Eigen- und Fremdgefährdung, akute

Eine wichtige Information vorab!

In akuten Krisen (Suizidgedanken oder -absichten, Bedrohung/ Gewalt) von Ihnen nahestehenden Menschen oder bei Ihnen selbst wenden Sie sich bitte an:

  • die nächste psychiatrische Klinik
  • die Rettungsleitstelle unter der Telefonnummer 112
  • die Polizei unter der Telefonnummer 110.

Was sind akute Eigen- und Fremdgefährdung?

Akute Eigen- und Fremdgefährdung stellen eine Notfallsituation dar, in der betroffene Personen nicht sicher davon ablassen können, sich selbst oder ihre Mitmenschen zu verletzen und dabei schlimmstenfalls sogar ihren eigenen Tod in Kauf zu nehmen. In der Regel liegt eine psychiatrische Erkrankung oder ein besonderer Ausnahmezustand zugrunde.

Was kann die Ursache sein?

Akute Eigengefährdung

Die Ursache für eine akute Eigengefährdung ist häufig Suizidalität, siehe auch Suizid und Suizidversuch.

Akute Fremdgefährdung

Eine akute Fremdgefährdung liegt dagegen häufig vor, wenn betroffene Personen so aufgebracht und erregt sind, dass sie sich selbst nicht mehr unter Kontrolle haben. Sie können dann aggressiv (verbal und/oder körperlich) gegenüber anderen Personen werden. Dies kann sich je nach Krankheitsursache möglicherweise auch gegen unbeteiligte Dritte richten, die in keiner persönlichen Beziehung zu der erkrankten Person stehen.

Häufige Ursachen

  • Alkoholvergiftung
  • Akute Psychosen (schizophrene oder bipolare Störungen)
  • Erregungszustände in sozialen Konfliktsituationen ohne eine psychiatrische Erkrankung
  • Eine Vergiftung bei Personen, die mehrere bewusstseinsverändernde Suchtstoffe gleichzeitig konsumieren, (z. B. Alkohol, Kokain und weitere Drogen).
  • Bestimmte Persönlichkeitsstörungen
  • Demenz
  • Entzugssyndrom/Delir

Weniger häufige Ursachen

  • Bestimmte Zustände nach einem epileptischen Anfall, in der die Person nicht vollständig bei Bewusstsein und nicht in der Lage ist, mit ihren Mitmenschen zu kommunizieren.
  • Akute Belastungsreaktion nach einem psychischem Trauma
  • Intelligenzminderung mit in bestimmten Abständen wiederkehrenden, gleichartig verlaufenden Erregungszuständen
  • Unmittelbar vorhergehendes Schädel-Hirn-Trauma
  • Eine Persönlichkeitsstörung, die durch eine Hirnschädigung hervorgerufen wurde.

Seltene Ursachen

  • Eine akute Gehirnerkrankung, z. B. eine Blutung oder Entzündung des Gehirns
  • Eine Störung des Stoffwechsels (z. B. Unterzucker, wenn Niere oder Leber ihre Arbeit nicht mehr vollständig verrichten, eine Überfunktion der Schilddrüse)
  • Weitere Gehirnerkrankungen wie ein Tumor oder ein Schädigung von Gefäßen

Weitere Faktoren, die zu aggressivem Verhalten gegenüber Mitmenschen führen können 

  • Vorliegen von Schizophrenie und anderen psychotischen Erkrankungen
  • Zusätzlicher Alkohol- und Drogenmissbrauch erhöht das Risiko.
  • Wenn sich Personen mit Vorerkrankungen nicht an die notwendigen Behandlungen halten.
  • Wenn eine Person Schwierigkeiten hat, ihre eigenen Impulse zu kontrollieren (z. B. Ausleben von Wut).
  • Bestimmte Persönlichkeitsstörungen
  • Obdachlosigkeit
  • Männliches Geschlecht
  • Gewalterfahrung und Missbrauch in der Kindheit

Untersuchungen

Anamnesegespräch

Akute Fremdgefährdung

Falls eine akute Fremdgefährdung vorliegt, ist ein Gespräch mit der betroffenen Person meist nicht möglich. Daher kommt dem Gespräch mit Angehörigen oder anderen Personen, die die betroffene Person kennen oder mit ihr in der auslösenden Situation waren, eine wichtige Bedeutung zu. Ärzt*innen können Folgendes erfragen:

  • Konkrete Probleme, die die Notfallsituation auslösten.
  • Was im Vorfeld passiert ist und wann sich der Zustand der Person in Richtung Eigen-/Fremdgefährdung verändert hat.
  • Ob die betroffene Person vor kurzem in psychiatrischer Behandlung war.
  • Ob bestimmte Medikamente (neu) eingenommen wurden/werden.
  • Ob es sonstige Vorerkrankungen gibt.

Akute Eigengefährdung

Von Eigengefährdung betroffene Personen werden häufig von Angehörigen aufgefordert, ärztliche Hilfe zu suchen, da sie ihre suizidalen Gedanken oder Absichten selten von sich aus mitteilen.

Daher müssen eine tatsächliche Suizidankündigung, aber auch vom Umfeld wahrgenommene Anzeichen für Suizidalität sehr ernst genommen werden und die genauen Umstände, Absichten der betroffenen Person sowie die Möglichkeit, davon Abstand zu nehmen, erfragt und geklärt werden, siehe auch Suizid und Suizidversuch.

