mittelohr, in der Regel durch aszendierende Infektion über Nase und Tuba Eustachii bei einem bestehenden oder vorangegangenen oberen Luftwegsinfekt (= rhinogene Infektion).1-3
    • auch exogene Infektion bei perforiertem Trommelfell möglich
  • Akute Otitis media (AOM) und seröse Otitis media (Seromukotympanon) sind verschiedene Stadien auf dem Otitis-media-Kontinuum.
    • AOM ist gekennzeichnet durch Paukenerguss und schnelles Einsetzen eines oder mehrerer Anzeichen einer Entzündung im Mittelohr wie Otalgie, Otorrhö, Fieber oder Reizbarkeit des Kindes.4
    • Seröse Otitis media (Seromukotympanon) ist gekennzeichnet durch Paukenerguss ohne Anzeichen einer Entzündung.4
      • Kann als primäre Erkrankung auftreten oder als Folge einer AOM.
  • Rezidivierende akute Otitis media3
    • mindestens 3 Rezidive innerhalb eines halben Jahres
  • Chronische Otitis media3
    • > 3 Monate nicht heilender Trommelfelldefekt mit eitrigem Ausfluss aus Ohr

Häufigkeit

  • Innerhalb der ersten 3 Lebensjahre erkranken kumulativ 2/3 aller Kinder an AOM.5
  • Prävalenz (deutsche LISA-Studie)3
    • im 1. Lebensjahr 18,7 %  
    • im 2. Lebensjahr 31,6 % (erstmalige Erkrankung 25,6 %)
    • im 3. Lebensjahr 31,7 % (erstmalige Erkrankung 19,6 %)
    • Häufigster Anlass für Kleinkinder, antibiotische Therapie zu erhalten.
    • mittlere Zahl der Otitis-media-Episoden während der ersten zwei Lebensjahre: 2,2 pro Kind
    • Stationäre Behandlungen aufgrund von Komplikationen (Mastoiditis, Perforation des Trommelfells, bei otologischen Implantaten) insgesamt selten, mit Häufigkeitsgipfel zwischen 13. und 18. Monat
    • Deutsche Werte sind vergleichbar mit anderen europäischen Kohortenstudien.2-3,6
  •  Rückläufige Häufigkeit
    • international nach Einführung der Pneumokokkenimpfung für Kinder gering rückläufige Tendenz für Häufigkeit der AOM3

Ätiologie und Pathogenese

  • Hohe Inzidenz und in der Regel spontane Besserung zeigen, dass es sich bei Otitis media um natürliches Phänomen handelt – ähnlich einer Erkältung – und dies damit Teil der allmählichen Ausbildung des kindlichen Immunsystems ist.1
  • AOM tritt fast immer sekundär zu aufsteigender Schleimhautreizung in Nase, Epipharynx oder Tuba auditiva auf.
  • Als Erklärung für häufiges Auftreten im Kindesalter wird der kurze und horizontale Verlauf der Tuba auditiva bis zum 6. Lebensjahr und Obstruktionen im Nasenrachen durch z. B. Adenoide und Schwellungszustände herangezogen.7
    • Die anatomische Situation begünstigt Keimaszension im Mittelohr.

Mikrobiologie

  • Häufigste bakterielle Erreger sind Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae.8
    • Bei fast der Hälfte der Kinder sind simultan auch Viren im Mittelohr nachweisbar, vor allem Respiratory-Syncytial-Viren, Parainfluenzaviren und Influenzaviren.3
  • Sonderformen wie hämatogen fortgeleitete Scharlach- oder Masern-Otitis sind heutzutage selten.

Prädisponierende Faktoren

  • Risikofaktoren sind genetische Veranlagung, Alter der Erstinfektion und erhöhte Exposition mit respiratorischen Erregern.9
    • Tritt häufiger auf, wenn Eltern oder Geschwister ebenfalls häufig an Ohrentzündungen litten.
    • Gaumenspalte
    • enge anatomische Gegebenheiten
    • Kleinkinder mit unreifem Immunsystem 
    • Adenoide, Tonsillitis
    • frühere Episoden einer akuten Otitis media
  • Als weitere Risikofaktoren gelten:3
    • externe Kinderbetreuung in den ersten 2 Lebensjahren
    • Passivrauchen
    • mehrere Geschwister
    • kein Stillen in den ersten 3 Lebensmonaten
    • niedriger sozialer Status
    • Gebrauch von Schnullern
    • allergische Diathese
    • männliches Geschlecht.

