Hypokaliämie

Zusammenfassung

  • Definition:Serumkaliumspiegel < 3,5 mmol/l.
  • Häufigkeit:Bei unselektierten Patient*innen > 55 Jahre in Hausarztpraxis Prävalenz von 2,5 %. Bei hospitalisierten Patient*innen etwa 20 %.
  • Symptome:Unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Muskelschwäche.
  • Befunde:Keine typischen klinischen Befunde.
  • Diagnostik:Bestimmung des Serumkaliums. Zur Ursachenfindung genaue Anamnese (u. a. Medikamenteneinnahme, Erbrechen, Diarrhö, Polyurie, Ernährungsgewohnheiten). Falls nicht zielführend, nächster diagnostischer Schritt Bestimmung Kalium im Urin zur Unterscheidung zwischen renalem und nicht-renalem Kaliumverlust.
  • Therapie:In der Regel geht Hypokaliämie durch Therapie der Grunderkrankung zurück; ggf. orale Substitution, in schweren Fällen intravenöse Substitution.

Allgemeine Informationen

Definition

Einteilung

  • Leichte Hypokaliämie: 3,0–3,4 mmol/l
  • Mittelgradige Hypokaliämie: 2,5–2,9 mmol/l
  • Schwere Hypokaliämie: < 2,5 mmol/l

Häufigkeit

  • Prävalenz
    • bei unselektierten Patient*innen > 55 Jahre in Hausarztpraxis: 2,5 %2
      • Verhältnis Frauen zu Männern = 2:1
    • bei hospitalisierten Patient*innen: 20 %3

Ätiologie und Pathogenese

  • Kaliumhaushalt vor allem über Nieren reguliert, die für 90 % der Kalium-Exkretion verantwortlich sind.4
    • Die restlichen 10 % werden über den Stuhl ausgeschieden; bei Niereninsuffizienz Hochregulation der Ausscheidung über Stuhl.
  • 5 Ursachen der Hypokaliämie sind bekannt:4
    1. renaler Verlust (mit Abstand häufigste Ursache)
      • medikamenteninduziert: vor allem Diuretika (Thiazide, Schleifendiuretika), aber auch z. B. hochdosiertes Penicillin G
      • primärer oder sekundärer Hyperaldosteronismus
      • Hypomagnesiämie (Magnesium inhibiert exkretorische Kaliumkanäle)
      • seltene Erkrankungen: z. B. Bartter-Syndrom, Gitelman-Syndrom oder Liddle-Syndrom
    2. nichtrenaler Verlust
      • Diarrhö, Einnahme von Laxantien
      • Erbrechen
    3. intrazellulärer Kalium-Shift
      • klassisch bei Insulin oder Beta2-Sympathomimetika wie Salbutamol
    4. verminderte Kalium-Aufnahme (selten)
      • bei stark verminderter Nahrungsaufnahme, z. B. im Rahmen einer Demenz oder Anorexia nervosa
    5. Pseudo-Hypokaliämie (selten)
      • Bei Leukozytenzahlen > 75.000 x 106/ml (z. B. AML) und Lagerung von Blutproben bei Raumtemperatur können Leukozyten Kalium aufnehmen.
  • Auswirkungen einer Hypokaliämie
    • Kalium ist quantitativ gesehen das wichtigste Ion zur Ausbildung des Ruhemembranpotenzials.
    • Hypokaliämie erzeugt eher negatives Ruhemembranpotenzial. 
      • Die Zellen sind somit weniger stark erregbar.
    • Auswirkungen sind an vielen Organsystemen möglich, insbesondere Muskulatur, Herz-Kreislauf-System, zentralem Nervensystem, Nieren sowie Gastrointestinaltrakt.5

Prädisponierende Faktoren

  • Nierenerkrankung
  • Einnahme von Diuretika, insbesondere Schleifendiuretika
  • Hyperglykämie (osmotische Diurese)
  • Diarrhö und Erbrechen
  • Laxanzienabusus
  • Hypovolämie/Dehydratation (Aktivierung Renin-Angiotensin-Aldosteron-System)
  • Hyperaldosteronismus (Conn-Syndrom)
  • Magnesiummangel
  • Einnahme von Insulin oder β2-Sympathomimetika (Kaliumverschiebung in Zellen)
  • Sehr geringe Aufnahme von Kalium über Ernährung

