Synthetische Cannabinoide – „Spice“

Zusammenfassung

  • Definition:Synthetische Cannabinoide binden an Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn an und wirken agonistisch auf diese. In vielen Ländern werden sie legal (und über das Internet) verkauft, da sie die auf Rauschgifte ausgelegten Vorschriften umgehen.
  • Häufigkeit:Derartige Chemikalien sind wahrscheinlich bereits seit 2004 verfügbar, seither steigt die Verwendung stetig. Ständig werden neue chemische Verbindungen entwickelt, um die Vorschriften zu umgehen; mit den neuen Variationen steigt das Schadenspotenzial kontinuierlich.
  • Symptome:Ähnliche Symptome wie bei einem starken Cannabisrausch. Anwender können auf die Einnahme reagieren, indem sie „high“ werden und das Gefühl gesteigerter Energie haben oder müde, benommen und träge werden.
  • Befunde:Untersuchungen haben eine Einwirkung auf das ZNS nachgewiesen, auch generalisierte Krampfanfälle können auftreten. Herz und Kreislauf können beeinflusst werden, akute Herzinfarkte sind ebenfalls registriert worden.
  • Diagnostik:Synthetische Cannabinoide lassen sich nicht durch Standarduntersuchungen nachweisen, was in deren Vermarktung hervorgehoben wird.
  • Therapie:Vergiftungen werden symptomatisch behandelt. Häufig sind Beobachtung und eventuelle Flüssigkeitstherapie ausreichend, doch die Zahl der schädliche Nebenwirkungen und Todesfälle steigt.

Giftnotrufzentralen

Ort

Region

Telefon

Website

Berlin

B, BRA

030 19240

giftnotruf.charite.de

Bonn

NRW

0228 19240

www.gizbonn.de

Erfurt

MV, SAC, SAN, THÜ

0361 730730

www.ggiz-erfurt.de

Freiburg

BW

0761 19240

www.uniklinik-freiburg.de/giftberatung.html

Göttingen

HB, HH, NDS, SHO

0551 19240

www.giz-nord.de

Homburg/Saar

SAL

06841 19240

www.uniklinikum-saarland.de/giftzentrale

Mainz

RLP, HES

06131 19240

www.giftinfo.uni-mainz.de

München

BAY

089 19240

http://www.toxinfo.med.tum.de/node/380

Wien

A

+43 1 4064343

https://goeg.at/Vergiftungsinformation

Zürich

CH

145 (in CH), +41 44 2515151

https://toxinfo.ch

Allgemeine Informationen

Generell

  • Synthetische Cannabinoide sind als Ersatz für Cannabis (Haschisch und Marihuana) konzipiert, aber der Wirkstoff verändert sich ständig, um die Vorschriften zu umgehen. Das Ergebnis ist ein unberechenbares Rauschmittel, das eine viel stärkere und potenziell lebensbedrohliche Wirkung haben kann.
  • „Spice“ und „K2“ sind Bezeichnungen von Drogen, die zu dieser Kategorie gehören und die in Pulverform, als Mischungen getrockneter Kräuter oder Tabletten verkauft werden.
    • Im Allgemeinen werden die Drogen geraucht.
    • Die Produkte werden oft als legal vermarktet und als Chemikalien zu Forschungszwecken, Räucherwerk, Lufterfrischer u. Ä. verkauft.
    • Diese Rauschmittel können sehr stark wirksam sein, und man riskiert schon bei sehr kleinen Mengen schädliche Wirkungen.
    • Die aufgeführten Inhaltsstoffe sind meist unzureichend oder irreführend.1
  • Synthetische Cannabinoide erlangten als Droge erstmals um das Jahr 2004 internationale Aufmerksamkeit. Da kamen Pflanzen- und Kräutermischungen auf, die mit schwacher Rauschwirkung vermarktet wurden, wie man sie beim Cannabis-Rausch beobachtet. „Spice“ war einer der ersten verwendeten Markennamen und wird seither als generischer Markenname für derartige Mischungen verwendet2.
    • Zunächst nahm man an, die cannabisähnliche Wirkung rühre von den legalen Kräutern in dem Spice-Gemisch her.
    • Analysen des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Freiburg und des Bundeskriminalamts haben allerdings ergeben, dass nicht die angegebenen Kräuter, sondern synthetische Cannabinoide verantwortlich für die psychoaktiven Wirkungen sind. Der Hauptwirkstoff wird als „CP-47,497" bezeichnet.
    • Dieser Vertreter aus der Gruppe der so genannten „nicht klassischen" Cannabinoide weist strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, dem delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) auf.
    • Darüber hinaus wurde in einigen Proben das synthetische Cannabinoid „JWH-018" gefunden.1
    • Seit die analytische Identifizierung auch für klinische Fälle verfügbar ist, konnten nach Konsum synthetischer Cannabinoide häufiger toxische Begleitwirkungen nachgewiesen werden, als nach Einnahme von THC.3
    • Ebenso wurden Abhängigkeitszeichen beschrieben.4
  • Seit dem 22. Januar 2009 sind die synthetischen Cannabinoide „CD-47,497“ und „JWH-018“ dem deutschen Betäubungsmittelgesetz in Anlage II unterstellt. Damit ist jede Form von Herstellung, Handel, Erwerb und Besitz dieser Substanzen ohne Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittelsicherheit und Medizinprodukte verboten.