ICPC-2

  • H71 Akute Mittelohrentzündung

ICD-10

  • H65 Nichteitrige Otitis media
    • H65.0 Akute seröse Otitis media
  • H66 Eitrige und nicht näher bezeichnete Otitis media
    • H66.0 Akute eitrige Otitis media

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • 3 Kriterien werden von der DEGAM für eine sichere Diagnose gefordert:3
    1. akuter Beginn der Krankheit: Fieber, Krankheitsgefühl, Irritabilität
    2. Zeichen und Symptome einer Mittelohrentzündung: Rötung des Trommelfells und Otalgie
    3. otoskopisch nachgewiesener Mittelohrerguss
      • Vorwölbung des Trommelfells mit manchmal durchschimmerndem eitrigem Erguss
      • Flüssigkeitsspiegel oder Luftblasen hinter dem Trommelfell
      • Auftreten von Otorrhö innerhalb der letzten 24 Stunden.

Differenzialdiagnosen

  • Sekretorische Otitis (Seromukotympanon): Sekretion, aber keine Infektion
  • Otitis externa
    • Tragusdruckschmerz
    • Schmerz bei Zug am Ohrläppchen
  • Gerötetes Trommelfell bei Kleinkindern, die schreien/weinen.
  • Myringitis
  • Herpes zoster oticus

Anamnese

  • Leitsymptom: Ohrenschmerzen bei Kindern in Kombination mit Fieber3
  • Oft vorangegangene Erkältung
  • Meist Verschlechterung nachts oder wenn das Kind zu Bett geht.
  • Unruhiges Kind, greift sich ans Ohr.
  • Allgemeinzustand leicht eingeschränkt, Fieber 38‒39 °C, eingeschränktes Hörvermögen
  • Bei spontaner Perforation Schmerzabnahme, und es läuft Sekret aus dem Gehörgang.

Klinische Untersuchung

  • Für korrekte eine Diagnose ist eine Otoskopie essenziell.

Vorgehen bei Otoskopie

  • Vorgehen gemäß DEGAM3
  • Zur Inspektion des Gehörganges Ohrmuschel nach hinten oben ziehen und obliterierende Zerumenpfropfen entfernen.
    • Freie Sicht sollte allerdings nicht erzwungen werden.
  • Immer beide Trommelfelle untersuchen und vergleichen.
    • Dabei ist zur Beurteilung auf gute Ausleuchtung zu achten.
  • Grundsätzlich sollte vermutlich gesundes Ohr zuerst untersucht werden (besonders bei Kleinkindern, Kooperation!); insbesondere, wenn der Ohrtrichter nicht gewechselt wird, um eine mögliche Keimverschleppung zu vermeiden.

Typische Befunde in Otoskopie

  • Klassischerweise ist das Trommelfell hyperämisiert, vorgewölbt (primär in Pars flaccida), vermindert beweglich und matt.3
  • Rötliche (manchmal weißlich-schuppige) virale Entzündung bzw. eitrige, gelbliche bakterielle Entzündung7
    Otitis_media_schollig.jpg
    Akute Otitis media
  • Perforationen sind u. U. schwierig zu erkennen.
  • Die Beweglichkeit des Trommelfells kann mit pneumatischer Otoskopie getestet werden. Normale Beweglichkeit spricht gegen eine akute Mittelohrentzündung.10

Ergänzende Untersuchungen 

  • Tympanometrie
    • in der Regel in deutschen Hausarztpraxen nicht verfügbar
    • Kann die Diagnose unterstützen, weist aber nur begrenzte Spezifität auf.
    • Im Übrigen verändert sich dadurch kaum die Behandlungsstrategie.3
  • Mikrobiologische Untersuchung
    • Bei erheblich komplizierenden und rezidivierenden Otitiden sollte durch Spezialist*in eine mikrobiologische Diagnostik angestrebt werden.3
  • Blutuntersuchungen
    • in der Routine nicht empfohlen3

