Allgemeine Informationen
Definition
- Echokardiografische Untersuchung während und nach einer Stressreaktion durch physikalischen oder pharmakologischen Stress1,2
Zugrunde liegende Pathophysiologie
- Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf und -angebot führt zu ischämischen Veränderungen im Myokard.
- Die „ischämische Kaskade“ beschreibt die Abfolge von Veränderungen, die einen zunehmenden Grad der Ischämie anzeigen:
- Perfusionsheterogenität
- metabolische Veränderungen
- diastolische Funktionsstörung
- regionale Wandbewegungsstörung
- EKG-Veränderung
- Angina pectoris.
- Durch Stresstest bei entsprechender Pathologie Auslösung einer myokardialen Ischämie
- Echokardiografische Erfassung der Ischämie durch neue Wandbewegungsstörung
- Wandbewegungsstörung tritt im Rahmen der Ischämiekaskade früher auf als EKG-Veränderungen oder Angina pectoris.
- Stressechokardiografie daher sensitiver als Belastungs-EKG oder rein klinische Beurteilung
Belastungsformen
- Klinisch bedeutsame Formen der Belastung:
- physikalische Belastung
- in Deutschland üblicherweise durch Fahrradergometrie
- alternativ Laufband
- pharmakologische Belastung durch
- Dobutamin (am häufigsten)
- Adenosin
- Dipyridamol (spielt in Deutschland keine Rolle).
- physikalische Belastung
- Physikalische und pharmakologische Belastung für die Auslösung einer Wandbewegungsstörung bei kritischer Koronarstenose gleich geeignet2
- Physikalischer Stress und Dobutamin wirken durch erhöhten Sauerstoffverbrauch, Adenosin durch verminderte subendokardiale Perfusion aufgrund von Steal-Phänomen.2
Indikationen
- Der Abschnitt basiert auf diesen Referenzen.2-4
- V. a. stenosierende KHK, insbesondere bei:
- nichtdiagnostischem Belastungs-EKG oder
- nichtinterpretierbarem Belastungs-EKG (LSB, LV-Hypertrophie, vorbestehende EKG-Veränderungen, Digitalis).
- Beurteilung der hämodynamischen Relevanz von bekannten Stenosen
- Risikostratifizierung und Prognose bei bekannter KHK (z. B. nach Myokardinfakt)
- Erfolgskontrolle nach Revaskularisation (Katheterintervention oder Bypass-OP)
- Vitalitätsdiagnostik (Revaskularisation von akinetischen Regionen sinnvoll?)
- Beurteilung der Kontraktilitätsreserve bei myokardialen Erkrankungen
- Präoperative Risikobeurteilung vor nichtkardialen Operationen bei Patienten mit KHK
- Abklärung der kardialen Ätiologie einer Belastungsdyspnoe
- Beurteilung von Vitien unter Belastung
- insbesondere Beurteilung des Schweregrades bei Patienten mit „Low Gradient“ Aortenstenose und schlechter LV-Funktion
- Beurteilung der Obstruktion bei hypertropher Kardiomyopathie
Kontraindikationen
- Akutes Koronarsyndrom
- Schwere Herzinsuffizienz
- Schwere Aortenstenose/schwere HOCM
- Schwere arterielle Hypertonie
- Myo- oder Perikarditis
- Maligne Herzrhythmusstörungen
- St. n. kurz zurückliegender Lungenembolie
- Schwere COPD
Patientenvorbereitung
- Aufklärung der Patienten über Zweck der Untersuchung, Art der Durchführung und mögliche Komplikationen
- schriftliche Aufklärung/Einwilligung erforderlich (mindestens am Tag vor Untersuchung)
- Im Allgemeinen Untersuchung ohne antiischämische Medikation (Beta-Blocker, Ca-Antagonisten, Nitrate)
- insbesondere bei Primärdiagnostik
- im Einzelfall Durchführung der ergometrischen Stressechokardiografie unter Beta-Blocker bei bekannter KHK (Ischämie unter Therapie?)
- Kaliumbestimmung vor pharmakologischer Belastung mit Dobutamin
- Cave: Rhythmusstörungen!
