Leistenhernie

Zusammenfassung

  • Definition:Ausstülpung von Fettgewebe, Bauchfell und evtl. Darmanteilen und/oder Bauchorganen im Bereich des Leistenkanals.
  • Häufigkeit:Inzidenz von Leistenhernien bei Kindern bei 0,8–4,4 % (häufiger bei Jungen). Lebenszeitrisiko, eine Leistenhernie zu entwickeln, liegt für Frauen bei 3 %, für Männer bei 27 %.
  • Symptome:Schmerzen und Schwellungen in der Leiste, stärker bei Inkarzeration, bei Säuglingen manchmal nur erhöhte Reizbarkeit.
  • Befunde:Schwellung in der Leiste, bei Inkarzeration Fieber und Ileus-Symptomatik möglich.
  • Diagnostik:Klinisch, ggf. Sonografie und MRT oder CT möglich.
  • Therapie:In der Regel operativ, nur in seltenen Fällen „Watchful Waiting“ möglich, eine Inkarzeration ist ein Notfall mit sofortiger OP-Indikation.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Bei einer Leistenhernie kommt es zur Ausstülpung von Fettgewebe, Bauchfell und evtl. Darmanteilen und/oder Bauchorganen im Bereich des Leistenkanals.
  • Man unterscheidet je nach Bruchpforte direkte (mediale) oder indirekte (laterale) Leistenbrüche.
  • Die direkten Leistenbrüche sind immer erworben, die indirekten können erworben oder angeboren sein.
  • Eingeklemmter Leistenbruch (inkarzerierte Inguinalhernie)
    • Eine inkarzerierte Inguinalhernie liegt vor, wenn sich der Inhalt des Bruchsacks nicht in die Abdominalhöhle zurückschieben lässt (Inkarzeration).
    • Wenn die Blutversorgung, z. B. für eine Darmschlinge, im Bruch beeinträchtigt wird, wird der Bruch abgeklemmt (abgeschnürt); es kommt zu einer ischämischen Nekrose, und das Risiko einer Darmperforation besteht.

Häufigkeit

  • Bei Kindern liegt die Inzidenz von Leistenhernien bei 0,8–5 %, bei Frühgeborenen sogar bei 30 %, Jungen sind deutlich häufiger betroffen.1
  • Bei Erwachsenen liegt das Lebenszeitrisiko, eine Leistenhernie zu entwickeln, für Frauen bei 3 %, für Männer bei 27 %.2
  • Indirekte Leistenhernien sind häufiger.3 
  • Das Risiko, eine Leistenhernie zu bekommen, steigt mit dem Alter.4
  • Die rechte Seite ist häufiger betroffen.
  • Die Leistenhernien-Operation ist die häufigste Operation der Viszeral- und Allgemeinchirurgie.2

Ätiologie und Pathogenese

Indirekter Leistenbruch

  • Nach dem Abstieg des Hodens ins Skrotum bleibt der Processus vaginalis geöffnet, und es kann zu einem Durchtreten von Bauchrauminhalten kommen (angeborener Leistenbruch).
    • Die rechte Seite ist durch den späteren Abstieg des rechten Hodens häufiger betroffen.
  • Bei einem erworbenen Leistenbruch weitet sich der Processus vaginalis später wieder, wahrscheinlich ist auch eine Störung der Extrazellulärmatrix daran beteiligt.2
  • Die Bruchpforten sind der innere und äußere Leistenring.

Direkter Leistenbruch

  • Der direkte Leistenbruch ist immer erworben.
  • Hier liegt die Bruchpforte innen am Hesselbach-Dreieck, außen am äußeren Leistenring, der Bruchsack liegt medial vom Samenstrang.

Schenkelhernie oder Femoralhernie

  • Seltenere Hernienform, immer erworben, meist bei älteren Frauen
  • Der Bruch tritt unterhalb des Leistenbandes vor.
  • Die Gefahr der Inkarzeration liegt bei 30 %.2

Inkarzeration

  • Gelangen Teile des Darms oder von Organen aus dem Inneren der Bauchhöhle in den Bruchsack, kann es zu Einklemmungen oder Inkarzerationen kommen.
  • Eine unbehandelte inkarzerierte Hernie kann zu einer Perforation, Abszessbildung, PeritonitisIleus oder einem septischen Schock führen.