Häufigkeit

  • Synthetische Cannabinoide stellen eine zunehmende Gesundheitsgefährdung dar. Etwa 11 % aller High-School-Absolventen in den USA geben an, die Droge im vergangenen Jahr ausprobiert zu haben5.
  • Von 2008 bis 2011 wurden in der Giftnotzentrale Freiburg 48 Personen registriert, die notfallmedizinisch behandelt wurden und zugaben, synthetische Cannabinoide konsumiert zu haben. Von 29 Personen lagen auswertbare Daten vor. Viele der berichteten akuten Folgen sind auch von THC bekannt, darunter Unruhe, Angstsymptome und Halluzinationen.6

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Wirkung der synthetischen Cannabinoide ist auf eine Bindung an die Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn zurückzuführen, doch um die Gesetzgebung zu umgehen, enthalten diese keine Tetrahydrocannabinol (THC: die wichtigste psychoaktive Substanz in natürlichen Cannabisprodukten).
    • Die synthetischen Cannabinoide weisen im Vergleich zu organischem Cannabis eine völlig unterschiedliche Struktur auf, binden aber an denselben Rezeptoren an. Die Affinität kann bis zu 800-mal stärker sein im Vergleich zu Cannabis. Die Bindung an diese Rezeptoren löst den Rauscheffekt aus.
    • Die Hersteller scheinen gut über die jeweiligen nationalen Gesetzgebungen im Bilde zu sein und passen ihre Produkte dementsprechend schnell an.
  • Mehr als 240 verschiedene Varianten synthetischer Cannabinoide sind im Umlauf, und es scheint, als hätten die jeweils neuen Sorten ein immer höheres Schadenspotenzial als ihre Vorgänger.
  • Synthetische Cannabinoide haben oft eine höhere Toxizität als herkömmliches Cannabis und können Symptome hervorrufen, wie man sie bei der Einnahme sehr großer Mengen der gewöhnlichen Variante beobachten kann.
    • Da bereits sehr kleine Dosen wirksam sind, ist das Risiko einer ungenauen Abmessung und Dosierung (eine Gebrauchsdosis beträgt rund 3 mg) erhöht.
    • Variierende Wirkstoffmengen machen eine „richtige“ Dosierung schwierig.
  • Wirkungen
    • Herz/Gefäße: Hoher Blutdruck und Puls Brustschmerzen und Herzinfarkt
    • Beeinträchtigte Atmung
    • Erhebliche Störung des Elektrolythaushalts
    • Krämpfe und Bewusstlosigkeit
    • Fördert Psychosen, verschlimmert bekannte Erkrankungen und löst Anfälle in stärkerem Ausmaß als bei herkömmlichem Cannabis der Fall aus.7
    • Die Langzeitwirkungen bestehen in Nierenversagen5, Lungen- und psychischen Erkrankungen. Gedächtnis- und Lernprobleme, Stimmungsschwankungen, verminderte Schlafqualität und schlechte Aggressionskontrolle werden ebenfalls vermutet.
    • Vergiftungen, Unfälle und Suizide sind bei ansonsten gesunden Menschen nach dem Konsum synthetischer Cannabinoide dokumentiert.

Prädisponierende Faktoren

  • Drogensucht und problematisches Verhältnis zu Rauschmitteln
    • Suchtkranke unter Beobachtung können anfällig sein2. Einige synthetische Cannabinoide werden durch die üblichen Blut- und Urinproben nicht erfasst.
  • Die Händler versehen die Verpackungen oft mit Hinweisen wie „nicht zum Verzehr geeignet“ und verkaufen sie als „Dünger“ oder „Lufterfrischer“, um die Vorschriften zu umgehen. Dies steht im Kontrast zu dem ausgeklügelten Marketing und zur Bewerbung als alternatives Rauschmittel. Diffus und fehlerhaft aufgeführte Inhaltsstoffe erhöhen das Risiko von Dosierungsfehlern.
  • Da einige synthetische Cannabinoide in manchen Länder legal verkauft werden können, nehmen viele an, dass sie in der Anwendung relativ sicher sind.

