G6PD-Mangel

Zusammenfassung

  • Definition:Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase(G6PD)-Mangel ist eine hereditäre Erkrankung, die mit einer Neigung zu hämolytischer Anämie einhergeht.
  • Häufigkeit:Die Prävalenz korreliert mit der geografischen Verbreitung von Malaria. Häufiger bei Männern sowie bei Menschen, deren Vorfahren aus Afrika, Asien oder den Mittelmeerländern stammen.
  • Symptome:Häufig asymptomatisch; bei Kindern oft Familienanamnese von Ikterus, Anämie, Splenomegalie oder Gallensteinen.
  • Befunde:Keine spezifischen klinischen Befunde.
  • Diagnostik:Quantitative spektrophotometrische Analyse oder im Fluoreszenz-Schnelltest.
  • Therapie:Meist keine Therapie notwendig. Oxidative Stressoren vermeiden. Evtl. Folsäuresubstitution. Bluttransfusionen und Erythropoetin nur bei schweren Verläufen.

Allgemeine Informationen

Definition

  • Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase(G6PD)-Mangel ist eine hereditäre Erkrankung, die mit einer Neigung zu hämolytischer Anämie einhergeht.1
    • Beim G6PD-Mangel ist der Schutz der Erythrozyten gegenüber oxidativem Stress eingeschränkt.
    • Die meisten Betroffenen sind asymptomatisch, jedoch können Infektionen und Medikamente bei ihnen leichter eine Hämolyse auslösen als bei gesunden Personen.
    • Klinisch kann sich die Erkrankung als akute hämolytische Anämie, chronische hämolytische Anämie oder neonatale Hyperbilirubinämie präsentieren.
    • Wird auch Favismus genannt, weil der Verzehr von Favabohnen (Dicke Bohnen, Saubohnen) bei G6PD-Mangel eine Hämolyse auslösen kann.

Häufigkeit

  • Weltweit sind rund 500 Mio. Menschen von einem G6PD-Mangel betroffen.2
    • Die Prävalenz ist in Afrika, Asien und den Mittelmeerländern am höchsten.
    • Die Prävalenz korreliert mit der geografischen Verbreitung von Malaria, was zu der Theorie geführt hat, dass die Träger*innen des G6PD-Mangels einen teilweisen Schutz gegen eine Malariainfektion haben.
    • Fälle von sporadischen Genmutationen, die die Expression von G6PD kompromittieren, kommen in allen Populationen vor.

Ätiologie und Pathogenese

Pathophysiologie1-2

Pentosephosphatweg
Pentosephosphatweg
  • G6PD katalysiert NADPH zu seiner reduzierten Form im Pentosephosphat-Metabolismus (s. Abb.)
  • NADPH schützt die Zellen gegen oxidative Schäden.
  • Weil die Erythrozyten NADPH auf keine andere Weise bilden können, sind sie der Zerstörung durch oxidativen Stress stärker ausgesetzt als andere Zellen.
  • Das Niveau der G6PD-Aktivität in den affizierten Erythrozyten ist generell niedriger als in anderen Zellen.
  • Normale rote Blutzellen, die nicht unter oxidativem Stress stehen, haben eine G6PD-Aktivität von nur ca. 2 % ihrer Gesamtkapazität.
    • Auch bei wesentlich reduzierter Enzymaktivität kann es vorkommen, dass keine klinischen Symptome auftreten.
  • Ein vollständiger Mangel an G6PD ist tödlich.
  • Verschiedene Varianten von G6PD-Mangel werden abhängig vom Schweregrad der Erkrankung in verschiedene Klassen eingeteilt.

Genetik1-2

  • Genmutationen, die sich auf die Kodierung von G6PD auswirken, befinden sich auf dem distalen langen Arm des X-Chromosoms und kommen nur bei heterozygoten Männern und homozygoten Frauen vor.
  • 230 G6PD-Varianten mit bekannten Mutationen wurden bislang identifiziert (Stand September 2020).
  • Die meisten Varianten treten sporadisch auf, auch wenn die G6PD-Mittelmeer- und G6PD-A-Varianten in gewissen Populationen mit erhöhter Häufigkeit auftreten.

