Folatmangel

Zusammenfassung

  • Definition:Folatmangel führt zu einer megaloblastären Anämie.
  • Häufigkeit:Ist als Anämieursache in Deutschland insgesamt selten. Gehäuftes Auftreten unter anderem bei übermäßigem Alkoholkonsum, Anorexie, Malabsorptionserkrankungen und in hohem Lebensalter.
  • Symptome:Schleichende Entwicklung mit allgemeinen Anämiesymptomen wie Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Blässe.
  • Befunde:Glatte und rote Zunge, Rhagaden in den Mundwinkeln, blasse Haut.
  • Diagnostik:Bestimmung von Hb, Blutbild und -ausstrich, Retikulozytenzahl. Ggf. Folsäure in Serum und/oder Erythrozyten, Vitamin B12, Ferritin, Homocystein.
  • Therapie:Zusätzliche Folsäurezufuhr, evtl. Behandlung der Grunderkrankung.

Allgemeine Informationen

  • Sofern nicht anders gekennzeichnet, basiert der gesamte Artikel auf diesen Referenzen.1-2

Definition

  • Folate (Vitamin B9) = im Organismus vorkommende Formen mit einem oder mehreren Glutamatresten
  • Folsäure = synthetische Form mit einem Glutamatrest
  • Folatmangel führt zu einer megaloblastären Anämie.
  • WHO-Definition der Anämie
    • Hb unter 13,0 g/dl (8,1 mmol/l) bei erwachsenen Männern und männlichen Jugendlichen > 15 Jahre
    • Hb unter 12,0 g/dl (7,5 mmol/l) bei 12- bis 14-Jährigen, bei erwachsenen Frauen und weiblichen Jugendlichen > 15 Jahre
    • Hb unter 11,0 g/dl (6,8 mmol/l) bei Schwangeren
  • Näheres siehe die Artikel:

Häufigkeit

  • Kommt in Deutschland als Anämieursache nur selten vor.
  • Etwa 14 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland sind nicht adäquat mit Folat versorgt.3
  • Gehäuft bei Alkoholiker*innen, älteren Menschen und Anorexiekranken sowie bei Patient*innen mit Malabsorptionserkrankungen

Ätiologie und Pathogenese

  • Folsäure spielt eine wichtige Rolle bei der DNA-Synthese und -Reparatur.
  • Folsäuremangel verzögert die Zellteilung und fördert die Apoptose hämatopoetischer Stammzellen im Knochenmark.

Verringerte Aufnahme: am häufigsten

  • Malabsorption verursacht durch Gastrektomie, Morbus Crohn oder Zöliakie
  • Unterernährung
  • Fehlernährung, z. B. bei übermäßigem Alkoholkonsum
  • Medikamente, die die Folsäureabsorption hemmen, z. B.:
    • Phenytoin
    • trizyklischen Antidepressiva
    • orale Kontrazeptiva
    • Trimethoprim
    • Methotrexat
    • 5-Fluorouracil
    • Cytarabin
    • Zidovudin (Azidothymidin, AZT).

Erhöhter Bedarf

ICPC-2

  • B81 Anämie durch Vitamin-B12-/Folsäuremangel

ICD-10

  • Nach ICD-10-GM Version 20224
    • D52 Folsäure-Mangelanämie
      • D52.1 Alimentäre Folsäure-Mangelanämie
      • D52.2 Arzneimittelinduzierte Folsäure-Mangelanämie
      • D52.8 Sonstige Folsäure-Mangelanämien
      • D52.9 Folsäure-Mangelanämie, nicht näher bezeichnet
    • E53 Mangel an sonstigen Vitaminen des Vitamin-B-Komplexes
      • Mangel an sonstigen näher bezeichneten Vitaminen des Vitamin-B-Komplexes

Diagnostik

Diagnostische Kriterien

  • Anämie
  • Niedrige Erythrozyten-Folsäure und megaloblastäre Anämie (Megalozyten und segmentierte Neutrophile im Blutausstrich)
  • B12-Mangel ausschließen (kann ebenfalls zu verringertem Folat in den Erythrozyten und einer megaloblastären Anämie führen).

