APC-Resistenz/Faktor-V-Leiden-Mutation

Zusammenfassung

  • Definition:Fehlende oder reduzierte antithrombotische Wirkung des aktivierten Proteins C, die meist auf einer Mutation im für den Koagulationsfaktor V kodierenden Gen beruht.
  • Häufigkeit:Die Faktor-V-Leiden-Mutation ist die häufigste Ursache für eine erbliche Thrombophilie in der weißen Bevölkerung (40–50 % aller Fälle). Bei 20–25 % aller Patienten mit einer Venenthrombose liegt eine Faktor-V-Leiden-Mutation vor.
  • Symptome:Vor dem Eintreten einer venösen Thromboembolie gibt es keine Symptome.
  • Befunde:Meist asymptomatisch; evtl. erhöhte Thromboseneigung.
  • Diagnostik:Im Zuge der Thrombophilie-Abklärung: Test auf APC-Resistenz; ggf. Diagnosesicherung und Differenzierung in homo- vs. heterozygoten Befall im Gentest auf die Faktor-V-Leiden-Mutation (oft nicht notwendig).
  • Therapie:Die Grunderkrankung kann nicht behandelt werden, venöse Thromboembolien werden nach gängigen Leitlinien behandelt. Prophylaktische Heparinisierung bei Schwangeren mit erhöhtem Thromboembolierisiko.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Fehlende oder reduzierte antithrombotische Wirkung des aktivierten Proteins C
  • Beruht in erster Linie auf einer Mutation im für den Koagulationsfaktor V kodierenden Gen.
  • Diese Mutation wird auch Faktor-V-Leiden-Mutation genannt.

Häufigkeit

  • Prävalenz heterozygote Form1-2
    • USA und Europa gesamt: 3–8 %
      • weiße US-Bevölkerung: 5,2 %
      • Afroamerikaner: 1,2 %
    • Westdeutschland: 5,1 %
    • Norddeutschland: 12 %
    • Südschweden und Griechenland: 10–15 %
    • Italien und Spanien: 2–3 %
  • Eine Faktor-V-Leiden-Mutation ist die häufigste Ursache für eine erbliche Thrombophilie in der weißen Bevölkerung (40–50 % aller Fälle).
    • Heterozygote machen 90–95 % der Fälle einer angeborenen APC-Resistenz aus.
      • Als APC-Resistenz bezeichnet man Störungen der Hämostase, die durch eine zu schwache Antwort auf aktiviertes Protein C (APC) gekennzeichnet sind. Patienten mit APC-Resistenz haben eine erhöhtes Risiko für Venenthrombosen. Ursache: verlängerte Thrombinbildung durch Beeinträchtigung der APS-induzierten Proteolyse der Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa.
    • Homozygote stellen weniger als 1 % der Personen mit der Faktor-V-Leiden-Mutation.
    • Auch andere, seltenere Mutationen im für den Faktor V kodierenden Gen an anderen Positionen oder in Form von Polymorphismen mit unterschiedlicher klinischer Bedeutung kommen vor.
      • Beispiele dafür sind die Faktor-V-Liverpool- und die Faktor-V-Cambridge-Mutation.
  • Heterozygote Personen haben gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein 3- bis 8-mal höheres Risiko für venöse Thrombembolien.2
  • Homozygote Patienten haben gegenüber der Allgemeinbevölkerung ein 9- bis 80-mal höheres Risiko.2
  • 20–25 % aller Patienten mit einer Venenthrombose haben eine Faktor-V-Leiden-Mutation.3
  • Bei Thrombosen in der Schwangerschaft wurde eine APC-Resistenz bei etwa 30 % der Betroffenen nachgewiesen.
  • Das Risiko einer Venenthrombose während der Schwangerschaft ist bei Personen, die für die Faktor-V-Leiden-Mutation heterozygot sind, trotzdem sehr gering.4
  • Obwohl sich das Risiko für eine venöse Thrombose erhöht, bekommen nur etwa 10 % aller Heterozygoten mit Faktor-V-Leiden-Mutation im Lauf ihres Lebens eine venöse Thrombose.4