Prädisponierende Faktoren

  • Geschlecht
  • Frühgeburt
  • Erbliche Disposition/familiäres Vorkommen
  • Bindegewebserkrankungen bzw. veränderter Kollagenmetabolismus
  • Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung
  • Nikotinabusus
  • Intraabdominelle Druckerhöhungen

ICPC-2

  • D89 Leistenhernie

ICD-10

  • K40 Hernia inguinalis
    • K40.0 Doppelseitige Hernia inguinalis mit Einklemmung, ohne Gangrän
    • K40.1 Doppelseitige Hernia inguinalis mit Gangrän
    • K40.2 Doppelseitige Hernia inguinalis, ohne Einklemmung und ohne Gangrän
    • K40.3 Hernia inguinalis, einseitig oder ohne Seitenangabe, mit Einklemmung, ohne Gangrän
    • K40.4 Hernia inguinalis, einseitig oder ohne Seitenangabe, mit Gangrän
    • K40.9 Hernia inguinalis, einseitig oder ohne Seitenangabe, ohne Einklemmung und ohne Gangrän

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Druckgefühl, evtl. eine tastbare Vorwölbung im Bereich der Leiste
  • Verstärkung der Vorwölbung im Stehen oder beim Husten
  • Bei Inkarzeration treten sehr starke Schmerzen auf, die Vorwölbung lässt sich nicht reponieren.
    • Es kommt zu Abwehrspannung des Abdomens, Erbrechen, Übelkeit, bei septischem Verlauf Fieber und Hypotonie
    • Betroffene Kindern sind manchmal lediglich unruhig und weinen anhaltend. Schließlich kommt es zu Erbrechen.

Differenzialdiagnosen

  • Hydrozele des Hodens oder des Samenstrangs
  • Hodentorsion
  • Hodenhochstand
  • Hämatom
  • Lymphknoten
  • Bestehen Leistenschmerzen ohne palpable Vorwölbung, ist differenzialdiagnostisch auch an andere Schmerzsyndrome zu denken (Tendinitis der Adduktoren, ausstrahlende LWS-Schmerz, Osteitis des Os pubis u. a.).5

Anamnese

  • Patient*innen klagen über Schmerzen in der Leiste, im Genitalbereich oder bei der Miktion.2
  • Es kann zu verändertem Miktionsverhalten, vermehrter Peristaltik und Tenesmen kommen.
    Inguinalhernie.jpg
    Inguinalhernie
  • Die Vorwölbung ist dauerhaft sichtbar oder wird deutlich, wenn die Patient*innen stehen, husten oder auf andere Weise den abdominalen Druck erhöhen.
  • Die Hernie kann mit der Zeit größer werden und zu stärkeren Beschwerden führen.
  • Bei Inkarzeration
    • starke Schmerzen
    • Hernie lässt sich nicht reponieren.
    • Bei Säuglingen kann Reizbarkeit das einzige Symptom sein; evtl. Fütterungsprobleme, unruhiges Kind, ständiges Weinen.
    • Begleitsymptome können Übelkeit und Erbrechen sein.

Klinische Untersuchung

  • Vorwölbung in der Leiste
    • Die Palpation der Leiste sollte bei stehenden und liegenden Patient*innen erfolgen.
  • Inkarzeration1
    • sehr starke Schmerzen
    • Die Hernie ist nicht reponibel.
    • Tachykardie und Fieber

Ergänzende Untersuchungen

  • Eine Diaphanoskopie kann als Abgrenzung zu einer Hydrozele hilfreich sein.
  • Ultraschall bei unklarem Befund.6
    • Allerdings sollte bei Verdacht auf Inkarzeration eine OP nicht verzögert werden.
  • CT bzw. MRT können die Diagnose bei unklarem klinischem Befund unterstützen.7
  • Labor: Kontrolle der Elektrolyte und Entzündungsparameter bei inkarzerierten Hernien