Disponierende Faktoren

Disposition zur Erkrankung1-2

  • Genetik, positive Familienanamnese
  • Männliches Geschlecht
  • Vorfahren aus Afrika, dem Mittelmeerraum oder Asien

Auslöser hämolytischer Anämie1-2

  • Der Verzehr von Favabohnen sowie die kosmetische Anwendung von Henna können bei G6PD-Mangel eine Hämolyse auslösen.
  • Auch eine Reihe von oxidativen Medikamenten können bei G6PD-Mangel eine akute Hämolyse auslösen.
    • Gut belegt ist das z. B. für Ciprofloxacin, Nitrofurantoin, Cotrimoxazol und Glibenclamid.
    • Wahrscheinlich gilt es auch für Malariamittel wie Chloroquin, Chinin, für Acetylsalicylsäure, Sulfadiazin, Sulfasalazin, Sulfonylharnstoffe und andere Wirkstoffe.
    • Möglicherweise gilt es auch für Vitamin-K-Antagonisten, Chloramphenicol, Doxorubicin, Probenecid und andere Substanzen.
  • Exposition gegenüber Naphtalin (z. B. Mottenkugeln) kann bei G6PD-Mangel oder bei gesunden Neugeborenen eine Hämolyse auslösen.

ICPC-2

  • B78 Vererbliche hämolytische Anämie

ICD-10

  • Codierung nach ICD-10-GM Version 2021:3
    • D55 Anämie durch Enzymdefekte
      • D55.0 Anämie durch Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase(G6PD)-Mangel

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Die Diagnose wird durch eine quantitative spektrophotometrische Analyse gesichert oder, was häufiger geworden ist, mithilfe eines Schnelltests, der fluoresziert, wenn NADPH aus NADP gebildet wird.1

Differenzialdiagnosen

  • Andere hämolytische Anämien1
    • Sichelzellkrankheit
    • autoimmunhämolytische Anämie
      • infektionsbedingt
      • arzneimittelinduziert
    • isoimmunhämolytische Anämie, z. B. ABO-Inkompatibilität
    • instabiles Hämoglobin (selten)
    • Methämoglobinämie bei Methämoglobinreduktase-Mangel (selten)

Anamnese

  • Fast alle Betroffenen sind die meiste Zeit überwiegend asymptomatisch, und nur ein kleiner Anteil kann längeranhaltende Beschwerden bekommen.1-2
    • Begründeter Verdacht besteht bei allen Kindern mit einer Familienanamnese von Ikterus, Anämie, Splenomegalie oder Gallensteinen, besonders, wenn diese aus Afrika oder den Mittelmeerländern stammen.
    • Bei akuter Hämolyse ist in der Regel der auslösende Faktor bereits ein paar Tage vorher vorhanden.
      • z. B. bei Infektion, Einnahme von Medikamenten oder bestimmten Lebensmitteln (z. B. Favabohnen)

Klinische Untersuchung

Ergänzende Untersuchungen

  • Folgende Untersuchungen kommen bei Verdacht auf G6PD-Mangel infrage:1-2
    • Blutbild, BSG, CRP, indirektes Bilirubin, Leberwerte (GOT, GPT, Gamma-GT, AP), Kreatinin.
      • ggf. Blutausstrich, LDH, Haptoglobulin, Retikulozyten
    • Urinteststreifen (bei Hämolyse: Protein und Urobilinogen positiv)
    • Fluoreszenz-Schnelltest
      • Weist die Bildung von NADPH aus NADP nach.
      • Der Test ist positiv, wenn der Blutfleck unter ultraviolettem Licht nicht fluoresziert.
    • Es gibt auch andere Tests, die sich besser für das Screening in Risikopopulationen eignen, und PCR-Tests können spezifische Mutationen nachweisen.
    • Begrenzungen der Tests1-2,4
      • Bei akuter Hämolyse kann das Testen auf G6PD-Mangel ein falsch negatives Ergebnis liefern, weil ältere Erythrozyten mit größerem Enzymmangel hämolysiert sind, während jüngere Erythrozyten und Retikulozyten eine normale oder nahezu normale Enzymaktivität haben.
      • Heterozygote Frauen können schwierig zu diagnostizieren sein.
    • bei diagnostischer Unsicherheit ggf. genetische Testung auf G6PD-Varianten
  • Indikationen für das Testen
    • Indiziert bei Kindern oder Erwachsenen (besonders bei Männern aus Afrika, den Mittelmeerländern oder Asien) mit einer akuten hämolytischen Reaktion, die durch Infektion, Exposition gegenüber einer bekannten auslösenden Substanz (s. o.) oder den Verzehr von Favabohnen ausgelöst wurde.
    • In einzelnen endemischen Gebieten der Welt wird ein Screening von Neugeborenen durchgeführt.