Ätiologie und Pathogenese

  • Angeborene Form
    • Fast allen Fällen einer APC-Resistenz liegt eine heterozygote oder homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation zugrunde.
  • Erworbene Form
    • Zieht man zur Diagnose die verlängerte aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) mit und ohne Gabe von aktiviertem Protein C heran, lässt sich auch eine APC-Resistenz bei Personen ohne Faktor-V-Leiden-Mutation nachweisen.
    • Ein modifizierter Test der „zweiten Generation“ verwendet Faktor-V-defizientes Plasma mit einer Heparin-neutralisierenden Substanz. Mit diesem sehr kostspieligen Test kann eine Faktor-V-Leiden-Thrombophilie mit einer Sensitivität und Spezifität nahe 100 % nachgewiesen werden.2
  • Pathophysiologie
    • Der Faktor V ist ein inaktiver Kofaktor. Thrombin aktiviert den Faktor V, wodurch der Faktor Va gebildet wird, der bei der Umwandlung von Prothrombin in Thrombin eine Rolle spielt.
    • Bei einer Faktor-V-Leiden-Mutation wird an der Position 506 Arginin durch Glutamin ersetzt.
    • Das normale Faktor-Va-Molekül wird von aktiviertem Protein C in 3 Stufen inaktiviert.
    • Die genannte Mutation verhindert die erste Stufe dieser Inaktivierung (die Spaltung einer Peptidbindung an Position 506) und verlangsamt den Prozess.
    • Der an Position 506 durch das aktivierte Protein C gespaltene Faktor Va gilt ebenfalls als Kofaktor für das aktivierte Protein C in der Antikoagulation.
    • Die bei einer Faktor-V-Leiden-Mutation erhöhte Thromboseneigung beruht wahrscheinlich sowohl auf der langsameren Inaktivierung des mutierten Faktors Va als auch auf der geminderten Antikoagulation, die auftritt, wenn kein an der Position 506 gespaltener Faktor Va gebildet wird.
  • Personen mit Blutgruppe 0 und Faktor-V-Leiden-Mutation haben möglicherweise ein geringeres Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) als Personen mit anderen Blutgruppen, was möglicherweise auf einen niedrigeren Spiegel des Von-Willebrand-Faktors/Faktors VIII zurückzuführen ist.

Disponierende Faktoren

  • Mutation des Faktor-V-Leiden bei nahen Verwandten

ICPC-2

  • B99 Blut-/Lymph-/Milzerkrankung, andere

ICD-10

  • D68.5 Primäre Thrombophilie

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Molekulargenetisch nachgewiesene Faktor-V-Leiden-Mutation oder andere bekannte Mutationen, die zu einer Resistenz gegenüber aktiviertem Protein C führen.
  • Alternativ: Positiver APC-Resistenz-Test der „zweiten Generation“ (s. o.)

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Klinische Untersuchung

  • Keine speziellen

Diagnostik beim Spezialisten

Thrombophiliediagnostik

  • Sollte man auf Faktor-V-Leiden-Thrombophilie testen?
    • Es besteht zunehmend Einigkeit darüber, dass eine routinemäßige Testung nicht zu empfehlen ist.2
      • Der Nutzen einer nachgewiesenen heterozygoten Mutation ist unklar.
      • Von einer Testung gesunder Personen ist ausdrücklich abzuraten.6
      • Es ist zu befürchten, dass die Testung mehr Unsicherheit und Angst erzeugt, als dass Thrombembolien wirksam vermieden werden.6
    • bei einer akuten Venenthrombose6
      • Die Thrombophilieabkärung hat keine Bedeutung für die initiale Therapie.
      • In seltenen Fällen ist sie für die geplante Dauer der Antikoagulation relevant.
    • Die meisten Personen, die heterozygot für die Faktor-V-Leiden-Mutation sind, werden nie eine Venenthrombose erleben (nur bei 10 % von ihnen kommt es im Laufe des Lebens dazu).4
    • Die größte klinische Bedeutung hat die Untersuchung wahrscheinlich in Familien, in denen es bereits zu Venenthrombosen gekommen ist (weil in diesen Familien wahrscheinlich eine Mutation oder Koagulationsstörung vorliegt, die das Risiko einer Venenthrombose erhöht).
  • Personengruppen, bei denen die Testung in Erwägung gezogen werden kann, unter der Voraussetzung, dass das Testergebnis einen Einfluss auf die geplante Therapie hätte:2
    • Personen mit erster spontaner venöser Thrombembolie, die die Antikoagulation absetzen wollen.
    • Weibliche Verwandte von Personen mit venöser Thrombembolie oder hereditärer Thrombophilie,
      • die eine hormonelle Kontrazeption oder Hormonersatztherapie in Erwägung ziehen.
      • die über eine prophylaktische Antikoagulation während der Schwangerschaft nachdenken.

