Hämolytische Anämien

Zusammenfassung

  • Definition:Anämien, die durch eine verkürzte Lebensdauer der Erythrozyten gekennzeichnet sind. Sie können angeboren oder erworben sein. Man unterscheidet korpuskuläre von extrakorpuskulären Ursachen: immunvermittelt, durch Infektion ausgelöst, Mikroangio-, Enzymo-, Membrano- oder Hämoglobinopathie.
  • Häufigkeit:Relativ selten bei Menschen mitteleuropäischer Abstammung. In Afrika, Asien und dem Mittelmeergebiet häufiger.
  • Symptome:Anämiesymptome in Verbindung mit Ikterus oder Hämaturie.
  • Befunde:Bei chronischer Hämolyse evtl. Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie, Cholestase, Choledocholithiasis.
  • Diagnostik:Labor: Anämie. Retikulozytose, niedriges Haptoglobin, erhöhtes indirektes Bilirubin, erhöhte LDH, evtl. Folsäure- und Eisenmangel.
  • Therapie:Abhängig von der Ursache. Korrektur der Anämie. Glukokortikoide, Immunsuppression, Splenektomie können indiziert sein.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Die hämolytische Anämie ist eine Erkrankung, bei der die Lebensdauer der Erythrozyten verkürzt ist (< 120 Tage) aufgrund eines vermehrten Abbaus.1
    • Kann episodisch oder kontinuierlich auftreten.
  • Eine Anämie entsteht, wenn die Hämolyse nicht durch verstärkte Erythropoese kompensiert werden kann.
    • Das Knochenmark kann die Erythropoese bis auf das Achtfache steigern.
  • Eine hämolytische Anämie kann sich auch als Ikterus, Gallensteine oder isolierte Retikulozytose manifestieren.

Häufigkeit

  • Hämolytische Anämien machen 5 % aller Anämien aus.2
  • Sie sind selten unter Menschen mitteleuropäischer Abstammung.
    • Hereditär verursachte hämolytische Anämien wie bei Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel (G6PD-Mangel) oder Sichelzellenanämie sind bei Menschen aus Subsahara-Afrika, dem Mittelmeerraum und Teilen Asiens verbreiteter als in Mitteleuropa.3-6
  • Die Inzidenz der autoimmunhämolytischen Anämie (AIHA) wird bei Erwachsenen auf ca. 1–3 pro 100.000 Einw. geschätzt.7
    • Die AIHA vom Wärmetyp kommt etwas häufiger bei Frauen vor.8
    • Die AIHA vom Kältetyp betrifft etwa doppelt so häufig Frauen im Vergleich zu Männern.8
    • Eine AIHA kommt bei Patient*innen nach allogener Stammzelltransplantation in 4,4 % der Fälle vor (3-Jahres-Inzidenz).9
  • Der Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel (G6PD) wird x-chromosomal vererbt und kommt daher überwiegend bei Männern vor.6

Ätiologie und Pathogenese

  • Die Hämolyse kann entweder erworben oder angeboren sein.10-11
  • Häufige Ursachen sind Autoimmunprozesse, Medikamente, Malignomerkrankungen sowie eine Vielzahl hereditärer Erkrankungen wie Hämoglobinopathien.4
  • Das Knochenmark hat bei Gesunden eine ausgeprägte Fähigkeit zur Kompensation von Erythrozytenverlusten. Eine hämolytische Anämie entsteht entweder, weil
    • die Lebenszeit der Erythrozyten extrem kurz ist oder
    • das Knochenmark aus unterschiedlichen Gründen die Erythropoese nicht ausreichend steigern kann.
  • Eine hämolytische Anämie kann auch bei Erstmanifestation im Erwachsenenalter auf eine hereditäre Erkrankung zurückgehen.
    •  z. B. hereditäre Sphärozytose, Hämoglobinopathien, Enzymdefekte
  • Die primär chronische Kälteagglutininkrankheit scheint eine klonale B-zellproliferative Erkrankung zu sein.

