Bewusstlosigkeit bei Erwachsenen

Hintergrund

  • Die jährliche Inzidenz des Herz-Kreislauf-Stillstands ausserhalb der Klinik in Europa liegt zwischen 67 und 170 / 100.000 Einwohner.1
  • Die schnelle Einleitung von Wiederbelebungsmaßnahmen ist von entscheidender Bedeutung bei Patient*innen mit Herz-Kreislauf-Stillstand.
  • Nicht nur professionelle Kräfte, sondern auch Laien sollten daher in der Lage sein, umgehend Erstmaßnahmen durchzuführen.
  • Die Laienreanimationsquote in Deutschland lag im Jahr 2020 bei 40% (bei 16.274 dokumentierten ausserklinischen Reanimationen).2
    • dies bedeutet eine positive Entwicklung im Vergleich zu den vergangenen Jahren.3
  • Verschiedene Initiativen sollen die Bereitschaft zur Reanimation weiter erhöhen:
  • Grosser Wert wird dabei auf die frühzeitige Ausbildung in den Schulen gelegt5
  • Die Sensibilisierung von Laien für das Thema auch durch Hausärzt*innen wäre wünschenswert.6 
  • 2021 Veröffentlichung aktualisierter Leitlinien zur Reanimation durch den ERC (European Resuscitation Council)7, Veröffentlichung auch in deutscher Sprache durch den Deutschen Rat für Wiederbelebung1

Basisreanimation durch Laien (Basic Life Support = BLS)

  • Siehe Artikel Basismaßnahmen zur Herz-Lungen-Wiederbelebung (Basic Life Support, BLS) bei Erwachsenen.
  • Laienreanimation kann die ersten 3 Glieder der Rettungskette abdecken.
  • Rettungskette:
    1. Erkennen des Kreislaufstillstands und Notruf
    2. frühe Wiederbelebung mit Herzdruckmassage (evtl. zusätzlich Beatmung)
    3. frühe Defibrillation (falls Automatisierter Externer Defibrillator = AED verfügbar)
    4. erweiterte Maßnahmen
    5. standardisierte Behandlung nach Reanimation.
  • Anleitung von Ersthelfern auch über das Telefon, im Allgemeinen durch die Leitstelle (Telefonreanimation)

Leitlinie: Praktisches Vorgehen beim Basic Life Support1,7,8

  • Erkennen des Kreislaufstillstands
    • Überprüfen, ob Person regiert:
      • Leicht an den Schultern schütteln.
      • Laute Frage: „Ist alles in Ordnung?"
  • Bei fehlender Reaktion Person auf den Rücken legen und Atemwege öffnen
    • Überstreckung des Kopfes und Anheben des Kinns.
  • Atmung kontrollieren
    • Sehen, Hören, Fühlen: max. 10 s zur Beurteilung
    • Wichtig: Schnappatmung ist als Atemstillstand zu werten!
  • Bei fehlender oder anomaler Atmung:
    • Notruf 112 (möglichst durch andere Ersthelfer*in, sonst selbst)
    • Falls AED (Automatisierter Externer Defibrillator) in der Nähe, durch weitere Helfer*in holen lassen.
  • Herzdruckmassage beginnen:
    • Oberkörper freimachen.
    • Thoraxkompression 100–120/min
      • Drucktiefe 5–6 cm
      • nach jeder Kompression vollständige Entlastung des Brustkorbs ohne Kontaktverlust
    • Bei geübten Helfern: nach jeweils 30 Kompressionen 2 Beatmungen Mund-zu-Mund, hierfür Unterbrechung der Kompression max. 10 s
      • Dauer der einzelnen Atemspende jeweils 1 Sekunde
      • Ziel ist die sichtbare Anhebung des Thorax.
    • Falls Beatmung durch Ersthelfer nicht durchführbar oder abgelehnt, alleinige kontinuierliche Thoraxkompression mit 100–120/min!
  • Einsatz des AED, sobald verfügbar
    • Gerät anschalten und Pads aufkleben.
      • Falls zweite Helfer*in anwesend, Herzdruckmassage während des Aufklebens fortsetzen.
    • Sprachanweisungen des Gerätes folgen 
      • für Rhythmusanalyse durch AED kurze Unterbrechung der Herzdruckmassage (Hände weg von Patient*in)
      • Bei Erkennung eines defibrillationsfähigen Rhythmus wird automatisch eine vorprogrammierte Schockenergie zur Verfügung gestellt (Ladephase für Thoraxkompressionen nutzen!).
      • Schockbereitschaft wird durch Signalton angezeigt, die Schockabgabe erfolgt durch Knopfdruck oder automatisch (Sprachwarnung: Patienten nicht berühren!).
      • Falls keine Schockabgabe ausgelöst oder empfohlen (wird vom AED angesagt), Fortsetzung der Herzdruckmassage (und Beatmung, falls möglich)
    • kurze Unterbrechung der Thoraxkompressionen alle 2 Minuten für Rhythmusanalyse
  • Falls kein AED verfügbar, Fortsetzung der Herzdruckmassage (und Beatmung, falls möglich), bis professionelle Hilfe eintrifft.