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Indikationen zur Überweisung an HNO-Praxis
    • bei Verschlechterung trotz antibiotischer Therapie
    • bei rezidivierender AOM
    • bei nicht einsehbarem Trommelfell bzw. Unsicherheit der Diagnose
    • bei einliegendem Paukenröhrchen
    • bei V. a. Tonsillenhyperplasie bzw. adenoide Vegetationen 
  • Indikationen zur Einweisung
    • bei Komplikationen, wie z. B. Mastoiditis
    • bei frustraner oraler antibiotischer Therapie (Kinder mit starkem Erbrechen oder Säuglinge < 6 Monate)
    • Patient*innen mit Z. n. Cochlea-Implantat in den letzten 2 Monaten7

Therapie

Therapieziele

  • Schmerzen lindern.
  • Ggf. Infektion sanieren.
  • Komplikationen vermeiden.

Allgemeines zur Therapie

  • Bei den meisten Kindern risikoadaptierte, zunächst abwartende und beobachtende Strategie („Watchful Waiting") möglich, mit der in vielen Fällen eine Antibiotikatherapie vermieden werden kann.11

S2k-Leitlinie: Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen 8

  • Die meisten Fälle einer AOM sind bei immunkompetenten Patient*innen selbstlimitierend und bedürfen keiner Antibiotikatherapie.
  • Primär Therapie mit Analgetika/Antiphlogistika empfohlen
  • Indikation für Antibiotikum nur bei:
    • schwerer Otitis media
    • in den ersten 6 Lebensmonaten
    • in den ersten 2 Lebensjahren bei beidseitiger AOM
    • Otorrhö mit persistierenden Beschwerden (Schmerzen und/oder Fieber)
    • Patient*innen mit Risikofaktoren, u. a. Immundefizienz, schwere Grundkrankheiten, Influenza, Paukenröhrchen, kraniale Fehlbildungen.
  • Selbst bei Fieber und/oder Erbrechen ist es vertretbar, die ersten 24–48 Stunden unter Beobachtung des Kindes abzuwarten und erst bei Verschlechterung der Symptome oder ausbleibender Besserung Antibiotika zu verordnen.3
    • aus forensischen Gründen gute Aufklärung und Absprache mit den Eltern
    • Ist eine Wiedervorstellung in der Praxis nach 48 Stunden nicht möglich (z. B. Wochenende), empfiehlt die DEGAM bei guter Mitarbeit der Eltern eine vorsorgliche Ausstellung eines Antibiotikum-Rezeptes mit ausführlicher Aufklärung über Anwendungsbeginn, Dosierung und mögliche Nebenwirkungen.

Gemeinschaftseinrichtungen

  • Keine Einschränkungen. Allgemeinzustand und Fieber entscheiden, ob Kind in Krippe oder Kindergarten gehen kann.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Höherlagerung des Kopfes kann Schmerzen etwas lindern.
  • Schmerzmittel nach Bedarf, nicht mehr als angegebene maximale Dosis
  • Abschwellende Nasensprays und Kaugummikauen (bei größeren Kindern) können die Belüftung der Tuba Eustachii verbessern, sodass Sekret aus Mittelohr besser abfließen kann.
  • Körperliche Schonung3
  • Ausreichende Flüssigkeitszufuhr3
  • Zuwendung für schmerzgeplagte (meist kleine) Patient*innen3

Medikamentöse Therapie 

Antibiotika

  • Bei unkomplizierter AOM kann die Erkrankung ohne Antibiotika 1‒2 Tage lang beobachtet werden.
  • Cochrane-Metaanalyse zur Wirksamkeit von Antibiotika bei AOM12
    • Die Mehrzahl der Fälle heilt auch unter Placebogabe spontan aus.
    • In den ersten 24 h reduzieren Antibiotika nicht die Schmerzen.
      • nach 3 Tagen jedoch 30 % mehr Schmerzfreiheit als unter Placebo
    • geringe Reduktion von Trommelfellperforationen (NNT 33) und kontralateralen Otitiden (NNT 11)
    • Bei 1 von 14 antibiotisch behandelten Kindern treten relevante Nebenwirkungen durch das Antibiotikum auf.
    • Behandlungsdauer < 7 Tage ausreichend13
    • in Einzelstudie (RCT) Reduktion des Zeitraums mit Flüssigkeit im Mittelohr, Beeinträchtigung des Gehörs und Risiko einer langwierigen serösen Otitis14