Pathophysiologie4

  • An der Hämolyse können je nach Ursache einer der folgenden zwei pathophysiologischen Mechanismen beteiligt sein, oder auch beide:
    1. intravasale Hämolyse (z. B. TTP)
      • Destruktion der Erythrozyten innerhalb des Gefäßsystems mit Freisetzung des Zellinhalts in das Plasma
      • Noxe wie mechanisches Trauma, Toxin oder Infektion führt zu Schädigung der Erythrozytenmembran, Komplementfixierung und -aktivierung auf der Erythrozytenoberfläche und Zelldestruktion
    2. extravasale Hämolyse (z. B. autoimmunhämolytische Anämie)
      • Ist häufiger als die intravasale Form.
      • Die Deformierbarkeit der Erythrozyten ist eingeschränkt. Dadurch ist u. a. die Passage durch die Milz erschwert. Es kommt zu verstärkter Erythrozytensequestrierung und Phagozytose durch Makrophagen. Weil die Erythrozyten in der Milz „eingefangen“ werden, spricht man von „Trapping“. 12
      • Eine Hämolyse kann auch im Knochenmark stattfinden, wenn instabile Vorläuferzellen zerstört werden (z. B. perniziöse Anämie).13

Alloimmun-vermittelte Hämolyse

  • Durch Komplement oder Antikörper gegen Oberflächenantigene auf den Erythrozyten oder durch Trapping (s. o.)
  • Beispielsweise Transfusionsreaktionen, fetale Hämolyse und Morbus haemolyticus neonatorum

Autoimmunhämolytische Anämien (AIHA)

  • Wärmeantikörpertyp
    • primär
    • sekundär, z. B. medikamentenassoziierte hämolytische Anämie
  • Kälteantikörpertyp
    • chronische Kälteagglutininkrankheit
      • primär
      • sekundär
    • akute infektionsassoziierte autoimmunhämolytische Anämie, z. B. nach Mononukleose oder Infektion mit Mycoplasma pneumoniae
    • paroxysmale Kältehämoglobinurie

Mikroangiopathische Hämolyse

  • Fragmentierungshämolyse (eine Form der intravasalen Hämolyse)
  • Durch mechanische Zerstörung der Erythrozytenmembran im Blutkreislauf kommt es zur intravasalen Hämolyse mit Auftreten von Schistozyten (Fragmentozyten), die im peripheren Blutausstrich nachweisbar sind.
  • Kann bei einer Vielzahl von Erkrankungen auftreten, wie z. B. thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS), disseminierte intravasale Gerinnung (DIG), HELLP-Syndrom bei Präeklampsie oder Eklampsie, medikamenteninduzierter thrombotischer Mikroangiopathie oder maligner Hypertonie.

Infektion

  • Zum Beispiel Hämolyse durch intraerythrozytäre Parasiten (Malaria, Babesiose
  • Toxininduzierte Hämolyse bei Clostridium-Infektionen

Enzymopathien4

  • Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel (G6PD-Mangel) ist die häufigste Enzymopathie. Die Schwere der Hämolyse hängt u. a. vom Mutationslokus ab.14
    • Bei Menschen mit G6PD-Mangel können Hämolysen durch Infektionen, Medikamente wie Sulfonamide oder den Verzehr von Fava-Bohnen ausgelöst werden.15
  • Membranopathien, z. B.:
    • hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie)16-17
      • autosomal-dominanter Erbgang
      • Sie tritt als chronisch kompensierte, leichte bis moderate hämolytische Anämie in Erscheinung.
      • Die Diagnosestellung erfolgt mittels Sphärozytennachweis im peripheren Blut, positiver Familienanamnese (in 75 % der Fälle) und negativem direktem Coombs-Test (Antikörper gegen Erythrozytenantigene). MCHC ist häufig erhöht.18
    • paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie19
      • erworbene somatische Mutation in hämatopoetischen Stammzellen
      • Typisch ist ein phasenweise dunkler Morgenurin aufgrund von nächtlicher Hämolyse. Dieses Symptom liegt zum Zeitpunkt der Erstdiagnose nur bei etwa jedem 4. Betroffenen vor.
      • Die Hämolyse geschieht intravasal komplementvermittelt und ist neben der hämolytischen Anämie mit einer schweren Thrombophilie und hohem Risiko für thromboembolische Komplikationen assoziiert.