Vorgehen bei fehlender Reaktion, aber erhaltener Atmung

  • Patient*in in stabile Seitenlage bringen.
  • Ständige Bereitschaft zum Beginn einer kardiopulmonalen Reanimation, falls Verschlechterung eintritt.
  • Bei Unsicherheit über Atmung Beginn bzw. Wiederaufnahme der kardiopulmonalen Reanimation

Vorgehen bei einer Atemwegsverlegung durch Fremdkörper

  • Auftreten meistens beim Essen und Trinken
  • Frage an ansprechbare Patient*in: „Haben Sie einen Erstickungsanfall?"
  • Patient*in zum Husten auffordern.
  • Schläge auf den Rücken (5 x), falls durch Husten keine Besserung
    • Patienten dabei nach vorne beugen und Brustkorb von vorne mit einer Hand stützen.
    • mit dem Ballen der anderen Hand 5 kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter
  • 5 x Heimlich-Handgriff, falls durch Schläge auf Rücken keine Besserung
    • hinter Patient*in stellen, Arme um Oberbauch legen
    • eine Faust ballen und zwischen Nabel und Brustbein platzieren
    • Faust mit der anderen Hand fassen und ruckartig nach innen/oben ziehen
  • Falls Atemwege weiterhin verlegt, Wechsel zwischen Rückenschlägen (5 x) und Heimlich-Handgriff (5 x)
  • Wenn Bewusstlosigkeit eintritt, Beginn mit der Basisreanimation.

Erweiterte Reanimationsmaßnahmen für Rettungs- und Pflegepersonal (Advanced Life Support ALS)

Praktisches Vorgehen beim Advanced Life Support1,7,8

  • Erweiterte Maßnahmen erfordern mindestens 2 Helfer, folgende Maßnahmen sind vorgesehen:
    • Thoraxkompression/Beatmung 30:2
    • Defibrillator/EKG-Monitor anschließen.
  • Defibrillierbarer Rhythmus (Kammerflimmern/pulslose Kammertachykardie)
    • ein Defibrillationsversuch (120-360 J biphasisch, im Zweifel Maximalenergie) unmittelbar gefolgt von 2 min Kompression/Beatmung 30:2
    • anschließend erneute Rhythmusanalyse
    • falls notwendig 2. Schock unmittelbar gefolgt von 2 min Kompression/Beatmung 30:2
    • nach erneuter Rhythmusanalyse ggf. 3. Schock mit maximaler Energie
    • Adrenalin 1 mg / Amiodaron 300 mg nach 3. erfolglosem Schock
  • Nichtdefibrillierbarer Rhythmus (Asystolie, PEA = pulslose elektrische Aktivität)
    • Kompression/Beatmung 30:2
    • Atemwegssicherung/O2-Gabe
    • peripher-venöser (oder intraossärer) Zugang: Gabe von 1 mg Adrenalin
    • Kompression/Beatmung 30:2 für 2 min weiterführen.
    • erneute Rhythmusanalyse, ggf. wieder 1 mg Adrenalin usw.
  • Hinweise zur Herzdruckmassage
    • Helferwechsel bei jeder Rhythmuskontrolle
    • Herzdruckmassage darf nur kurz pausiert werden für:
      • Beatmung (2 x in 5 s)
      • Defibrillation (max. 5s, während des Ladevorgangs Kompression weiterführen)
      • max. 5 s für die Intubation
      • max. 10 s für Rhythmuskontrolle
  • Atemwegssicherung/Beatmung
    • Intubation nur von wirklich Erfahrenen!
      • Thoraxkompression nach Möglichkeit nicht unterbrechen
    • Alternativ Maskenbeatmung mit Beutel/Sauerstoff, falls keine ausreichende Erfahrung mit Intubation oder anderen Atemwegshilfen (z. B. Larynxmaske)
      • erleichterte Maskenbetamung mit Guedeltubus
    • bis zum Erreichen des Spontankreislaufs (ROSC = Return of Spontaneous Circulation) Beatmung mit 100 % O2, anschließend Ziel für periphere Sättigung 94–98 %
    • Kapnografie (CO2-Messung in der Ausatemluft) empfohlen für die Beurteilung der Effektivität der Reanimation
  • Medikation
    • Zugang für Medikamente
      • möglichst periphere Vene
      • falls i. v. nicht möglich, Gabe intraossär
      • Transbronchiale Gabe definitiv nicht mehr empfohlen!
    • Adrenalin
      • Adrenalin 1 mg i. v. (nachspülen mit NaCl) bevorzugter Vasopressor sowohl bei nichtdefibrillierbarem als auch bei defibrillierbarem Rhythmus
        • bei defibrillierbarem Rhythmus erste Gabe nach dem 3. Schock
        • Wiederholung bei fehlendem Kreislauf alle 3–5 min
    • Amiodaron
      • i.v. Bolus 300 mg indiziert bei Persistenz von Kammerflimmern oder pulsloser Tachykardie trotz 3 Schocks (Wiederholungsbolus von 150 mg möglich)
    • Magnesium
      • bei Torsades-des-Pointes-Tachykardie oder Digitalisintoxikation Gabe von 2 g Magnesium i. v. über 1–2 min möglich
    • Atropin
      • Nicht mehr empfohlen bei Reanimation!
  • Ultraschalluntersuchung während der Reanimation
    • „Point-of- Care-Ultraschall" (POCUS) während der Reanimation zur Feststellung reversibler Ursachen (z. B. Tamponade, Pneumothorax) eines Kreislaufstillstands sinnvoll
    • erfahrener Untersucher für Durchführung während Reanimation erforderlich