Indikationen zur Klinikeinweisung

  • Einweisung sofort bei Verdacht auf eine inkarzerierte Hernie
  • Bei Kindern besteht bei Leistenhernien immer eine Indikation zur Operation, bei Frühgeborenen ist der Eingriff i. d. R. vor der Entlassung nach Hause sinnvoll.1

Therapie

Therapieziele

  • Bei Inkarzerationen ist eine sofortige Operation notwendig.
  • Begleitbeschwerden beseitigen.
  • Inkarzeration verhindern.
    • Kleine Brüche neigen dazu, sich zu vergrößern.
  • Rezidiv vorbeugen.

Allgemeines zur Therapie

  • Die Art des chirurgischen Eingriffs sollte nach der Expertise der Operateur*innen, der lokalen Ressourcen sowie den patienten- und herniebezogenen Faktoren ausgewählt werden.7

Leitlinie: OP-Zeitpunkt bei Kindern1

  • Elektiv
    • asymptomatische Leistenhernie (innerhalb 1 Monats)
    • bei Frühgeborenen i. d. R. vor Entlassung nach Hause sinnvoll
  • Früh-elektiv
    • symptomatische Leistenhernie (24–48 Stunden nach Reposition in Sedierung), sofern dann nicht gleich OP
  • Notfall
    • inkarzerierte Leistenhernie
  • Inguinalhernie bei kleinen Kindern
    • Heilt nicht spontan und muss ausreichend schnell operiert werden, um eine Inkarzeration zu verhindern.
    • 10 % der Kinder haben eine Hernie auch auf der Gegenseite, hier ist eine Ultraschalluntersuchung sinnvoll.8
  • Inguinalhernie bei erwachsenen Männern
    • Empfehlung zur operativen Therapie
    • Bei asymptomatischen und nicht progredienten Leistenhernien ist „Watchful Waiting“ als Alternative möglich.2
  • Leistenhernie bei Frauen
    • Eine baldige Operation wird empfohlen, da bei Frauen häufiger eine Femoralhernie vorliegt, deren Inkarzerationsgefahr größer ist.
  • Eine inkarzierte/eingeklemmte Hernie stellt einen Notfall mit sofortiger Operationsindikation dar.

Operative Therapie

Elektive Operation

  • Der Eingriff kann als offene Operation oder laparoskopisch durchgeführt werden.9
  • Als Operationstechnik kommen entweder Nahtverfahren oder Netzverfahren in Betracht.2
  • Netzverfahren weisen eine geringere Rezidivrate auf und sollten heute die Methode der Wahl sein.5,10
    • Zu den Nahttechniken gehören die Operationen nach Bassini, Shouldice oder auch Desarda.2
    • Die Lichtensteinoperation ist ein Standardverfahren mit Netz über einen anterioren Zugang.
    • Als endoskopischen Verfahren gibt es die TAPP (transabdominelle präperitoneale Hernioplastik) oder TEP (totale extraperitoneale Hernioplastik).
  • Die verschiedenen Netzoperationen gelten als gleichwertige Operationsverfahren, die Auswahl wird v. a. durch die Expertise der Chirurg*innen bestimmt.

Inkarzerierte Hernien

  • Eine inkarzerierte Hernie stellt eine Indikation zur sofortigen Operation dar.
  • Ein durch die Ischämie nekrotisch gewordener Darmabschnitt muss ggf. entfernt werden.

Rezidivoperation

  • Auch ein Rezidiv einer Leistenhernie kann mit den o. g. Operationen versorgt werden; es kann sinnvoll sein, einen anderen Zugang als bei der ersten Operation zu wählen.2

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Eine Hernie kann sich mit der Zeit vergrößern.
  • Sehr große Hernien inkarzerieren seltener.
  • Rezidive nach einer Operation sind nicht unüblich.