Gentest nach genetischer Beratung

  • Im Rahmen der Thrombophilie-Diagnostik wird eine molekulargenetische Testung auf Faktor-V-Leiden-Mutation in folgenden Fällen – zusätzlich oder alternativ zum APC-Resistenz-Test – empfohlen:2
    • Bei Patienten, die direkte Thrombininhibitoren oder Faktor-Xa-Inhibitoren erhalten, da diese den APC-Resistenztest verfälschen können.
    • nach positivem APC-Resistenz-Test zur Unterscheidung von Hetero- und Homozygotie
    • zur Diagnosesicherung bei grenzwertigem Ergebnis im APC-Resistenz-Test
    • bei Nachweis starker Lupus-Inhibitoren und auffällig verlängerter aPTT bei Testbeginn
  • Bei folgenden Personen sollte keine Testung auf Faktor-V-Leiden-Mutation erfolgen:2
    • Erwachsene mit venöser Thrombembolie, die durch vorübergehend bestehende ausgeprägte Risikofaktoren ausgelöst wurde.
    • Erwachsene mit spontaner venöser Thrombembolie, die unter Langzeit-Antikoagulation stehen.
    • Personen mit arterieller Thrombose
    • Frauen mit Fehl- oder Totgeburten unklarer Ursache
    • Kinder einschließlich Neugeborenen mit asymptomatischer durch einen zentralen Venenkatheter ausgelösten Thrombose
    • asymptomatische erwachsene Verwandte von Personen mit bekannter Leiden-Mutation.
  • Keine routinemäßige Testung:
    • bei Schwangeren
    • vor der erstmaligen Anwendung von oralen Kontrazeptiva, Hormonersatztherapie oder selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (SERM)
    • bei asymtomatischen Kindern.

Indikationen zur Überweisung

  • Zur Thrombophiliediagnostik (Näheres zum diagnostischen Vorgehen siehe Artikel Thrombophilie)
  • Bei Personengruppen, die für eine genetische Testung infrage kommen (s. o.).

Checkliste zur Überweisung

Überweisung bei APC-Resistenz/Faktor-V-Leiden-Mutation

  • Zweck der Überweisung
    • Thrombophilie-Diagnostik nach thrombembolischen Ereignissen
    • genetische Beratung
  • Venenthrombose in der Familie
    • Verwandtschaft
    • Anzahl der Episoden
    • auslösende Ursache/keine bekannte auslösende Ursache
  • Welchen Proben wurden genommen?
    • Gerinnungsparameter?
    • APC-Resistenztest?
  • Andere Risikofaktoren für Venenthrombosen
    • Rauchen
    • Übergewicht
    • Bettruhe/Bewegungsmangel, z. B. bei langen Flügen
    • Operationen
    • Schwangerschaft?
  • Medikamente?

Therapie

Therapieziel

  • Bei Patienten mit erhöhtem Risiko: Vermeidung (weiterer) thromboembolischer Ereignisse

Allgemeines zur Therapie

  • Venöse Thromboembolien sind nach gängigen Leitlinien zu behandeln.7
  • Schwangerschaft8
    • Bei Schwangeren mit erhöhtem venösen Thrombembolierisiko sollte eine medikamentöse, zusätzlich zur nichtmedikamentösen Prophylaxe durchgeführt werden.
      • Diese sollte bis 6 Wochen postpartal fortgeführt werden.
      • Die Sicherheit der medikamentösen Prophylaxe mit Heparinen für das ungeborene Kind wird als hoch eingeschätzt.
    • mittleres Risiko bei Schwangeren mit homozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation
    • hohes Risiko bei Schwangeren mit homozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation oder kombinierten thrombophilen Faktoren und einer Thrombose in der Eigenanamnese

Empfehlungen für Patienten

Medikamentöse Therapie

  • Langfristige oder lebenslängliche Antikoagulation ist bei Personen zu erwägen, die homozygot für die Faktor-V-Leiden-Mutation sind, oder bei denen es wiederholt zu Venenthrombosen kommt.
  • Diese Behandlung erfolgt durch eine Spezialistin/einen Spezialisten.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Heterozygote Personen haben ein um das 3- bis 8-Fache, homozygote ein um das 9- bis 80-Fache erhöhte Risiko für eine venöse Thrombembolie.2
  • Rezidivrisiko nach venöser Thrombembolie2
    • Metaanalysen fanden bei Patienten mit heterozygoter Faktor-V-Leiden-Mutation ein um den Faktor 1,5 erhöhtes Rezidivrisiko im Vergleich zu Personen ohne Mutation.9-10
    • In anderen Studien konnte kein erhöhtes Risiko im Vergleich zwischen heterozygoten Personen und Patienten ohne Mutation nachgewiesen werden.11-12
    • Homozygote Patienten haben einer Studie zufolge ein um das 2,6-fache erhöhte Rezidivrisiko9, andere Studien zeigen keinen Unterschied zwischen Patienten mit homozygoter und ohne Mutation.