Körperliche Untersuchung

Ärzt*innen treffen anhand der körperlichen Untersuchung eine erste Einschätzung, ob möglicherweise eine lebensbedrohliche Situation vorliegt und eine Behandlung im Krankenhaus notwendig ist. Sofern die akut erkrankte Person es zulässt, sollten so schnell wie möglich Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung gemessen werden und eine körperlich-neurologische Untersuchung durchgeführt werden.

Einweisung in ein Krankenhaus  

  • Bei Suizidgefahr und fehlender Behandlungsbereitschaft oder einem bereits stattgefundenen Suizidversuch kann eine unfreiwillige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur weiteren Abklärung und Behandlung veranlasst werden.

Unterbringung

  • Bei akuter Eigen- und Fremdgefährdung kann eine stationäre Einweisung mit Unterbringung nach richterlicher Anordnung anhand von landestypischen Unterbringungsgesetzen erfolgen, auch ohne oder gegen den Willen der betroffenen Person.

Behandlung

Behandlungsziele

  • Deeskalation: Aggressivität und Gewalt zunächst zu verringern, bestenfalls zu verhindern.
  • Der Schutz der betroffenen Person vor sich selbst und vor Dritten
  • Dafür zu sorgen, dass die Mitmenschen der erkrankten Person keine Gewalt bzw. keinen Schaden erleiden.

Allgemeines zur Behandlung

Zunächst wird versucht, eine ruhige Atmosphäre zu schaffen, mit der betroffenen Person zu sprechen, sie zu beruhigen, sie ernst zu nehmen und ihr Hilfe anzubieten, ihre individuellen Wünsche und Ängste zu erfragen.

Dabei sollte Betroffenen so viel Entscheidungsfreiheit, wie in der jeweiligen Situation möglich, zugestanden werden und möglichst kein Zwang angewendet werden.

Behandlung mit Medikamenten

Als Medikamente können je nach zugrunde liegender Ursache Benzodiazepine oder Antipsychotika eingesetzt werden. Bestimmte Benzodiazepine (z. B. Lorazepam) können als Tabletten geschluckt werden oder sich auf der Zunge auflösen.

Unterbringung

Bei einer bestehenden Eigen- oder Fremdgefährdung gibt es die Möglichkeit der Unterbringung nach Unterbringungsgesetz oder Betreuungsrecht des jeweiligen Bundeslandes ohne oder gegen den Willen der betroffenen Person:

  • Wenn eine gravierende psychische Erkrankung vorliegt.
  • bei unmittelbarer Eigen- oder Fremdgefährdung aufgrund dieser Erkrankung
  • Wenn Gefahr nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen abgewendet werden kann.

Die Unterbringung zur Behandlung kann je nach zugrunde liegender Erkrankung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung stattfinden.

Vorbeugung

Um für entsprechende Situationen gerüstet zu sein, sollten Betroffene von psychischen oder psychiatrischen Erkrankungen eine Notfallkarte mit sich führen, auf denen wichtigen Kontaktdaten und Öffnungszeiten stehen:

  • des psychiatrischen Krisendienstes
  • der behandelnden psychiatrischen Klinik
  • der nächsten geeigneten psychiatrischen Klinikambulanz
  • der behandelnden Hausarztpraxis
  • von Familienmitgliedern und gesetzlichen Betreuer*innen
  • der Rettungsleitstelle.

Was können Sie selbst tun? 

Wenn bei Ihnen bestimmte Vorerkrankungen oder Voraussetzungen gegeben sind oder Sie schon einmal in einer Situation von akuter Eigen- oder Fremdgefährdung waren:

  • Bleiben Sie in gutem Kontakt zu Ihren Behandler*innen, halten Sie regelmäßig vereinbarte Arzttermine ein.
  • Gehen Sie unbedingt zu einem vereinbarten Nachsorgetermin, v. a. wenn Sie in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt wurden.
  • Falls Ihnen Medikamente verordnet wurden, nehmen Sie diese regelmäßig ein und wenden sich bei auftauchenden Problemen an Ihre Behandler*innen.

Beratung und Hilfe

Vor oder nach einem akuten Zustand von Selbst- oder Fremdgefährdung besteht oft für Betroffene und Angehörige Beratungsbedarf, um die Situation möglicherweise abzuwenden, zu verarbeiten oder sich konkrete Hilfe für weitere Schritte zu holen. Folgende Beratungsstellen können in einer nicht akuten Situation angerufen werden:

  • Telefonseelsorge: Die kostenfreie Hotline ist über die Telefonnummern 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 und 116 123 erreichbar.
  • SeeleFon: Hotlines unter 0180 950 951 (Telefonkosten bei Anrufen aus dem deutschen Festnetz entsprechend Ihres Telefonvertrags) und unter 0228 7100 2424 (dt. Festnetzgebühren) jeweils Mo bis Do 10.00–12.00 + 14.00– 20.00 Uhr, Fr 10.00–12.00 + 14.00–18.00 Uhr. Beratungstelefon der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie, richtet sich an psychisch erkrankte Menschen und angehörige Personen/Familienmitglieder. Beraten wird durch selbsterfahrene Betroffene oder Angehörige.
  • Info-Telefon Depression: Hotline kostenfrei unter 0800 3344 533. Bietet krankheits- und behandlungsbezogene Informationen und Anlaufstellen im Versorgungssystem. Sprechzeiten sind Mo, Di, Do 13.00–17.00 Uhr, Mi, Fr 8.30–12.30 Uhr.
  • Liste bundesweiter Beratungsangebote bei suizidalen Krisen: Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention
  • Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern: Netz und Boden

Weitere Informationen

Autorin

  • Catrin Grimm, Ärztin in Weiterbildung Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Klingenberg a. M.

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