ICPC-2

  • T99 Endo./metab./ernäh. Erkrank., andere

ICD-10

  • E87.6 Hypokaliämie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Serumkaliumspiegel < 3,5 mmol/l
    • Bei der Blutentnahme möglichst wenig stauen, um den Kaliumwert nicht fälschlich zu erhöhen.
  • Mit einer ausführlichen Anamnese ist die Ursache meistens eruierbar.4
    • bei unklaren Fällen weitere Diagnostik mit Kalium-Bestimmung im Urin einleiten

Differenzialdiagnosen

  • Pseudohypokaliämie (siehe Abschnitt Ätiologie und Pathogenese
    • bei stark erhöhter Leukozytenzahl und Lagerung der Blutprobe bei Raumtemperatur

Anamnese

  • Häufig Zufallsbefund, Symptome treten in der Regel erst ab Serumkalium < 3 mmol/l auf.4-5
    • Die Symptomatik ist abhängig vom Schweregrad der Hypokaliämie sowie der zeitlichen Entstehung (abrupt oder schleichend).
  • Zur Ursachenfindung Frage nach:
    • Medikamenteneinnahme, u. a.:
      • Diuretika, Antibiotika, Laxanzien (vermehrte Kaliumausscheidung)
      • Insulin, Beta2-Sympathomimetika (Kaliumverschiebung in Zellen).
    • Erbrechen, Diarrhö
    • starker Flüssigkeitsverlust, z. B. durch Schwitzen
      • Volumenmangel aktiviert das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System und verstärkt die Kalium-Ausscheidung.
    • Ernährungsgewohnheiten (mangelhafte Aufnahme)
    • Polyurie (z. B. osmotische Diurese bei Diabetes)
  • Die häufigste Symptomatik ist Müdigkeit und Muskelschwäche.4
    • erklärbar durch verminderte Erregbarkeit der Zellen aufgrund des negativen Membranpotenzials
    • Bei schwerer Hypokaliämie ist auch Rhabdomyolyse möglich.
  • Bei Beteiligung der glatten Muskulatur z. B. Obstipation oder Ileus
  • Herzrhythmusstörungen mit Palpitationen und Tachyarrhythmien4
    • Risiko bei Einnahme von Digitalis stark erhöht
  • Neurologische Manifestationen wie Delir, Halluzinationen oder Depression

Klinische Untersuchung

  • Volumenstatus: Anhalt für Volumenmangel?
    • verminderter Hautturgor mit stehenden Hautfalten
    • trockene Schleimhäute
  • Blutdruck
  • Orientierende Untersuchung der Muskulatur
    • Verminderte Kraft?
    • Reduzierte Reflexe?

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

    • Bei anamnestisch eindeutiger Ursache ist in der Regel keine weitere Diagnostik notwendig.
    • Bei begleitender Hypertonie wird ein Screeningtest auf Hyperaldosteronismus mittels Aldosteron-Renin-Quotient empfohlen.6
      • Der Quotient ist bei Hyperaldosteronismus deutlich erhöht.
    • Bei unklarer Ätiologie ist eine weitere Diagnostik notwendig.4
      • Bestimmung von Serum-Magnesium 
      • Kalium im 24-Stunden-Sammelurin oder Kalium/Kreatinin-Ratio im Spontan-Urin
        EKG-Veränderungen bei Hypokaliämie
        EKG-Veränderungen bei Hypokaliämie
        • renaler Kalium-Verlust als Ursache für Hypokaliämie wahrscheinlich bei Kalium > 30 mmol/l im Sammelurin bzw. Kalium/Kreatinin-Ratio > 1,5
    • bei schwerer Hypokaliämie Überprüfung von akuten Komplikationen:
      • Kreatinkinase (CK) zum Ausschluss einer Rhabdomyolyse
      • Säure-Base-Haushalt: meist Azidose
      • EKG zum Ausschluss von Rhythmusstörungen
        • typisch im EKG: muldenförmige ST-Senkungen, Abflachung der T-Welle und U-Welle nach T-Welle5