S2k-Leitlinie: Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen8

  • Bei Indikation für ein Antibiotikum
    • Mittel der Wahl: Amoxicillin 50–90 mg/kg KG in 2–3 Einzeldosen oral
    • Mittel der 2. Wahl
      • Aminopenicillin+ Betalaktamase-Inhibitor
      • Cephalosporin 2./3. Generation
      • Makrolid
      • Cotrimoxazol (Erwachsene)
      • Doxycyclin (ab 9. Lebensjahr)
  • Bei Vorliegen von Risikofaktoren und wiederholten Rezidiven
    • Aminopenicillin + Betalaktamase-Inhibitor – oder –
    • Cefpodoxim (Cephalosporin der 3. Generation)

DEGAM-Empfehlung (Leitlinie von 2014, am 01.01.2021 Gültigkeit abgelaufen)3

  • Mittel der Wahl: Amoxicillin 50 mg/kg KG/d in 2–3 Einzeldosen über 7 Tage oral
    • Dosis kann auf 80–90 mg/kg KG/d erhöht werden bei Kindern, die in letzten 30 Tagen mit Ampicillin vorbehandelt waren bzw. einen kürzlichen Aufenthalt in Ländern mit hohen Raten an Penicillin-resistenten Pneumokokken hatten.
    • Kombination mit Clavulansäure nur bei bekannten Resistenzen gegen Beta-Laktamase-bildende Keime oder Therapieversagen erwägen.
  • Mittel der 2. Wahl: orales Cephalosporin der 2. Generation, z. B. Cefuroxim 20–30 mg/kg KG/d
  • Bei Vorliegen von Allergien gegen Penicilline/Cephalosporine: Makrolid z. B. Erythromycin über 7 Tage

Analgetika/Antiphlogistika

  • Empfehlungen gemäß DEGAM3
  • Einsatz von Paracetamol oder Ibuprofen
    • Ibuprofen möglicherweise etwas stärker schmerzlindernd 
    • Nachteil: Anwendung als Saft erst ab 6. Lebensmonat möglich
  • Paracetamol Dosierung
    • max. 60 mg/kg KG/d
    • verteilt auf 3–4 Gaben pro Tag
  • Ibuprofen Dosierung
    • max. 20–30 mg/kg KG/d (laut Fachinformation max. 30 mg/kg KG/d)15
    • verteilt auf 3–4 Gaben pro Tag
  • Acetylsalicylsäure
    • wegen Gefahr des Reye-Syndroms bei Virusinfekten zur Analgesie bei Kindern nicht empfohlen
  • Nasentropfen
    • Pathophysiologisch betrachtet, ist ein Nutzen vorstellbar, insbesondere bei Rhinitis.
      • Durch Abschwellung der Nasenschleimhaut werden ein besserer Abfluss, verbesserte Flüssigkeitsaufnahme des Kindes und besserer Schlaf vermutet.
      • Es liegen jedoch keine kontrollierten Studien vor.
  • Analgetische Ohrentropfen wurden in der Leitlinie 2014 nicht empfohlen.3,5
    • Aktuell wird Einsatz jedoch zunehmend diskutiert und gefordert.16
    • weitgehend nebenwirkungsarme Schmerzstillung mit relativ kurzer Wirkdauer, aber schnellem Wirkeintritt

Weitere Therapien

  • Parazentese
    • D. h. iatrogene Trommelfellperforation, wird als therapeutische Intervention bei AOM nicht von der DEGAM empfohlen.3
      • Kein statistischer Unterschied hinsichtlich einer rascheren Symptomresolution, im Gegenteil führte die Parazentese zu einer erhöhten Rate an persistierenden Infektionen.
  • Einsetzen eines Paukenröhrchens
    • Kann bei rezidivierenden Erkrankungen sinnvoll sein.
    • Einsetzen einer Drainage bei Kindern mit rezidivierender AOM scheint die Häufigkeit erneuter Ohrentzündungen in den ersten 6 Monaten zu reduzieren. Ein Effekt über diesen Zeitraum hinaus ist nicht ausreichend dokumentiert.17
  • Schnullerentzug?
    • Ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von Schnullern und rezidivierenden Ohrentzündungen ist nachgewiesen, doch für einen kausalen Zusammenhang gibt es keine eindeutig gesicherten Anhaltspunkte.18-19