Differenzialdiagnosen

Anamnese

Anämiesymptome

  • Müdigkeit, Schwindel, verminderte körperlich Leistungsfähigkeit, Palpitationen, Thoraxschmerzen bei Anstrengung
  • Langsame Entwicklung mit zunehmender Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Blässe
  • Bei ausgeprägter Anämie schließlich Dyspnoe

Lebensstilfaktoren

  • Alkohol?
  • Ernährung?

Relevante Vorerkrankung oder Behandlung?

Klinische Untersuchung

  • Größe und Gewicht
  • Glatte und rote Zunge aufgrund von Papillenatrophie bzw. dünnem Epithel?
  • Haut
    • blass (Anämie)
    • bei Folatmangel evtl. ungleichmäßig pigmentiert
    • Mundwinkelrhagaden (auch bei Mangel an anderen B-Vitaminen, Eisen, sowie bei chronisch entzündlichen Erkrankungen und Autoimmunreaktionen)?
  • Normaler neurologischer Befund (im Gegensatz zum Vitamin-B12-Mangel)
  • Diarrhö?
  • Kachexie?

Ergänzende Untersuchungen in der Hausarztpraxis

Standardlabor

  • Hb: ausgeprägte Anämie
  • Peripherer Blutausstrich
    • Makrozytose mit ovalen Makrozyten
    • Anisozytose (starke Größenunterschiede der Erythrozyten)
    • Poikilozytose (verschieden geformte, unrunde Erythrozyten)
    • hypersegmentierte Neutrophile
  • Blutbild
    • MCV und MCH erhöht, evtl. bereits Wochen vor dem Auftreten einer Anämie
      • bei Kombination mit Eisenmangel evtl. fehlend oder nur schwach ausgeprägt
    • In fortgeschrittenen Stadien Thrombozytopenie und Neutropenie (unspezifisch)
  • Korrigierte Retikulozytenzahl: vermindert (Normalbereich 0,5–1,5 %)

Ergänzende Untersuchungen bei Bedarf

  • Folat
    • im Serum
      • frühester Indikator eines Folatmangels
      • als initialer Screeningtest geeignet
      • 5 % aller Folatmangel-Fälle werden damit nicht erkannt.
    • in den Erythrozyten
      • sensitiver, aufwändiger und teurer als Serumfolat
      • Kann bei akutem Folatmangel normal sein.
      • Ist bei Vitamin-B12-Mangel in 50 % der Fälle niedrig.
    • Beide sind während der Schwangerschaft nicht von Nutzen.
  • Vitamin B12: normal
  • Serum-Ferritin und -Eisen: bei alleiniger Folatmangelanämie erhöht (aber unspezifisch, zeigt nur verminderte Erythropoese an), bei Eisenmangelanämie vermindert
  • Plasma-Homocystein
    • Ist erhöht, evtl. bereits, bevor sich eine Anämie entwickelt hat.
    • Indiziert, wenn ein klinischer Verdacht besteht, die Analysen von Hb und Folat jedoch keine eindeutige Antwort geben (grenzwertige Befunde).
    • Homocystein ist ebenfalls erhöht bei Vitamin-B12-/-B6-Mangel und Niereninsuffizienz.
    • Ein Abfall des Homocysteins unter der Behandlung bestätigt den intrazellulären Folatmangel.
    • teuer
  • Plasma- oder Serum-Methylmalonsäure: meist normal
    • erhöht bei Vitamin-B12-Mangel
    • abhängig von der Nierenfunktion (bei Niereninsuffizienz erhöht)

Diagnostik bei Spezialist*innen

Ätiologische Untersuchung

  • Bei Verdacht auf Zöliakie
    • serologischer Test auf IgA Antikörper gegen Transglutaminase (TTG)
    • evtl. Gastroskopie mit Dünndarmbiopsie
  • Bei Verdacht auf kongenitale Folat-Malabsorption oder Störungen des Folatmetabolismus

