Barotrauma des Ohres

Zusammenfassung

  • Definition: Drucktrauma, das bei Dysfunktion der Tuba auditiva im Mittelohr/Innenohr entsteht.
  • Häufigkeit: Ein weit verbreitetes Phänomen, häufig nach Fliegen und Tauchen.
  • Symptome: Die Symptome treten bei schnellen Druckänderungen auf, z. B. bei Flugreisen. Sie bestehen in Ohrenschmerzen, Druckgefühl, ggf. Ohrgeräuschen.
  • Befunde: Die klinischen Befunde bestehen ggf. in einem eingezogenen Trommelfell mit Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr, in seltenen Fällen ist das Trommelfell perforiert.
  • Diagnostik: Als ergänzende Untersuchungen kommen Weber- und Rinne-Test in Betracht.
  • Therapie: Die meisten Verletzungen infolge eines Barotraumas heilen spontan aus.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Drucktrauma aufgrund einer schnellen Änderung des Umgebungsdrucks beim Fliegen oder Tauchen, der bei Dysfunktion der Tuba auditiva auf das Mittelohr/Innenohr einwirkt.
  • Beim Barotrauma führen starke Druckdifferenzen ohne adäquaten Ausgleich zu erheblichen Spannungen am Trommelfell, die bis zur Trommelfellruptur führen können.1-2
    • Am häufigsten treten diese im Rahmen von Flugreisen und sehr viel häufiger und schwerwiegender bei Tauchgängen auf, wobei eine akute Hörminderung und Tinnitus begleitende Symptome sind.1

Häufigkeit

  • Abhängig von der Flughöhe, dem Flugzeugtyp und Voraussetzungen des Betroffenen
  • Bei 10 % aller Erwachsenen und 22 % aller Kinder ließen sich nach einem Flug otoskopisch Anzeichen von Trommelfellverletzungen beobachten.3
  • Trommelfellperforationen bei Tauchgängen sind häufig.1
  • Beruflich bedingte Drucklufterkrankungen fallen in die Zuständigkeit der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (siehe auch den Artikel Barotrauma und Dekompressionskrankheit)2
    • Danach haben im Zeitraum von 1993–2012 insgesamt 267 Anzeigen auf Vorliegen einer Berufskrankheit wegen „Erkrankung durch Arbeit in Druckluft" (BK-Nr. 2201) vorgelegen. Im selben Zeitraum wurden insgesamt 126 Fälle als Berufskrankheit anerkannt.4

Klinische Anatomie und Physiologie

  • Das Mittelohr ist eine luftgefüllte Kammer, die lateral durch das Trommelfell und die Eustachisch-Röhre von der äußeren Umgebung getrennt wird.5
  • Der Druck im Mittelohr muss gegenüber dem Umgebungsdruck ausgeglichen werden, damit das Trommelfell normal vibrieren und so ein deutliches Hören von Geräuschen ermöglichen kann.
  • Unter normalen Bedingungen wird die Luft im Mittelohr langsam über die Schleimhaut absorbiert und kontinuierlich ausgetauscht. Hierzu kommt es in der Regel beim Schlucken oder Gähnen. Hierbei öffnet sich die Tuba auditiva (Eustachi-Röhre) und ermöglicht den Luftzufluss und -abfluss.
  • Bei Fehlfunktion der Tuba auditiva entsteht eine Druckdifferenz zwischen Mittelohr und Umgebung. Eine solche Druckdifferenz kann das Trommelfell schädigen und führt zu Schmerzen und Hörverlust.

Ätiologie und Pathogenese

  • Änderung des Umgebungsdrucks, der bei Flugreisen auf das Mittelohr einwirkt6, schnelle Höhenänderungen, Tauchen7 oder Explosionen.
  • Beim Abstieg eines Flugzeugs entsteht im Verhältnis zum Druck im Gehörgang ein Unterdruck (eine Druckdifferenz), der ausgeglichen werden muss.8-9
    • Eine schmale, entzündete oder dysfunktionale Tuba audititiva verhindert die erforderliche Luftzufuhr im Mittelohr.
    • Da die Druckdifferenz zunimmt, wird das Trommelfell nach innen gezogen und gespannt.
    • Dies kann zu Trommelfellblutungen, Bildung von Flüssigkeitsexudat im Mittelohr und in manchen Fällen zur Ruptur des Trommelfells führen.
  • Bei schweren Fällen kommt es zu einem sensorischen Hörverlust und zu Schwindel durch Ruptur des ovalen oder runden Fensters (perilymphatische Fistel). Hierzu kann es z. B. beim Tauchen kommen, da hier die Druckdifferenzen größer sind.
  • Übelkeit entsteht durch Dysfunktion des Labyrinths.
  • Es kann zu einer Nebenhöhlenblutung kommen.