Hämoglobinopathien

ICPC-2

  • B78 Vererbliche hämolytische Anämie
  • B82 Anämie unspezifisch, andere

ICD-10

D55-D59 Hämolytische Anämien20

  • D55 Anämie durch Enzymdefekte
    • D55.0 Anämie durch Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase[G6PD]-Mangel
    • D55.1 Anämie durch sonstige Störungen des Glutathionstoffwechsels
    • D55.2 Anämie durch Störungen glykolytischer Enzyme
    • D55.3 Anämie durch Störungen des Nukleotidstoffwechsels
    • D55.8 Sonstige Anämien durch Enzymdefekte
    • D55.9 Anämie durch Enzymdefekte, nicht näher bezeichnet
  • D56 Thalassämie
    • D56.0 Alpha-Thalassämie
    • D56.1 Beta-Thalassämie
    • D56.2 Delta-Beta-Thalassämie
    • D56.3 Thalassämie-Erbanlage
    • D56.4 Hereditäre Persistenz fetalen Hämoglobins [HPFH]
    • D56.8 Sonstige Thalassämien
    • D56.9 Thalassämie, nicht näher bezeichnet
  • D57 Sichelzellenkrankheiten
    • D57.0 Sichelzellenanämie mit Krisen
    • D57.1 Sichelzellenanämie ohne Krisen
    • D57.2 Doppelt heterozygote Sichelzellenkrankheiten
    • D57.3 Sichelzellen-Erbanlage
    • D57.8 Sonstige Sichelzellenkrankheiten
  • D58 Sonstige hereditäre hämolytische Anämien
    • D58.0 Hereditäre Sphärozytose
    • D58.1 Hereditäre Elliptozytose
    • D58.2 Sonstige Hämoglobinopathien
    • D58.8 Sonstige nicht näher bezeichnete hereditäre hämolytische Anämien
    • D58.9 Hereditäre hämolytische Anämie, nicht näher bezeichnet
  • D59 Erworbene hämolytische Anämien
    • D59.0 Arzneimittelinduzierte autoimmunhämolytische Anämie
    • D59.1 Sonstige autoimmunhämolytische Anämien
    • D59.2 Arzneimittelinduzierte nicht autoimmunhämolytische Anämie
    • D59.3 Hämolytisch-urämisches Syndrom
    • D59.4 Sonstige nicht autoimmunhämolytische Anämien
    • D59.5 Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie [Marchiafava-Micheli]
    • D59.6 Hämoglobinurie durch Hämolyse infolge sonstiger äußerer Ursachen
    • D59.8 Sonstige erworbene hämolytische Anämien
    • D59.9 Erworbene hämolytische Anämie, nicht näher bezeichnet

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Klinisches Bild
  • Labor
    • Anämie mit Retikulozytose, niedrigem Haptoglobin, erhöhtem indirektem (unkonjugiertem) Bilirubin und erhöhtem LDH weist auf eine hämolytische Anämie hin.4,21
    • evtl. anomale Erythrozyten im Blutausstrich
    • im Urin evtl. Urobilinogen erhöht und Blut positiv

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Anämiesymptome

Anamnese bezüglich der Ätiologie4

  • Diarrhö?
    • Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)?
  • Auftreten hämolytischer Anämien in der Familie?
  • Fieber?
    • Autoimmunhämolytische Anämie?
    • Disseminierte intravasale Gerinnung (DIG)?
    • Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)?
    • Infektion?
  • Hämaturie?
    • Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie?
    • Intravasale Hämolyse?
  • Induziert durch Einnahme von Medikamenten oder Drogen?
    • Arzneimittelinduzierte thrombotische mikroangiopathische Anämie? z. B. induziert durch:
      • Ibuprofen
      • Simvastatin
      • Antibiotika wie Nitrofurantoin, Trimethoprim/Sulfamethoxazol
      • Metronidazol
      • Psychopharmaka wie Bupropion oder Quetiapin
      • Zytostatika
      • Clopidogrel
      • Immunsuppressiva wie Ciclosporin oder Tacrolimus
      • Interferon
      • Malariamittel wie Mefloquin oder Chinin
      • Drogen wie Ecstasy oder Kokain.
    • Arzneimittelinduzierte immunhämolytische Anämie? z. B. induziert durch:
      • NSAR
      • Antibiotika wie Penicilline, Betalaktamase-Hemmer, Ceftriaxon
      • Methyldopa
      • Zytostatika wie Fludarabin
      • intravenöse Immunglobuline.
    • G6PD-Mangel? z. B. Hämolyseinduktion durch:
      • Dapson
      • Nitrofurantoin
      • Primaquin
      • Nitrate
      • Ribavirin
      • Rifampicin.
  • Alkohol?
  • Kürzliche Bluttransfusionen?
  • Kürzlich starke körperliche Anstrengung?
  • Ikterus?
    • Kann bei jeder hämolytischen Anämie auftreten.
    • Prolongierter Neugeborenenikterus oder rezidivierender Ikterus können auf eine hereditäre Sphärozytose hinweisen.17
  • Rezidivierende Infektionen, Arthritis, Hautausschläge oder Schilddrüsenerkrankungen?
  • Bekannte Krebserkrankung?
    • Kann mit einer autoimmunhämolytischen Anämie vom Wärmeantikörpertyp einhergehen.
  • Kürzlich erfolgte Bluttransfusionen?
    • Hämolytische Transfusionreaktion?