Therapie

Therapieziele

  • Verbesserung der Folatversorgung und dadurch Remission der Anämie

Allgemeines zur Therapie

  • Ggf. Grunderkrankung behandeln.
  • Zufuhr von Folsäure bei nachgewiesenem Mangel
  • Da die Erythropoese bei der Behandlung beschleunigt wird, kann es bei begleitendem Eisenmangel relevant sein, zusätzlich Eisen zu verabreichen.
  • Bei gleichzeitigem Vitamin-B12-Mangel verbessert die Folsäure die Anämie, nicht aber die Neuropathie.

Empfehlungen für Patient*innen

  • Folsäure befindet sich in den meisten Obst- und Gemüsesorten.
  • Die Ernährung sollte aus viel Gemüse wie Spinat, Brokkoli, Blumenkohl, Salat und Vollkornprodukten bestehen.
  • Für Jugendliche und Erwachsene beträgt die empfohlene Zufuhr 300 µg Folat pro Tag.5

Medikamentöse Therapie

  • Orale Folsäuresubstitution
    • Erwachsene 1–5 mg/d (max. 15 mg/d)
    • Kinder 1 mg/d
  • Krebsrisiko durch anhaltende Folsäuresupplementierung?6-7
    • bislang keine hinreichenden Belege
    • Wahrscheinlich erhöht ein Folsäuremangel das Krebsrisiko.
      • Eine Aufnahme in Höhe der Zufuhrempfehlungen (0,2–0,6 mg/d) scheint im Vergleich zu einer geringeren Aufnahme das Risiko für kolorektale Karzinome zu vermindern.
      • Eine Erhöhung des Krebsrisikos bei höherer Zufuhr, ist – insbesondere bei bereits vorhandenen Krebsvorstufen – nicht sicher auszuschließen.
    • Es fehlen geeignete Langzeitstudien.
    • Der Nutzen, insbesondere in der Schwangerschaft (Verhinderung von Neuralrohrdefekten), scheint zu überwiegen.

Prävention

Vorbeugende Behandlung bei Schwangeren

  • 0,4 mg: 1 Tablette täglich ab Planung der Schwangerschaft und bis Ende der 12. Schwangerschaftswoche5,8
    • Viele Schwangere beginnen die zusätzliche Einnahme von Folsäure erst, wenn sie die Schwangerschaft entdecken – häufig zu spät, um einem Neuralrohrdefekt vorzubeugen.
      • Eine Supplementierung bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter ohne sichere Verhütung erscheint daher ratsam.
      • Bei nicht geplanter Schwangerschaft wird ansonsten mit der zusätzlichen Einnahme von Folsäure sofort bei Feststellung der Schwangerschaft begonnen und bis zum Ende der 12. Schwangerschaftswoche fortgesetzt.
  • Bei Frauen, die bereits Schwangerschaften oder Geburten mit Neuralrohrdefekten hatten, wird Folsäure in einer Dosis von 4 mg täglich empfohlen, d. h. die 10-fache Dosis.
    • Die Maßnahmen können nachweislich Neuralrohrdefekten beim Embryo vorbeugen.

Ernährung

  • Gemüse
    • Folatreich sind z. B.:
      • dunkelgrüne Gemüsesorten wie Spinat, Rucola
      • Kohl wie Brokkoli, Blumenkohl
      • Hülsenfrüchte wie Bohnen, Kichererbsen, Linsen
      • Wurzelgemüse wie Steckrüben, Rote Bete
      • Früchte wie Orangen, Kiwi, Honigmelone
      • Beeren wie Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren
      • andere Gemüsesorten wie Paprika, Mais
    • Folat ist wärmeempfindlich und wird bei längerer Erwärmung leicht zerstört.
      • Gemüse sollte für die optimale Ausbeute an Folat roh verzehrt oder nur blanchiert werden.
  • Vollkornprodukte, Milch und Joghurt enthalten verhältnismäßig viel Folat.
  • Leber und Leberprodukte: Schwangere sollten jedoch im ersten Trimenon keine Leber verzehren (Cave: Vitamin-A-Überdosierung!).
  • In den USA und in einigen anderen Ländern sind einige Mehlsorten mit Folat angereichert. Bei normaler Ernährung läge die tägliche Dosis Folat in diesen Ländern sonst unter 0,4 mg täglich.