Prävention

Impfung

  • Haemophilus influenzae
    • Für alle Kinder wird heutzutage eine Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ B empfohlen (u. a. Erreger von Epiglottitis, Meningitis, Pneumonie).
    • Die Impfung richtet sich nur gegen bekapselte Varianten von Haemophilus influenzae Typ B und schützt daher nicht vor akuter Otitis media, da diese in der Regel von nicht-bekapselten Haemophilus-Stämmen verursacht wird.3
  • Pneumokokken
    • International nach Einführung der Pneumokkkenimpfung gibt es für Kinder eine gering rückläufige Tendenz für die Häufigkeit der AOM.3
    • Durch Verwendung des 13-valenten Impfstoffs gegenüber des 7-valenten Impfstoffs relative Risikoreduktion für Pneumokokken-induzierte akute Otitis media um 86 %20
    • Cochrane-Metaanalyse21
      • starke relative Risikoreduktion für Pneumokokken-induzierte AOM
      • kein Nachweis für Reduktion von Otitiden durch andere Erreger
  • Influenza
    • Scheint das Risiko für AOM nicht oder nur wenig zu reduzieren.3,22

Weitere Maßnahmen

  • Vermeidung von Risikofaktoren3
    • Zigarettenrauch in der Raumluft
    • Flaschenfütterung
    • Schnullern
  • Kaugummikauen – laut Cochrane-Metaanalyse23
    • Regelmäßiges Kaugummikauen reduziert die Rezidivhäufigkeit von Mittelohrentzündungen.
    • Kaugummikauen muss jedoch mehrmals täglich über langen Zeitraum erfolgen, was bei Kleinkindern kaum zu empfehlen ist.
  • Nasentropfen oder perorale Präparate mit adstringierender Wirkung
    • präventive Wirkung fraglich
  • Adenoidektomie oder Adenotonsillektomie
    • nicht effektiv zur Verhinderung von Rezidiven, daher nicht empfohlen24
  • Stillen
    • Scheint präventiv wirksam zu sein.3
  • Probiotika – laut Cochrane-Metaanalyse25
    • Probiotika möglicherweise mit vorbeugendem Effekt gegen akute Mittelohrentzündungen bei ansonsten gesunden Kindern ohne rezidivierende Otitiden
    • durch Einnahme von Probiotika Reduktion von Antibiotika-pflichtigen Infektionen generell (NNT 8)
    • Optimaler Bakterienstamm, Dosierung, Behandlungszeitpunkt und Einnahmedauer können aus vorhandenen Daten nicht abgeleitet werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Auftreten in der Regel im Anschluss an einen Infekt der oberen Atemwege/Erkältung mit plötzlich starken Ohrenschmerzen und leichtgradigem Fieber.
  • Bei Spontanperforation des Trommelfells deutliche Schmerzlinderung
  • Spontane Symptombesserung in etwa 60 % der Fälle innerhalb der ersten 24 Stunden, in etwa 80–85 % innerhalb der ersten 2–3 Tage und in 90 % nach 4–7 Tagen5