Komplikationen

Prognose

Verlaufskontrolle

  • Individuelle Verlaufskontrolle und Behandlung
  • Personen mit bekannter Resistenz gegenüber aktiviertem Protein C sollten vor chirurgischen Eingriffen, vor dem Einnahmebeginn von Östrogenpräparaten und bei Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft angeben, dass die APC-Resistenz besteht.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patienten informieren?

  • Über das geringe Venenthrombosenrisiko bei heterozygoten Personen
  • Kardiovaskuläre Risikoprävention

Patienteninformationen in Deximed

Quellen

Leitlinien

  • Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin. Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 065-002. S2k, Stand 2015. www.awmf.org
  • AWMF Arbeitsgem. der Wiss. Medizin. Fachgesellschaften. S3-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). AWMF-Leitlinie Nr. 003-001. S3, Stand 2015. www.awmf.org

Literatur

  1. Nowak-Göttl U, Schneppenheim R, Vielhaber H. APC resistance in childhood thromboembolism: diagnosis and clinical aspects. Semin Thromb Hemost 1997; 23(3): 253-8. PMID: 9255906 PubMed
  2. Kujovich JL. Factor V Leiden Thrombophilia. In: Adam MP, Ardinger HH, Pagon RA, Wallace SE, Bean LJH, Stephens K, Amemiya A (Hrsg.). GeneReviews®. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993-2019. 1999 updated 2018 Jan 4. PMID: 20301542 PubMed
  3. Kujovich JL. Factor V Leiden thrombophilia. Genet Med 2011; 13: 1-16. pmid:21116184 PubMed
  4. Heit JA, Sobell JL, Li H, Sommer SS. The incidence of venous thromboembolism among Factor V Leiden carriers: a community-based cohort study. J Thromb Haemost 2005; 3: 305-11. pmid:15670037 PubMed
  5. Martinelli I, Taioli E, Cetin I, et al. Mutations in coagulation factors in women with unexplained late fetal loss. N Engl J Med 2000; 343: 1015-8. pmid:11018168 PubMed
  6. Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin. Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 065-002, Stand 2015 www.awmf.org
  7. Bauer KA. Management of inherited thrombophilia. UpToDate, last updated March 24, 2014. UpToDate
  8. AWMF Arbeitsgem. der Wiss. Medizin. Fachgesellschaften. AWMF-Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). AWMF-Leitlinie Nr. 003-001, Stand 2015 www.awmf.org
  9. Segal JB, Brotman DJ, Necochea AJ, Emadi A, Samal L, Wilson LM, Crim MT, Bass EB. Predictive value of factor V Leiden and prothrombin G20210A in adults with venous thromboembolism and in family members of those with a mutation: a systematic review. JAMA. 2009;301:2472–85. PMID: 19531787 PubMed
  10. Marchiori A, Mosena L, Prins MH, Prandoni P. The risk of recurrent venous thromboembolism among heterozygous carriers of factor V Leiden or prothrombin G20210A mutation. A systematic review of prospective studies. Haematologica. 2007;92:1107–14. PMID: 17650440 PubMed
  11. Christiansen SC, Cannegieter SC, Koster T, Vandenbroucke JP, Rosendaal FR. Thrombophilia, clinical factors, and recurrent venous thrombotic events. JAMA. 2005;293:2352–61. PMID: 15900005 PubMed
  12. Lijfering WM, Middeldorp S, Veeger NJ, Hamulyák K, Prins MH, Büller HR, van der Meer J. Risk of recurrent venous thrombosis in homozygous carriers and double heterozygous carriers of factor V Leiden and prothrombin G20210A. Circulation. 2010;121:1706–12. PMID: 20368522 PubMed

Autoren

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschadtsjournalist, Freiburg
  • Odd Kildahl-Andersen, overlege, dr. med., Medisinsk avdeling, Universitetssykehuset Nord-Norge, Harstad sykehus

Links

Autoren

Ehemalige Autoren

Updates

Gallery

Snomed

Click to edit