Klinische Untersuchung

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.22
  • Die klinischen Manifestationen variieren mit dem Hämolysegrad, der Fähigkeit zur Steigerung der Erythropoese und den zugrunde liegenden Ursachen.
  • Krankheitszeichen einer schweren, akut verlaufenden Hämolyse sind:
  • Tachykardie/Tachypnoe weisen auf eine rasche Anämisierung hin.
  • Ikterus und Anämie, evtl. Gallensteine
  • Splenomegalie
    • Wird bei chronischer Hämolyse und bei vielen Erkrankungen, die eine Hämolyse verursachen können, beobachtet.
    • Bei Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel (G6PD) kommt eine Splenomegalie üblicherweise nicht vor.
  • Bei nachgewiesener hämolytischer Anämie und Hämoglobinurie (roter oder schwarzer Urin) sollte die weitere Diagnostik bei Spezialist*innen erfolgen.
  • Beinwunden kommen bei einigen chronischen hämolytischen Erkrankungen wie Sichelzellenanämie vor.
  • Kleinwuchs bei chronischer Anämie
  • Petechien und Hämatome bei DIG oder HUS
  • Bei TTP evtl. neurologische Symptomatik, Fieber, Nierenversagen und Thrombozytopenie
  • Bei gleichzeitig bestehendem Folsäuremangel evtl. ungleichmäßige Hautpigmentierung und gastrointestinale Beschwerden

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

  • Der gesamte Abschnitt basiert auf dieser Referenz.4
  • Blutbild
  • Hämolyseparameter – bei folgender Konstellation ist eine hämolytische Erkrankung sehr wahrscheinlich:
  • Retikulozytose
    • Tritt bei intaktem Knochenmark innerhalb von 3–5 Tagen auf.
      • Ausnahmen bei ineffektiver Hämatopoese wie bei B12- und Folsäuremangel und aplastischer Krise
    • Nachfolgend Coombs-Test (Antikörper gegen Erythrozytenantigene) durchführen.
  • Weitere Untersuchungen
  • Urin
    • Bei schwerer intravasaler Hämolyse und daraus resultierender Hämosiderose kann die Bindungskapazität des Haptoglobins überschritten und freies Hämoglobin durch die Glomeruli gelangen.
    • Dies kann zu Hämoglobinurie (rotbrauner Urin? Nachweis von Blut im Urin?) führen.24
  • Abdomen-Sonografie

Diagnostik bei Spezialist*innen

  • Blutausstrich
    • Ist bei Hämolyse nützlich.
      • Die Auswertung des Blutausstrichs erfordert aber Spezialkenntnisse und Erfahrung.
    • Anisozytose (z. B. Sichelzellen, Sphärozyten, Targetzellen), Polychromasie und fragmentierte Erythrozyten
  • Coombs-Test bei nachgewiesener Retikulozytose 
    • Ein positiver Test deutet auf eine autoimmunhämolytische Erkrankung hin.
      • Der Test ist aber bei 5–10 % dieser Patient*innen negativ.
  • Donath-Landsteiner-Antikörper 
    • Bei Verdacht auf paroxysmale Kältehämoglobinurie
  • Andere Tests 
    • ANA-Bestimmung bei Verdacht auf systemischen Lupus erythematodes
    • Hb-Elektrophorese zum Nachweis einer Hämoglobinopathie 
    • Test auf Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel (G6PD-Mangel)
    • molekulare Zellanalyse (Flowzytometrie) bezüglich der Marker CD55/CD59 zur Untersuchung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie

Indikationen zur Überweisung

  • Patient*innen mit ungeklärter hämolytischer Erkrankung werden überwiesen, die Diagnostik ist Aufgabe von Hämatolog*innen.
  • Manchmal ist die Ursache für die Hämolyse klar, und weitere Untersuchungen sind nicht notwendig.

Therapie

Therapieziele

  • Anämie korrigieren.
  • Zugrunde liegende Erkrankung kontrollieren.

Allgemeines zur Therapie

  • Richtet sich jeweils nach der Ursache der hämolytischen Anämie.
  • Behandlungsoptionen sind Glukokortikoide, Immunsuppression, Splenektomie.
    • ggf. unterstützende Therapie mit Transfusionen und zusätzlicher Folsäuresubstitution

Empfehlungen für Patient*innen

  • Entsprechend der Ursache, z. B. Vermeidung von Kälteexposition oder auslösenden Medikamenten

Medikamentöse Therapie

Autoimmunhämolytische Anämie (AIHA)

  • Die evtl. zugrunde liegende Erkrankung wird behandelt.
  • AIHA vom Wärmetyp
    • Initialtherapie mit Prednisolon 
      • bei refraktären Fällen evtl. Splenektomie, intravenös verabreichte Gammaglobuline, Plasmapherese, Zytostatika
    • Rituximab ist inzwischen eine relevante Alternative.
      • In einer Phase-III-Studie wurde von den Autor*innen Rituximab als Mittel der Wahl in Kombination mit Kortikosteroiden empfohlen.25
  • AIHA vom Kältetyp
    • Kortikosteroide, Splenektomie oder intravenös verabreichte Gammaglobuline sind ohne Wirkung.26
    • Rituximab wird auch bei diesen Erkrankungen evaluiert, aber bislang liegen noch keine verlässlichen Daten zur Wirksamkeit vor (Stand November 2019).
  • Transfusionsbehandlung?

Andere Formen hämolytischer Anämien1,4

  • Erworben
    • mikroangiopathisch
      • Die zugrunde liegenden Ursachen behandeln, z. B. Medikamente absetzen, Drogenentzug.
      • ggf. Plasmapherese
      • Bei HELLP-Syndrom Geburt einleiten.
    • Infektion
      • erregerspezifisch, z. B. Antibiose
  • Angeboren
    • Enzymopathie
      • Absetzen des auslösenden Medikaments, evtl. Behandlung der Infektion
    • Membranopathie
      • bei paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie: Eculizumab
      • Splenektomie in einigen moderaten und in den meisten schweren Fällen
    • Hämoglobinopathien
  • EPO kann den Transfusionsbedarf reduzieren oder als Alternative zur Transfusion eingesetzt werden, z. B. bei:
    • autoimmunhämolytische Anämie mit Retikulozytopenie
    • dialysepflichtige Patient*innen mit Sichelzellkrankheit
    • Patient*innen, die aus religiösen oder anderen Gründen die Gabe von Blutprodukten ablehnen (z. B. Zeugen Jehovas).
    • Nur im Einzelfall bei Säuglingen mit schwerer hereditärer Sphärozytose.17

Sekundärbehandlung

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Hängt von der spezifischen Diagnose ab.

Komplikationen

  • In extremen Fällen können die Patient*innen bei behandlungsrefraktärer schwerer Hämolyse an den Folgen der Anämie sterben.
  • Andere schwere Komplikationen sind hämolytische und aplastische Krisen mit schnell fallendem Hb.
  • Eine länger anhaltende Hämolyse kann Gallensteine verursachen.
  • Die gesteigerte Hämatopoese geht mit einem erhöhten Folsäurebedarf einher und kann bei mangelnder Zufuhr langfristig in einen Folsäuremangel münden.
  • Eine chronische Hämoglobinurie kann zu Eisenmangel führen.

Prognose

  • Hängt von der spezifischen Diagnose ab.
  • Gute Prognose bei autoimmunhämolytischer Anämie, besonders nach Splenektomie
  • Manche angeborene Erythrozytenmembran-Defekte, etwa die hereditäre Sphärozytose (s. o.), bessern sich durch Splenektomie.17
  • Ältere Patient*innen und Menschen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen haben ein erhöhtes Mortalitätsrisiko.

Verlaufskontrolle

  • Bei chronischer Hämolyse werden regelmäßig je nach individueller Bewertung Hb, MCV, Retikulozyten, Bilirubin, Haptoglobin, LDH, Folsäure und Ferritin bestimmt.

Patienteninformationen

Worüber sollten Sie die Patient*innen informieren?

  • Bei chronischem Kälteagglutinin-Syndrom: Vermeidung von Kälteexposition
  • Die Patient*innen sollten Anzeichen einer hämolytischen Krise erkennen können.
  • Patient*innen mit Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel (G6PD-Mangel) sollten wissen, welche Medikamente zu vermeiden sind.

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Hämolytische Anämie
Hämolytische Anämie

Quellen

Leitlinien

  • Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Anämiediagnostik im Kindesalter. AWMF-Leitlinie Nr. 025-027. S1, Stand 2018. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Sichelzellkrankheit. AWMF-Leitlinie Nr. 025-016. S2k, Stand 2020. www.awmf.org
  • Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Hereditäre Sphärozytose. AWMF-Leitlinie Nr. 025-018. S1, Stand 2016. www.awmf.org

Literatur

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  26. Gehrs BC, Friedberg RC. Autoimmune hemolytic anemia. Am J Hematol 2002; 69: 258-71. PubMed

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Nicola Herzig, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sandnes (Norwegen)
  • Birgit Wengenmayer, Dr. med., Fachärztin für Allgemeinmedizin, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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