Komplikationen

  • Ernsthafte Komplikationen sind sehr selten.
  • Häufigste Komplikationen der AOM (passagere) sind Einschränkungen des Hörvermögens durch Paukenhöhlenerguss und Perforation des Trommelfells.11
  • Sekretorische Otitis media3
    • Synonym: Seromukotympanon
    • Ansammlung von seröser und/oder muköser Flüssigkeit in den Mittelohrräumen ohne Zeichen einer akuten (eitrigen) Entzündung
    • häufig nach akuter Otitis media
      • im Wesentlichen Phase der Restitution
    • Typischerweise tritt Druckgefühl mit (oft beidseitiger) Hörminderung auf.
      • Die Hörminderung kann einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der Sprache und Sozialisation von Kindern haben.
    • Länger bestehender, einseitiger Paukenerguss des Erwachsenen erfordert fachärztliche Abklärung, da hier Tumoren im Bereich der Nasopharynx (selten) ursächlich sein können. 
  • Chronische Mittelohrentzündung
    • Trommelfellperforation, die länger als 3 Monate andauert, mit Otorrhö und Schallleitungsschwerhörigkeit.
  • Mastoiditis
    • selten (1,8–3,8 pro 10.000 AOM-Episoden)11
      • keine Verminderung der Mastoiditis-Rate durch Antibiotika
    • typisch: retroaurikuläre Schwellung (einseitig abstehendes Ohr)
  • Andere intrakranielle Komplikationen wie Ausbildung einer Sinusvenenthrombose, otogenen Meningitis, Labyrinthitis, Fazialisparese oder eines Hirnabzesses sind im Rahmen einer AOM sehr selten.5 

Prognose

  • Die Prognose der jeweiligen Episode einer AOM ist gut, aber bei vielen Kindern kann es zu Rezidiven kommen.

Verlaufskontrolle

  • Engmaschige klinische Kontrollen bei AOM, notfalls auch durch kurzfristige telefonische Kontrollbefragung der Eltern3
  • Ziele 
    • bei persistierenden Beschwerden unter konservativer Therapie Re-Evaluation einer Antibiose
    • bei bereits antibiotisch anbehandelten Kindern bei Therapieversagen ggf. Umstellung der Antibiose und Überweisung an Spezialist*in
    • Komplikationen frühzeitig erkennen.
  • Bei Sprachentwicklungsstörungen oder persistierender Otorrhö Kontrolle bei Spezialist*in mit Frage nach Trommelfelldefekt bzw. relevanter Schallleitungsschwerhörigkeit

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Weitere Informationen

Illustrationen

Otitis_media_schollig.jpg
Akute Otitis media (Quelle: Wikimedia Commons)
Otitis_media_bullös.jpg
Bullöse Otitis media (Quelle: Wikimedia Commons)
Otitis_media_entdifferenziert2.jpg
Otitis media (Quelle: Wikimedia Commons)
Akute Mittelohrentzündung, Flüssigkeit hinter dem Trommelfell.jpg
Akute Mittelohrentzündung, Flüssigkeit hinter dem Trommelfell
Ausbuchtung im Trommelfell
Ausbuchtung im Trommelfell
Mittelohr
Mittelohr
Ohr, innen
Ohr, innen
Drainage im Trommelfell
Paukenröhrchen
Trommelfell.jpg
Trommelfellperforation

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Antibiotikatherapie bei HNO-Infektionen. AWMF Leitlinie Nr. 017-066. S2k, Stand 2019. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Ohrenschmerzen. AWMF Leitlinie Nr. 053-009. S2k, Stand 2014. (abgelaufen) www.awmf.org