Indikationen zur Überweisung/Klinikeinweisung

  • Bei schwerer Hypokaliämie (Serumkalium < 2,5 mmol/l) oder Anhalt für akute Organschäden, wie z. B. Herzrhythmusstörungen, Einweisung in Krankenhaus
    • stationär intravenöse Kaliumsubstitution
  • Bei unklarer Ursache und persistierender Hypokaliämie Überweisung an eine endokrinologische Praxis

Therapie

Therapieziele

  • Normalisierung des Kaliumspiegels
  • Behebung der Ursache
  • Verhindern von Komplikationen

Allgemeines zur Therapie

  • Schnelle Behebung der Ursache anstreben.
  • Abhängig von Schweregrad der Hypokaliämie und Symptomatik orale oder intravenöse Kalium-Substitution
  • Nicht immer ist eine Substitution notwendig.
    • Beispiel: Hypokaliämie durch Dauermedikation mit Thiazid kann oft mit kaliumsparendem Diuretikum behoben werden.
    • Kalium-Brausetabletten sind erst ab Serumkalium < 3,2 mmol/l zugelassen.7

Empfehlungen für Patient*innen

  • Lebensmittel, die viel Kalium enthalten:4
    • Bananen, getrocknete Früchte (Pflaumen, Datteln, Feigen), Spinat, Brokkoli, Kiwi, Mango, Orangen, Tomaten, Avocado
    • 1 Banane enthält etwa 20 mmol Kalium.

Medikamentöse Therapie

  • Um Komplikationen durch ein verändertes Membranpotenzial bei Hypokaliämie vorzubeugen, sollte eine ausgeprägte Hypokaliämie in der Regel durch orale oder intravenöse Substitution ausgeglichen werden.

Orale Substitution

  • Nach Möglichkeit orale Substitution der intravenösen Gabe vorziehen (sofern keine Indikation für i. v. Behandlung vorliegt; s. u. für Indikationen).5
  • Beispiele für Substitution
    • Kalium-Brausetabletten7
      • 1 Brausetablette mit 40 mmol Kalium
      • Dosierung: Richtet sich nach dem zu ersetzenden Defizit, wobei im Allgemeinen 40–80 mmol Kalium pro Tag ausreichen. Maximaldosis 160 mmol pro Tag.
      • Einnahme zu den Mahlzeiten verbessert die gastrointestinale Verträglichkeit.
      • Cave: Dauerhafter Gebrauch kann schädlich für die Zähne sein (Karies).
    • Kalium-Retardkapseln8
      • 1 Hartkapsel mit 8 mmol Kalium
      • Dosierung: Zur Behandlung eines manifesten Kaliummangels mit 3 x 2 Kapseln täglich beginnen. Danach die Dosierung den individuellen Bedürfnissen der Patient*innen anpassen.
      • Einnahme: zu den Mahlzeiten unzerkaut mit reichlich Flüssigkeit (wenigstens Inhalt eines Wasserglases entsprechend)
      • Bei Schluckbeschwerden kann die Kapsel geöffnet werden. Inhalt (retardierte Mikropellets) wird in flüssiger bzw. halbfester Nahrung suspendiert eingenommen.
      • Auch eine dauerhafte Substitution ist bei nicht behebbarer Ursache der Hypokaliämie möglich.

Indikationen für intravenöse Behandlung9

  • Serumkaliumspiegel < 2,5 mmol/l
  • Rückläufige Werte trotz oraler Kaliumpräparate
  • Serumkaliumspiegel < 3,0 mmol/l bei hohem Risiko von Arrhythmien (Digitalis, Herzerkrankungen usw.)
  • Serumkaliumspiegel < 4,0 mmol/l bei wiederholten Fällen einer ventrikulären Tachykardie (Torsades de Pointes)
  • Fehlende orale Aufnahmemöglichkeit, z. B. schweres Erbrechen und Diarrhö5
  • Cave: nach Möglichkeit Gabe über zentralen Venenkatheter, da Kalium venenreizend!

Weitere Maßnahmen

  • Pausieren von Laxanzien und Diuretika (Thiazide, Schleifendiuretika)
  • Behandlung von Erbrechen und Diarrhö, z. B. durch Antiemetikum
  • Bei dauerhafter Notwendigkeit von Diuretika, z. B. bei Herzinsuffizienz, Einsatz von kaliumsparenden Diuretika (Amilorid oder Aldosteron-Antagonisten wie Spironolacton)4

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • In der Regel sind erst ab Serumkaliumspiegel < 3,0 mmol/l Symptome zu erwarten.
  • Unbehandelt kann Hypokaliämie zu schweren Komplikationen bis hin zu letalen Herzrhythmusstörungen führen.