- Nüchtern
- 2 Stunden vor physikalischer Belastung
- 4 Stunden vor pharmakologischer Belastung
- Keine xanthinhaltigen Nahrungsmittel (Tee, Kaffee, Cola, Schokolade, Nüsse) vor Adenosinbelastung
- Venöser Zugang bei pharmakologischer Belastung
- Antidot bereitstellen (Betablocker bei Dobutamin, Theophyllin bei Adenosin)
- Notfallausrüstung inkl. Defibrillator
Untersuchung
Methode auswählen
- Der diagnostische Wert von physikalischer und pharmakologischer Stressechokardiografie ist vergleichbar.2
- Bevorzugt Durchführung der physikalischen Stressechokardiografie, da die maximale körperliche Belastbarkeit prognostische Bedeutung hat.5
- Pharmakologischer Stress bei Patienten, bei denen eine ergometrische Belastung nicht möglich ist (und damit weder Belastungs-EKG noch ergometrische Stressechokardiografie).
- Ca. 20 % der Patienten mit Indikation für Stressechokardiografie sind nicht physikalisch belastbar.
- pAVK
- orthopädische Grunderkrankungen
- neurologische Grunderkrankungen
- pulmonale Grunderkrankungen
- mangelnde Compliance
- Ca. 20 % der Patienten mit Indikation für Stressechokardiografie sind nicht physikalisch belastbar.
- Bei pharmakologischer Belastung aktuell bevorzugt Dobutamin zur Beurteilung der regionalen Wandbewegung5
- Adenosin von Vorteil, wenn auch die Perfusion beurteilt werden soll.
- Falls mit einer Stressmethode (physikalisch oder pharmakologisch) keine ausreichende Belastung erreicht werden konnte, kann ergänzend die andere Methode angewandt werden.2
Physikalische Belastung
- Untersuchung auf dem Fahrradergometer in halbsitzender Position
- Stufenloses Kippen in Halbseitenlage möglich für bessere Schallbedingungen
- allerdings ungewohnte Lage für Patient und üblicherweise etwas geringere maximale Belastungsstufe
- Belastung mit üblichen Ergometrie-Protokollen
- Belastungsziel3
- maximale körperliche Ausbelastung
- mindestens Belastung bis Herzfrequenz (220–Alter) x 0,85
- Regelmäßige Dokumentation von RR und EKG
- Vorteile der physikalischen Stressechokardiografie
- physiologische Belastung
- Quantifizierung der körperlichen Belastbarkeit
- ggf. Ermittlung der Ischämieschwelle
- Beurteilung des Blutdruckverhaltens unter Belastung
- weniger Komplikationen im Vergleich zum pharmakologischen Stress2
- kostengünstiger im Vergleich zum pharmakologischen Stress
- Nachteil der physikalischen Stressechokardiografie
- echokardiografisch anspruchsvolle Untersuchung bei sich bewegendem Patienten
- max. Belastung abhängig von der Motivation des Patienten
Pharmakologische Belastung
Untersuchung mit Dobutamin
- Beta-Blocker vorher absetzen!
- Verabreichung von Dobutamin i. v. mit Perfusor
- Standardisiertes Protokoll mit Infusionsraten von 10, 20, 30 und 40 μg/kg/min und Steigerungsintervallen von 3 Minuten3
- Bei unzureichender Herzfrequenz auf der höchsten Dobutaminstufe ergänzende Gabe von 0,25 mg Atropin (bei Bedarf wiederholte Boli bis max. 2 mg)
- Bei Vitalitätsdiagnostik Beginn der Belastung mit Dobutamin 5 µg/kg/min
- Low-dose Dobutamin führt bei akinetischem, aber vitalem Myokard passager zur Besserung der Kontraktilität
- bei niedriger Dosis noch keine Ischämie
- Low-dose Dobutamin führt bei akinetischem, aber vitalem Myokard passager zur Besserung der Kontraktilität
- Belastungsziel
- Herzfrequenz = (220–Alter) x 0,85
- Vorteile der Belastung mit Dobutamin
- Untersuchung in stabiler Lage
- optimale Bildqualität einfacher zu erzielen
- Stressechokardiografie bei Patienten verfügbar, die nicht ergometrisch belastet werden können.
- Untersuchung in stabiler Lage
- Nachteile
- größerer Aufwand
- häufig Herzrhythmusstörungen
- SVES
- VES
- Vorhofflimmern
- ventrikuläre Tachykardien
- sowhl hypertensive als auch hypotensive RR-Reaktion möglich
- sonstige Nebenwirkungen
- Parästhesien
- Dyspnoe
- Angina pectoris
- Kopfschmerzen
- Übelkeit
- Angstgefühl
- Tremor
Untersuchung mit Adenosin
- Z. Z. das am wenigsten häufig eingesetzte Verfahren
- Adenosin erheblich teurer als Dobutamin
- I. v. Gabe von Adenosin über Perfusor mit Dosis 140 µg/kg/min
- Vorteile
- kombiniert mit Kontrastmittel zur Beurteilung auch der Perfusion in Ruhe und unter Belastung geeignet
- sehr kurze Halbwertszeit
- daher durch gute Steuerbarkeit trotz häufiger Nebenwirkungen (s. u.) weniger schwere Komplikationen als bei Dobutamin
- verursacht keine Hypertonie, daher auch bei Hypertonikern gut einsetzbar
- Nachteile
- teuer
- Nebenwirkungen
- Angina
- Dyspnoe
- innere Unruhe
- Schwindel, Benommenheit
- Gesichtsröte
- AV-Überleitungsstörungen
- Bronchospasmus (selten)
Bildaufnahme
- Die echokardiografischen Aufnahmen erfolgen von:
- apikal (Schallkopf im Bereich der Herzspitze)
- parasternal (Schallkopf etwa im Bereich des Erb-Punkts).
- Systematische Untersuchung in definierten Schnittebenen
- von apikal
- 4-Kammer-Blick (septale und laterale LV-Abschnitte)
- 3-Kammer-Blick (anteroseptale und posteriore Abschnitte)
- 2-Kammer-Blick (anteriore und inferiore Abschnitte)
- von parasternal
- parasternale Längsachse: anteroseptale und posteriore Abschnitte
- parasternale Kurzachse: Querschnitte durch LV auf Papillarmuskelebene
- von apikal
- Zur Optimierung der Endokarderkennung kann die Untersuchung unter Gabe eines linksgängigen Kontrastmittels durchgeführt werden.
Endpunkte der Stressechokardiografie
- Stressechokardiografische Endpunkte
- neu auftretende Wandbewegungsstörung in mindestens 2 Segmenten
- LV-Dilatation
- Dilatation des LV möglicher Hinweis auf 3-Gefäßerkrankung
- max. körperliche Ausbelastung (bei physikalischer Stressechokardiografie)
- Erreichen der Zielherzfrequenz
- max. Dosis des Pharmakons
- Nichtechokardiografische Abbruchkriterien
- schwere Angina pectoris
- progredienter oder symptomatischer Blutdruckabfall
- höhergradige ventrikuläre Rhythmusstörungen
- RR > 220/120 mmHg
- signifikante ST-Senkungen (> 2mV)
- Sofern keine LV-Dilatation, kann Untersuchung trotz ST-Senkungen fortgesetzt werden.
Bildauswertung
- Orientierende Beurteilung direkt am Echogerät während der Untersuchung4
- Nach Untersuchung vergleichende Analyse der Wandbewegung durch gleichzeitige Darstellung von Ruheaufnahmen und Aufnahmen auf verschiedenen Belastungsstufen
- Zuordnung der regionalen Wandbewegung entsprechend dem 16-Segmentmodell
- Einteilung der Wandbewegungsstörungen
- 1 = Normokinesie
- 2 = Hypokinesie
- 3 = Akinesie
- 4 = Dyskinesie
- Berechnung des Wandbewegungs-Score-Index (WBSI)
- Addition der Ziffern aller beurteilten Segmente/Anzahl der Segmente
- Bei normaler Kontraktilität in allen Segmenten beträgt der WBSI 1.
- je größer der WBSI desto gestörter die Kontraktilität
- Der Befundbericht soll enthalten:3
- Stressprotokoll
- Blutdruck- und Herzfrequenzverhalten
- ST-Streckenveränderungen
- induzierte Arrhythmien
- Symptomatik des Patienten (Angina pectoris)
- Interpretation: Lokalisation, Ausdehnung und Schweregrad der Wandbewegungsstörung
- ggf. Ischämieschwelle (Belastungsgrad, bei dem Ischämie auftritt).
- Aus den betroffenen Segmenten können Rückschlüsse auf die wahrscheinlich betroffenen Koronararterien gezogen werden.
Diagnostische Validität
- Sensitivität der Stressechokardiografie etwa 80 %, Spezifität etwa 86 %5
- Spezifität etwas höher als bei der Belastungsmyokardszintigrafie5
- Physikalische und pharmakologische Stressechokardiografie weisen eine vergleichbare Genauigkeit auf.2
- Bei den Studienergebnissen ist zu berücksichtigen, dass Sensitivität und Spezifität im Vergleich mit den Ergebnissen der Koronarangiografie bestimmt wurden (zumeist galt eine > 50 % Diameter Stenose als relevant).
- Stressechokardiografie und Angiografie eigentlich nicht direkt vergleichbar
- angiografische Erfassung der koronaren Morphologie
- Stressechokordiografische Erfassung der Koronarfunktion
- Stressechokardiografie und Angiografie eigentlich nicht direkt vergleichbar
Prognostische Bedeutung
- Der Ausschluss oder Nachweis einer stressinduzierten Ischämie ist mit unterschiedlicher Prognose der Patienten verbunden.
- Mortalitätsrisiko bei Patienten mit normalem Ruhe- und Stressecho nur 0.4–0,9 %/Jahr 2
- Bei Patienten mit vermuteter KHK bedeutet daher eine unauffällige Stressechokardiografie eine sehr gute Prognose.2
- Auf eine Koronarangiografie kann bei diesen Patienten im Allgemeinen verzichtet werden.
- Vor nichtkardialen operativen Eingriffen beträgt der negative Vorhersagewert 95–100 % für perioperative Koronarereignisse.6
- Der prognostische Wert von physikalischer und pharmakologischer Stressechokardiografie ist vergleichbar.
Patienteninformationen
Patienteninformationen in Deximed
Quellen
Leitlinien
- European Association of Echocardiography. Stress echocardiography expert consensus statement, Stand 2008. www.escardio.org
- Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Positionspapier zu Qualitätsstandards in der Echokardiographie, Stand 2004. www.dgk.org
- American Society of Echocardiography. Recommendations for Performance, Interpretation, and Application of Stress Echocardiography, Stand 2007. www.asecho.org
Referenzen
- Haug G. Stressechokardiographie. Darmstadt: Steinkopff Verlag, 1998.
- Sicari R, Nihoyannopoulos P, Evangelista A, et al. Stress echocardiography expert consensus statement. Eur J Echocardiogr 2008; 9: 415-437. doi:10.1093/ejechocard/jen175 DOI
- Hofmann R. Positionspapier zu Qualitätsstandards in der Echokardiographie. Z Kardiol 2004; 93: 975-986. doi:10.1007/s00392-004-0181-2 DOI
- Wilkenshoff U, Kruck I. Handbuch der Echokardiographie. Stuttgart - New York: Georg Thieme Verlag, 2012.
- Pellikka PA, Nagueh SF, Elhendy AA, et al. American Society of Echocardiography Recommendations for Performance, Interpretation, and Application of Stress Echocardiography. J Am Soc Echocardiogr 2007; 20: 1021-1041. doi:10.1016/j.echo.2007.07.003 DOI
- Boersma E, Poldermans D, Bax JJ, Steyerberg EW, Thomson IR, Banga JD et al. Predictors of cardiac events after major vascular surgery. Role of clinical characteristics, dobutamine echocardiography, and b-blocker therapy. JAMA 2001; 285: 1865 - 73.
Autoren
- Michael Handke, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Intensivmedizin, Freiburg i. Br.