Literatur

  1. Rovers MM, Schilder AGM, Zielhuis GA, Rosenfeld RM. Otitis media. Lancet 2004; 363: 465-73. PubMed
  2. Harmes KM, Blackwood A, Burrows HL, et al. Otitis media: diagnosis and treatment. Am Fam Physician 2013; 88: 435-40. www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Ohrenschmerzen. AWMF Leitlinie Nr. 053-009. S2k. Stand 2014. www.awmf.org
  4. Gates GA, Klein JO, Lim DJ, et al. Recent advances in otitis media, 1: definitions, terminology, and classification of otitis media. Ann Otol Rhinol Laryngol 2002; 111: 8-18. PubMed
  5. Thomas JP, Berner R, Zahnert T, Dazert S. Strukturiertes Vorgehen bei akuter Otitis media. Dtsch Arztebl Int 2014;111(9): 151–60. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0151 DOI
  6. Daly KA, Hoffman HJ, Kvaerner KJ, Kvestad E, et al. Epidemiology, natural history, and risk factors: Panek report from the ninth international research conference on otitis media. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2010; 74: 231-40. PubMed
  7. Weber BP. Otitis media — häufig, aber nicht trivial. HNO Nachrichten 2019; 49: 18-23. link.springer.com
  8. Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Antibiotikatherapie HNO-Infektionen. AWMF Leitlinie Nr. 017-066. S2. Stand 2019. www.awmf.org
  9. Ladomenou F, Kafatos A, Tselentis Y, Galanakis E. Predisposing factors for acute otitis media in infancy. J Infect 2010; 61: 49-53. PubMed
  10. Marcy M, Takata G, Shekelle P, et al. Management of acute otitis media: evidence report/technology assessment no. 15 (prepared by the Southern California Evidence-based Practice Center under contract no. 290-97-0001). AHRQ Publication No. 01-E010. Rockville, MD: Agency for Healthcare Research and Quality, 2001. www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Carlens J, Schütz K, Baumann U. Akute Otitis media. Monatsschr Kinderheilkd 2016; 164: 349-58. link.springer.com
  12. Venekamp RP, Sanders SL, Glasziou PP, Del Mar CB, Rovers MM. Antibiotics for acute otitis media in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, Issue 6. Art. No.: CD000219. DOI: 10.1002/14651858.CD000219.pub4 DOI
  13. Kozyrskyj AL, Klassen TP, Moffatt M, Harvey K. Short-course antibiotics for acute otitis media. Cochrane Database of Systematic Reviews 2010, Issue 9. Art. No.: CD001095. DOI: 10.1002/14651858.CD001095.pub2 DOI
  14. Tapiainen T, Kujala T, Renko M, et al. Effect of antimicrobial treatment of acute otitis media on the daily disappearance of middle ear effusion: a placebo-controlled trial. JAMA Pediatr. 2014 Jul 1;168(7):635-41. PubMed
  15. Aliud Pharma. Fachinformation Ibuprofen 2 % Saft für Kinder. Stand Januar 2021. Letzter Zugriff 12.08.21. fachinformation.srz.de
  16. Michel O. Analgesierende Ohrentropfen bei Otitis media: voll im Trend. HNO Nachrichten 2021; 51: 20-25. link.springer.com
  17. Roderick P, Venekamp RP,Mick P, Schilder AGM, Nunez DA. Grommets (ventilation tubes) for recurrent acute otitis media in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018, Issue 5. Art. No.: CD012017. DOI: 10.1002/14651858.CD012017.pub2. cochranelibrary-wiley.com
  18. Rovers MM, Numans ME, Langenbach E, Grobbee DE, Verheij TJ, Schilder AG. Is pacifier use a risk factor for acute otitis media? A dynamic cohort study. Fam Pract 2008; 25: 233-6. PubMed
  19. Salah M, Abdel-Aziz M, Al-Farok A, Jebrini A. Recurrent acute otitis media in infants: analysis of risk factors. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2013; 77: 1665-9. pmid:23953241 PubMed
  20. Pichichero M, Kaur R, Scott DA, et al. Effectiveness of 13-valent pneumococcal conjugate vaccination for protection against acute otitis media caused by Streptococcus pneumoniae in healthy young children: a prospective observational study. The Lancet - Child and Adolescent Health 2018; 2(8): 561-8. www.thelancet.com
  21. Fortanier AC, Venekamp RP, Boonacker CW, et al. Pneumococcal conjugate vaccines for preventing acute otitis media in children. Cochrane Database Syst Rev 2019. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  22. Norhayati MN, Ho JJ, Azman MY. Influenza vaccines for preventing acute otitis media in infants and children. Cochrane Database of Syst Rev 2015; 3: CD010089. doi:10.1002/14651858.CD010089.pub2 DOI
  23. Azarpazhooh A, Limeback H, et.al. Xylitol for preventing acute otitis media in children up to 12 years of age. The Cochrane Library, 9 Nov, 2011. CD007095.pub2 Cochrane (DOI)
  24. Koivunen P, Uhari M, Luotonen J, et al. Adenoidectomy versus chemoprophylaxis and placebo for recurrent acute otitis media in children aged under 2 years: randomised controlled trial. BMJ 2004; 328(7438): 487. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  25. Scott AM, Clark J, Julien B et al. Probiotics for preventing acute otitis media in children. Cochrane Database of Systematic Reviews 2019, Issue 6. Art. No.: CD012941. DOI: 10.1002/14651858.CD012941.pub2. www.cochranelibrary.com

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt
  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit