Vergiftung durch Kalziumantagonisten

Zusammenfassung

  • Definition:Die Einnahme von mehr als der empfohlenen Tageshöchstdosis kann zu Vergiftung führen.
  • Häufigkeit:Relativ seltene Vergiftung.
  • Symptome:Bei leichten Vergiftungen treten Schwindel und Müdigkeit auf, die mit dem Schweregrad der Vergiftung zunehmen und in Koma, Apoplex, Krämpfen und Tod gipfeln können.
  • Befunde:Hypotonie.
  • Diagnostik:Säure-Basen-Haushalt, Elektrolyte, Nierenfunktion, Glukose, Leberfunktion, EKG.
  • Therapie:Aktivkohle, evtl. Magenspülung, Atropin und Kalzium i. v.

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Allgemeine Informationen

Definition

  • Kalziumantagonisten kommen bei der Behandlung von Angina pectoris, Hypertonie, hypertropher Kardiomyopathie, supraventrikulären Herzrhythmusstörungen und Migräne zum Einsatz.
  • Kalziumantagonisten haben einen enge therapeutische Breite, und die Einnahme von mehr als der empfohlenen Tageshöchstdosis kann zur Vergiftung führen.1
  • Todesursache bei Vergiftung sind Kreislaufversagen und Atemstillstand; dies tritt vor allem bei Überdosen von Verapamil und Diltiazem auf, die beide auf Herz und Gefäße wirken.
  • Todesfälle sind selten bei Vergiftungen mit Medikamenten, die primär auf die peripheren Gefäße wirken.

Häufigkeit

  • Relativ seltene Vergiftung

Ätiologie und Pathogenese

  • Kalziumantagonisten hemmen den Kalziumeinstrom in die Zellen, hauptsächlich in Herzmuskelzellen und Zellen der glatten Muskulatur in der Gefäßwand.
  • Dies führt zur Dilatation peripherer Gefäße, verminderter Kontraktilität der Myokards und reduzierter Leitungsfähigkeit im AV-Knoten.2

Toxikologie

  • Patienten, die mehr als das 5- bis 10-Fache der normalen Dosis einnehmen, können Zeichen einer schweren Vergiftung entwickeln.
  • Erhöhte Toxizität besteht bei Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen, bei Älteren und bei gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente mit einer Wirkung, die der von Betablockern entspricht.
  • Zwischen den verschiedenen Wirkstoffen bestehen große Unterschiede, auch im Hinblick auf die akut toxischen Dosen eines jeden einzelnen Wirkstoffs.
    • Diltiazem und Verapamil gelten als die toxischsten Kalziumblocker.3
  • Bei Patienten mit einer Vergiftung durch Kalziumantagonisten treten Symptome häufig innerhalb von 2–3 Stunden in Erscheinung, bei Depotpräparaten nach 8–15 Stunden.4

ICPC-2

  • A84 Vergiftung durch medizinische Substanz

ICD-10

  • T36-T50 Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen
    • ATC-Code: C08C

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Verdacht auf die Vergiftung basierend auf Anamnese und klinischen Befunden

Differenzialdisgnosen

Anamnese

  • Da die verschiedenen Kalziumantagonisten einen unterschiedlichen Wirkmechanismus haben (kardiale Wirkung im Vordergrund oder eher vaskuläre Wirkung), kann es zu variablen Vergiftungsmustern kommen.
  • Bei leichten Vergiftungen treten Schwindel und Müdigkeit auf, die mit dem Schweregrad der Vergiftung zunehmen und in Bewusstlosigkeit, Apoplex, Krämpfen bis hin zum Tod gipfeln können.
  • Kalziumantagonisten sind selten allein Auslöser einer schweren Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems. Sind die Patienten komatös, sollte eine Kombinationsvergiftung mit anderen Medikamenten als Ursache in Betracht gezogen werden.

Klinische Untersuchung

  • Hypotension, evtl. einhergehend mit Ischämiezeichen am häufigsten im Bereich der Nieren und des Magen-Darm-Traktes.
  • Bradykardie, besonders bei Vergiftung mit Verapamil oder Diltiazem
  • Bradyarrhythmie
  • Evtl. Kreislaufversagen bei schwerer Vergiftung

Ergänzende Untersuchungen (ggf. in der Klinik)

  • Säure-Basen-Haushalt, Elektrolyte, Nierenfunktionsparameter
  • Glukose
    • Hyperglykämie wird oft bei Vergiftung durch Kalziumantagonisten beobachtet wird durch gehemmten Insulinsekretion verursacht.
  • Leberfunktionsparameter
  • EKG
    • Das PQ-Intervall kann verlängert sein, seltener Veränderungen des QRS-Komplexes.
    • Arrhythmien vor allem durch Vergiftungen mit Verapamil

Therapie

Therapieziele

  • Den Blutdruck normalisieren.
  • Negative Inotropie aufheben.

Allgemeines zur Therapie

  • Patienten mit Kalziumantagonistenvergiftung sollten unmittelbar stationär eingewiesen werden (ggf. mit Notarztbegleitung).
  • Monitoring mit EKG und häufigen Blutdruckmessungen.
  • Die Behandlung orientiert sich an der Klinik, normalerweise der Hypotension, evtl. Kreislaufversagen oder den Arrhythmien. Es kann indiziert sein, mehrere der Therapievorschläge anzuwenden.
  • Überwachung/Monitoring: Asymptomatische Patienten werden mit EKG und Blutdruckkontrollern überwacht.
    • nach der Einnahme normaler Tabletten für 6–8 Stunden
    • nach der Einnahme von Depottabletten (außer Verapamil) für 18 Stunden
    • nach der Einnahme von Verapamil Depottabletten für 24 Stunden5

Medikamentöse Therapie (in der Klinik)

  • Evtl. Magenspülung und Kohletabletten nach allgemeinen Empfehlungen. Emetika sollten nicht verabreicht werden.
    • Bei Bradykardie sollte vor der Magenspülung Atropin verabreicht werden, um eine Verschlechterung durch eine Vagusstimulation zu vermeiden.
    • Nach der Einnahme von Depottablettem kann die Behandlung mit Aktivkohle im Abstand von 4 Stunden ein- bis zweimal wiederholt werden.
  • Initial werden Atropin und Kalzium intravenös verabreicht.
  • Atropin
    • Erwachsene 1–2 mg langsam i. v., ggf. Wiederholung nach 5 min bis zur Maximaldosis von insgesamt 3 mg
    • Kinder: 0,02–0,05 mg/kg KG langsam i. v. oder i. m. Die Gabe kann einmal wiederholt werden.
      • Wirkt auf Bradykardie, Pumpfunktion und Hypotonie.
      • Kann unwirksam sein, wenn parallel kein Kalzium gegeben wird.
      • Die Wirkung nimmt mit dem Schweregrad der Vergiftung ab.
  • Kalzium
    • Erwachsene Kalziumchlorid 5–10 mmol langsam i. v. über zentralen Venenkatheter oder Kalziumglukonat 5–10 mmol i. v. über peripheren Zugang
    • Wirkt Hypotonie entgegen und erhöht die Inotropie, übt allerdings kaum einen Effekt auf Bradykardie aus.6
    • Die Wirkung von Kalziuminfusionen nimmt mit dem Schweregrad der Vergiftung ab.
    • Bei gleichzeitiger Digoxinvergiftung ist Kalzium kontraindiziert.
    • Überwachung des Serumkalziums
  • Glukagon
    • Nomalerweise nur indiziert zur kurzzeitigen Überbrückung, bis andere Therapien durchgeführt werden können.
  • Vasopressoren/positiv-inotrope Medikamente
    • Sollen bei Hypotension und unzureichendem Ansprechen auf Flüssigkeitsgabe in Betracht gezogen werden.
    • Eine Indikation für eine Dobutamingabe besteht besonders, wenn kardioselektive Kalziumantagonisten eingenommen wurden.
    • Bei Vergiftungen mit gefäßselektiven Kalziumantagonisten wird Noradrenalin/Adrenalin empfohlen, entweder als Monotherapie oder in Kombination mit Dobutamin.
  • Hochdosiert Insulin mit Glukose5
    • Bei schweren und therapierefraktären Vergiftungen kann eine Behandlung mit einer hochdosierten Glukose-Insulin-Gabe erwogen werden.
    • Hat eine positiv-inotrope Wirkung und wirkt der Vasodilatation entgegen.
  • Wechselwirkung mit anderen Medikamenten gibt es kaum, und Insulin wirkt nicht arrhythmogen.

Weitere Therapieoptionen

  • Bei Herz-Kreislauf-Stillstand sollten Wiederbelebungsmaßnahmen über einen längeren Zeitraum erfolgen, evtl. mit Hilfe einer mechanischen Herzdruckmassage.
  • Bei schweren Vergiftungen und bei Therapieversagen kann ein Schrittmacher oder der Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine (ECLS und ECMO) indiziert sein.

Quellen

Literatur

  1. DeWitt CR, Waksman JC. Pharmacology, pathophysiology and management of calcium channel blocker and beta-blocker toxicity. Toxicological Reviews 2004;23:223-38.  PubMed
  2. Rizvi I, Ahmad A, Gupta a, Zaman S. Life-threatening calcium channel blocker overdose and its management. BMJ Case Reports 2012. pmid:22669854 www.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Hofer CA, Smith JK, Tenholder MF . Verapamil intoxication: a literature review of overdoses and discussion of therapeutic options.. Am J Med 1993; 95: 431. pmid:8213877 PubMed
  4. Tom PA, Morrow CT, Kelen GD. Delayed hypotension after overdose of sustained release verapamil. J Emerg Med 1994; 12: 621-5.  PubMed
  5. St-Onge M, Dubé PA, Gosselin S, et al. Treatment for calcium channel blocker poisoning: a systematic review. Clin Toxicol (Phila) 2014; 52:926.  PubMed
  6. Dolan DL. Intravenous calcium before verapmil to prevent hypotension. Ann Emerg Med 1991; 20: 588-9.  PubMed

Autoren

  • Marlies Karsch-Völk, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, München (Übernahme der NEL-Revision)
  • Silje Folven Barlindhaug, spesialist i allmennmedisin, redaktør NEL
  • Terje Johannessen, professor i allmennmedisin, Institutt for samfunnsmedisinske fag, Norges teknisk-naturvitenskapelige universitet, Trondheim

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