Prädisponierende Faktoren

  • Dysfunktion der Tuba auditiva, z. B. bei Erkältungen
  • Erworbenes Ödem der Tubenschleimhaut

ICPC-2

  • H79 Ohrenverletzung, andere

ICD-10

  • T70 Schäden durch Luft- und Wasserdruck
    • T70.0 Barotrauma des Ohres

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Anamnetisches Barotrauma
  • Otoskopie: Retraktion des Trommelfells, erhöhte Vaskularisierung, Flüssigkeit im Mittelohr
  • Sensorischer Hörverlust

Differenzialdiagnosen

Anamnese

  • Ohrenschmerzen, Druckgefühl im Ohr, Ohrgeräusch
  • Tritt häufig bei Flugreisen auf, bei schnellen Höhenveränderungen oder beim Tauchen.
  • Tauchen stellt die größte Gefahr da und führt in der Regel zu den am stärksten ausgeprägten Beschwerden.
  • Es kann zu Gehörverlust, Übelkeit und akutem Schwindel kommen. In schweren Fällen kann eine Ruptur des ovalen oder runden Fensters mit Austritt von Perilymphe entstehen.5
  • Lokale Schmerzen über den Nasennebenhöhlen sind nicht ungewöhnlich.

Klinische Untersuchung

  • Retraktion des Trommelfells
  • Transsudat (Flüssigansammlung) hinter dem Trommelfell
  • Hämatotympanon
  • Ruptur des Trommelfells (seltener)
  • Sensorischer Hörverlust

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Weber- und Rinne-Versuch

  • Weber: Lateralisation?
    • Bei einem einseitigen neurogenen Gehörverlust kommt es zur Lateralisation zum gesunden Ohr hin (Schädigung des Innenohrs).
    • Bei einem einseitigen Leitungsverlust kommt es zur Lateralisation zum betroffenen Ohr hin.
  • Rinne-Versuch
    • Ein besseres Hören der Luftleitung (Rinne positiv) ist normal oder ein Ausdruck für neurogenen Hörverlust.
    • Ein besseres Hören der Knochenleitung (Rinne negativ) weist auf einen Defekt des Trommelfells oder eine Verletzung der Gehörknöchelchen hin, ggf. Perforation des runden oder des ovalen Fensters.

Indikationen zur Überweisung

  • Milde Fälle bzw. kleine Trommelfellrisse heilen spontan und können hausärztlich kontrolliert werden, bei größeren Verletzungen umgehende Überweisung an den HNO-Arzt.

Therapie

Therapieziel

  • Symptomlinderung
  • Prävention
  • Klinische Beurteilung bei Gehörverlust und Schwindel im Hinblick auf eine Tympanotomie zum Verschluss einer perilymphatischen Fistel (innerhalb von 1–2 Wochen)

Allgemeines zur Therapie

  • Die Behandlung ist in erster Linie prophylaktisch.
  • Die meisten Verletzungen, die durch ein Barotrauma entstehen, heilen spontan ab.

Empfehlungen für Patienten auf Flugreisen

  • Schlucken, Gähnen, Kaugummi
  • Schleimhautabschwellende Medikamente können bei entsprechender Disposition versucht werden.
    • Lokaltherapie
      • abschwellendes Nasenspray ½ Stunde vor dem Flug
      • bei Bedarf Wiederholung während des Flugs

Therapie bei Trommelfellperforation

  • Der Abschnitt basiert auf dieser Referenz.1
  • Bei einem einfachen, kleinen Riss: Nachuntersuchungen der Patienten bis zum vollständigen Verschluss durchführen.
  • Ohrspülungen oder Ohrentropfen dürfen aufgrund der Gefahr der Keimverschleppung in das Mittelohr nicht verwendet werden.
  • Bei plötzlich einsetzenden Allgemeinsymptomen sollte aufgrund einer möglichen Superinfektion eine systemische antibiotische Therapie eingeleitet werden.
  • Bei größeren Rissen haben die Trommelfellränder die Tendenz, sich einzurollen. Es ist eine möglichst schnelle Adaption über das Ohrmikroskop und eine Zusammenarbeit mit dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt erforderlich. 

Weitere Therapien

Flugreise?

  • Eine Parazentese führt zu einem sofortigen Ausgleich des Mittelohrdrucks.

Tauchen

Operative Therapie

  • Bei schwerwiegender Schädigung des Innenohrs, die zu ausgeprägtem Schwindel oder Gehörverlust geführt hat, ist eine Tympanoplastik oder das Schienen des runden oder ovalen Fensters mithilfe einer Folie (perilymphatische Fistel) indiziert.