ICPC-2

  • P19 Drogenmissbrauch

ICD-10

  • F12 Psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Einnahme synthetischer Cannabinoide

Differenzialdiagnosen

  • Rausch und durch ein anderes Rauschmittel ausgelöste Komplikationen
  • Psychische Erkrankungen
  • Angeborene Herzfehler oder andere Ursache für einen Herzinfarkt in jungen Jahren

Anamnese

  • Die Symptome treten nach dem Rauchen relativ schnell in Erscheinung, oft innerhalb von 30 Minuten.
  • Die Vergiftungssymptome halten oft weniger als acht Stunden an, aber die länger als 24 Stunden anhaltenden Symptome sind beschrieben worden.
  • Der Rausch kann sowohl positive als auch negative Symptome hervorrufen.
    • Positiv: Ein Gefühl des „High-Seins“, der gesteigerten Energie und Konzentration, verstärkter Appetit und Schwierigkeiten bei der Kontrolle des Lachens.
    • Negativ: Man wird müde, benommen und träge, kann Probleme mit der Erinnerung haben und Halluzinationen erleben. Nervosität, Angst, Paranoia und Unruhe, Übelkeit und Erbrechen begleitet von Brustschmerzen und Herzklopfen sind weitere mögliche Auswirkungen.

Klinische Untersuchung

  • Rote Augen, Somnolenz, Gedächtnisprobleme und Sprachstörungen sind bei einem Cannabis-Rausch nicht selten.
  • Die Einflussnahme auf das ZNS kann auch zu Verwirrung, Unruhe, Paranoia, Halluzinationen und Schwindel führen.
    • Generalisierte Krämpfe können auftreten.
  • Herz und Kreislauf: Tachykardie und Bluthochdruck werden häufig beobachtet, einige können aber auch mit Hypotonie und Bradykardie reagieren.
  • Hypokaliämie kann vorkommen und schwer sein.
  • Auch akutes Nierenversagen wird einigen synthetischen Cannabinoiden als Folgewirkung zugeschrieben1.

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Die meisten synthetischen Cannabinoide sind durch standardmäßige THC-Tests nicht zu erfassen2.

Weitere Untersuchungen

  • Analysen können durchgeführt werden, um eine Einnahme zu bestätigen/verneinen, sind aber irrelevant für die Behandlung der Vergiftung.
  • Die meisten synthetischen Cannabinoide werden durch standardmäßige THC-Tests nicht erfasst, was auch in der Vermarktung genutzt wird.3

Indikationen zur Überweisung

  • Bei behandlungsbedürftigen Symptomen werden die Patienten in einer geeigneten Räumlichkeit (Notaufnahme/Krankenhaus/Entzugsklinik) bis zum Ausklingen der Symptome beobachtet.

Therapie

Therapieziel

  • Verhinderung schädlicher Folgen des Rausches und eventuell prophylaktische Informationen (viele kennen die im Zusammenhang mit der Einnahme verbundenen Risiken nicht).

Allgemeines zur Therapie

  • Der Konsum synthetischer Cannabinoide kann schwere und potenziell lebensbedrohliche Vergiftungen mit sich bringen, die sofortige medizinische Behandlung erfordern.
    • Kann zu Herzinfarkt bei Jugendlichen führen.
  • Die prästationären Maßnahmen bei Vergiftung entsprechen den allgemeinen Notfallmaßnahmen zur Sicherung der Vitalfunktionen.3
  • Die Behandlung erfolgt symptomatisch.
    • Leichte Vergiftungen können in der Regel überwacht und mit Flüssigkeitstherapie behandelt werden.
    • Angst, Panikattacken und Unruhe werden bei Bedarf mit Beruhigungsmitteln behandelt.
    • Bei Psychosen kann eine antipsychotische Medikation erforderlich werden.

Medikamentöse Therapie

  • Die Empfehlung beschreibt nur die wichtigsten Merkmale der Vergiftung und Behandlung.
    • Bei behandlungsbedürftigen Symptomen werden die Patienten beobachtet, bis sie beschwerdefrei sind.
    • Flüssigkeitstherapie ist bei Hypotonie und Azidose meist ausreichend.
    • Benzodiazepine gegen Krämpfe und Angst
    • Bei Psychosen kann der Einsatz von Antipsychotika erwogen werden.