Komplikationen

  • Eine inkarzerierte Hernie kann zu Darmnekrose, Peritonitis und Hodennekrose führen.11
  • Mögliche negative Auswirkungen einer Narkose auf die neurologische Entwicklung der Kinder1
  • Notoperation oder elektive Operation
    • Das Komplikationsrisiko ist bei Notoperationen bis zu 20-mal höher als bei elektiven Operationen.
  • Postoperative Komplikationen
    • Serome
    • Hämatome
    • Wundinfektionen
    • Verletzung der Harnblase
    • Hodenatrophie

Prognose

  • Rezidive sind häufiger bei:2
    • direkten Hernien
    • Frauen
    • Vorliegen einer Gleithernie
    • Nikotinabusus.
    • Die Rezidivrate einer Operation ohne Netz ist 5-fach höher als mit Netz.
  • Chronische postoperative inguinale Schmerzen (CPIP) treten bei etwa 10–12 % der Patient*innen auf.7
    • seltener nach laparoskopisch-endoskopischen Operationen2
    • Bei Erwachsenen, die als Kinder an einem Leistenbruch operiert wurden, kommt es bei ca. 3 % zu chronischen Leistenschmerzen.12

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Inguinalhernie.jpg
Eine Leistenhernie kann sich sichtbar vorwölben, wenn der Patient steht, hustet oder auf andere Weise den abdominellen Druck erhöht.
IMG_2638 (1).jpg
Leistenhernie rechts.

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie. Leistenhernie, Hydrozele. AWMF-Leitlinie Nr. 006-030. S1, Stand 2020. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie. Bauchschmerz bei Kindern – Bildgebende Diagnostik. AWMF-Leitlinie Nr. 064-016. S1, Stand 2020. www.awmf.org

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie. Leistenhernie, Hydrozele. AWMF-Leitlinie Nr. 006-030, Stand 2020 www.awmf.org
  2. Berger D: Evidence-based hernia treatment in adults. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 150–8.DOI: 10.3238/arztebl.2016.0150 www.aerzteblatt.de
  3. Shah AR. Hernia reduction. Medscape, last updated April 2020 emedicine.medscape.com
  4. de Goede B, Timmermans L, van Kempen BJ, et al. Risk factors for inguinal hernia in middle-aged and elderly men: Results from the Rotterdam Study. Surgery 2015; 157: 540-6. pmid:25596770 PubMed
  5. Simons MP et al. European Hernia Society guidelines on the treatment of inguinal hernia in adult patients. Hernia. 2009; 13(4): 343–403. www.ncbi.nlm.nih.gov
  6. Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie, Bauchschmerz bei Kindern - Bildgebende Diagnostik. AWMF-Leitlinie 064-016. Stand 2020 www.awmf.org
  7. European Hernia Society.Summary of The International Guidelines For Groin Hernia Management. EHS 2018. Zugriff 12.12.2020 www.europeanherniasociety.eu
  8. Kaneda H, Furuya T, Sugito K, Goto S, Kawashima H, Inoue M, et al. Preoperative ultrasonographic evaluation of the contralateral patent processus vaginalis at the level of the internal inguinal ring is useful for predicting contralateral inguinal hernias in children: a prospective analysis. Hernia. 2015; 19(4):595-8. PubMed
  9. Esposito C, St Peter SD, Escolino M, Juang D, Settimi A, Holcomb GW 3rd. Laparoscopic versus open inguinal hernia repair in pediatric patients: a systematic review. J Laparoendosc Adv Surg Tech A. 2014 Nov. 24(11):811-8. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  10. Miserez M, Peeters E, Aufenacker T, et al.: Update with level 1 studies of the European Hernia Society guidelines on the treatment of inguinal hernia in adult patients. Hernia 2014; 18: 151–63 www.ncbi.nlm.nih.gov
  11. Hebra A. Pediatric hernias. Medscape, last updated Oktober 2018. emedicine.medscape.com
  12. Zendejas B et al. Impact of childhood inguinal hernia repair in adulthood:50 years of follow-up. A Am Coll Surg 2010.211(6) :762-8 www.ncbi.nlm.nih.gov

Autor*innen

  • Monika Lenz, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Neustadt am Rübenberge
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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