Prävention

Flugreisen

  • Schlucken und Gähnen beim Landeanflug des Flugzeugs
  • Lokale schleimhautabschwellende Medikamente sollten mindestens ½ Stunde vor Abflug verabreicht werden.

Tauchen

  • Langsamer Abstieg beim Tauchen
  • Eine Trommelfellruptur ist eine absolute Kontraindikation gegen Tauchen.
  • Bei nur einseitigem Hörvermögen sollte vom Tauchen abgeraten werden.
  • Bei Infektionen der oberen Atemwege oder bei nasalen Allergiesymptomen sollte Tauchen vermieden werden.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Unabhängig von der Therapie in der Regel gutartiger Verlauf, sofern sich nur Flüssigkeit im Mittelohr befindet.

Anerkennung als Berufskrankheit

  • Tritt ein Barotrauma immer wieder während der beruflichen Tätigkeit auf, kann diese Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden.10
  • Zuständig hierfür sind die gesetzlichen Unfallversicherungsträger.
  • Der Verdacht auf eine Berufskrankheit muss dort gemeldet werden (Meldebogen11).
  • Es wird eine ausführliche Arbeits- und Gefährdungsanamnese erhoben, und ein Gutachten entscheidet über die Anerkennung als Berufskrankheit.
  • Dann können bestimmte Maßnahmen auf Kosten der GUV durchgeführt werden:
    • spezielle therapeutische Maßnahmen
    • Einstellung der gefährdenden Tätigkeit
    • Minderung der Erwerbsfähigkeit bis zur Zahlung einer Rente.12
  • Manchmal muss die Tätigkeit erst vollständig aufgegeben werden, damit die Anerkennung als Berufskrankheit erfolgen kann.

Komplikationen

  • Perilymphatische Fistel mit Hörverlust und Schwindel/Tinnitus

Prognose

  • In den meisten Fällen gehen die Symptome spontan zurück.
  • Eine perilymphatische Fistel führt häufig zu dauerhaften Hörverlusten, wenn nicht im Lauf von 1–2 Wochen operiert wird.
  • Der Schwindel kann sich durch Schließen der Fistel verbessern.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Über vorbeugende Maßnahmen, insbesondere bei Risikopatienten
  • Tauchtauglichkeituntersuchungen vor (Hobby-)Tauchgängen bei zertifizierten Ärzten

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Ohrenschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-009, Stand 2014. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. Arbeiten in Überdruck. AWMF-Leitlinie Nr. 002-011, Stand 2010. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin. Tauchunfall. AWMF-Leitlinie Nr. 072-001, Stand 2014. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Ohrenschmerzen. AWMF-Leitlinie Nr. 053-009, Stand 2014. www.awmf.org
  2. Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. Arbeiten in Überdruck. AWMF-Leitlinie Nr. 002-011, Stand 2010. www.awmf.org
  3. Ely JW, Hansen MR, Clark EC. Diagnosis of Ear Pain. Am Fam Physician 2008; 77: 621-8. pmid:18350760 PubMed
  4. Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin. Tauchunfall. AWMF-Leitlinie Nr. 072-001, Stand 2014. www.awmf.org
  5. Vernick DM. Ear barotrauma. UpToDate, last updated Apr 23, 2015. UpToDate
  6. Rosenkvist L, Klokker M, Katholm M. Upper respiratory infections and barotraumas in commercial pilots: a retrospective survey. Aviat Space Environ Med 2008; 79: 960. PubMed
  7. Klingmann C, Praetorius M, Baumann I, Plinkert PK. Barotrauma and decompression illness of the inner ear: 46 cases during treatment and follow-up. Otol Neurotol 2007; 28: 447. PubMed
  8. Janvrin S. Middle ear pain and trauma during air travel. In: Clinical Evidence. BMJ Publishing Group, 2000; 3: 245-7.
  9. Mirza S, Richardson H. Otic barotrauma from air travel. J Laryngol Otol 2005; 119: 366. PubMed
  10. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dortmund. Merkblätter und wissenschaftliche Begründungen zu den Berufskrankheiten der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV), zuletzt aktualisiert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 22. Dezember 2014. Zugriff 24.1.2017. www.baua.de
  11. DGVU Formtexte für Ärzte: Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit. www.dguv.de
  12. Mehrtens, G. Valentin, H. Schönberger, A. Arbeitsunfall und Berufskrankheit : rechtliche und medizinische Grundlagen für Gutachter, Sozialverwaltung S.878ff. Berlin: Erich Schmidt Verlag 9: Auflage, 2017.

Autoren

  • Caroline Beier, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim
  • Per Møller, spesialist i øre/nese/hals, Haukeland sykehus og professor ved Universitetet i Bergen

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