Weitere Behandlungen

  • Beobachtung

Prophylaktische Behandlung

  • Informationen zu mit synthetischen Cannabinoiden verknüpften Risiken

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Die Vergiftungssymptome halten oft weniger als acht Stunden an, aber die länger als 24 Stunden anhaltenden Symptome sind beschrieben worden.

Komplikationen

  • Akute Wirkung:
    • Herz/Gefäße: Hoher Blutdruck und Puls Brustschmerzen und Herzinfarkt
    • Beeinträchtigte Atmung
    • Erhebliche Störung des Elektrolythaushalts
    • Krampfanfälle, vermindertes Bewusstsein und Bewusstlosigkeit
  • Langzeitwirkungen
    • Niereninsuffizienz
      • Synthetische Cannabinoide liegen oft in Azeton gelöst vor, um sie auf eine Kräutermischung aufsprühen zu können; Azeton wirkt nephrotoxisch5.
    • Lungenerkrankung
    • Psychische Beschwerden
    • Offensichtlich sind Probleme im Zusammenhang mit dem Gedächtnis und der Lernfähigkeit, Stimmungsschwankungen, schlechter Schlafqualität und Aggressionskontrolle, die Dokumentation dazu ist jedoch schlecht.
  • Abhängigkeit2
    • Konsumiert man synthetische Cannabinoide regelmäßig, kommt es nach Beendigung der Einnahme zu Entzugserscheinungen (z. B. Schlafstörungen, Angst, Übelkeit, Schüttelfrost und Krämpfe).
    • Eine schnelle Toleranzentwicklung ist wahrscheinlich,
  • Todesfälle nach der Verwendung synthetischer Cannabinoide als Folge von Vergiftungen, Unfällen und Suizid.

Prognose

  • Der Inhalt der unterschiedlichen Sorten ist schlecht dokumentiert und ändert sich ständig. Künftige schädliche Wirkungen können daher schwierig vorausgesagt werden.
    • Von denen, die nach dem Konsum synthetischer Cannabinoide Psychosen entwickeln, sind ca. 30 % nach acht Monaten noch immer psychotisch.

Weitere Informationen

Patienteninformation

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Synthetische Cannabinoide häufiger und gravierendere unerwünschte Effekte als pflanzlicher Cannabis.7
  • Adressen und Telefonnummern der Giftinformationszentren: siehe http://www.giz-nord.de/cms/index.php/giftnotrufliste-lang.html
  • Drugcom: Das Internetportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu legalen und illegalen Drogen und zur Drogenberatung. drugcom.de

Quellen

Literatur

  1. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Drogenlexikon, Kapitel "Spice". Köln o.D. Drugcom. de. www.drugcom.de
  2. The European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA): Understanding the 'Spice' phenomenon, Lisbon, November 2009 www.emcdda.europa.eu
  3. Müller D, Desel H. Ursachen, Diagnostik und Therapie häufiger Vergiftungen. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(41): 690-700; DOI: 10.3238/arztebl.2013.0690. www.aerzteblatt.de
  4. Zimmermann US, Winkelmann PR, et al. Entzugszeichen und Abhängigkeitssyndrom nach „Spice Gold“-Konsum. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(27): 464-7; DOI: 10.3238/arztebl.2009.0464. www.aerzteblatt.de
  5. Buser GL, Gerona RR, Horowitz BZ, et al. Acute kidney injury associated with smoking synthetic cannabinoid. Clin Toxicol (Phila) 2014; 52: 556-73. pmid:25089722 PubMed
  6. Hermanns-Clausen, M., Kneisel, S., Szabo, B. & Auwärter, V. (2012). Acute toxicity due to the confirmed consumption of synthetic cannabinoids: Clinical and laboratory findings. Addiction 2013; 108(3): 534-544. onlinelibrary.wiley.com
  7. van Amsterdam J, Brunt T, van den Brink W. The adverse health effects of synthetic cannabinoids with emphasis on psychosis-like effects. Journal of Psychopharmacology. 2015: 29(3), 254-263. jop.sagepub.com

Autoren

  • Günter Ollenschläger, Prof. Dr. Dr. med., Internist, Uniklinikum Köln
  • Tor Andre Johannessen, Arzt und Redaktionsmitglied NEL

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit