Hypothyreose in der Schwangerschaft

Zusammenfassung

  • Definition:Unterfunktion der Schilddrüse in der Schwangerschaft.
  • Häufigkeit:0,4 % aller Schwangeren haben eine manifeste Hypothyreose.
  • Symptome:Müdigkeit, Kälteintoleranz, Trägheit, Obstipation und trockenes und dünnes Haar.
  • Befunde:Psychomotorische Trägheit, trockene Haut, trockenes Haar, verlangsamte Reflexe und ein langsamer Puls.
  • Diagnostik:Erhöhte TSH-Werte (in der Schwangerschaft gelten abhängig vom Trimenon andere Grenzwerte).
  • Therapie:Medikamentös mit Levothyroxin (L-Thyroxin). Bei subklinischer Hypothyreose Notwendigkeit der Substitution abhängig von Höhe des TSH sowie möglichem Nachweis von Anti-TPO-Antikörpern.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) kann entweder schon vor der Schwangerschaft bestehen oder während der Schwangerschaft entstehen.1
  • Eine manifeste mütterliche Schilddrüsenunterfunktion während der Schwangerschaft kann die geistige Entwicklung des Kindes beeinträchtigen, deswegen sollte eine Schilddrüsenunterfunktion möglichst frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden.2
  • Außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für Fehl- oder Frühgeburten sowie eine höhere perinatale Sterblichkeit.2

Häufigkeit

Physiologie während der Schwangerschaft

  • Das humane Choriongonadotropin (HCG) hat eine stimulierende Wirkung auf den TSH-Rezeptor und hemmt die Ausschüttung von TSH, was zu einem physiologisch erniedrigten TSH-Spiegel führt, der in der 8.–12. SSW am stärksten ausgeprägt ist. Während der Schwangerschaft gilt deshalb ein niedrigerer TSH-Referenzbereich.
    • Die europäische Leitlinie empfiehlt folgende Referenzwerte:4
      • 1. Trimenon: 0,1–2,5 mU/l
      • 2. Trimenon: 0,2–3,0 mU/l
      • 3. Trimenon: 0,3–3,5 mU/l.
    • Die amerikanische Leitlinie weist darauf hin, dass nach Möglichkeit durch lokale Bevölkerungsdaten spezifische Referenzwerte für die jeweiligen Trimena erstellt und genutzt werden sollten.5
    • Solche spezifischen Werte liegen für Deutschland jedoch nicht vor (Stand 01/2021).
  • Der Jodbedarf steigt in der Schwangerschaft an. Dies ist einerseits auf die erhöhte Produktion von Schilddrüsenhormonen (das ungeborene Kind benötigt Jod für die eigene Produktion von Schilddrüsenhormonen) und andererseits auf die erhöhte Jodausscheidung in den Nieren zurückzuführen.
    • Eine jodarme Ernährung kann zu einer Struma bei Mutter und Kind führen.
    • Es kann zu einer Hypothyreose und eingeschränkter intellektueller Entwicklung beim Kind kommen.
  • Die Produktion von T4 und T3 steigt im Laufe der Schwangerschaft um etwa 50 % an. Gründe dafür sind u. a. die erhöhte Konzentration von Östrogen und damit von Thyroxin bindendem Globulin (TBG) sowie der effektive Abbau von T4 und T3, der in der Plazenta stattfindet.
    • Das Kind ist bis zum 5. Schwangerschaftsmonat auf das T4 der Mutter angewiesen, da die Schilddrüse zuvor nicht voll entwickelt ist.
    • Bei Frauen, die bereits mit Levothyroxin behandelt werden, kann sich der Bedarf in der Schwangerschaft um bis zu 50 % erhöhen.3

ICPC-2

  • T86 Hypothyreose / Myxödem
  • W84 Hochrisikoschwangerschaft

ICD-10

  • O99.2 Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten, die Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett komplizieren
  • E03.9 Hypothyreose, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Bei gut eingestellten Patientinnen liegen vor und während der Schwangerschaft keine spezifischen klinischen Befunde einer Hypothyreose vor.
  • Bei einer neu auftretenden oder unbehandelten Hypothyreose kann Folgendes feststellbar sein:
    • Struma
    • trockene, kalte und blasse Haut, trockenes und sprödes Haar
    • Ödeme
    • Bradykardie
    • verlangsamte Reflexe und psychomotorische Trägheit.
  • Im frühen Stadium sind die Symptome und Befunde vage und variieren stärker.

Weitere Diagnostik, ggf. bei Spezialist*in

Labor

  • Nach einer Radiojodtherapie oder einer operative Therapie eines Morbus Basedow
    • Bestimmung der TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) im 1. und im 3. Trimenon

Screening

  • Es wird kein generelles Screening auf Hypothyreose in der Schwangerschaft empfohlen.6
  • Ein Screening mit Bestimmung von TSH und FT4  wird bei Feststellung einer Schwangerschaft für Patientinnen mit folgenden Risikofaktoren empfohlen:6
    • vorausgegangene Schilddrüsenerkrankung: behandelte Hyperthyreose, postpartale Thyreoiditis oder Schilddrüsenoperation
    • familiäre Prädisposition für Schilddrüsenerkrankungen: autoimmune Stoffwechselerkrankungen, Struma
    • bekanntermaßen erhöhter Spiegel von Schilddrüsenantikörpern: TRAK und/oder TPO-AK
      • Beim Nachweis von TPO-AK besteht ein gering erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer manifesten Hypothyreose.1
    • Symptome einer Schilddrüsenerkrankung
    • Typ-1-Diabetes
    • andere Autoimmunerkrankungen.
  • Bestimmung von Anti-TPO-Antikörpern:

Sonografie

  • Die Durchführung einer Sonografie ist bei Patientinnen mit erhöhten TSH-Werten verzichtbar, da keine Relevanz für die Therapieentscheidung bei Patientinnen mit erhöhten TSH-Werten besteht.1

Schilddrüsenszintigrafie

  • Die Schilddrüsenszintigrafie zur Funktionstopografie der Schilddrüse darf in der Schwangerschaft nicht durchgeführt werden.7

Indikationen zur Überweisung

  • Eine Hypothyreose in der Schwangerschaft sollte in Zusammenarbeit zwischen Hausärzt*in, Endokrinolog*in und Gynäkolog*in behandelt werden.

Checkliste zur Überweisung

Hypothyreose in der Schwangerschaft

  • Zweck der Überweisung
    • Diagnostik und/oder Behandlung
  • Anamnese und Klinik
    • Wann wurde die Diagnose Hypothyreose gestellt? Primäre oder sekundäre Hypothyreose?
    • Symptome und etwaige Befunde beschreiben.
    • Behandlung, Dosierung von Medikamenten
    • Schwangerschaftsfortschritt (Termin und Gestationsalter in Wochen + Tagen)
  • Ergänzende Untersuchungen

Therapie

Therapieziele

  • Es sollte ein euthyreoter Zustand angestrebt werden.
  • Dadurch verringert sich das Risiko von Schwangerschaftskomplikationen und von neurokognitiven Anomalien des Kindes.

Allgemeines zur Therapie

  • Mittel der Wahl ist Thyroxin.2
  • Die meisten Patientinnen mit bereits behandelter Hypothyreose benötigen direkt nach dem Nachweis der Schwangerschaft eine Erhöhung der Thyroxin-Dosis.
    • Nach der Geburt kann in der Regel zur ursprünglichen Dosis von vor der Schwangerschaft zurückgekehrt werden.
  • Bei einer subklinischen Hypothyreose ist die Substitutionstherapie abhängig von der Höhe des TSH sowie des möglichen Anti-TPO-Antikörper-Nachweises.8

Supplementation von Jod

  • Schwangeren wird in Deutschland eine Supplementation von 100–150 µg Jod/d empfohlen.9
    • Bei Schilddrüsenerkrankungen sollten Betroffene vor der Supplementation Rücksprache mit den behandelnden Ärzt*innen halten.

Medikamentöse Therapie

Leitlinie: Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis 1

Präparate

  • Bei Patientinnen mit behandlungsbedürftiger Hypothyreose sollte Levothyroxin substituiert werden.
  • Eine Therapie mit T3, T3/T4-Kombinationen bzw. natürlichen Schilddrüsenhormonen sollte nicht verordnet werden.

Einnahme

  • Die Resorption von Levothyroxin ist durch Lebensmittel (z. B. Milch) und andere Medikamente (z. B. Östrogene, Salicylate, Phenytoin) beeinflusst.
    • Einnahme mit Wasser
    • zeitlicher Abstand zu Mahlzeit oder anderer Medikamenteneinnahme mindestens 30 min
    • regelmäßiger Einnahmezeitpunkt mindestens 30 min vor dem Frühstück oder abends vor dem Schlafengehen

Manifeste Hypothyreose

  • Im 1. Trimenon steigt der Thyroxin-Bedarf um ca. 30 %, im 2. Trimenon ist meist eine weitere Dosiserhöhung erforderlich, und zwar von 40–50 % verglichen mit der Ausgangsdosis vor der Schwangerschaft.2
    • Zu empfehlen ist eine Einstellung nach Bestimmung der individuellen Werte.
    • Eine Kontrolle der Schilddrüsenparameter (TSH, FT4) wird alle 4–8 Wochen sowie 4 Wochen nach einer Dosisanpassung empfohlen.
  • Behandlungsziel (TSH-Wert innerhalb des trimenonspezifischen Normwerts) laut der europäischen Leitlinie:4
    • 1. Trimenon: 0,1–2,5 mU/l
    • 2. Trimenon: 0,2–3,0 mU/l
    • 3. Trimenon: 0,3–3,5 mU/l.
  • Die amerikanische Leitlinie weist darauf hin, dass nach Möglichkeit durch lokale Bevölkerungsdaten spezifische Referenzwerte für die jeweiligen Trimena erstellt und genutzt werden sollten.5
  • Solche spezifischen Werte liegen für Deutschland jedoch nicht vor (Stand 01/2021).

Latente Hypothyreose5

  • Medikamentöse Substitutionstherapie soll durchgeführt werden bei:
    • Nachweis von Anti-TPO-Antikörpern und TSH oberhalb des trimenonspezifischen Normbereichs
    • TSH > 10 mU/l, auch ohne Nachweis von Anti-TPO-Antikörpern
  • Medikamentöse Substitutionstherapie kann durchgeführt werden bei:
    • Nachweis von Anti-TPO-Antikörpern und TSH > 2,5 mU/l, aber unterhalb der trimenonspezifischen Obergrenze des Normbereichs
    • TSH oberhalb der trimenonspezifischen Obergrenze des Normbereichs, aber < 10 mU/l, auch ohne Nachweis von Anti-TPO-Antikörpern
  • Bei Frauen mit rezidivierenden Spontanaborten und latenter Hypothyreose kann eine Schilddrüsenhormon-Substitution allein zum Zwecke der Abort-Prophylaxe durchgeführt werden.10

Empfehlungen für Patientinnen

  • Zusätzlich zu einem Jodpräparat ist eine gute Jodzufuhr mit der Nahrung über täglich Milch- und Milchprodukte, ein- bis zweimal wöchentlich Fisch, vor allem Seefisch, und die zusätzliche Verwendung von Jodsalz empfehlenswert.9

Prävention

  • Eine bekannte Hypothyreose sollte bereits präkonzeptiell therapiert werden.10

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Während der Schwangerschaft kommt es zu einer physiologischen Steigerung des Stoffwechsels.
  • Dies sollte bei Patientinnen, die bereits wegen einer Hypothyreose in Behandlung sind, durch eine Erhöhung der Levothyroxin-Dosis kompensiert werden.

Komplikationen

  • Eine unbehandelte Hypothyreose wirkt sich sowohl auf den Schwangerschaftsverlauf als auch auf das Kind negativ aus.
  • Folgen einer (nicht korrigierten) Hypothyreose während der Schwangerschaft:
  • Folgen eines herabgesetzten Stoffwechsels für das Kind:
    • erhöhtes Risiko einer Frühgeburt und eines geringen Geburtsgewichts sowie erhöhte perinatale Mortalität2
    • evtl. verzögerte neurologische Entwicklung und verringerter IQ des Kindes11

Prognose

  • Wird die Hypothyreose behandelt und der TSH-Wert innerhalb des empfohlenen Bereichs gehalten, ist die Prognose günstig.

Verlaufskontrolle

  • Cave bei Frauen, bei denen eine Hypothyreose bereits bekannt ist: 85 % der Frauen mit manifester Hypothyreose benötigen eine höhere Thyroxindosis in der Schwangerschaft!2
    • Eine Kontrolle der Schilddrüsenparameter (TSH, FT4) wird alle 4–8 Wochen sowie 4 Wochen nach einer Dosisanpassung empfohlen.
  • Der Levothyroxin-Bedarf nimmt nach der Geburt rasch wieder ab, kann jedoch leicht über dem ursprünglichen Bedarf vor der Schwangerschaft liegen, falls sich das Gewicht der Patientin erhöht hat.
  • Nach der Entbindung sollte die Thyroxindosis auf das Niveau vor der Schwangerschaft reduziert werden.2
    • 4–6 Wochen später sollten die Schilddrüsenparameter (TSH, FT4) kontrolliert werden.
  • Weitere Kontrollen sind 6 Monate und 1 Jahr nach Entbindung zu empfehlen.4

Patienteninformationen in Deximed

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Diagnostik und Therapie beim wiederholten Spontanabort. AWMF-Leitlinie Nr. 015-050. S2k, Stand 2018. www.awmf.org
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie Nr. 053-046. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
  • European Thyroid Association Guidelines for the Management of Subclinical Hypothyroidism in Pregnancy and in Children. Stand 2014. www.pubmed.gov
  • Guidelines of the American Thyroid Association for the Diagnosis and Management of Thyroid Disease During Pregnancy and the Postpartum. Stand 2017. www.pubmed.gov

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Erhöhter TSH-Wert in der Hausarztpraxis. AWMF-Leitlinie Nr. 053-046. S2k, Stand 2016. www.awmf.org
  2. Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie. Hypothyreose. www.embryotox.de. Letzter Zugriff 18.01.2021. www.embryotox.de
  3. Brabant G. Erkrankungen der Schilddrüse. Harrisons Innere Medizin. 19. Auflage 2016 Thieme-Verlag S. 2816ff.
  4. Lazarus J, Brown RS, Daumerie C et al. 2014 European Thyroid Association Guidelines for the Management of Subclinical Hypothyroidism in Pregnancy and in Children. Eur Thyroid J 2014; 3: 76-94. pmid:25114871 www.ncbi.nlm.nih.gov
  5. Alexander EK, Pearce EN, Brent GA et al. 2017 Guidelines of the American Thyroid Association for the Diagnosis and Management of Thyroid Disease During Pregnancy and the Postpartum. Thyroid 2017; 27: 315-89. pmid:28657477 pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Hubert M. Kein generelles TSH-Screening bei Schwangeren. gynäkologie + geburtshilfe 2019; 24: 58. link.springer.com
  7. Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin. Schilddrüsenszintigraphie. AWMF-Leitlinie Nr. 031–011. S1, Stand 2014. www.nuklearmedizin.de
  8. Stagnaro-Green A, Abalovich M, Alexander E, et al. Guidelines of the American Thyroid Association for the Diagnosis and Management of Thyroid Disease During Pregnancy and Postpartum. Thyroid 2011;21: 1081-1125 www.ncbi.nlm.nih.gov
  9. Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in der Schwangerschaft. Presseinformation vom 22.09.20. Letzter Zugriff 18.01.2021. www.dge.de
  10. Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Diagnostik und Therapie beim wiederholten Spontanabort. AWMF-Leitlinie Nr. 015/050. Stand 2018. www.awmf.org
  11. Reid SM, Middleton P, Cossich MC, Crowther CA, Bain E. Interventions for clinical and subclinical hypothyroidism pre-pregnancy and during pregnancy. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, 5: CD007752. DOI: 10.1002/14651858.CD007752.pub3 DOI

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Innere Medizin, Frankfurt
  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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