Verlauf, Komplikationen und Prognose

Verlauf

  • Hängt von der Grunderkrankung/Ursache ab.
  • Wichtig ist auch die Vermeidung von Risikofaktoren (Alkohol, andere Drogen und Toxine). Für eine ausführliche Liste siehe Artikel Anämie bei Erwachsenen.

Komplikationen

  • Folatmangel im 1. Trimenon disponiert für Neuralrohrdefekte und möglicherweise auch für andere angeborene Fehlbildungen.
  • Anämie-Komplikationen, besonders bei älteren Betroffenen9

Prognose

  • Eine adäquate Behandlung führt zu einer schnellen Verbesserung der Erkrankung.
  • Die Retikulozyten steigen im Laufe einer Woche.
  • Eine komplette Korrektur der Blutwerte wird im Laufe von 4 Monaten erreicht.

Verlaufskontrolle

  • Verlaufskontrollen, bis die Blutwerte (Folat, MCV, Homocystein) sich normalisiert und die Symptome verbessert haben.
  • Bei Personen mit hohem Risiko für einen erneuten Folatmangel oder für die Maskierung eines zugrunde liegenden B12-Mangels: fortlaufende Kontrollen von Folat und ggf. Vitamin B12

Patienteninformationen

Patienteninformationen in Deximed

Illustrationen

Makrozytäre Anämie, Blutausstrich (40-fache Vergrößerung)
Makrozytäre Anämie, Blutausstrich (40-fache Vergrößerung)
Makrozytäre Anämie mit hypersegmentiertem Granulozyt im Blutausstrich (100-fache Vergrößerung)
Makrozytäre Anämie mit hypersegmentiertem Granulozyten im Blutausstrich (100-fache Vergrößerung)

Quellen

Literatur

  1. Koury MJ. Abnormal erythropoiesis and the pathophysiology of chronic anemia. Blood Rev 2014; 28(2): 49-66. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
  2. Koury M, Wheeler AP, Sika M. Folate deficiency. BMJ Best Practice. Last reviewed: 10 Dec 2021; last updated: 10 Sep 2021 bestpractice.bmj.com
  3. Mensink GBM, Weißenborn A, Richter A. Folatversorgung in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2016; 1, 26-30. www.rki.de
  4. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10-GM Version 2022. Stand 17.09.2021; letzter Zugriff 10.01.2022. www.dimdi.de
  5. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Referenzwerte für die Zufuhr von Folat aktualisiert. 06.02.2019 www.dge.de
  6. Kein Krebsrisiko durch Fol­säure-Substitution. aerzteblatt.de; 25.01.2013 www.aerzteblatt.de
  7. Weißenborn A, Ehlers A, Hirsch-Ernst KI et al. Ein Vitamin mit zwei Gesichtern. Folsäure – Prävention oder Promotion von Dickdarmkrebs? Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2017; 60: 332-40. DOI: 10.1007/s00103-016-2505-6 DOI
  8. Bundesinstitut für Risikobewertung. Ratschläge für die ärztliche Praxis: Jod, Folat/Folsäure und Schwangerschaft. Berlin 2014 www.bfr.bund.de
  9. Rosegger P, Schleiffenbaum B. Anämie im Alter. Praxis 2016; 105: 1239-1246. doi:10.1024/1661-8157/a002533 DOI

Autor*innen

  • Thomas M. Heim, Dr. med., Wissenschaftsjournalist, Freiburg
  • Die ursprüngliche Version dieses Artikels basiert auf einem entsprechenden Artikel im norwegischen hausärztlichen Online-Handbuch Norsk Elektronisk Legehåndbok (NEL, https://legehandboka.no/).

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