Neugeborenenikterus1-2,4

  • Die Prävalenz ist bei Jungen mit G6PD-Defekt und unter Mädchen mit Homozygotie für mutiertes G6PD doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung.
  • Die Erkrankung tritt selten bei Mädchen mit Heterozygotie für mutiertes G6PD auf.
  • Der Mechanismus hinter der neonatalen Hyperbilirubinämie ist nicht vollständig bekannt, die Erklärung schließt eine Hämolyse nicht aus.
  • Bei Neugeborenen, die im Laufe der ersten 24 Stunden eine Hyperbilirubinämie entwickeln, besteht ein begründeter Verdacht auf G6PD-Mangel:
    • wenn auch ein Geschwisterkind ikterisch ist.
    • wenn der Bilirubinämiewert die 95-Perzentile übersteigt.
    • bei Jungen asiatischer Abstammung.
  • Ein G6PD-Mangel kann das Risiko erhöhen und ein früheres erstes Auftreten von Hyperbilirubinämie verursachen, was eine Phototherapie oder Austauschtransfusion erfordern kann.
  • In bestimmten Populationen kann die Hyperbilirubinämie so schwer sein, dass sie das Risiko für Kernikterus und Tod erhöht, während dies in anderen Populationen nicht der Fall ist.

Akute Hämolyse1-2

  • Wird durch Infektion (meistens), Verzehr von Favabohnen oder Exposition für ein oxidatives Medikament verursacht (siehe Abschnitt Disponierende Faktoren).
  • Die Hämolyse tritt nach der Exposition für Stressoren auf, setzt sich aber trotz fortbestehender Infektion oder fortgesetzter Einnahme nicht fort. Es wird angenommen, dass dies dadurch verursacht wird, dass die ältesten Erythrozyten den höchsten Enzymmangel haben und zuerst hämolysiert werden, während die jüngeren Erythrozyten mit höherer Enzymaktivität es schaffen, dem oxidativen Schaden standzuhalten.
  • Klinisch kann die Erkrankung Rücken- und Bauchschmerzen sowie Ikterus aufgrund der Erhöhung des unkonjugierten (indirekten) Bilirubins verursachen.
  • Bei normaler Leberfunktion entsteht kein Ikterus, bevor mehr als 50 % der Erythrozyten hämolysiert sind.
  • Hämolyse tritt 24–72 Stunden nach der Einnahme auf und geht im Laufe von 4–7 Tagen zurück.

Chronische Hämolyse1-2

  • Chronische nicht sphärozytische Anämie (seltene Variante des G6PD-Mangels)
    • Wird meist durch eine sporadische Genmutation verursacht.
    • Hämolyse tritt in Verbindung mit normalem Erythrozytenmetabolismus auf, chronisch und bei entsprechenden Auslösefaktoren auch akut.
    • Der Schweregrad der Hämolyse variiert, von milder Hämolyse bis zur Transfusion erfordernden Anämie.

Diagnostik bei Spezialist*innen

Indikationen zur Überweisung

  • Bei Verdacht auf die Erkrankung: Überweisung (Kinder-)Hämatologie

Therapie

Therapieziel

  • Hämolyse vermeiden.

Therapieoptionen

  • Allgemeine Maßnahmen1-2
    • Vermeidung oxidativer Stressoren
    • Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten.
    • Phototherapie bei Neugeborenenikterus (siehe dort)4
  • Spezifische Therapie1-2
    • bei akuter Hämolyse Folsäure 1–5 mg p. o. über 14–21 Tage1
    • In Ausnahmefällen kann die Anämie so schwer werden, dass Bluttransfusionen und/oder die Gabe von Erythropoetin erforderlich sind.
    • Eine Splenektomie wird gewöhnlich nicht empfohlen.

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Pentosephosphatweg
Pentosephosphatweg

Quellen

Leitlinien

  • Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin. Hyperbilirubinämie des Neugeborenen – Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 024-007. S2k, Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org

Literatur

  1. Mehta AB. Glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency. BMJ Best Practice; last reviewed: 26 Jan 2021, last updated: 11 Sep 2020 bestpractice.bmj.com
  2. Luzzatto L, Ally M, Notaro R. Glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency. Blood 2020; 136: 1225-40. PMID: 32702756 PubMed
  3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2021. Stand 18.09.2020; letzter Zugriff 26.02.2021 www.dimdi.de
  4. Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin. Hyperbilirubinämie des Neugeborenen - Diagnostik und Therapie. AWMF-Leitlinie Nr. 024-007, S2k, Stand 2015 (abgelaufen). www.awmf.org

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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