Sehnervenentzündung – Optikusneuritis

Die Optikusneuritis ist eine Entzündung des Sehnervens, die meist zu einem gestörten Sehvermögen auf einem Auge führt. Die Beschwerden bessern sich meist im Laufe von Tagen bis Wochen. In einigen Fällen kann es sich bei der Sehnervenentzündung jedoch eine Manifestation der Erkrankung Multiplen Sklerose (MS) handeln.

Was ist eine Optikusneuritis?

Verlauf des Sehnervs
Verlauf des Sehnervs

Die Optikusneuritis ist eine Entzündung des Sehnervs, der von der Netzhaut des Auges zum Gehirn führt. Dieser Sehnerv leitet die Informationen, also was das Auge sieht, weiter an das Gehirn wo diese zu Bildern umgesetzt werden. Bei der Entzündung werden meist die Myelinscheiden, also die elektrisch isolierenden äußeren Schichten der Nervenfasern geschädigt. Man spricht daher auch von einer demyelinisierenden Entzündung, die die Funktion des Nervens einschränkt.

Im Rahmen dieser Entzündung kommt es bei Betroffenen zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens meist auf nur einem Auge. Die Sehstörungen können unterschiedliche Ausmaße annehmen und von Farbsehstörungen bis zum Sehverlust reichen. Die Symptome entwickeln sich meist im Laufe von Stunden bis wenigen Tagen. Zusätzlich können mäßige Schmerzen hinter dem betroffenen Auge auftreten, die sich bei Augenbewegungen verschlimmern. Auch die Wahrnehmung von Lichtblitzen kann Ausdruck der Erkrankung sein. Da eine Sehnervenentzündung im Rahmen einer Multiplen Sklerose auftreten kann, sind bei dieser Erkrankung weitere neurologische Symptome, wie z.B. Missempfindungen oder Schwindel denkbar. In 75 % der Fälle tritt die Erkrankung einseitig auf, es können jedoch auch beide Sehnerven betroffen sein.

Die Sehnervenentzündung ist relativ selten und betrifft in Mitteleuropa 5 von 100.000 Personen pro Jahr. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer und die Erkrankung tritt meist zwischen dem 20. und 49. Lebensjahr auf.

Ursachen

Die Symptome einer Optikusneuritis entstehen im Rahmen einer entzündlichen Schädigung des Sehnervens. Hier sind allerdings nicht Bakterien oder Viren die Ursache der Entzündung, sondern die körpereigenen Abwehrzellen greifen im Rahmen einer so genannten Autoimmunreaktion das eigene Gewebe an. Es entsteht eine Entzündung des Sehnervs. Dieser ist dementsprechend gereizt und die elektrische Aktivität funktioniert nicht richtig. Es kommt zur Beeinträchtigung des Sehvermögens. Die ursprüngliche Ursache der auslösenden Autoimmunreaktion ist bislang nicht bekannt.

Eine Sehnervenentzündung kann ebenfalls Ausdruck der Erkrankung Multiple Sklerose (MS) sein. Nicht selten ist es sogar das erste Symptom der Erkrankung. Man geht davon aus, dass etwa 50 % der Betroffenen mit Sehnervenentzündung im späteren Verlauf an einer Multiplen Sklerose leiden. In anderen Fällen scheint die Erkrankung mit einer vor kurzem überstandenen Virusinfektion zusammenzuhängen. Andere, seltenere Ursachen sind Reaktionen auf verschiedene Giftstoffe, wie z. B. Blei, Medikamentenmissbrauch und Erkrankungen wie z. B. Lupus erythematodes, Sarkoidose oder Borreliose.

Bei Kindern tritt die Erkrankung häufig in zeitlichem Zusammenhang mit einem Virusinfekt auf und betrifft dann überwiegend beide Seiten. Das Sehvermögen erholt sich meist komplett und das Risiko, nach der Episode eine MS zu entwickeln, ist bei Kindern deutlich geringer.

Diagnostik

Die Diagnose wird bei der typischen Beschreibung einer zunehmenden Verschlechterung des Sehens, der Farbwahrnehmung und des Kontrastempfindens über Stunden bis Tage in Betracht gezogen. In der Untersuchung des Patienten zeigt sich meist lediglich eine eingeschränkten Sehfähigkeit ohne andere Auffälligkeiten. Die Untersuchung des Auges ist meist ebenfalls unauffällig, lediglich eine gestörte Pupillenreaktion auf Licht kann einen zusätzlichen Hinweis auf die Erkrankung geben. Betroffene sollten zeitnah augenärztlich untersucht werden, um andere Krankheiten auszuschließen. Bei fast allen Betroffenen wird im Krankenhaus eine MRT-Untersuchung des Gehirns und des Rückenmarks durchgeführt, um das Risiko für eine Multiple Sklerose abzuschätzen. Zusätzlich liegt so ein Ausgangsbefund vor, falls sich in Zukunft weitere Symptome entwickeln sollten. Zusätzlich wird häufig die Leitungsfähigkeit der visuellen Nervenbahnen mit den sogenannten visuell evozierten Potenziale (VEP) gemessen. Um eine andere zugrundeliegende Erkrankung auszuschließen, können eine Lumbalpunktion zur Analyse des Nervenwassers sowie gewisse Bluttests notwendig sein.

Behandlung

Ziel der Therapie einer Sehnervenentzündung ist die Wiederherstellung des Sehvermögens. In vielen Fällen ist keine medikamentöse Therapie notwendig und die Symptome bessern sich im Laufe von einigen Tagen bis zu Wochen von selbst. Wenn der Sehverlust stark ausgeprägt ist, sollte jedoch eine Therapie mit Kortikosteroiden in hoher Dosis erwogen werden. Diese verkürzen nachweislich die Zeit bis zur Erholung der Sehfähigkeit. Wenn die Sehnervenentzündung im Rahmen einer bekannten Multiplen Sklerose auftritt oder sich im MRT deutliche Hinweise auf die Erkrankung ergeben, sollte in der Akutsituation ebenfalls mit Kortikosteroiden behandelt werden. Bei Kindern und Jugendlichen kann ebenfalls medikamentös behandelt werden. Dies muss jedoch im Hinblick auf Nebenwirkungen gut abgewogen werden, da die Spontanheilungsrate sehr viel höher ist.

Prognose

Die Prognose der Erkrankung ist insgesamt gut. Das Sehvermögen kehrt fast immer nach ein paar Tagen oder Wochen zurück. In manchen Fällen dauert es allerdings Monate, bevor alle Symptome verschwunden sind. Etwa 95 % der Patienten erlangen mit der Zeit wieder ein normales Sehvermögen. In seltenen Fällen kommt es zu dauerhaften Einschränkungen des Sehvermögens. Nach dem ersten Auftreten einer Sehnervenentzündung liegt die Wahrscheinlichkeit, im späteren Verlauf an MS zu erkranken, bei etwa 50 %. Zwischen der Sehnervenentzündung und dem späteren Entstehen der MS können viele Jahre liegen.

Bei Kindern ist die Prognose besser als bei Erwachsenen. Zudem ist das Risiko einer späteren MS-Erkrankung und für das Wiederauftreten der Krankheit eindeutig niedriger.

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  • Jonas Klaus, Arzt, Freiburg i. Br.

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Literatur

Dieser Artikel basiert auf dem Fachartikel Optikusneuritis. Nachfolgend finden Sie die Literaturliste aus diesem Dokument.

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