Versorgung nach erfolgreicher Reanimation durch BLS oder ALS

Grundlagen der Postreanimationsbehandlung

  • Der Artikel basiert auf diesen Referenzen.1,7-8
  • Diagnose der Ursache
    • Je nach klinischer Einschätzung zunächst Koronarangiografie (bei V.a. Myokardischämie) oder CT (bei V.a. respiratorische/neurologische Ursache)
  • Herz-Kreislauf
    • Bei ST-Hebungen im EKG oder hoher Wahrscheinlichkeit eines koronaren Ereignisses notfallmässige Koronarangiografie mit ggf. PCI
    • Blutdruck auf Niveau einstellen, das ausreichende Urinproduktion und normales/sinkendes Laktat ermöglicht.
      • zusätzlich zur anzustrebenden Normovolämie ggf. Gabe von Vasopressoren/Inotropika
    • Echokardiografie zur Beurteilung der Herzfunktion initial und im Verlauf
    • ev. mechanische Kreislaufunterstützung
  • Beatmung
    • Normokapnie und Normoxämie anstreben (O2-Sättigung 94–98 %).
    • Hyperventilation und Hyperoxygenierung vermeiden.
  • Temperaturmanagement
    • Temperatur 32–36 °C für > 24 h
    • Fieber vermeiden für mindestens 72 h.
  • Blutzucker
  • Krampfanfälle/Myoklonien
    • häufig nach Herzkreislaufstillstand/Reanimation
    • EEG-Diagnostik, medikamentöse Behandlung (Levetiracetam und Natrium-Valproat als first-line Antiepileptika)
  • Prognosebeurteilung (frühestens 72h nach ROSC): multimodaler Ansatz
    • Klinik (neurologische Untersuchung)
    • Bildgebung (CT/MRT)
    • elektrophysiologische Untersuchung (EEG, evozierte Potentiale)
    • Biomarker (NSE)

Rehabilitation

    • vor Krankenhausentlassung Bewertung der körperlichen und geistigen Funktionalität, ggf. Einleitung einer Frührehabilitation
    • Follow-up für alle Überlebenden eines Kreislaufstillstand innerhalb von 3 Monaten einschließlich
      • Screening auf kognitive Probleme
      • Screening auf emotionale Probleme und Müdigkeit
      • Informationen / Unterstützung für Überlebende und Angehörige

ICD-10

  • R40.2 Bewusslosigkeit o.n.A.

Patienteninformationen

Illustrationen

Weitere Informationen

Quellen

Leitlinien

  • European Resuscitation Council. Guidelines for Resuscitation, Stand 2021. www.cprguidelines.eu
  • Deutscher Rat für Wiederbelebung. Reanimationsleitlinien, Stand 2021. www.grc-org.de
  • Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Pocket-Leitlinie: Kardiopulmonale Reanimation, Stand 2021. www.leitlinien.dgk.org

Literatur

  1. Deutscher Rat für Wiederbelebung. Reanimationsrichtlinien 2021. www.grc-org.de
  2. Deutsches Reanimationsregister. Ausserklinische Reanimation 2020. www.reanimationsregister.de
  3. Deutsches Ärzteblatt. Nachrichten - Thema Reanimation: Anästhesisten sehen Fortschritte bei der Laienreanimation. 01.03.18. Zugriff 29.12.22. www.aerzteblatt.de
  4. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Ein Leben retten. Zugriff 29.12.22. www.dgai.de
  5. Notfallmediziner: Schüler sollen Wiederbelebung lernen. aerzteblatt.de 14.10.22. Zugriff 29.12.22 www.aerzteblatt.de
  6. Ahne T. Reanimation – eine „Teamsportart“. Allgemeinarzt online 21.03.2014. Zugriff 23.03.18 www.allgemeinarzt-online.de
  7. European Resuscitation Council. Guidelines for Resuscitation 2021. www.cprguidelines.eu
  8. Schöls W, Bauersachs J, Frey N, et al. DGK-Pocketleitlinie Kardiopulmonale Reanimation. Stand 2021. leitlinien.dgk.org
  9. Perkins GD, Handley AJ, Koster RW et al. ERC Leitlinien. Notfall Rettungsmed 2015; 18:748-769. ERC, GRQ, ARC 2015.
  10. Trappe H, Arntz H, Klein H, et al. DGK Pocket-Leitlinie Kardiopulmonale Reanimation. Stand 2015. leitlinien.dgk.org
  11. Deutscher Rat für Wiederbelebung. Reanimationsrichtlinien 2015. www.grc-org.de
  12. European Resuscitation Council. Guidelines for Resuscitation 2015. cprguidelines.eu

Autoren

  • Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.

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