Komplikationen

  • Herzrhythmusstörungen
  • Rhabdomyolyse
  • Verstärkung der Toxizität von Digitalis
    • Hypokaliämie ist der häufigste Auslöser für Digitalisvergiftung bei Herzinsuffizienz.
    • Patient*innen werden oft mit hohen Dosen von Diuretika behandelt.
    • Digitalispräparate wirken durch Hemmung der Natrium-Kalium-Pumpe (3 Na+/2 K+-ATPase), die Na+ aus der Zelle und K+ in die Zelle pumpt und damit zur Erhöhung des intrazellulären Na+ und Ca2+ führt. K+ und Digitalispräparate konkurrieren um die Bindung an Na+-K+-ATPase. Geringeres extrazelluläres (K+) verstärkt so die Wirkung von Digitalispräparaten.
  • Neurologische Störungen, wie Psychosen oder Halluzinationen
  • Muskelschwäche bis Paralyse
  • Obstipation bis paralytischer Ileus
  • Störungen des Säure-Basen-Haushalts

Prognose

  • Abhängig von Schweregrad der Hypokaliämie 
  • Durch Behebung der Ursache häufig Erreichen der physiologischen Kaliumspiegel
    • Oft reicht die Substitution über Tage bis Wochen für den Ausgleich des Kaliumdefizits aus.8
    • Dauerhafte Substitution ist nur selten notwendig.

Verlaufskontrolle

  • Engmaschige Kontrollen des Kaliumspiegels u. a. in folgenden Situationen sinnvoll:
    • neue Therapie oder Dosiserhöhung von Thiaziden und Schleifendiuretika
    • Dauermedikation mit Digitalis
    • bei schweren gastrointestinalen Infekten mit Diarrhö und Erbrechen
    • bekannte Niereninsuffizienz
    • während der Substitutionstherapie von Kalium.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Die erhöhte Aufnahme von kaliumhaltigen Lebensmitteln ist eine Alternative zur medikamentösen Substitution bei chronischen Erkrankungen bzw. nicht behebbaren Ursachen der Hypokaliämie.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

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EKG-Veränderungen bei Hypokaliämie: abgeflachte T-Welle, betonte U-Welle, ST-Senkung, QT-Verlängerung

Quellen

Literatur

  1. Viera AJ. Potassium disorders: Hypokalemia and hyperkalemia. Am Fam Physician 2015 Sep 15; 92(6): 487-495. www.aafp.org
  2. Liamis G, Rodenburg EM, Hofman A, et al. Electrolyte disorders in community subjects: prevalence and risk factors. Am J Med 2013; 126(3): 256–63. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  3. Lippi G, Favaloro EJ, Montagnana M, et al. Prevalence of hypokalaemia: the experience of a large academic hospital. Intern Med J 2010; 40(4): 315-6. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  4. Tinawi M. Hypokalemia: A Practical Approach to Diagnosis and Treatment. Arch Clin Biomed Res 2020; 4(2): 48-66. fortuneonline.org
  5. Kardalas E, Paschou SA, Anagnotis P, et al. Hypokalemia: a clinical update. Endocrine Connections 2018; 7(4): 135-46. ec.bioscientifica.com
  6. Schmidmaier R, Reincke M. Fortschritte in der Endokrinologie: Was für den Hausarzt wichtig ist. MMW - Fortschritte der Medizin 2018; 160: 54-58. link.springer.com
  7. Desma GmbH. Fachinformation Kalinor-Brausetablette. Stand 2008. Letzter Zugriff 20.10.2021. www.pharmatrix.de
  8. Desma GmbH. Fachinformation Kalinor Retard Hartkapsel. Stand 2010. Letzter Zugriff 20.10.2021. s3.eu-central-1.amazonaws.com
  9. Tazmini K. Hypokalemi. Norsk legemiddelhåndbok. Sist oppdatert 20.02.2017.

Autor*innen

  • Lino Witte, Dr. med., Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Frankfurt
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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